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Angriff und Anschauung

Was macht eigentlich Expertise aus? Es gibt da unterschiedliche Ansätze, Menschen Expertise zuzuschreiben oder abzuerkennen. Die etablierteste Form ist die thematisch passende Ausbildung – ich vertraue einer Elektrikerin das Legen unserer neuen Steckdose lieber an als einem Historiker, und eine Ärztin kann mit meinen Blutwetten im Zweifel mehr anfangen als ein Erzieher. Solche Expertise wird üblicherweise durch zentral ausgestellte Zeugnisse unter Beweis gestellt, was es umso witziger macht, wenn sie von Gegner:innen des Gesagten dann als „selbsternannte Experten“ bezweifelt wird – weniger selbsternannt als ein Zeugnis ist kaum möglich.

Es gibt aber auch Expertise, die sich weniger formal äußert: Durch kluge oder anderweitig bemerkenswerte Äußerungen zu Themen (aktiv), dadurch, dass man zu bestimmten Themen schlicht befragt wird (passiv), und durch eigene Erfahrung. Der biografischen Expertise wird dabei rein emotional oft ein besonderer Wert zugesprochen, denn eigenes Erleben wird über angelesenem Wissen eingestuft.

Und damit zur Expertise von Joachim Höppner: Der 96-jährige wurde in der vergangenen Woche vom Deutschlandfunk interviewt (Opens in a new window), unter anderem zu den deutschen Panzerlieferungen an die Ukraine, was der FAZ-Redakteur Philipp Krohn folgendermaßen anpries (Opens in a new window):

„Gut, dass jemand von Panzern redet, der etwas davon versteht.“

Höppners Expertise stammt nicht aus einem Studium oder einer Berufsausbildung oder Jahrzehnten im diplomatischen Dienst – Joachim Höppners Verständnis der Frage, ob man deutsche Panzer in die Ukraine liefern sollte, ist davon geprägt, dass Joachim Höppner vor 80 Jahren selbst mit deutschen Panzern gefahren ist – und als Kriegsgefangener später die zerstörte Ukraine wieder aufbauen musste. Er hat aus dieser Erfahrung die Lektion gezogen, dass alles getan werden müsse, um Krieg zu verhindern (ich vermute, das ist wenig kontrovers) und lehnt daraus folgend Waffenlieferungen an die Ukraine (das schon eher).

Für den Beitrag im Deutschlandfunk wurde der verantwortliche Redakteur Alexander Moritz insbesondere auf Twitter hart kritisiert, aber auch eine große deutsche Boulevardzeitung berichtete vom „Nazi-Patzer“. Die ganze Herangehensweise ist ja auch kritikwürdig: Ganz gleich, wie individuell schuldig sich Höppner im Zweiten Weltkrieg gemacht hat (darüber, was genau er dort getan hat außer als Panzerschütze in den letzten Kriegsmonaten durch Deutschland zu fahren schweigt er sich aus), er war Teil der Wehrmacht, die den Vernichtungskrieg maßgeblich mitverantwortet hat und ohne die Kiew sicher nicht hätte wiederaufgebaut werden müssen.

Daraus ergibt sich eine verhängnisvolle Rollenverwechslung: Der Krieg und seine Auswirkungen, sagt Höppner, hat ihn zum Pazifisten gemacht. Er spricht hier aus einer Opferperspektive, von den eigenen Traumata und von der Ruinenerfahrung. Erlebt hat er den Krieg aber, ganz unabhängig von seinen eigenen Taten, aus der Täterperspektive. Denkt man seine Auffassung bis zum Ende durch, ist er nun letztlich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine, weil genau solche Waffenlieferungen (der USA an die Sowjetunion) ihm und seinen Kameraden die Kriegsführung so erschwert haben – man könnte sagen, den Krieg in die Länge gezogen haben. Hätte die Sowjetunion keine Waffen zur Verfügung gehabt, Kiew hätte nie zerstört werden müssen.

Natürlich meint Höppner das so nicht, und Radiomann Alexander Moritz ist das Unbehagen bei seinen wenigen Einsprüchen und Einordnungen auch anzumerken. Gleichzeitig ist sein Anspruch ja, Meinungen in diesem Land abzubilden, die es zweifelsohne gibt. Es bringt ja nichts zu leugnen dass ein relevanter Teil der Menschen in Deutschland gegen Waffenlieferungen an die Ukraine ist, aus welchen legitimen oder illegitimen Gründen auch immer. Es gibt daher zwei Probleme an dieser Sendung: Das eine ist, dass man einen 96 Jahre alten Mann, dessen Weltbild einer kritischen Prüfung durch die Öffentlichkeit sicher nicht gewachsen ist, einfach so eine Bühne gegeben und ihn diesem Blick erst ausgesetzt hat. Das zweite ist, diese Sendung überhaupt so ausgestrahlt zu haben. Gemeint war es sicherlich als eine Art erweiterter Höreranruf, wie sie charakteristisch für den DLF sind: In die Diskussionen von Expert:innen werden Menschen zugeschaltet, die sich einbringen wollen und meist zur Hälfte ihres Co-Referates vom Moderator unterbrochen werden müssen. Mehr als Namen und Wohnort erfährt man selten von den Anrufenden, das sollte hier ganz offenbar geleistet werden. Geliefert wurde also genau das, eine Hörerstimme ohne implizierte Zustimmung des Senders. Erwartet wird aber in solchen Formaten, in denen Journalist:innen zu jemandem nach Hause gehen und ein Interview aufnehmen, eine gewisse inhaltliche Grundqualität des Gesagten. Hier drifteten also die Ansprüche an das Format zwischen Sender und Empfänger enorm auseinander – etwas, was der Senderseite zwingend hätte auffallen müssen.

Dass solche Formatverwechslungen nun zumindest gefühlt immer dann auftauchen, wenn es um deutsche Geschichte geht, ist bedauerlich und bezeichnend. Denn dass diese Verwechslung überhaupt erst ermöglicht wird, entstammt ja dem Geschichtsbild, das Herr Höppner sicher in Deutschland nicht exklusiv hat: wir, die guten Geläuterten, erinnern, damit nie wieder andere Leute kommen, die dieses Böse wiederholen. Es ist eine weit verbreitete Form deutscher Erinnerungskultur, stets nur das Potenzial zur Verführung anderer zu sehen und nicht das eigene. Aus einer solchen Denkhaltung erwächst dann natürlich fast automatisch die Idee, dass man durch den eigenen Angriffskrieg gelernt hätte, dass Krieg schlecht ist und dem nächsten Angegriffenen die Verteidigung erschweren will.

All das hätte man zu einem Teil eines Hörfunkfeatures machen können – dann wäre die Kritik geringer ausgefallen, es hätte vielleicht sogar einen Erkenntnisgewinn gegeben. Und man hätte Herrn Höppner nicht alleine gelassen, dessen Festnetznummer im Internet leicht zu finden ist und der vielleicht gerade das Telefon ausgestöpselt hat, um nicht weiter behelligt zu werden.

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