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»Liebe in Zeiten des Hasses«

Er bricht in Privatgrundstücke ein, um zu hören, ob man das Meeresrauschen vom Fenster aus hören kann. Er liest massenweise Tagebücher, durchforstet Archive, schaut sich Fotos an und macht daraus kurze, bildhafte Geschichten. Ursprünglich umfasst das Buch ca. 600 Seiten. Es bleiben etwas über 400 übrig. Ich habe sie verschlungen.

541 Personen tauchen laut Personenregister in dem Buch auf. Es besteht aus mehr oder weniger kurzen Liebesgeschichten und Tragödien von herausragenden Künstler:innen in der Zeitspanne von 1929 bis 1939 in Europa. Ich schreibe bewusst nicht "von berühmten", weil es eins seiner Anliegen ist:

„Ich versuche unbekannte Helden sichtbarer zu machen und die großen Helden vom Podest zu holen.“ Zitat aus der Lesung

Als Personen kommen daher Pablo Picasso oder Erich Kästner nicht gut weg. Dafür schreibt Illies besonders liebevoll über die Dichterin Else Lasker-Schüler oder die Kunst von Malerin Lotte Laserstein. Sehr persönlich und subjektiv, aber auch wahnsinnig fesselnd. Das Buch liest sich wie eine Grafik Novel. Die Handlungen werden sehr bildhaft beschrieben, als ob man dabei wäre. Man kann die Geschichten mithören, -sehen und -riechen.

Ich kam zufällig dazu. Zuerst kam ich aber zufällig in eine Lesung, die von der Buchhandlung Christiansen in der Christianskirche in Hamburg-Altona organisiert wurde. Ganz schön viel "Christ". Deswegen zeichnete ich am Anfang den weißen Engel über der Taufschale, während ich auf den Anfang der Lesung wartete. Es war recht voll. Als ich hörte, dass die Lesung von Ocke Bandixen (NDR) moderiert wird, wusste ich, dass das Buch wichtig war und dass die Veranstaltung gut sein wird.

„Unser Alltag sind Kollagen (…) Das versuche ich in eine literarische Form zu giessen, weil es mir so echt vorkommt.“ Zitat aus der Lesung

Schon allein der Titel "Liebe in Zeiten des Hasses" finde ich so aktuell. Während Illies, kurz nach Pandemiebeginn, in seinem Arbeitszimmer über die faschistischen Aufstände der 20-er Jahre schreibt, marschieren vor seinem Fenster AFD-Demontrant:innen zusammen mit Nazis und Coronaleugner:innen.

"Mir geht es darum, zu erinnern (…). Eine Vergangenheit als Gegenwart zu erzählen (…), von der ich das Gefühl habe, sie bestimmt unser aller Leben viel mehr, als es uns bewusst ist. (…) Und das ist viel umfangreicher geschehen, als es uns die Geschichtsbücher erzählt haben."
Zitat aus der Onlinelesung der Städtische Bibliotheken Dresden (Opens in a new window)

Ich finde, dass Illies mit diesen Worten sein Buch am besten beschrieben hat. Es sind Erinnerungen, in eine erzählerische Form gefasst.

Am Ende der Lesung ließ ich meine eigene Zeichnung von dem Autor signieren … keine Ahnung warum. Er fragte mich "Haben Sie das gerade, während der Lesung gezeichnet?". Ich bejahte. Danach kaufte ich mir das Buch und ging, mein Fahrrad schiebend, nach Hause. 

Monatelang habe ich an dieser Reportage gearbeitet. Es gibt so viel zu erzählen, aber aufschreiben geht irgendwie nicht so gut. Ich habe jetzt beschlossen, den Text so zu lassen und einfach weiter zu machen. Es gibt noch so viel zu tun. Ist Herbst bei Dir auch die arbeitsreichste Zeit des Jahres? Schreibe mir gern, wenn Du Fragen zum Buch oder Anregungen/Kritik zur Reportage hast. Oder einfach nur so. Ich freue mich, von Dir zu hören!

Ich habe noch einen Podkast-Tipp für Dich, den ich bei der Recherche entdeckt habe. Er ist bewusst so gestaltet, dass auch diejenigen, die nicht Kunstgeschichte studiert haben, ihn interessant finden können:

https://www.zeit.de/serie/augen-zu (Opens in a new window)

Tschüss, bis zum nächsten Mal

Julia Zeichenkind

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