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Ich sorge, also bin ich.

Care-Biographien fördern und wertschätzen, für alle Geschlechter

von Sascha Verlan

Vor ein paar Jahren kam ich mit der Mutter einer Schulfreundin von K3 ins Gespräch: beide Elternteile promovierte Ärzt*innen und auch kein, wie oft üblich, großer Alters- und damit Karriere- und Gehaltsunterschied, ganz ähnliche Voraussetzungen also wie wir, eigentlich. Trotzdem steckte sie zurück und kümmert sich um die drei gemeinsamen Kinder, während er in Vollzeit weiter arbeitet und beim Abholen und im Beisein der Tochter nachfragt, ob sie auch brav gewesen wäre. Ich habe also ein bisschen erzählt, wie es bei uns - ähnlich gleichberechtigte Voraussetzungen, wenn auch auf einem finanziell niedrigeren Niveau - zu der 50-50-Aufteilung kam, wie wir zurechtkommen, Widerstände, Chancen … ein sehr angenehmes Gespräch, bis zu ihrem Fazit: "Deine Frau ist wohl emanzipierter als ich."

Es mag überinterpretiert und unfair sein, aber für mich blieb übrig, dass unsere gleichberechtigte Aufteilung von Familienverantwortung und Erwerbstätigkeit eine Emanzipationsleistung meiner Frau sei, ihr Erfolg … und ich mal wieder der bedröppelte pinke Pudel, der halt irgendwie mitspielen muss, aber selbst nichts auf die Gleichstellungsreihe kriegt.

Warum hat dieses Gespräch so nachhaltig an meinem fürsorglich-männlichen Selbstbewusstsein gekratzt, dass ich mich fast zehn Jahre später noch daran erinnere? Natürlich bin ich stolz auf das, was wir da als Arbeits- und Familienkonzept aufgebaut haben jenseits der nach wie vor geförderten und letztlich auch geforderten Modelle zwischen Alleinverdiener + kleine Teilzeit und Doppelverdiener*innen, und die Kinder sind dann die meiste Zeit außerfamiliär betreut.

Natürlich ist es wichtig und entscheidend, wie sich Frauen verhalten in diesen biographisch wegweisenden Situationen um gemeinsame Wohnung, Kinderwunsch und Familie, Krankheit und später dann, wenn die Eltern oder andere Angehörige so viel Unterstützung brauchen, dass es sich mit einer Vollzeitbeschäftigung beim besten Willen nicht mehr vereinbaren lässt.  Aber welche Rolle spielen eigentlich Männer und Väter in dieser Gemengelage?

Wenn wir das Leben von seinem Ende her betrachten, sollte es eigentlich ganz einfach sein: Viele, vor allem erfolgreiche Männer jenseits der Berufstätigkeit bedauern, dass sie nicht mehr Zeit mit ihren Kindern verbracht haben, mit Familie und Verwandten, Freundinnen und Bekannten. Warum es auch heute nicht so einfach ist, sich die eigenen Wünsche einzugestehen und umzusetzen, welche Hindernisse sich auftun, was es zu gewinnen gibt, stellt man sich den überlieferten und nach wie vor gängigen Erwartungshaltungen entgegen, davon handelt der folgende Text, geschrieben aus einer sehr persönlichen Perspektive als Vater von drei Kindern.

[…]

Gleichberechtigung muss gelebt, sie kann nicht bloß abstrakt gefordert werden

In meinem alltäglichen Leben mache ich Vieles, was gemeinhin als weiblich gilt. Ich trage rosa Shirts und Pudel-Turnschuhe, aber das ist nur oberflächlich. Ich bin bei uns in der Familie fürs Kochen und Einkaufen gerne zuständig und verantwortlich. Waschen und Putzen, Hausaufgaben und Elternabende, Trösten und Pflegen, Krankheiten und Fahrdienste … wir haben uns von Anfang an so gleichberechtigt und fließend im Übergang um unsere drei Kinder gekümmert, dass die mitunter ein wenig verwirrt waren, wir waren MaPa und PaMa, und die Kinder haben schnell gelernt und ein gutes Gespür dafür entwickelt, wer wofür gerade am besten ansprechbar ist … oder so abgelenkt, dass ein "Ja, okay" sehr wahrscheinlich wird.

Wir hatten da kein klärendes Grundsatzgespräch im Vorfeld, wie wir uns die Familienarbeit aufteilen würden. Wir haben uns wohl einfach darauf verlassen, dass sich die alltäglichen Situation insgesamt zwar stark verändern würden, aber eben nicht unsere Art des Austauschs. Und im Rückblick lässt sich jetzt leicht behaupten, dass das alles reibungslos lief, aber das wäre zu einfach. Denn leider hat die klassische Aufgabenverteilung einige Vorteile zu bieten. Da wäre zunächst die gesellschaftliche Normalität und Akzeptanz, während wir uns immer wieder rechtfertigen müssen, konfrontiert werden. Und auch wenn es positiv gemeint sein mag, es reißt uns jedes Mal wieder aus der Selbstverständlichkeit. Für uns entscheidend war: Es braucht nur in seltenen Fällen eine genauere Absprache. Wir dagegen sind ständig am Reden und Verhandeln, wer was machen kann, sollte, versäumt hat. Und hin und wieder betrifft das dann nicht nur uns als Familie, sondern auch Außenstehende, dass wir Termine vergessen abzusagen oder doppelt Entschuldigungen schreiben, dass wir nicht dazu kommen, uns gegenseitig zu informieren, was beim Elternabend, im Sportverein, auf dem Spielplatz besprochen worden war und ja durchaus wichtig wäre. Das alles sind Reibungsverluste, Anlass für Streit und vor allem Zeit, die ohnehin immer knapp ist. Und es gibt einfach keine positiven Vorbilder, keine bewährten Konzepte und Tipps, es ist tatsächlich ein sehr individueller Lebensentwurf, den jede Verantwortungsgemeinschaft für sich finden muss. Wichtig ist, dass beide Eltern möglichst das machen können, was auch Freude bringt, und dass die Kinder von Anfang an mit einbezogen werden und mitlernen können.

Ich war auf jeden Fall der festen Überzeugung, dass es zentral wichtig ist, was wir selbst vorleben, dass sich unser offenes, gleichberechtigtes Vorbild direkt und unmittelbar übertragen würde. Doch als die Kinder in die Kita kamen, Bücher, Filme, Werbung im öffentlichen Raum, die Angebote der Spielwarenindustrie, in den Supermärkten bewusster wahrnahmen, selbst auswählten, wurde immer deutlicher, dass wir nur selbst die Ausnahme sein können, die die ungeschriebenen Regeln bestätigen. Normal ist, auch für unsere Kinder, dass die Mütter zuhause sind und sich kümmern, kochen und Haushalt, all das, Väter spielen da keine wirkliche Rolle. Weil sie es nicht gelernt haben, weil es niemand von ihnen erwartet und fordert, auch sie selbst nicht. Weil die 'Idiot Dads' so lustig sind. Weil sich die Menschen in den Entscheidungspositionen nicht vorstellen können, dass Männer Sorgeverantwortung übernehmen könnten oder wollen. Aber reicht das als Ausrede?

Mittags beim Abholen aus der Kita, im Lebensmittelgeschäft, nachmittags auf dem Spielplatz, bei Verabredungen, Kinderturnen, Schwimmkurs … wenn dann mal ein anderer Vater dabei war, dann blieb das die Ausnahme, weil Urlaub, weil Mutter krank, keine Selbstverständlichkeit jedenfalls, keine Gewohnheit und Beiläufigkeit, was besonders den Kindern anzumerken war, die sich allzu oft anders verhielten, gehemmter. Und in den Gesprächen mit andern Vätern wurde mir schnell klar, dass die meisten gar nicht wirklich wussten, was es konkret bedeutet, eigenverantwortlich zu sein für Kinder und Haushalt. Da war schon so viel Vorarbeit geleistet, Listen, die abzuarbeiten waren, vorgekochte Mahlzeiten und keine Spur vom alltäglichen Haushalt, der nebenbei noch zu erledigen wäre. Vater und Kind(er) sollten es schließlich schön haben, wenn sie dann mal mehr Zeit miteinander verbringen. Das mag überzogen, möglicherweise zynisch klingen, weil wir alle diese wunderbaren Beispiele kennen, wo es anders funktioniert, auch damals schon, als meine Kinder klein waren. Und diese Väter sind wichtig, weil sie Zeichen setzen, weil sie andere zum Nachdenken bringen. Aber die Statistik erzählt eine andere Geschichte, da hat sich in den vergangenen Jahrzehnten einfach sehr wenig zum Positiven hin entwickelt.

Gesellschaftliche Verhältnisse vs. individuelles Verhalten

Seit einigen Jahren schreibe ich verstärkt über Sorgerbeit. Ich halte Vorträge, organisiere mit dem 'Equal Care Day’ einen Aktionstag  und bin politisch aktiv geworden, nutze meine Reichweite und Stimme, um aufzuklären und zu sensibilisieren, dass eine faire Verteilung der Sorgearbeit die Voraussetzung und Grundlage bilden für eine gleichberechtigte Gesellschaft, auch international. Solange Frauen hier die Hauptlast und Verantwortung tragen, übernehmen müssen, wird es keinen Gleichberechtigung geben, werden all die Bemühungen um gleiche Bezahlung, Repräsentation und politischen Einfluss allenfalls kurzfristige Erfolge bringen. Gleichberechtigung ist kein Selbstläufer, der sich aus Artikel 3 des Grundgesetzes ergeben würde. Und wer es ernst meint, beginnt, sich um andere zu kümmern, in einem ganz basalen Sinn.

Ein erster und wichtiger Schritt ist dabei, sich bewusst zu machen, was Care-Arbeit eigentlich ist, nämlich nicht nur ein höherer Aufwand an Kraft und Zeit, sondern vor allem Verantwortung, Wissen und Organisation. In Gesprächen mit anderen Männern (und Frauen) bekomme ich oft und immer wieder zu hören, wie sehr er sie doch unterstützen würde. Und genau darin liegt das Problem: es geht nicht um Unterstützung und Mithilfe, es geht um Verantwortung und Eigenständigkeit. Da die meisten Männer das nicht von Kindheit mitbekommen (und es ist nicht die Schuld ihrer Mütter!), ist das ein mitunter schmerzhafter Lernprozess, Empowerment.

Ich versuche es einmal im Rückblick: der entscheidende Wendepunkt war sicher die Geburt meiner Kinder und die berufliche und finanzielle Freiheit, in dieser wichtigen Phase dabei sein zu können, für Almut, für meine Kinder, Zeit zu haben für mich, um mich selbst zu finden in dieser neuen Konstellation. K1 war gerade drei Monate alt, als Almut wieder ihre ersten Seminare gab. Ich bin einfach mitgefahren, war viel spazieren und kam alle zwei bis drei Stunden zum Veranstaltungsort, Stillen für das Kleine, Pause und Essen für die Mutter. Es gab kein Smartphone und auch in den Hotels und Ferienwohnungen war 2002 an einen Internetanschluss nicht zu denken. Ich war die Tage allein mit mir und einem Säugling, der viel im Tragetuch und Kinderwagen schlief. Ich musste und wollte nichts tun, kein Geld verdienen, das übernahm ja Almut gerade für mich, im Rückblick einfach paradiesisch und mit der Allgegenwart von Internet und damit potenzieller Erwerbstätigkeit und Ablenkung nicht zu vergleichen.

2004 und 2006 dieselbe Situation, dann mit zwei, drei Kindern und weniger Ruhe und Zeit für mich, aber immer noch und jedes Mal wieder eine angenehme und willkommene Auszeit. Bei einem genaueren, ehrlicheren Rückblick erinnere ich natürlich auch die schwierigen Situationen, wenn ein Kind einfach nicht aufhören wollte zu weinen, alle Ablenkungsmanöver, die mir zur Verfügung standen, nichts halfen, nur Stillen, diese Überforderung, Hilflosigkeit und Anstrengung. Aber das ging Almut ja auch nicht anders. Darüber reden zu können, zu wissen, wovon der*die jeweils andere spricht, stärkt die Beziehung und Anerkennung, das Verständnis füreinander. Das ist beileibe kein Selbstläufer, aber die Grundlage für eine Beziehung auf Augenhöhe, gerade auch im Bezug zu und auf die Kinder.

Ich hatte das Privileg und habe mir die Freiheit genommen, meine Kinder von Anfang an auf ihrem Weg aktiv zu begleiten, ich war dabei, habe miterlebt, wie sie groß geworden und gewachsen sind! Ich habe ein gutes Gewissen, weil wir uns als Paar diese Familienarbeit fair aufgeteilt haben, obwohl ich oft das Gefühl hatte, irgendwie ein Anrecht zu haben, dass mir jemand den Rücken freihält, damit ich mich ganz und gar auf meine Erwerbstätigkeit, meine Karriere konzentrieren kann. Und es hat einige Zeit gedauert, bis ich dieses Gefühl, und dessen Unrechtmäßigkeit erkannt und überwunden habe und heute als mein Bedürfnis äußern kann, gerade jetzt zum Beispiel. Es ist Sonntag, und ich muss und möchte diesen Text schreiben. Ich kann es als Bitte äußern, und Almut und die Kinder haben für sich entschieden, dass sie mich darin unterstützen können und kochen und machen, was eben so ansteht und sich nicht auf Morgen verschieben lässt.

Das alles hat seinen Preis. Wie hoch der ist, kann und möchte ich gar nicht wissen. Das hat aber nichts mit uns zu tun, sondern ist eine gesamtgesellschaftliche Ungerechtigkeit. Der ungebundene Mensch ohne Sorgeverantwortung, der jederzeit verfügbar ist, Termine auch am späten Abend noch wahrnehmen, Urlaubszeiten verschieben und auch über einen längeren Zeitraum 50, 60 und mehr Stunden in der Woche arbeiten kann, das ist der allgemeine Maßstab, dem ich nicht genügen kann und will. Natürlich haben Kollegen in ihrem bisherigen Berufsleben mehr erreicht, mehr Bücher geschrieben, mehr Radiosendungen produziert, mehr Vorträge gehalten, mehr Geld verdient. Ich hätte da durchaus mithalten können, wenn ich meine Sorgeverantwortung abgegeben hätte, wenn ich den Regeln des Systems gefolgt wäre. Denn es ist ja durchaus sinnvoll, finanziell zumindest, die familiäre Care-Arbeit auszulagern an schlechter bezahlte Menschen, meist Frauen, oft mit Migrationsgeschichte. Was mir dann heute fehlen würde: dieses gefestigte Verhältnis zu meinen Kindern, eine Paarbeziehung auf Augenhöhe im Privaten wie Beruflichen und das ermächtigende Gefühl, in allen Bereichen des Lebens selbst Verantwortung übernehmen zu können, um es abgedroschen zu formulieren: Meinen Mann zu stehen. Und genau das bedeutet für mich Unabhängigkeit und Sicherheit.

Tatsächlich scheitern viele Paarbeziehungen an der ungleichen Verteilung der Sorgearbeit. Und die Studien, wie Männer nach einer Trennung leben oder wenn die Partnerin gestorben ist, wie sie sich ernähren, ihre Wohnungen aussehen, wie oft im Vergleich zu Frauen sie Selbstmord begehen, diese Ergebnisse sind gut erforscht und einfach nur traurig. Diese männliche Unabhängigkeit ist letztlich eine Illusion: Wer sich nicht gesund ernähren, nicht haushalten kann, wer jenseits der Berufstätigkeit kaum in der Lage ist, tragfähige Beziehungen aufzubauen und zu pflegen, wer jede Sorgeverantwortung ablehnt ("Das könnte ich nicht, toll, dass du das machst."), ist nicht selbständig, sondern in höchstem Maße unfrei, angewiesen auf die eigenen finanziellen Möglichkeiten und das Wohlwollen anderer Menschen, vor allem anderer Frauen.

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Quelle:

Sascha Verlan. In: Blu Doppe, Daniel Holtermann (Hg): Vom Scheitern, Zweifeln und Ändern: Kritische Reflexionen von Männlichkeiten. Unrast-Verlag 2021

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