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Folge 46

Vorweg

Beim Konzipieren jeder Folge und dann noch mindestens drei Mal beim Schreiben denke ich: Habe ich das nicht schon geschrieben, habe ich dieses Bild nicht schon für ein New Frohmanntic-Cover benutzt? Was werden die Leser*innen davon halten? Und dann denke ich: Ach, egal, deren Gedächtnis ist doch eh genauso Matsch wie meines. 

In dieser Folge gibt es wieder schnell Hingeflufftes und -gerantetes. Demnächst schreibe ich mal wieder was Tiefgründiges, vielleicht. Aber relativ viele Menschen haben mir in den letzten Wochen gesagt, dass ihnen der lockere Ton und Stil gerade sehr guttun würde, also werde ich es auch nicht erzwingen.

Etwas Altes: Aussichtslose Konstellationen

In jeder Familie, so wie auch in allen anderen sozialen Systemen, gibt es Angelegenheiten, die komplett von selbst laufen und andere, die einfach gar nicht funktionieren, nicht, niemals, auf keinen Fall. 

In meiner Kernfamilie lief während der Immerzusammenjahre vieles wirklich sehr angenehm glatt: Die Kleinkinder schliefen, ohne zu mucken, sie aßen nicht nur Nudeln ohne alles, übernachteten gern und angstfrei bei Freund*innen, stritten in akzeptablem Maße miteinander, hatten keine allzu argen gesundheitlichen Probleme. Die Großkinder nervten schon deutlich mehr, aber es war auszuhalten, meistens zumindest. 

Mittelgut lief es mit der Schule, aber die temporären und grundsätzlichen Aussetzer würde ich größtenteils dem anachronistischen Schulsystem anlasten. Auch mittelgut lief es mit Recht und Ordnung, aber das geht euch nichts an. 

Schlecht, nein, katastrophal, lief es nur mit Terminen beim Kieferorthopäden, egal, ob ich mitging oder nicht, lange vorher darauf hinwies oder nicht, drohte oder nicht, schrie oder nicht, weinte oder nicht. Beide Kinder (Ju-gend-li-che) kamen immer, immer, immer verspätet, manchmal auch gar nicht dort an. Das Problem wurde zusätzlich dadurch verstärkt, dass in beiden Eltern-Ausgangsfamilien Menschen spät Zähne und deshalb auch spät Zahnspangen bekommen, womit in unserem Fall die wichtigste Phase der Behandlung mit dem Peak adoleszenter Unerreichbarkeit von Handys und Hirnen zusammenfiel. 

Während ich diesen Teil vom Newsletter schreibe, bekommt das zweite Kind, es ist mittlerweile ein Erwachsener, die feste Klammer abgebaut. Ich habe vor einem Monat darauf hingewiesen, dass dieser bedeutende Termin doch vielleicht ausnahmsweise nicht mit meiner kompletten nervlichen Zerstörung begangen werden könnte. Heute habe ich zweimal geschrien, einmal geweint, dreimal ermahnt und einmal mit Rauswurf gedroht, Letzteres war mein erstes Mal. Weil ich nach langem, verzweifeltem Nachdenken im Vorfeld aber dreißig Extraminuten für Realitätsleugnung und Drama eingeplant hatte, ist das Großkind anscheinend pünktlich beim Arzt gewesen. Vielleicht ein Teilerfolg, aber ich fühle es nicht. 

Das schreibe ich für alle, die denken, dass nur sie manche Sachen einfach nicht geregelt bekommen, obwohl es sachlich betrachtet machbar sein müsste. Es geht allen so. Selbst die eigenen Kinder können manchmal Endgegner*innen sein. Es ist eine Frage der Konstellation. Bestimmte Konstellationen aus Personen und Anforderungen werden niemals funktionieren. Wie ungünstige Sterne, nur dass man nicht daran glauben muss und alles auf der Erde stattfindet.

Eigentlich wollte ich heute mitgehen und mich persönlich beim sehr tollen Kieferorthopäden bedanken. Am Ende habe ich dem Kind nur wutschnaubend die Tasche mit Geschenken mitgegeben. Dessen Vater hatte schon vorher gesagt: »Ist der Abschied von uns nicht das beste Geschenk?« 

Etwas Neues: Fashion-Frieden 

Mode ist ja neben vielem anderen auch Ausdruck von dem, was gesellschaftlich im Kommen ist. Das ist eine sehr gute Eigenschaft von Mode, auch wenn das Sichtbarwerdende natürlich nicht immer erfreulich ist. Aber wenn jetzt bei den Schauen Designer*innen einfach nur PEACE auf schwarze Hoodies printen oder Peace-Zeichen auf die Hände der Models malen, dann ist das leider nur ziemlich öde Performanz, aber vielleicht ist ja genau das ein kommender gesellschaftlicher Trend. Bitte nicht, weil öde Performanz ist doch auch schon die Gegenwart. Das ist keine Kritik an Performanz, ich liebe Performanz, nur nicht öde Performanz, die sich einbildet, sie würde etwas bedeuten.

Früher: Der Frieden von Versailles
Heute: Der Peace von Fashion Week

Etwas Geborgtes: Ein Zitat

»Auf den Metalltischen stecken einzelne Blümchen in kleinen Vasen. Ich halte meinen Blick an ihnen fest. So wie ich mich an all den schönen Dinge festhalten will, die ich sehen kann. Weil ich sie brauche, um nicht zu vergessen, wie es sich anfühlt, leicht zu sein.«  – Fatma Aydemir, Ellbogen (Opens in a new window), 228

Ich hatte das Zitat angestrichen, weil ich mich darin wiederfinde und auch schon mal etwas Ähnliches bei den PGEXPLAINING schrieb. Aber erst jetzt beim Tippen merke ich, dass es ja auch ein Beispiel für die wichtige Klarkommkulturtechnik #BlumenAnstarren ist, die im New Frohmanntic häufiger eine Rolle spielt.

Etwas Uncooles: Warum ich leider nicht Hysterektomie-Influencerin werden kann

Ich würde so gern mal darüber schreiben, dass ich mich seit der totalen Hysterektomie (=Gebärmutterentfernung, wobei die Eierstöcke drinbleiben; und was ist »Gebärmutter« eigentlich für ein Abtörnwort) total wie neugeboren oder überhaupt erst geboren fühle. Darüber schreiben, wie unfair es war, dass ich jahrzehntelang so sehr unter schlachtfestartigem Geblute gelitten habe, mein Leben danach ausrichten musste, ohne dass mich Eltern oder Ärzt*innen auch nur einmal gefragt hätten: Wie ist das eigentlich bei dir mit dem Bluten, kommst du klar? 

Ich, wenn ich klarkam 

Ich hielt dieses maßlose Bluten für mein Schicksal, relativierte es, redete es schön: Ach, komm, stell dich nicht so an, sonst ist doch alles eher gut mit deinem Körper und mit deinem Leben. Andere haben so viel schlimmere Probleme. Ich dachte, ich wäre die Einzige, die mit dem Ausnahmeproblem und müsste irgendwie allein damit klarkommen.  Ich hatte keine Sprache, kein Wort dafür, was bei mir nicht stimmte, was mich so sehr einschränkte und am Ende erst mein Gedächtnis und dann fast das Leben kostete. 

Irgendwann eskalierte es komplett, es gab nicht mehr drei Wochen Ruhe und eine Woche Blutlache, sondern nur noch Blutblutblutblutblutblutblutblutblutblutblutblutblutblut. Nach einem knappen Jahr mit leichig weißgrüner Gesichtsfarbe und unaussprechlichen Notfallmaßnahmen, um überhaupt noch außerhalb des Heimbüros arbeiten zu können, ging ich schließlich zu einer befreundeten Ärztin und sagte: Hilf mir bitte, ich glaube, ich sterbe sonst. Ihrer Diagnose nach war das eine ziemlich realistische Einschätzung.

Nein, ich werde nicht öffentlich darüber schreiben oder reden. – Aufpassen, Seminar, performativer Widerspruch. – Das Letzte, was ich will, ist schon wieder öffentlich für ein krachiges Thema gecastet werden, während meine Arbeit weitgehend übersehen wird. Christiane Frohmann, das ist doch die Totengräberin unserer schönen Bücherkultur (nein), die etwas gegen Hermeneutik hat (nein, nur auch etwas für Performanz), die David Foster Wallace hasst (nein, nur seine aufgeblasenen Fans) und sagt, alle sollten sich die Gebärmutter rausoperieren lassen (ja, unbedingt, wenn sie das möchten). 

Spoiler. Es gibt nicht nur mich, sondern sehr, sehr viele Betroffene, Journalist*innen finden sie im Nu, wenn sie mal rumfragen.

Ich habe das hier hingeschrieben für alle, die auch so schlimm bluten. (Das ist also schon der zweite Ermunterungstext für diese Folge.) 

Sprecht darüber.
Fordert Hilfe.
Fordert Forschung.
Fordert die OP.  Ja, auch, wenn ihr noch Kinder gebären könntet, aber nicht wollt.
Es ist euer Körper, euer Leben. 

Eine Bauch-OP ist grundsätzlich kein Klacks. (Meine war ein Klacks, das war Glück.) Es ist aber auch nicht gesund, ein Leben lang anämisch durch die Gegend zu laufen und es nicht zu wissen. Das Schlimmste aber ist das Scheißgefühl, mit so einem Grauen unnötig allein gewesen zu sein. Dafür einmal mehr herzlichen Dank an das Patriarchat.  

Außerdem ist mir etwas aufgefallen: Es gibt eine Häufung von Personen mit Endometriose und ADHS oder anderswie auffallend schnellem und erschreckend umfangreichem Output im Internet (mit Letzterem meine ich mich). Vielleicht mag das ja mal jemand erforschen, denn Ärzt*innen fragen so was ja ganz sicher nicht ab. (Das ist einer der Vorteile, wenn man aufmerksam das Internet beobachtet und auch Teil davon ist, dann nimmt man manchmal so etwas wahr.) 

Rubrikloses

Es gibt keinen verlässlicheren Weg, binnen eines Tages alles Sonnenblumenöl aus den Regalen zu fegen, als einen Artikel zu veröffentlichen, der den Teaser hat: »Es wird knapp, Verbraucher sollten sich solidarisch verhalten« *Geräusch einer panischen Büffelherde*

Für diese Art Krisen-Clickbait sehe ich einen eigenen Höllenkreis vor. Das ist überhaupt eine gute Idee, ich arbeite eine neue Hölle aus, es gibt wirklich dringenden Bedarf. Präraffaelitische Girls erklären die Hölle. Stay tuned. 

Ich habe – warum nur, als wüsste ich es nicht besser – auf eine Besprechung von Dschinns geklickt – ja, ich fangirle Fatma Aydemir sehr –, und da wird kritisiert, wie »reichlich schematisch« die Darstellung rassistischer Polizisten wäre, aber die besagte Szene im Roman ist einfach eins zu eins so, wie ich sie schon x-mal von Menschen geschildert bekommen habe. Sind Autor*innen verpflichtet, Rassismus origineller und abwechslungsreicher darzustellen, als er ist, damit der Feel im Feuilleton besser ist? (Nei-hein.)

Ob das Ende von Dschinns »seltsam überkonstruiert« ist, ja, darüber kann man sachlich diskutieren, aber eine Kritik von einem Carsten an der Rassismusdarstellung als »literarisch zu schwach«, sorry, Carsten, findest du es wirklich seltsam, dass das Böse immer noch banal ist, Gegenfrage: Ist deine Literaturkritik da nicht »reichlich schematisch«?  Vielleicht ist der von Autor*innen und Verleger*innen gefürchtete Redaktionsklassiker »Ich gebe es mal an die Kollegin weiter« aktuell doch noch eine gute Idee, vielleicht ist die Kollegin als zumindest soft Marginalisierte so wie ich ja schon etwas weiter mit #Umsehenlernen und verwechselt Ignoranz nicht mit Sachlichkeit.

Ich verlinke den Carsten-Text nicht, weil es mir nicht um Beef mit dem konkreten Carsten geht, sondern um die Carsten-Perspektive, die anmaßend ist und ihren Gegenstand verfehlt, verfehlen muss.  

Guerlica

Zurück zur Sachlichkeit, zu den sich sachlich Fühlenden, wir sehen uns nächste Woche. Seid lieb, nur nicht zu Nazis.

XOXO,  FrauFrohmann

Empfehlt #NewFrohmanntic bitte weiter. Danke allen, die über steady finanziell unterstützen, egal ob das gesamte Frohmann-Publishing (Opens in a new window) oder isoliert den Newsletter (Opens in a new window).  Genauso danke allen, die wenig Geld haben und auf andere Weise immer an unserer Seite sind. 

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