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Ein Experiment: Palästinenser, Querdenker, Weltbilder und Nikotin

WARNUNG: Dieser Beitrag animiert dazu, sich selber zu hinterfragen.
Menschen mit geringer Resilienz oder Selbstwirksamkeitserwartung könnten einen epileptischen Schock erleiden. Dafür enthält der Beitrag aber wenigstens keine stroboskopischen Lichteffekte.
Viele Zusammenhänge sind im Folgenden vereinfachend erklärt, weil ich nämlich sonst ein Buch schreiben müsste. Und wir alle keinen Bock darauf haben.

Wir erleben in unserer Gesellschaft einen immer stärkeren Konflikt. Eine Polarisierung zwischen Wissen und Glauben, zwischen einem Weltbild und Wissenschaft, zwischen Fakten und alternativen Fakten.

Die Palästinenser sind felsenfest davon überzeugt, dass die Juden ihnen ihr Land gestohlen haben. Die Querdenker sind davon überzeugt, dass die Impfung schädlich ist. Die Nachläufer der Rechtspopulisten sind der Kernüberzeugung, dass alles immer schlimmer wird. Und ich bin der festen Gewissheit, dass man die besten Dinge im Leben mit Käse überbacken kann.
Das Problem an der ganzen Sache sind zwei Dinge. Die dem Menschen so inhärent sind, dass nicht einmal der, der um sie weiß, sie einfach abschütteln kann.

Die Probleme

Zum ersten bauen wird uns unser Weltbild aus uns heraus.
Ein Kind lernt erst, wer es nicht ist. Es versteht, wenn es Glück hat, dass andere es noch sehen können, wenn es sich die Augen zuhält und andere nicht mehr sieht. Das ist eine enorme kognitive Leistung, die nur die wenigsten Tiere hinbekommen. Denn das ist verknüpft mit der Erkenntnis, dass man selber ist, aber nicht das Universum ist. Andere Dinge passieren auch, wenn wir nicht dabei sind. (Macht der fallende Baum im Wald ein Geräusch, wenn keiner es hört?)
Die drei appolonischen Weisheiten, die auf Straßenschildern den antiken griechen auf dem Weg nach Delphi eingeläut wurden:

  • Erkenne, Du bist

  • Erkenne Dich selbst

  • Erkenne, Du bist kein Gott

(Ich überlasse es dem geneigten Leser zu erraten, welches davon mein erstes Tattoo war.)

In der Adoleszenz fangen wir dann an zu erkennen, wer wir denn eigentlich sind. Das gipfelt in der Pubertät, in der wir uns selber definieren. Pubertierende müssen sich ein Piercing oder Tattoo stechen lassen. Umso dringender, umso mehr die Eltern es ablehnen. Um sich selber zu definieren. Wenn die Elter selber gestochen sind und kiffen, wird es schwer.

Das bedeutet aber wiederum, dass unser Bild von der Welt aufs Engste mit uns und unserem Bild von uns selbst verknüpft ist. Greift jemand dieses Weltbild an, ist das, als würde derjenige einen selber angreifen.
Es gibt dazu tatsächlich Untersuchungen, die zeigen, dass das Hirn das wie körperlichen Schmerz verarbeitet.

Nehmen wir die Palästinenser. Alles, was wir dieser Tage an populistischen Argumenten hören und lesen, fußt auf der Vorstellung, irgendjemand hätte ihnen das Land weggenommen. Gäbe es dieses Narrativ nicht, gäbe es keinen Nahost-Konflikt. Denn übrig bliebe nur eine rein politische Auseinandersetzung, die schnell beigelegt werden könnte.
Wird dieses Narrativ gestört, wird damit die gesamte Existenz der Palästinenser, ihr ganzes Weltbild gestört. Denn ihre eigene Identifikation, das was sie selber ausmacht, beruht ausschließlich darauf. Ohne Vertreibung, ohne Nakba, sind Palästinenser einfach nur ein paar Araber, wie alle anderen auch.

Das zweite Problem ergibt sich daraus. Diese Weltsicht wird verteidigt bis zum Tod. Bis zum Sepuku japanischer Samurai, die sich lieber den Bauch aufschneiden als unehrenhaft zu sein.
Denn da das Konstrukt der Welt in unserem Kopf fundamental auf dem basiert, wie wir uns selber definieren, würde jede größere Erschütterung dieses Weltbildes dazu führen, das wir uns unserer selbst nicht mehr sicher sein könnten.
Würden morgen Außerirdische auf der Erde landen, würden Millionen Menschen völlig durchknallen oder sich selber entleiben. Mal ganz abgesehen davon, dass die ja sicher nicht auf Kaffee und Kuchen kommen und wir ganz andere Probleme hätten.
Oder man stelle sich die Erkenntnis für Milliarden Menschen vor, dass es keinen Gott gibt. Oder für ein paar durchgeknallte Spinner, dass die Impfung sich nicht um sie dreht.

Leicht schauen wir auf andere herab. Auf diejenigen, die beispielsweise Wissenschaft nicht anerkennen oder glauben, dass ein allmächtiger Gott so etwas wie Furzen erfunden hat. Oder das Spritzen von Wasser, wenn man den Löffel falsch herum unter den Wasserhahn hält. Oder diese Silberfolie auf Nutellagläsern, die nicht richtig abreißt. Was für ein grausamer Gott.

Ich wollte dazu ein Experiment machen. Ich wollte ein Spiel spielen.
Dazu muss ich kurz erklären:

Meine mysteriöse Vergangenheit - unmysteriös

Vor dem Projekt U.M., zu dem ich mehr oder weniger gedrängt wurde, war ich Fachjournalist für Tobacco Harm Reduction (Opens in a new window). Harm Reduction bedeutet, eine weniger schädliche Alternative anzubieten, wenn Menschen ein für sie schädliches Verhalten nicht abstellen können oder wollen. Methadon für Heroinabhängige ist Harm Reduction. Und das Verteilen von Kondomen am Anfang der AIDS-Welle war Harm Reduction. Da man davon ausgehen musste, dass die Leute deshalb ja nicht aufhören würden zu knattern. Ihr wisst was ich meine. Dänischer Western und so. Untenrum.

Ich habe mich über acht Jahre lang damit beschäftigt. Meine Homepage war die größte deutschsprachige Seite ihrer Art. Ich bin zu Symposien und Podiumsdiskussionen gefahren, habe ständig Studien gelesen, Professoren interviewt und Medienberichte zerlegt.
Bisher habe ich keinen Arzt getroffen, der mir in dem Thema wirklich über wäre. Und wenn, war er auf meiner Seite.

Damals habe ich bereits angefangen, auf der Fanpage (Opens in a new window) jeden Morgen um acht Uhr ein „Wissenspralinchen“ zu veröffentlichen, wie ein Leser es einmal nannte. Unter dem Hashtag #solltetihrwissen.
Das kann alles sein: Geschichte, Politik, oder auch mal völliger Unfug.
Also habe ich heute ein Posting veröffentlicht, von dem ich wusste, dass es genau an diesem Weltbild vieler Menschen nagt. Von dem ich aber fundiert weiß, wo der Hase im Pfeffer dem Fass den Boden aus dem Gesicht schlägt. Weil ich diese Diskussionen jahrelang geführt habe. Langweilig.

Die Nikotin-Provokation

„Nikotin verursacht weder Krebs, noch ist es ursächlich für Herzinfarkte oder Schlaganfälle.
Fand nur, Ihr solltet das wissen.“

Bis jetzt haben über 300 Menschen den Beitrag kommentiert. Die meisten davon ablehnend. Abgesehen von einigen, die meine Arbeit schon seit den Zeiten davor verfolgen und ahnten, dass ich mir einen kleinen Spaß erlaube. (Ihr Schlingel)
Geteilt wurde er tatsächlich nur zwei Mal. Was absurd wenig ist.

Und ich verspreche hoch und heilig und bei allem, was man mit Käse überbacken kann, dass die Aussage völlig korrekt ist.
Mehr noch, es gibt keinen Nachweis, dass Nikotin in Abwesenheit von Tabak süchtig macht. Aber das zu behaupten, hätte zur Eskalation geführt.

Und jedes einzelne Argument hätte ich prognostizieren können. Versprochen.

Es wäre jetzt müßig, diese Argumente einfach zu widerlegen. Denn darum ging es mir auch gar nicht. Sondern ich möchte anhand der Argumente zeigen, wie verhärtet ein Weltbild sein kann. Und wie sehr sich vermeintlich aufgeklärte und wissenschaftlich orientierte Menschen weigern, Tatsachen anzunehmen, wenn sie ihrer Überzeugung widersprechen.

Argumente

Vorwegschicken möchte ich, dass der Zug der Rauchentwöhner erst in den 90ern so richtig Fahrt aufgenommen hat. Und seitdem kann man damit Geld verdienen. Das ist systemisch. Die Menschen werden überzeugt, wie schlecht das Rauchen ist (was es ist!), deshalb finanziert der Staat den Kampf dagegen, deshalb kann man damit Geld machen.

Die Verkürzung
Die meisten Kommentatoren haben Nikotin sofort mit Rauchen gleichgesetzt. Obwohl ich nichts vom Rauchen geschrieben habe.
Das liegt daran, dass die Meisten Nikotin lediglich im Zusammenhang mit Rauchen kennen. Und da Rauchen schädlich ist – was ich selbstverständlich nicht bestreite – muss auch Nikotin schädlich sein. Das ist eine Verkürzung.

Der Erlebnishorizont
Nikotin wird inzwischen als Medikament gegen Alzheimer und Parkinson beforscht, erste Medikamente befinden sich bereits in der Testphase. Zudem ist Nikotin in allen Nachtschattengewächsen enthalten: Kartoffeln, Tomaten, Auberginen. Jeder Mensch hat schon einmal Nikotin zu sich genommen.
Im Erlebnishorizont des deutschsprachigen Mitteleuropäers spielt Nikotin aber lediglich eine Rolle, wenn es um das Rauchen geht. Auch deshalb haben viele Leserinnen und Leser sofort an das Rauchen gedacht.

Das Strohmannargument
Häufig kam der Hinweis, Nikotin sei ein „Nervengift“. Da ist doch erst einmal fraglich, woher so viele Leserinnen und Leser, die nicht gerade Chemielaboranten oder Forschende sein dürften, das wissen. Es ist naheliegend, dass sie diesen Propagandabegriff von eben jenen professionellen und gut finanzierten Entwöhnern und den Medien haben, die deren Propaganda mit Kusshand kaufen.
Selbstverständlich ist es ein Nervengift, dazu machen die Pflanzen sich ja die Mühe, um Fressfeinde abzuhalten. Nikotin eignet sich hervorragend dazu, um seine Zimmerpflanzen gegen Blattläuse zu schützen.
Tatsächlich ist auch Coffein ein Nervengift. Und wer meint, dass alles um uns herum so harmlos sei, kann ja mal einen großen Esslöffel Muskatnuss-Pulver aus dem Supermarkt essen. Viel Spaß auf dem Trip. Ganz zu schweigen davon, wenn Mutti heimlich die Literflasche Klosterfrau Melissengeist wegschallert.
Das Nervengift ist ein Strohmannargument. Die meisten von uns genießen jeden Morgen ein oder zwei Tassen Nervengift.
Und nur ganz nebenbei: Nikotin ist nicht einmal ein besonders starkes Gift, wie in den Kommentaren behauptet. Es ist ein einziger Selbstmord durch das Trinken von Nikotin in Deutschland dokumentiert. Der junge Mann hat das aber auch nur geschafft, weil er zuvor Mittel genommen hat, die das Erbrechen unterdrücken. Und er musste sich einen Liter dieser Flüssigkeit reinwürgen.
Der mir persönlich gut bekannte Pharmakologe Prof. Mayer hat einmal errechnet, dass jemand sich trotz der perkutanen Wirksamkeit von Nikotin (durch die Haut) in eine Badewanne voll reinem Nikotin legen könnte, und nichts würde passieren.

Das Berufen auf höhere Instanzen
Ärzte sind Gott. Für diejenigen, die keine Ahnung haben.
Tatsächlich sind die allermeisten Ärzte jedoch im Studium Auswendiglerner. Für ihren Doktor müssen sie nicht einmal forschen. Ich möchte Ärzte wirklich nicht diskreditieren, ich bin mit zweien befreundet. Die über sich lachen können. Mediziner sind im Grundstudium die Tanzpädagogen der empirischen Wissenschaft. Meine Hausärztin hat keinen Dokta und ist die beste, die ich nach der Bundeswehr je hatte.
Der normale, allgemeinbehandelnde Arzt weiß nichts von der Forschung der letzten Jahre. Außer dem, was seine Zeitschriften oder sein Verband ihm erzählen.
Und wer nun trotzdem meint, ich würde vom Leder ziehen, dem kann ich gerne Kontakt zu den wirklichen Koniferen geben. Denen, die Ärzte ausbilden und Forschen. Hajek in London, Meyer in Graz, Storck in Freiburg und Japan… Mit einigen bin ich per Du, geht schon, mache ich gerne. Aber mit jedem, der jetzt glaubt, dass „Koniferen“ ein Versehen war, diskutiere ich nicht einmal.
Wie Kolumbus nicht wusste, was noch hinterm Horizont kommt, weiß der Laie nicht, wie verlässlich das ist, was sein Arzt ihm erzählt. Er muss ihn als höchste Instanz wahrnehmen.
(Von Selbstdiagnosen und Google-Medizinerei rate ich trotzdem – oder gerade deshalb – dringend ab! Dafür müssen die Damen und Herren ja über Jahre hinweg auswendig lernen, das soll erstmal irgendwer nachmachen.)

Die Liste ist lange fortsetzbar.

Scheinkausalität

Ich sage es nochmal sehr deutlich: Ich versuche eben nicht, das Rauchen zu verharmlosen! Ich habe Jahre meines Lebens damit verbracht, Menschen vom Rauchen wegzubekommen. Und nur durch meine berichtende und erklärende Arbeit ist es mir häufig gelungen. Es laufen ausreichend „alte“ Leserinnen und Leser durch die Facebook Fanpage (Opens in a new window), die das bestätigen werden. Und was ich, wenn es die Zeit erlaubt, nach wie vor gerne mache.

Es war nur ein Katalysator, ein Vehikel, um einen menschlichen - nur allzu menschlichen - Mechanismus vor Augen zu führen. Und meine geneigten und überdurchschnittlich gebildeten Leser aufs Glatteis zu führen und dadurch zum Nachdenken anzuregen.

Es ist ein Weltbild: Nikotin = Rauchen, Rauchen = Schlecht, Ergo: Nikotin = Schlecht

Mit solchen logischen Fehlschlüssen hat Aristoteles sich schon vor bummelig 2300 Jahren befasst. Als Nichtraucher.
Modern wird es „cum hoc ergo propter hoc“ genannt: Wenn das eine ist, muss das andere sein. Man nennt das auch Scheinkausalität.

Und jetzt kommt der schwere Teil für Sie, verehrte und geneigte Leser. Ob Sie bereit sind, auf die Reise zu gehen, und ihre Kausalitäten zu hinterfragen. Und Ihr Weltbild.
Vorschläge:

  • Wenn Nikotin süchtig macht, warum ist kein einziger Fall von einer Nikotinpflasterabhängigkeit weltweit dokumentiert? Und warum pfeifen sich Jugendlich nicht ständig Nikotinspray rein?

  • Haben die Juden den Palästinensern wirklich Land weggenommen? Oder ist das eine Verkürzung und Verzerrung?

  • Nehmen Sie Narrative, die Ihnen im Internet begegnen, leichter an, wenn sie über Ihren Erlebnishorizont hinausgehen?

  • Wenn ein Mensch zugänglicher für Gefühle denn für Fakten ist, in wie weit unterscheidet sich seine kognitive Leistung noch von der eines Bonobos und trägt er Schuhe mit Klettverschluss?

  • Ist der Verweis auf eine angebliche Schädlichkeit von Impfungen nur ein Strohmannargument, um sich dagegen behaupten zu können, dass jemand anderes einem sagt, was man zu tun hat? Was man als Beschneidung einer persönlichen Freiheit empfindet, die man nie gehabt hat?

  • Wenn fast die Hälfte der Deutschen glauben, dass sie ihre Meinung nicht mehr frei äußern können, ist das ein zuverlässiger Indikator, trifft das wirklich den Sinn der zugesicherten Meinungsfreiheit und warum äußern sie das frei?

  • Werden die Medien und Instanzen, wie die UN, nicht doch irgendwie als Autoritäten empfunden, obwohl sie das gar nicht sein können? Und wenn ja, warum?

  • Ist amerikanischer Imperialismus schlimmer als ein islamischer Gottesstaat?

  • Sind Systemlinge einfach nur Demokraten?

  • Werden Informationen nicht doch nach Quantität beurteilt, die durch das Netz 2.0 völlig von der Qualität entkoppelt ist?

  • Wird unsere deutsche Kultur abgeschafft, wenn sie sich durch viele Zuwanderer verändert, oder ist Kultur nicht doch immer ein sich wandelndes Konstrukt und Deutschland ist es womöglich völlig egal, wer in ihm lebt?

  • Wenn Deutschland Agrarprodukte exportiert und Kohlenhydrate fördert, müssen Landwirte dann wirklich subventioniert werden, nur damit sie an einem Geschäftsmodell festhalten können?

  • Wie wichtig ist es für alle, wenn Sprit jetzt etwas mehr kostet, wenn wir in den nächsten Jahrzehnten aus fossilen Energien aussteigen?

  • Ist es mit dem Grundgesetzt vereinbar, wenn Wissenschaftsleugner auf dem Marktplatz mit vollgepissten Handtüchern ausgepeitscht werden?

  • Und für mich ganz persönlich am wichtigsten: Gibt es irgendetwas, was man nicht mit Käse überbacken kann?

Ich möchte Sie einladen auf eine Reise. Und Mut machen, die Reise anzutreten.
Sie werden überrascht sein, was Sie über die Welt und sich selbst herausfinden.

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