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Hintergründe zum Wahlergebnis

Berliner Runde

Ein langer Tag, eine kurze Nacht, eine richtungsweisende Wahl.
Inzwischen liegt das vorläufige amtliche Ergebnis vor (04:47 Uhr) und es sind einige weitere Daten draußen. Um das Ganze abzuschließen und mich endlich wieder meinem Bereich zuwenden zu können, werde ich einige Dinge ansprechen und interpretieren, die mir aufgefallen sind.

Alle Zahlen Bundeswahlleiterin oder infratest dimap (Tagesschau, ZDF heute).

Ergebnis, Diagram, Tagesschau

Wackelkandidaten BSW und FDP

Beim derzeitigen Stand scheitert das BSW um nur 0,03% an der 5%-Hürde.
Ich bin sicher, nach der Europawahl hatte man sich ein deutlich besseres Ergebnis erhofft.

Vielsagend finde ich, dass Frau Wagenknecht - nach der die Partei immerhin benannt ist – gestern nur eine kurze Ansprache vor ihrer Partei gehalten hat und dann nicht mehr gesehen wurde. Sie hat sich weder der Journalisten gestellt, noch hat sie an der anschließenden Berliner Runde, bei der die Parteispitzen aller Kandidaten vertreten waren, teilgenommen.
Das kann natürlich auch gesundheitliche Gründe haben, ich gehe aber stark von psychologischen aus. Der Pomp, mit dem sie sich vorher hat zelebrieren lassen, war schon irgendwie „drüber“.

Wagenknecht auf der Bühne

Das BSW lag wohl auch konzeptionell daneben. Oder hat zumindest nicht ausreichend punkten können. Denn auf Platz eins der Ansichten zum BSW lag mit 49% das Argument, „mehr neue Ideen erwartet zu haben“. Vergangenheit.
Abgeschlagen mit 28% lag das Argument, ein gutes Verhältnis zu Russland erreichen zu wollen. Also genau das, womit das BSW in Ostdeutschland gepunktet hat. Und was der maßgebliche, primäre Punkt (Opens in a new window) in seinem kurzen Wahlprogramm war.

Die FDP ist definitiv nicht drin, sie ist in der Nacht sogar noch auf 4,33% abgesackt.
Ich halte Linder für verantwortlich. Obwohl er vor der Partei noch sagte, „wir“ (also die FDP) hätten die Entscheidung, die zum Bruch der Regierung geführt hat, „für Deutschland“ treffen müssen. Aber die Wählerinnen und Wähler haben ihm das nicht abgenommen.

58% der Befragten äußerten, dass die FDP kein vertrauenswürdiger Koalitionspartner sei. Bereits auf Platz zwei kam mit 57% die Meinung, dass es Lindner mehr um sich selbst als um die Sache ginge.
Anständigerweise hat er bereits gestern Abend die Konsequenz gezogen und seinen Rückzug aus der aktiven Politik erklärt.
Die FDP war und bleibt die Partei der Selbstständigen, obwohl sie auch in dem Segment über die Hälfte ihrer Stimmen verloren hat.

Die FDP Spitze kurz nach der Wahl.

Die SPD und Scholz

Anders bei Scholz. Er hat die mit deutlichem Abstand geringste Zufriedenheit als Kanzler seit Kohl. Bisher hat er aber noch nichts zu einem Rückzug gesagt. In der Berliner Runde sagte er lediglich, die Regierungsbildung würde ohne ihn stattfinden.

Ein weiterer Faktor kommt hinzu: Boris Pistorius hat insgesamt fast doppelt so viel Zustimmung wie Scholz. Die Entscheidung von Scholz erneut zu kandidieren dürfte der SPD also sehr geschadet haben.
Trotzdem war ich persönlich vom Ergebnis der SPD überrascht, ich hatte mit noch weniger gerechnet. Obwohl sie das schlechteste Ergebnis bei einer Bundestagswahl seit Bestehen der Bundesrepublik eingefahren hat.

Also ist es doch interessant zu schauen, wer trotzdem die SPD gewählt hat. Und da zeigt sich ein riesiges Problem für die SPD.
Die mit Abstand größte Wählergruppe der SPD waren die über 70-Jährigen. Gefolgt von den über 60-Jährigen. Fast die Hälfte der SPD-Wählerinnen und -Wähler sind über 60. Also diejenigen, die vermutlich tradiert schon immer SPD gewählt haben.
Das bedeutet, die SPD ist kaum noch in der Lage, jüngere Menschen zu adressieren. Sie hat seit Schröder und durch die Koalitionen mit der CDU ihr Alleinstellungsmerkmal verloren. Das nun wohl von der Linken übernommen wird.

Wenn die SPD nicht in der Lage ist, sich besser zu erklären, wird sie weiterhin absteigen. Ob sie jetzt noch in der Regierung sitzt, oder nicht.

Die Stimmverluste, Diagram, Tagesschau

Es grünt so grün

Überrascht war ich von den Grünen. An deren Ergebnis man ablesen konnte, dass die Realität nicht immer mit dem übereinstimmt, was auf Social Media stattfindet.
Denn entgegen des Dauerbeschusses und der Propaganda haben die Grünen nur 3% verloren. (SPD –9,3%)
Zudem hat es einen wahren Run an neuen Mitgliedschaften gegeben. Das muss man wohl so interpretieren, dass wer die Grünen wählt, auch eher bereit ist, sich zu engagieren oder Mitglied zu werden. Diese Gruppe scheint also unempfindlicher zu sein gegen platte Propaganda.

Kanzlerkandidat Habeck erfuhr eine sehr große Zustimmung auch von Wählerinnen und Wählern anderer Parteien. Es ist schade, dass dies durch die kommende Regierung nicht abgebildet werden wird.

Trotzdem - oder gerade darum – spannend, wie die Menschen die Grünen wahrgenommen haben.
Auf Platz eins steht mit 62%, sie würden sich zu wenig um Wirtschaft und Arbeitsplätze kümmern.
Ganz persönlich gehe ich davon aus, das nicht verstanden wurde, wie die Grünen das tun. Unterm Strich waren sie nicht in der Lage, das ausreichend zu erklären. Das muss man so klar sagen und Kanzlerkandidat Habeck hat das auch mehrfach schon so eingeräumt.

Auf Platz zwei kam aber mit 56% der Grund, die Grünen wollten „uns vorschreiben, wie wir zu leben haben“. Das ist die Krux der Grünen, die als ökologische Partei auch unliebsames fordern muss. Die Propaganda hat leichtes Spiel.
Leider, und das ist wieder meine persönliche Einschätzung, wird aber häufig nicht differenziert, was tatsächlich auf „grünem Mist“ gewachsen ist. Das Atom-Aus wurde den Grünen ebenso angelastet wie das beschlossene Ende der Verbrenner. Weite Teile der Bevölkerung scheinen nicht zu verstehen, dass solche Dinge von sehr vielen Parteien und Menschen gefordert und getragen werden.
Die Heizungsnummer war ein kommunikatives Debakel, auch das haben sie selber eingeräumt.

Unter den Grünen war die Ablehnung der SPD übrigens überraschend hoch. Das war es wohl, was Habeck meinte, als er sagte, die Ampel sei ja nun auch keine „vergnügungsssteuerpflichtige Veranstaltung“ gewesen.

Der Überraschungsgast

Das gute Ergebnis der Linken kam sicher für alle überraschend.
Für mich war der Kommentar von Gregor Gysi spannend, der sagte, dass zwei Reden der Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek wohl noch einiges gerissen hätten, vor allem bei jungen Menschen. Die ich mir daher noch angucken werde.

Denn die Zahlen bestätigen das. Die Linke hat mit weitem Abstand die meisten ihrer Wählerstimmen von unter 34-Jährigen bekommen. Ebenso hat sie die meisten Stimmen bei den Erstwählern geholt, mit etwas Abstand gefolgt von der AfD.
Da muss also etwas an mir vorbeigegangen sein.
Es haben, wie auch beim BSW, deutlich mehr Frauen ihre Stimme gegeben.

Wenig Neues bei den Christen

Über den wirklichen Gewinner, der trotzdem noch hinter den Umfragewerten zurückblieb (28,5%), gibt es wenig zu sagen. Alles wie erwartet, alles wie vorhergesagt.

In der Berliner Runde hat Merz nochmal gesagt, dass es keine Koalition mit der AfD geben werde. Nun muss man es ihm langsam glauben.
Anders wäre es, wenn das BSW wider Erwarten doch noch über die 5% rutscht. Denn dann würde Schwarz-Rot nicht mehr für eine absolute Mehrheit reichen. Dann wäre es spannend, ob sie sich eine Minderheitenregierung zutraut.

Spannend aber auch, dass der Zuwachs der CDU nur 4% war. Man hätte mit weit mehr rechnen können.

Warum aber 33% - und damit fast so viele wie Merz mit 34% - ausgerechnet Söder zutrauen, einen guten Kanzler abgeben zu können, erschließt sich mir nicht.

Deutliches zur AfD

Kommen wir zur AfD.
Und es tut mir tatsächlich leid, wenn ich da deutliche Worte finden muss. Ganz ehrlich. Völlig losgelöst vom Inhaltlichen.

Denn die Zahlen offenbaren unbestreitbar, was tatsächlich dahintersteckt. Und dass AfD-Wähler überwiegend dumm sind. Nicht unbedingt unintelligenten, aber dumm. Und seit Heidi Kastner wissen wir, dass die Dummheit aufgehört hat sich zu schämen.

Die AfD hat die wenigsten Mitglieder aller großen Parteien. Obwohl sie fast 21% eingefahren und ihr Ergebnis damit quasi verdoppelt hat, hat sie weniger Mitglieder als die FDP, weit weniger als die Linken und nicht einmal ein Drittel der Grünen.
Das bedeutet, die Wählerinnen und Wähler (deutlich mehr Männer) der AfD haben keine so feste Bindung an die Partei wie bei anderen Parteien. Es sind häufig Protestwähler, die sich weniger mit Politik auseinandersetzen. Als Grund der Wahl gaben 59% der AfD-Neuwähler Enttäuschung an.

Das Hauptthema war natürlich die Zuwanderung (38%) und die innere Sicherheit (33%, Mehrfachnennung). Und da schimmert dann doch etwas durch, was nicht mit Protestwahl zu begründen ist.
9% aller AfD-Wähler finden, dass selbst Migranten, die einen deutschen Pass haben, Deutschland verlassen sollten. 18% fanden, dass in Deutschland nur Deutsche leben sollten.
Das bedeutet, die Protestwähler finden diese Punkte offenbar akzeptabel genug, der Partei dennoch ihre Stimme zu geben.

Die Dummheit findet sich aber nicht nur bei Teilen in einer rechtsradikalen und realitätsfernen Einstellung. Sondern auch dabei, dass die Wähler zutiefst nicht verstanden haben, dass die AfD eine wirtschaftsliberale Partei ist. Also eine Partei für Großverdiener.
38% der AfD-Wählerinnen und Wähler waren Arbeiter, und weitere 34% Arbeitslose. Mit einem Plus von knackigen 17%. Also hat die AfD da die meisten Stimmen hinzugewonnen.

Man sollte davon ausgehen, dass Arbeitslose vor allem linke Parteien, beispielsweise die Linke (13%), das BSW (6%) oder die SPD (13%) wählen würden. Die Grünen (8%) lasse ich hier mal außen vor, weil sie in meiner Wahrnehmung inzwischen näher an der FDP denn an der SPD sind und als Partei der Akademiker wahrgenommen werden.
Aber ausgerechnet die rechte Partei der AfD hat den größten Anteil von arbeitslosen Wählern. Und das kann ich mir – so leid es mir tut – nur damit erklären, dass sehr viele Menschen – vor allem im Osten – die Parteienlandschaft oder das Rechts-Links-Ding überhaupt nicht verstanden haben.

Ich muss das nochmal sagen:
Die AfD wurde zu über einem Drittel von denen gewählt, denen sie nach ihrem Programm und ihrem Konzept „Aktivierende Grundsicherung“ Bezüge streichen, eine Arbeitslosen-Debit-Karte aufbrummen, sie zu „Bürgerarbeit“ verdonnern und nach sechs Monaten auf Bürgergeld schicken will.
Jetzt echt mal, kannste dir nich ausdenken.

Gründe, die AfD zu wählen, Balkendiagram, Tagesschau

Und das zeigte sich dann auch bei den genannten Gründen, die AfD zu wählen.
Der meistgenannte Grund war die Überfremdung. Geschenkt.
Der zweite Grund war mit knackigen 87% dann, die Angst ausgegrenzt zu werden, wenn man seine Meinung sagt. Die letzten drei Punkte, mit immer noch über 70%, sind alles Sorgen finanzieller Art.

Balkendiagram, Stimmanteil der Parteien von Wählern in schlechter wirtschaftlicher Situation, Tagesschau

Die AfD erhielt die meisten Stimmen in den Altersstufen zwischen 25 und 60.

Ein Blick auf die Karte ist daher auch interessant. Nicht, weil die AfD vor allem im Osten punkten konnte. Das war zu erwarten. Sondern weil sie dort zumeist über 30, nicht selten über 40% bekam. Spitzenreiter ist der Wahlkreis Sächsische Schweiz mit über 49%.
Das soll nicht verhehlen, dass die AfD auch im Westen häufig über 20% kam. Aber eben durchwachsen. Die niedrigsten Ergebnisse erhielt sie in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen, ausgerechnet da, wo die mit Abstand meisten Ausländer leben.

Deutschlandkarte mit den jeweils meisten Stimmen der Wahlkreise. ZDF heute

Und um da gleich das nächste populistische Narrativ zu etablieren, erzählte Frau Weidel gestern gleich mal, dass wenn Merz (persönlich!) nicht mit der AfD koalieren wolle, er Wahlbetrug beginge. Weil diese Wähler nicht verstehen, dass es eben keine Kanzlerwahl, sondern die Bundestagswahl ist, und die Parteien in einer repräsentativen Demokratie selber untereinander ausmachen, wer die Regierung übernimmt.
Dafür wärmte sie gestern Abend bereits live die Floskel auf, die anderen „jagen“ zu wollen.

Die AfD war auch die Partei, die als erste heute Morgen eine Pressekonferenz gegeben hat.

Weidel heute Morgen.

Ich als MilBlogger…

Für mich persönlich ist das Ergebnis natürlich nicht so schön. Aber wie ich schon mal erklärt habe, bin ich dadurch nicht persönlich betroffen, eher motiviert.
Hier muss ich das aber „neutral“ beziehungsweise in meinem Kompetenzbereich als „MilBlogger“ beurteilen. Und da bin ich so beruhigt, wie diese Wahl mich überhaupt nur hätte beruhigen können.

Denn derzeit muss man von einer schwarz-roten Regierung ausgehen. Was „stabil“ wäre. Die dieses Mal aber deutlich knackiger als unter Merkel von der CDU geleitet werden wird. Merz hat keine ruhige Hand.
Die SPD wird das eingehen, sie kann gar nicht anders. Auch wenn sie bereits einen Mitgliederentscheid angekündigt hat, man wird also innerhalb der SPD abstimmen.

Grafik der Sitzverteilung, Tagesschau

Damit kommen zwei Parteien an die Regierung, die – ich sag es mal salopp – pro Bundeswehr orientiert sind.
Spannend wird tatsächlich, wie weit die CDU sich beim vorsichtigen Russlandkurs der SPD wird durchsetzen können. Auch die Entscheidung, wer Verteidigungsminister wird, wird spannend. Die CDU wäre gut beraten, das Ressort bei Pistorius zu lassen, der überparteilich und in der Bevölkerung einen enormen Zuspruch hat. Und dem Anschein nach auch nicht immer mit dem Kurs von Scholz einverstanden war.

Die Lieferung von Taurus an die Ukraine sehe ich derzeit noch nicht.
Denn vieles, was den Taurus betrifft, ist geheim. Und Merz und die Entscheidungsträger bekommen nun vielleicht erst die umfassenden Gründe für die Ablehnung der SPD zu sehen. Ob Merz den dann immer noch liefern will, wird man sehen.

Ich bin sicher, Merz wird auch eine konsequentere Gangart gegenüber den USA einlegen und grundsätzlich eher pro Europa und pro NATO agieren. Das hat die SPD vorher aber auch getan, die Unterscheide werden spürbar, aber nicht gigantisch sein.

Ganz persönlich interessiert mich auch, wie die neue Regierung sich zu den Palästinensern positionieren wird. Das stand aber bei keinem oben auf der Agenda.

Bonmots zum Schluss:

Die als „pro Hamas“ wahrgenommene Linksaußen-Partei MERA25 („Europäische realistische Ungehorsamfront“), die u.a. an dem von der Polizei aufgelösten „Palästina-Kongress“ teilgenommen hatte, erhielt 7.128 der Zweitstimmen und nur 658 Erststimmen, was 0,0% ergibt.
Man reiche einigen Uni-Besetzern ein Taschentuch.

Und die Werteunion von Hans-Georg Maaßen, der gerade noch am rechtspopulistischen Kongress CPAC in den USA teilgenommen hat, erhielt zwar 2844 Erststimmen, aber nur 6803 Zweitstimmen. Und damit ebenfalls 0,0%.

Das „Team Todenhöfer“ erhielt zwar 24.558 Zweitstimmen und lustigerweise nur 9.757 Erststimmen, was aber auch nur für 0,0% reicht.

Die „Querdenker-Partei“ dieBasis (arabisch = al qaida) erhielt zumindest 85.557 der Zweitstimmen und kam damit auf 0,2%.

Die ganzen infantilen politische Flatulenzen sind daher also so gescheitert, wie man nur scheitern kann. Auch das beruhigt ein wenig, finde ich.

Ihr werdet mich jetzt entschuldigen. Ich muss jetzt wirklich hart ausschlafen. Denke mal so bis März.

Topic Medien und Politik

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