Wie wichtig ist Talent in der Fotografie?
In meinem Fotonewsletter helfe ich dir, gute Fotos zu machen – auch, wenn du glaubst, dass du nicht fotografieren kannst. In dieser Ausgabe suche ich die Antwort auf… die Frage aller Fragen.
„Du bist so talentiert!“ Wer würde sich nicht freuen, wenn er:sie diesen Satz zu hören bekommt? Talent und Begabung, das sind Wörter, die wir verwenden, wenn wir eine außergewöhnliche Leistung anderer hervorheben wollen. Das geschieht in der Sprache, im Leistungssport, in der Kunst – und damit auch in der Fotografie.
Manche Menschen stellen sich im Erwachsenenalter – und zu Beginn ihrer Leidenschaft für die Fotografie – diese Frage: Habe ich eine künstlerische Begabung? Wer sich hier angesprochen fühlt, lese erne weiter. Denn ich habe versucht, darauf eine Antwort zu finden.
Wissenschaftler:innen fokussieren sich auf Kinder
Als ich letzte Woche begann, nach Studien und wissenschaftlicher Literatur zu suchen, die sich mit Talent und Begabung befasst, stellte ich fest, dass sich beinahe die gesamte Forschung um die Förderung von Kindern dreht. Ganz besonders der wissenschaftliche Zweig der Talentforschung.
In jedem Text gehen Wissenschaftlicher:innen der Frage nach, wie man begabte Kinder am besten fördert. Und gefühlt ist jedes dritte Wort „Projektfinanzierung“. Als ausgebildeter Erzieher stehen mir bei solchen Begriffen die Haare zu Berge, weil ich diesen Fokus auf Leistungsoptimierung im frühen Kindesalter im kapitalistischen Zeitalter höchst problematisch finde.
Die entscheidende Rolle von Talent in der Kunst
Trotzdem las ich einige Studien und Texte – und dabei fiel mir ein Paper (Opens in a new window) mit dem Titel „The Rage to Master: The Decisive Role of Talent in the Visual Arts“ aus dem Jahr 2013 in die Hände. Die Autor:innen Ellen Winner und Jennifer E. Drake untersuchten drei wichtige Studien über die Aneignung künstlerischer Expertise. Gleich zu Beginn definieren sie:
„Mit Talent bezeichnen wir eine angeborene Fähigkeit oder Neigung, in einem bestimmten Bereich zu lernen. “
Es gehe hier um ein starkes Interesse an einem bestimmten Gebiet, verbunden mit einem starken Antrieb, dieses Gebiet zu beherrschen.
Für echte Expertise reicht Talent nicht
Weiter argumentieren die Autoren, dass diejenigen, die mehr Zeit damit verbringen und immer wieder an schwierigen Problemen arbeiten, um diese zu lösen, auch diejenigen sind, die das höchste Niveau erreichen.
Expertise entsteht für die Autoren also nicht nur durch etwas, das Menschen mit ins Leben bringen, sondern auch, was sie daraus machen. Interesse ist etwas, das wir mitbringen. Zeit investieren ist eine Aktivität.
Eigeninitiative is King
„Zweitens können normale Kinder nicht in dem Maße motiviert oder gar gezwungen werden, sich mit dem Zeichnen zu beschäftigen, wie ein frühreifes Kind dies bereitwillig tut.“
Mit frühreif meinen die Winner und Drake Kinder, die in einem bestimmten Bereich das oben genannte starke Interesse haben und sich deshalb freiwillig darin vertiefen.
Übersetzt bedeutet das: Wenn dich freiwillig für eine Sache – in unserem Fall die Fotografie – begeisterst und dich deshalb damit beschäftigst, wirst du stärker motiviert sein, als jemand, der beispielsweise in der Schule dazu gezwungen wird, sich damit zu beschäftigen.
Übung, Übung, Übung
Ich breche das nochmal herunter: Dein Interesse, deine Begeisterung für die Fotografie, ist ein entscheidender Faktor dafür, ob du sie meistern wirst, oder nicht. Talent ist für die Autor:innen nur ein anderes Wort für Interesse.
Aber: Die Autoren sagen, die starke Rolle von Talent (Interesse und Beigeisterung) erlaube es nicht, die Bedeutung von Übung und harter Arbeit auszuschließen. Lernen geschehe durch Übung. „Sogar die Begabtesten zeigen eine Entwicklung ihrer Fähigkeiten, und diese Entwicklung ist eine Funktion intensiver Arbeit.“
Das heißt: Wenn du dein Interesse an der Fotografie mit Übung, vielleicht sogar harter Arbeit daran verbindest, kommst du weiter.
Warum ich heute Berufsfotograf bin
Ich selbst bin der Meinung, dass das Interesse nicht zwingend in der Kindheit existieren muss, um in einer Sache gut zu sein. Und das mache ich fest an meinem eigenen Leben. In meiner Kindheit habe ich freiwillig Musik gemacht.
Ich lernte rasend schnell Klavier und E-Bass spielen und übte jeden Tag mehrere Stunden. Meine Eltern musste mich dazu nicht zwingen, ich tat es aus Begeisterung. Später spielte ich in vielen Bands und tourte einmal durch Europa.
Erst im Alter von 25 Jahren lernte ich die Fotografie kennen – und als das passierte, war ich Feuer und Flamme. Auf gut Deutsch: Ich fotografierte, was das Zeug hält.
Heute bin ich Berufsfotograf. Und kein Musiker. Noch etwas: Ich war in meiner Schulzeit gut im Diktate schreiben, doch ich hasste Aufsätze. Heute arbeite ich Journalist bei Krautreporter (Opens in a new window). Aufsätze schreiben ist meine Lebensaufgabe.
Fotos: Anton Poliakov (Opens in a new window), Suganth (Opens in a new window), Martin Gommel