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Privilegien und Schlachtlinien - 05.10.2023

Privilegien und Schlachtlinien

© Mara Klein via DALL-E2

Jan und ich saßen im Gefängnis Tempelhofer Damm, unterhielten uns darüber, warum wir im friedlichen Widerstand und jetzt in dieser Zelle waren.

Jan, geboren 1964, machte einen Doktor in Chemie, fand eine Stelle, hatte ein Händchen für seinen Job, machte einen schnellen Aufstieg: Businessreisen, teure Anzüge, ein Haus. Und vor ein paar Jahren guckte er sich um mit der Frage: Wie viel davon habe ich mir realistischerweise erarbeitet? Und wie viel davon beruht auf Ausbeutung unseres Planeten und anderer Menschen?

Die ehrliche Bestandsaufnahme führte ihm erst vor Augen, wie ungerecht unser System ist und dann in die Letzte Generation.

Mir führte unser Gespräch vor Augen, was ein Privileg es: all das Immaterielle und Materielle, das wir nur haben, weil wir es anderen Lebewesen weggenommen haben.

Darüber nachgedacht habe ich, während ein paar Tage später ein Freund zum Essen bei mir war. Ein ruhiger Abend in der Küche, langes intimes Gespräch und irgendwann meinte ich zu ihm, dass es mir teils schwerfällt Freund*innen und Bekannte nicht zu verurteilen, die weiter einfach ihr Ding machen, also wissentlich profitieren von der allgemeinen Brutalität, weiter Privilegien anhäufen – denn Widerstand ist das Gegenteil: man gibt Zeit, Kraft, Geld, steht wider dem System. Das gibt mir viel und es nutzt auch ab.

Als er gegangen war, dachte ich: Sind dann nur jene Teil der ökologischen Klasse, die ihre Privilegien benutzen, um das System zu ändern? Dann wären wir wenige, und es ist zu kurz gedacht. Geht es in der Klimakrise zentral um Gerechtigkeit, dann sind Privilegien eine der Schlachtlinien, die unsere kommenden Jahrzehnte durchzieht.

Auf der einen Seite all jene, die durch die bewusste, geplante Zerstörung unserer Lebensgrundlagen ihren Profit erwirtschaften, obwohl sie andere Alternativen hätten. Und auf der anderen Seite all jene, die Tag für Tag beraubt werden:

Biobauern, denen es die Ernte verhagelt.

Alte Menschen, die in Hitzewellen erkranken und sterben.

Forstbesitzer, denen ihr Familienerbe vom Borkenkäfer zerfressen wird.

Menschen, die Angehörige in MAPA-Gebieten haben, also großen Teilen des Globalen Südens.

Lohnabhängige, die in chemisch-toxischen Umgebungen arbeiten müssen.

Stadtbewohner:innen, die von Feinstaub und Hitzeinseleffekt bedroht sind, zu arm, um in gesündere Viertel zu ziehen.

Opfer von Überschwemmungen, Waldbränden, Stürmen, neu auftretenden Infektionskrankheiten.

Die Liste wäre noch viel länger. Die Grenze ist dabei sicherlich nicht immer scharf: Was ist mit dem Landwirt, der gerne auf bio umstellen würde, aufgrund systemischer Zwänge aber nicht kann?

Was ist mit dem Zimmermann, der zwar flucht, dass er bei 42 Grad noch aufs Dach muss, aber die Schneise der Zerstörung trotzdem ignoriert?

Was ist mit Menschen, die aus finanziell schwachen Haushalten kommen und von materieller Sicherheit und Aufstieg träumen?

Sie sind entscheidend. Unsere Aufgabe wird sein, das Thema Klima als Gerechtigkeitskrise zu kommunizieren, diese Menschen zu uns rüberzuziehen. Jetzt sind wir schon viele, die große Mehrheit können wir sein, wenn wir klar machen: wir werden alle verarscht, wir können alles gewinnen.

P.S. Gerade sprudeln viele Ideen aus meinem Kopf, sodass ich nicht immer erst zwei Wochen warten will mit dem Schreiben. Deshalb wird der Rhythmus wohl zwischen ein- und zweiwöchig wechseln <3

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