10 Dinge, die ich nach zwei Jahren „Wie übt eigentlich..?“ gelernt habe
Gerne würde ich behaupten, dass die Idee zum Podcast „Wie übt eigentlich..?“ ein grandioser Einfall war. Eine Idee, die wie im Film nachts anklopft und am nächsten Morgen alles Dagewesene auf den Kopf stellt. Leider weit gefehlt. Manchmal sind neue Ideen auch einfach purer Zufall. Wie die Entdeckung des Penicillins oder des Teebeutels.
Was also damals mehr zufällig denn geplant begann, prägt seit zwei Jahren meinen Übe-Alltag und vor allem meine Art über das Üben nachzudenken. In den inzwischen 17 Interviews durfte ich nicht nur spannendende Musiker*innen kennenlernen. Ich hatte auch 17 Mal die Gelegenheit mich intensiv über das Üben auszutauschen und einen exklusiven Einblick in einen der wohl privatesten Momente meiner Gäste zu erhalten. Nach zwei Jahren ist es nun an der Zeit, meine 10 größten Erkenntnisse aus diesen Gesprächen mit euch zu teilen.
Wie alles begann
Alles begann mit einer Interview-Anfrage an Max Frankl. Bis dahin war „Wie übt eigentlich..?“ ein Fragebogen, den ich per Mail an meine Gäste versendete. Leider (oder zum Glück) schaffte es Max nicht schriftlich auf die Fragen zu reagieren und schlug vor eine Aufnahme zu liefern, in der er die Fragen selbst vorlesen würde und anschließend beantworte. Equipment wäre, dank seines eigenen Podcast, sowieso vorhanden. Mir gefiel die Idee sehr und so war die erste Audio-Folge des Podcast geboren.
Erkenntnis #1 - Üben heißt Vertrauen
Zwei Jahre Podcast heißt insgesamt 17x die Einstiegsfrage: „Üben heißt für dich?“
Ich habe in allen Folgen immer mit der Gegenfrage gerechnet. Bisher traute sich allerdings noch keiner meiner Gäste. Natürlich habe aber auch ich mir darüber Gedanken gemacht.
In vielen Folgen ist Üben als eine Art Safe Space (z.B. bei Max Frankl) oder als Verbundenheit mit dem eigenen Instrument (Theresia Philipp) beschrieben worden. Für mich ist dabei die große Konstante über all diese Antworten hinweg Vertrauen. All meine Interview-Gäste nutzen die Musik als eine weitere Sprache. Als Möglichkeit Gefühle zu formulieren, für die Worte nicht stark genug wären. Um in eine so intensive Beziehung zu erfahren, üben wir täglich aktiv unserem Instrument (und unseren Fähigkeiten) vertrauen zu lernen.
Üben heißt für mich in Beziehung zu meinem Instrument zu bleiben. (Theresia Philipp)
Erkenntnis #2 - Studium ≠ Job
Ein*e Medizin-Student*in wird Arzt oder Ärztin. Auch Jura-Studierende kennen bereits ihre späteren Einsatzgebiete. Und wir Musiker*innen?
Tatsächlich ist es immer noch so, dass es für die Zahl an Absolvent*innen nicht genügend feste Stellenangebote gibt. Ein erfolgreicher Abschluss an einer Musikhochschule ist somit mitnichten eine Jobgarantie. Umso wichtiger ist es bereits während des Studiums alternative Berufsbilder aufzuzeigen und bestmöglich auch auf eine mögliche Selbstständigkeit vorzubereiten.
„Insofern muss man ihnen heute vor allen Dingen mitgeben, dass es noch ein Leben außerhalb des Orchesters gibt. Dass Musik etwas unglaublich Reichhaltiges ist. Dass es fantastische Möglichkeiten gibt freiberuflich zu arbeiten, zu unterrichten oder musiktherapeutisch zu wirken.“
(Prof. Dr. Eckart Altenmüller)
Erkenntnis #3 - Mentales Doping
Viele Studien haben bereits darauf hingewiesen, dass besonders Musiker*innen anfällig für psychische Erkrankungen sind. Gerade kürzlich wurde hierzu eine Studie in Fachmagazin Nature (Opens in a new window) publiziert, über die viel berichtet wurde. Wirklich populär ist dieses Thema in Gesprächen unter Musiker*innen jedoch nicht.
Besonders die beiden Interviews mit Peter Laib (Opens in a new window) (der neben seinem musikalischen Abschluss auch einen Master in Mentalcoaching vorweisen kann) und Barbara Barth (Opens in a new window) (sie hat einen Abschluss in Psychologie) haben mir hier viele neue Türen geöffnet und mich auf die Relevanz dieses Thema erstmals hingewiesen.
Als Musiker*in setzen wir uns, häufiger als in anderen Berufsgruppen, bewusst den Vergleichen mit anderen aus. Sei es ganz unmittelbar mit Kommiliton*innen oder Kolleg*innen. Oder im Vergleich mit unseren Vorbildern. Umso wichtiger ist es auch an unseren mentalen Abwehrkräften (Resilienz) mithilfe bestimmter Techniken zu arbeiten. Sowohl Barabara Barth als auch Peter Laib bieten hier exzellente Coachings an. Eine weitere Anlaufstelle kann auch der mim Verband (mental health in music) sein.
Erkenntnis #4 - Du
Gerade im Studium bestand mein Alltag nahezu ausschließlich aus Üben. Manchmal bereits vor den ersten Kursen am Morgen lief ich zur Hochschule, um ein erstes Warm-Up zu absolvieren. Und nicht selten war ich abends, nach den letzten Kursen, wieder einer der letzten in den grau-gelben Übekabinen. Bis ich mir eine erste Sightseeing-Tour durch das wunderschöne Bern zugestand vergingen Wochen.
Auch in den Podcast-Interviews wurde deutlich, dass zu einem guten (und vor allem gesunden) Musiker*innen-Leben mehr gehört als möglichst viel und lange zu üben. Die Emotionen, die wir in unseren Stücken vermitteln, können nur glaubhaft vorgetragen werden, wenn sie selbst erlebt wurden. Dazu ist es geradezu zwingend nötig, die Übekabine zu verlassen, um sich mit Freunden zu treffen und sich selbst Ruhephase einzugestehen.
Erkenntnis #5 - Gesundheit
Viele meiner Gäste haben beschrieben, wie sie sich aktiv versuchen mit Sport fit zu halten. Unzählige Male wurde Joggen als der perfekte Ausgleich zum intensiven Üben und Musizieren gelobt. Auch ich selbst nutze Ausdauersport, um Körper und (vor allem) Geist in Form zu halten und auf neue Ideen zu kommen.
Dabei ist dies nur ein wichtiger Aspekt. Haltungsschäden sind bei vielen Instrumentalist*innen unweigerlich vorprogrammiert. Hier kann Sport ein wichtiges Tool sein, um überhaupt körperlich eine lange, gesunde und zufriedenstellende Musiker*innen-Karriere zu erleben.
Erkenntnis #6 - Fokus - Das Ziel immer vor Augen
„Es wäre schön, wenn ich das Stück am Konzert fehlerfrei spielen könnte.“
Klingt so ein unbedingter Wille? In der erst kürzlich veröffentlichten Folge legte Susan Williams mit diesem einfachen Satz gnadenlos offen, wie wichtig eine möglichst präzise Zielvorstellung ist. Wie sonst könnte man seinen Traum (oder auch nur ein schweres Stück) gegen alle Hindernisse, die auf dem Weg dahin widerfahren können, verfolgen?
Erkenntnis #7 - Struktur schlägt Chaos
Besonders beeindruckt, hinsichtlich Struktur und Disziplin, haben mich die Gespräche mit Peter Laib (Opens in a new window) und Steffen Weber (Opens in a new window). Mit einem „Realitätscheck“ (von dem mir unter anderem bereits Johanna Röhrig erzählte) findet Peter heraus, wie fit er am jeweiligen Tag ist. Diese fixe Routine von circa 30 Minuten ist für ihn seine Referenz, wie gut – oder eben weniger gut – bestimmte Aspekte in seinem Spiel aktuell funktionieren. Die Erkenntnisse, die er daraus gewinnt, legen dann seinen genauen Übe-Plan fest.
Der Saxophonist der HR-Bigband, Steffen Weber, geht dabei sogar noch einen Schritt weiter und unterteilt seine musikalischen Ziele in drei Kategorien: kurz-, mittel- und langfristig. Während unter den kurzfristigen Zielen alles zusammengefasst wird, was für kommende Auftritte zu üben ist, versucht er in den langfristigen Zielen wichtige Aspekte für sein Spiel zu integrieren. Daraus leitet er anschließend die mittelfristigen Ziele ab.
Beide Beispiele eint, neben ihrer beeindruckenden Strukturiertheit, auch die Fähigkeit sich genau mit den eigenen Stärken aber auch Schwächen auseinander zu setzen. Diese Selbstreflexion und im Anschluss daran das Wissen wie diese Punkte in die Tat umgesetzt werden können, gehören mit Sicherheit zu den mächtigsten Fertigkeiten, die ein*e Musiker*in im Laufe ihrer Karriere entwickelt. Da der Berg gerade am Anfang schier unbezwingbar scheint, hat mein Gast Susan Williams (Opens in a new window) hier versucht konkrete Arbeitsblätter zu entwickeln.
Erkenntnis #8 - Motivation kommt von Machen
Alles Wissen um die bestmöglichen Übemethoden ist gut und wichtig. Letztlich ähneln sich an diesem Punkt Sport und Musik wiederum sehr stark: Entschieden wird auf dem Platz – oder eben in der Übekabine. Es gilt sich täglich aufs Neue zu motivieren.
Damit das gelingt, müssen wir den exakten Punkt zwischen An- und Überforderung finden. Sind wir damit erfolgreich, kommen wir in den Flow.
Irgendwann kommt man jedoch in einen Flow hinein, bei dem Musik machen nichts anderes mehr ist als Zähne putzen. (Christian Pabst)
Erkenntnis #9 - Wir sitzen alle im selben Boot
Unabhängig wie vollkommen unsere Idole nach Außen wirken mögen: was uns Musiker*innen (und wahrscheinlich sogar alle Kreative) am Ende eint, ist der tägliche Kampf mit unseren Unsicherheiten. Und damit meine ich nicht nur die Dinge, die wir technisch noch nicht perfekt umsetzen können.
Überspitzt könnte man sagen, dass es für Kreative nur zwei Seins-Zustände gibt: Euphorie und Unzufriedenheit. Beides kann ein unglaublich kraftvoller Antreiber sein. Genauso aber lähmend wirken. Dass wir Musiker*innen mit diesen Gedanken täglich konfrontiert sind, dabei aber nicht alleine sind war eine unglaublich wertvolle Erkenntnis meiner Interviews.
An dieser Stelle muss ich auf das thematisch perfekt passende Buch „Die Kunst ein Kreatives Leben zu führen“ (Opens in a new window) hinweisen. In meinen monatlichen Buchempfehlungen habe ich es im letzten Jahr ausführlich besprochen. Das kann man hier nachlesen (Opens in a new window).
Erkenntnis #10 - Mutig sein
Hinterher ist man bekanntlich immer schlauer: Diese Binsenweisheit gilt im Leben ebenso wie im Studium. Fast schon obligatorisch ist daher am Ende die Frage, um welchen Tipp meine Gäste damals froh gewesen wären. Ich bin immer wieder beeindruckt, wie ehrlich und persönlich dieser kleine Blick in die Vergangenheit meiner Interview-Partner*innen ist.
Sie handeln von richtigen Erwartungshaltungen („Du musst nicht perfekt sein.“ - Eckart Altenmüller), dem Vermeiden von Vergleichen („Es kochen alle nur mit Wasser.“ – Franziska Kuba), Geduld und Vertrauen („Steter Tropfen höhlt den Stein.“ – Steffen Weber und „Vertraue dir, du bist auf jeden Fall richtig so!“ – Theresia Philipp). Manche waren auch sehr konkret, wie der von Peter Laib: „Kümmere dich um dein Selbstmanagement.“.
Was dabei alle Tipps für mich verbindet, ist Mut. Es benötigt Mut zunächst einmal zu sich selbst zu finden. Gerade in künstlerischen Berufen ist diese Reise oftmals mit einigen Hindernissen und Hürden belegt. Gleichzeitig gilt es mutig zu sein und die richtigen Fragen zu stellen. Beides bedingt sich wechselseitig, denn mit jeder Frage gibt man auch ein Stück von sich selbst preis.
Von allen Tipps, die mir in zwei Jahren Podcast „Wie übt eigentlich..?“ (Opens in a new window) begegnet sind, war dies die wichtigste Erkenntnis.