Crocus: Russland und der IS – Hintergrund

Am vergangenen Freitag drangen vier Terroristen in die Crocus City Hall bei Moskau ein und töteten 133 Menschen. (Offizielle Angaben zum jetzigen Zeitpunkt.)
Daraufhin explodierte Social Media und jeder gab seine Mutmaßungen in den Äther. False Flag, Ukraine, Israel. Kurz darauf bekannte der IS sich zu dem Anschlag.

Bereits in den ersten Minuten nach dem Bekanntwerden und der ersten Sichtung der Videos habe ich öffentlich auf Partisanen oder Terroristen getippt. Am Vorgehen der Täter war eine gewisse Übung zu erkennen, erfahrene oder gut trainierte Soldaten waren auszuschließen.

Aber selbst die Bestätigung der Glaubwürdigkeit von ausgemachten Terrorismusexperten konnten den bis heute andauernden Mutmaßungen keinen Abbruch tun.
Erwartungsgemäß wies die russische Propaganda, inklusive einer inzwischen von Putin gehaltenen Ansprache, Richtung Ukraine.

Da ich so häufig danach gefragt und sogar darum gebeten wurde, vor allem in den Kommentaren der Facebook Fanpage (Opens in a new window), möchte ich einmal erklären, warum der IS für viele wohl unerwartet in Russland in Aktion tritt.

Vorwort - Das Dilemma der Wahrnehmung

Jeder Kulturkreis befasst sich in der Gesamtheit vor allem mit dem, was ihn im Inneren beschäftigt. Aus der jeweiligen Perspektive wird die Welt verstanden.

Wenn Europa beispielsweise seit Jahrzehnten in weitestgehendem Frieden lebt, man den falschen Eindruck hatte der kalte Krieg sei überwunden und die meisten Deutschen es gar nicht für nachdenkenswert halten Militärdienst zu leisten, muss ein Überfall Russlands auf die Ukraine mindestens anachronistisch wirken.
Da ist es naheliegend, die russische Aggression auf eine Figur wie Putin alleine zu projizieren und ihn für irre zu halten. Weil in der Breite gar nicht verstanden wird, dass er aus russischer Perspektive völlig logisch und rational handelt. In den ersten Wochen dieses Projektes U.M. habe ich erfahren: die meisten wussten nicht einmal, dass Russland seit zwanzig Jahren mit absoluter Mehrheit von einer Partei rechts der AfD regiert wird.

Eine ähnliche Situation haben wir mit dem IS.
Man hat länger nichts von ihm gehört. Oder zumindest nichts zur Kenntnis genommen. Weil irgendwelche Anschläge in Ländern, die die meisten nicht einmal auf einem Globus finden, nicht in die Wahrnehmung einsickern.
Da es um Syrien ruhig geworden ist, sind viele Menschen wohl implizit davon ausgegangen, dass der IS besiegt wurde. Und Anschläge in Frankreich, Belgien oder Großbritannien werden als Ausnahmen abgespeichert; zumindest wird es so wahrgenommen, dass der IS ausschließlich „den Westen“ angreift.

Ockhams Rasiermesser (Prinzip der Parsimonie, Sparsamkeitsprinzip) besagt, dass die jeweils einfachste Erklärung allen anderen vorzuziehen ist. Alles Überflüssige einer Theorie wird wie mit einem Rasiermesser gekürzt.

Anstatt sich an anderen Theorien abzuarbeiten, möchte ich einfach einmal erklären, was mit dem IS und Russland los ist. Und der geneigte Leser kann dann entscheiden, ob gemäß Ockhams Rasiermesser überhaupt noch Spekulationen notwendig sind. Denn die halte ich für Äußerungen von Unbedarften. Und das ist nett formuliert.

Den Terroranschlag hatte ich als Eilmeldung auf der Facebook Fanpage (Opens in a new window) veröffentlicht, danach noch zwei weitere Kommentare. Darunter sammelten sich so schnell False-Flag-Spekulationen (und andere), dass ich die Kommentarfunktion geschlossen hatte und nach einem abschließenden Posting alle vorherigen gelöscht habe. Da ich mich nicht an diesem Gift der debilen Unfallglotzerei beteiligen und ihm eine Plattform bieten will.
Ein Verschwörungsmythos bleibt ein Verschwörungsmythos, auch wenn er sich später als wahr herausstellt. Denn entscheidend dafür ist lediglich, wie man zu einer These kommt. Jemand der im Lotto gewinnt, kann deshalb noch lange nicht in die Zukunft sehen.

Dies ist ein Blogbeitrag und stark von meiner Meinung beeinflusst, der an Laien adressiert, um Grundlagen verständlich zu machen. Einen größeren Anspruch hat dieser Beitrag nicht. Experten mögen dies anerkennen.

Der Islamische Staat

Der IS (Islamischer Staat) ist eigentlich eine dschihadistische Miliz. Sie wird auch ISIS (Islamic State of Iraq and Syria) oder Daesh (arabisch) genannt.

Miliz bedeutet, dass sie vergleichsweise wie ein Militär vorgeht. Dschihad (Kampf, Anstrengung, Bemühung, Einsatz) bedeutet, dass zum Erreichen der Ziele gewalttätige Mittel eingesetzt werden.
Das Wort Dschihad ist religiös nicht genau definiert, es entstammt dem Koran. Die einen interpretieren es so, dass damit auch die alltägliche Umsetzung gemeint ist, als guter Moslem zu leben. (u.a. Almosen, Nächstenliebe, usw.) Andere interpretieren es als offensiven Kampf.
Die meisten interpretieren es jedoch zumindest im Sinne eines bewaffneten Kampfes.

Der Name „Islamischer Staat“ zeigt, dass das grundlegende Ziel die Errichtung eines Gottesstaates ist. Also eines vereinigten Staates, der den muslimischen Glauben als oberste Prämisse definiert. Eines Kalifats.
Vom Charakter her ist der IS also erst einmal gar keine Terrororganisation.

Daher spricht man auch beim Iran von einem islamischen Staat, der Religionsführer steht über den Präsidenten, dem weltlichen Herrscher. Religionsführer gab es im Iran nur zwei. Ruhollah Chomeini bis 1989 und jetzt Ali Chamenei.
Trotzdem ist der IS auch damit nicht zufrieden, denn der IS ist sunnitisch und der Iran schiitisch.

Im Weiteren werde ich Staaten nennen, um die Orientierung zu erleichtern. Wichtig ist aber zu verstehen, dass diese Landesgrenzen für den IS keine Rolle spielen. Und dass das Gebiet, um das es geht, größer als Mitteleuropa ist.

Begründet wurde der IS durch Zarqāwī bereits 1999. Der gehörte zum einflussreichen jordanischen Beduinen-Stamm der Bani Hassan. Die Gründung fand jedoch im Irak statt.
Zarqāwī wurde im Juni 2006 getötet. Spezialeinheiten der USA haben sich aus einem Helikopter abgeseilt und aufgrund eines Gefechts dann Luftunterstützung angefordert. Ihn zu finden war – erneut – Job der Nachrichtendienste.

Der inner-islamische Konflikt