Kafka Band
Der Process (Indies Scope Records); mit dt. Texten u. Infos
Musikalische Achterbahnfahrt
Franz Kafka liebt man, oder man kann mit ihm nichts anfangen. Kalt lässt einen der tschechische Autor jedenfalls nicht. Seine Werke Das Urteil, Die Verwandlung, Das Schloß oder eben auch Der Process gehören definitiv zum deutschsprachigen Literaturkanon und sind immer wieder auch Teil des Schulunterrichts. Das Absurde, das Seltsame und Unerklärliche sind stetiger Teil von Kafkas Erzählen und faszinieren auch hundert Jahre nach seinem Tod am 3. Juni 1924 mit nur vierzig Jahren. Die tschechische Kafka Band hat sich mit drei Konzeptwerken dem Schaffen Franz Kafkas zu nähern versucht. 2014 wurde Das Schloss veröffentlicht, 2019 Amerika und nun der Abschluss der Trilogie mit dem auf den Romanfragmenten des gleichnamigen Werks basierenden Der Process. Es ist ein Zwölf-Song-Album, das einen bei aller Improvisation und Schrägheit mit einer großartigen Eingängigkeit und Zugänglichkeit packt. Das Kollektiv um Jaroslav Rudiš und Jaromír 99 verwendet viele Textzeilen aus Der Process, etwa: „Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines morgens in seiner Wohnung an seinem Geburtstag verhaftet.“ Andere Texte könnten von Kafka selbst geschrieben worden sein, sind es aber nicht. Und dann wird daraus eine fast einstündige musikalische Achterbahnfahrt, deren Sogwirkung man sich kaum entziehen kann. Ein wenig Jazz, sehr viel Krautrock, etwas Folklore, melancholische Klaviertöne und eigentümlicher Sprechgesang verwirren, verzaubern, verzerren und versöhnen. Ist das große Kunst? Vielleicht. Auf jeden Fall aber ein herausragendes Album, das passend zum hundertsten Todestag Franz Kafkas erschienen ist.
Wolfgang Weitzdörfer