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Coatlicue - die Mutter der Sonne

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Sternengeschichten Folge 646: Coatlicue - die Mutter der Sonne

Wie ist die Sonne entstanden? Die kurze Version und die, die man fast immer irgendwo zu hören bekommt geht so: Zuerst war da eine große kosmische Wolke aus Gas und diese Wolke ist dann irgendwann kollabiert, zum Beispiel weil sich in der Nähe ein Stern vorbei bewegt hat oder ein älterer Stern in der Umgebung explodiert ist. Das hat das Gleichgewicht der Wolke gestört und sie ist unter ihrem eigenen Gewicht in sich zusammengefallen. Das Gas hat sich verdichtet, so sehr, dass irgendwann die Kernfusion eingesetzt hat und ein Stern entstanden ist. Und diese Erklärung ist nicht falsch. Aber sie lässt sehr viel aus und sehr viel davon ist sehr interessant.

Zwischen dem Kollaps der Wolke und der fertigen Sonne passiert noch jede Menge, auf das möchte ich heute aber nicht eingehen - über diese Prozesse habe ich auch schon in jeder Menge anderer Folgen gesprochen. Heute geht es um das, was vor dem Kollaps der Wolke passiert ist beziehungsweise um das, was dazu geführt hat, dass die Wolke kollabiert ist. Es geht also um Dinge, die vor der Geburt der Sonne passiert sind, also gewissermaßen um die Vorfahren unserer Sonne.

Zuerst aber müssen wir eine Angelegenheit klären: Wie um Himmels Willen soll man so etwas erforschen? Das ist alles ja schon Milliarden Jahre her. Wir können ja nicht in der Zeit zurück reisen und wir können nicht einmal in der Zeit zurück schauen, was in der Astronomie ja tatsächlich geht. Aber auch nur, wenn wir gleichzeitig in die Ferne schauen. Wenn wir Objekte betrachten, deren Licht Milliarden Jahre zu uns gebraucht hat, dann sehen wir sie auch so, wie sie vor Milliarden von Jahren ausgesehen haben. Aber das geht bei der Sonne nicht. Die ist ja keine Milliarden Lichtjahre entfernt sondern direkt hier, bei uns. Also: Wie wollen wir rausfinden, was in der Vergangenheit passiert. Das ist nicht einfach, aber nicht unmöglich. Denn die Vergangenheit hat Spuren hinterlassen, zum Beispiel in Form von sogenannten kurzlebigen Radionukleiden. So bezeichnet man radioaktive Elemente, deren Halbwertszeit weniger als 100 Millionen Jahren beträgt. Die werden überall im Universum bei diversen astrophysikalischen Prozessen erzeugt und sind daher auch überall. Und weil das Zeug überall ist, war es auch in der Wolke aus der die Sonne entstanden ist. Und wir finden diese Elemente auch heute noch in den Meteoriten, die ja die Überbleibsel aus der Zeit der Entstehung des Sonnensystems sind. Sie sind das Material, aus dem keine Planeten entstanden sind; das nicht Teil der Sonne geworden ist und wir können aus der Untersuchung der Meteoriten Rückschlüsse auf die Zusammensetzung der Wolke ziehen, aus der Sonne und Sonnensystem entstanden ist.

Wir finden in den Meteoriten zum Beispiel das Element Iridium 129 und wir finden es in ziemlich genau der Menge, in der es auch überall sonst in der Milchstraße zu finden ist. Das ist wenig überraschend; das ist genau das, was man erwarten würde. Es gibt aber andere Elemente, bei denen das nicht so ist. Aluminium 26 zum Beispiel oder Eisen 60. Von denen finden wir mehr, als man erwarten würde. Das bedeutet, dass das nicht einfach Material ist, das halt einfach schon da war, als das Sonnensystem entstanden ist, weil diese Elemente halt überall in der Milchstraße zu finden sind. Das bedeutet, dass Elemente wie Aluminium 26 oder Eisen 60 nicht allzu lange vor der Geburt der Sonne nochmal lokal entstanden sind. Oder anders gesagt: Bevor die kosmische Wolke zur Sonne kollabiert ist, müssen Prozesse abgelaufen sein, die nochmal frisches Aluminium 26 und Eisen 60 produziert haben.

Was sind das für Prozesse? Wir wissen, dass diese Elemente zum Beispiel bei Supernova-Explosionen gebildet werden können, also dann, wenn ein massereicher Stern sein Leben explosiv beendet, nachdem in seinem Inneren die Kernfusion aufgehört hat. Und lange Zeit war das auch die übliche Erklärung: Eine Supernova hat in der Umgebung der kosmischen Wolke stattgefunden und dort die ganzen kurzlebigen Radionukleide reingepustet. Das ist nicht unrealistisch, aber wenn man das alles im Detail durchrechnet, dann gibt es Probleme. Um die beobachteten Mengen an Aluminium 26 und Eisen 60 in die kosmische Wolke zu bringen, müsste so eine Supernova in so geringer Entfernung zur Wolke stattfinden, dass dadurch die Entstehung neuer Sterne massiv behindert wird. Weil so eine Supernova-Explosion kann zwar den Kollaps einer Wolke und damit die Sternentstehung auslösen. Findet sie zu nah an der Wolke statt, kann sie aber auch, vereinfacht gesagt, das Gas der Wolke so aufheizen und in der Gegend verteilen, so dass keine Sterne daraus entstehen können.

Das ganze muss also anders stattgefunden haben und bevor wir uns anschauen, wie das ausgesehen haben könnte, müssen wir noch einen wichtigen Punkt klären. Ich habe bis jetzt immer gesagt: Die Wolke kollabiert und daraus entsteht die Sonne. Und das ist auch richtig, aber es entsteht nicht nur die Sonne. Diese Wolken sind riesig und aus ihrem Kollaps entsteht weit mehr als nur ein Stern. Die Sonne hat hunderte oder tausende Geschwister; aus dem Kollaps sind jede Menge Sterne entstanden. Das ist wichtig, wenn wir verstehen wollen, wie das damals alles abgelaufen ist.

Angefangen hat alles mit einer Riesenmolekülwolke, also einer enorm großen kosmischen Wolke, die vor allem aus Wasserstoff besteht. Und "enorm groß" heißt hier, dass die Wolke durchaus ein paar hundert Lichtjahre groß gewesen sein kann. Dort entstehen jede Menge massereiche Sterne, die so heiß brennen, dass sie schon nach ein paar Millionen Jahren ihren Brennstoff für die Kernfusion aufgebraucht haben und als Supernovae explodieren. Dabei produzieren diese Sterne unter anderem jede Menge Eisen 60, dass sich in der Umgebung verteilt. Gleichzeitig regen die Supernova-Explosionen die Entstehung neuer Sterne an, weil sie weiteres Gas der Wolke zum kollabieren bringen. Es entsteht ein Sternhaufen, also jede Menge eng benachtbarte Sterne von denen mindestens einer wirklich groß ist, also eine Masse hat, die größer als die 32fache Masse der Sonne ist. So ein großer Stern hat auch einen massiven Sternwind, dass heißt, er schleudert ständig Material aus seinen äußeren Schichten hinaus ins All. Und zu dem Material, dass solche großen Sterne ständig hinaus ins All pusten, gehört auch Aluminium 26. Gleichzeitig sorgen die Sternwinde dafür, dass das Wasserstoffgas in der Wolke verdichtet wird. Wir haben nun also in der Umgebung dieser Riesensterne schalenartige Strukturen aus verdichteten Wasserstoff, in denen sich einerseits das Eisen 60 von den Sternen vom Anfang befindet und andererseits das Aluminium 26 aus den Sternwinden der großen Sterne, die danach gekommen sind. Und aus diesen verdichteten Bereichen entstehen nun noch einmal neue Sterne, und einer davon ist unsere Sonne.

Man kann das alles entsprechend im Computer modellieren und schauen, wie viele Sterne jeweils entstehen müssen, wann wie viele Sterne zur Supernova werden müssen, wie viele große Sterne mit Sternwind es braucht, und so weiter und dann prüfen, welche Konfiguration am besten geeignet ist, um die beobachteten Mengen an Eisen 60 und Aluminium 26 im Sonnensystem zu erklären. Das Ergebnis sieht dann so aus:

Die Sonne ist, wenn man so will, die Enkelin eines Sternenkomplexes aus ein paar zehntausend massereichen Sternen. Sie ist die Tochter eines sehr massereichen Sterns, der Teil eines Sternhaufens war, der um die 1200 Sterne beinhaltet hat. Und die Sonne selbst ist gemeinsam mit ungefähr 600 Geschwistern entstanden. Und natürlich hat man sich auch schon einen Namen für die "Mutter der Sonne" überlegt, also diesen Stern mit mehr als 32 Sonnenmassen, der mit seinem Sternwind das Aluminium 26 erzeugt hat, das wir heute in den Meteoriten beobachten und das Wasserstoffgas so verdichtet hat, dass daraus später die Sonne mit ihren Geschwistern entstehen hat können. Matthieu Gounelle und Georges Meynet, die beiden Forscher die dieses Modell entwickelt haben, haben ihm den Namen "Coatlicue". Wörtlich übersetzt bedeutet das "Die mit dem Schlangenrock" und es ist der Name einer aztekischen Göttin. Einer Göttin, die unter anderem die Mutter des aztekischen Sonnengottes ist.

Statue von Coatlicue (Bild: public domain) (Opens in a new window)
Statue von Coatlicue (Bild: public domain)

Die Mutter unserer Sonne existiert allerdings nicht mehr. Coatlicue ist schon vor Milliarden von Jahren als Supernova explodiert. So große Sterne leben nicht lange, weil die Kernfusion in ihrem Inneren so enorm schnell abläuft. Aber ihre kleine Tochter, die Sonne, hat zum Glück ein viel längeres Leben vor sich.

Topic Astronomie

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