Vergesellschaftung als Antwort auf den Feudalfaschismus
(Dies ist ein Beitrag von mir in der Graswurzelrevolution [Ausgabe 2/25] “Alles so schön bunt hier? - Aufstehen gegen Menschenfeindlichkeit – überall!” (Opens in a new window))
In den USA wurde im Januar 2025 ein krimineller Rechtsextremist, Milliardär und Imperialist als Präsident der größten Militärmacht der Welt vereidigt. In Österreich wird ein FPÖ-Rassist mit Hilfe der rechtskonservativen ÖVP voraussichtlich zum ersten neofaschistischen „Volkskanzler“ (siehe Artikel in dieser GWR) ernannt. Bei der Bundestagswahl im Februar 2025 droht eine zunehmend offen neonazistisch auftretende AfD zweitstärkste Partei zu werden. Tino Pfaff ist Sozialphilosoph, Autor, Aktivist und Herausgeber u.a. von „Ökozid“ (2023) und „Vergesellschaftung und die sozialökologische Frage“ (2024). Im folgenden Artikel stellt der Autor seine Analysen zum Entstehen eines neuen Feudalfaschismus zur Diskussion. (GWR-Red.)
Gerecht, sozial und resilient
Die westlichen Industriegesellschaften erleben derzeit wohl den größten Angriff auf die Demokratien und sozialen Errungenschaften seit dem Zweiten Weltkrieg.
Größenwahnsinnige Superreiche, allen voran Elon Musk, haben ihre Machtzentren weit über nationalstaatliche Sphären hinaus konzentriert. Mit „üblichem“ Kapitalismus hat das nicht mehr viel zu tun.
Wachsende Ungleichheit ist zwar das Fundament für eine neue Klassengesellschaft. Schaut man jedoch genauer hin, lässt sich dies eher als eine Ständegesellschaft verstehen. Die einen (Arme und Ärmere) erfahren fortlaufend Machtverlust und das Schwinden von Teilhabe- und Versorgungsmöglichkeiten. Die anderen (Reiche und Superreiche) beanspruchen hingegen mehr und mehr Privilegien und weiten ihre Machtbereiche bis in das administrative Mark westlicher Demokratien aus. Die Binarität des „oben und unten“ erinnert so an einstige feudalistische Zustände: Neofeudalismus löst Kapitalismus zunehmend ab.
Doch mit dieser Analyse ist es nicht getan. Um ihre Machtbereiche fortlaufend auszuweiten, paktieren Superreiche mit neofaschistischen Akteur*innen. Das prominenteste Beispiel ist Elon Musk. Bisweilen noch als rechtslibertär bezeichnet (totalitäre individuelle Freiheit, uneingeschränkter Warenverkehr, Recht auf Privateigentum und Abschaffung staatlicher Zugriffe und Verwaltung), lässt sich dies, aufgrund der zunehmenden Dimension seiner Machtausübung in Frage stellen. Wenn der reichste Mann der Welt dazu in der Lage ist, nicht nur medial Diskurse zu lenken, sondern auch Wahlen von souveränen Staaten maßgeblich zu beeinflussen, dann erscheint der Begriff des Rechtslibertarismus als ungenügend.
Vielmehr haben wir es mit einer neuen Form von Feudalismus zu tun. Am Beispiel Musk bedeutet dies: Ein Superreicher macht gemeinsame Sache mit Faschist*innen und versucht sie mit allen Mitteln in Regierungen zu installieren (mit Trump hat dies bereits funktioniert, in Deutschland und Großbritannien wird es sich noch zeigen). Doch erscheint ihm Faschismus nicht nur ein Mittel zur Durchsetzung seiner Interessen zu sein. So verbreitet Musk selbst Verschwörungserzählungen, wie die Erzählung vom „großen Austausch oder von ausgewählten Eliten die das angebliche Machtzentrum der Welt sein sollen. Der 400-Milliarden-Dollar-Milliardär verbreitet antisemitisches sowie rassistisches Gedankengut. Er greift in Kriege ein, wie beim Überfall des Imperialisten und Autokraten Putin auf die Ukraine. Nach dem Kauf der weltweiten Social-Media-Plattform Twitter formte er sie zur rechts-verschwörerischen Propagandaplattform X um. So destabilisiert er nicht nur einzelne Gesellschaften, sondern die Weltgesellschaft als Ganzes. Im Zentrum seines Wirkens steht die unaufhörliche Verschiebung von Wahrheiten und Realität, zur Schaffung einer alternativen „Wirklichkeit“. Das weckt Erinnerungen an die Nationalsozialisten.
Während Kritiker*innen sich bisher, in Debatten um die Zusammenhänge von Kapitalismus und Faschismus, zu sehr auf fossilfaschistische Kollaborationen konzentriert haben, wird nun klar, dass Musk und andere Big Tech-Faschisten bisweilen weit über diese Form der Machtkonzentration hinaus agieren: Der Feudalfaschismus scheint geboren.
Doch als sei dies nicht Bedrohung genug, steht die Weltgesellschaft einem sich aufbäumenden sozialökologischen Kollaps gegenüber. Dessen Ausmaße sind bereits so enorm, dass an die Stelle des Verhinderns lediglich das Abmildern tritt. Nahezu jede klimawissenschaftliche Analyse wird Jahr für Jahr übertroffen (1,5 °C wurden bereits 2024 überschritten) und der Zusammenbruch der ökologischen Stabilität (allem voran der Biodiversitätskollaps und die Degradation der Böden) wird im medialen Diskurs bis dato fatal vernachlässigt. Dies könnte sehr bald zu abrupten Katastrophen führen, die ganze Versorgungssysteme und Lieferketten zum Erliegen bringen werden.
Wer ist schneller: Der Feudalfaschismus oder der sozialökologische Kollaps
Dies ist verstrickt. So ist es auf den ersten Blick nicht immer leicht, zu verstehen, dass die fortlaufende Zerstörung von planetaren und lokalen Ökosystemen zu Systemzusammenbrüchen, in der Weltgesellschaft als Ganzes führen wird. Doch bevor es zu gänzlichen ökologischen Ausfällen kommen wird, werden die Symptome des sozialen und ökologischen Kollapses Gesellschaften so weit destabilisiert haben, dass autoritäre oder gar totalitäre Regierungsformen an die Stelle der mehr oder weniger freiheitlichen Demokratie treten werden.
Diese Tendenz können wir in Deutschland bereits beobachten. Eine Mischung aus zahlreichen Faktoren und Akteur*innen erzeugt bereits jetzt eine essentielle Gefahr: Die Angst vor den Folgen des sozialökologischen Kollapses; die Leugnung wissenschaftlicher Fakten und real existierender Katastrophenereignisse; dafür verantwortliche Propaganda von fossilfaschistischen Koalitionen. Letztere bestehen aus der Springerpresse und anderen noch extremeren Propagandablättern, rechtskonservativen, rechts-neoliberalen (CDU/CSU und FDP) Parteien und einem ganzen Sammelbecken an rechtsradikalen, -extremen und faschistischen Kräften (AfD, Identitäre Bewegung, Neue Rechte u.a.).
Selbst die vermeintlich linksliberalen Parteien, wie SPD und Grüne, haben längst Moral und Anstand über Bord geworfen und beteiligen sich am Überbietungswettbewerb rechter Narrative, in der Hoffnung Stimmen für sich zu gewinnen. Doch erweisen sie sich nicht nur als unzuverlässig, wenn es darum geht die rhetorische Brandmauer nach rechts aufrechtzuerhalten, auch das Frönen neoliberaler Ausbeutungsideologie ist Teil ihrer Agenda. So sind auch sie Bestandteil einer wenig vertrauenswürdigen Politikriege, die ihre Entscheidungen mehrheitlich nach den Interessen des Profitlobbyismus richten.
Für das demokratische Souverän erweisen sie sich zunehmend als unzuverlässig, unberechenbar und unlauter, so dass der Unmut in der Gesellschaft weiter anwächst. Ein vielversprechendes Fundament für rechte Rattenfänger*innen, deren „Lieder“ von der angeblichen demokratischen Mitte einst komponiert und mittlerweile auch gesungen werden.
Wie können wir den Feudalfaschismus zurückdrängen und den Kollaps abmildern?
In meinem 2024 erschienen Sammelband „Vergesellschaftung und die sozialökologische Frage“ (Opens in a new window) geht es unter anderem um gemeinschaftsgetragene Gesellschaftsgestaltung und -organisation, als Mittel, um der aufkommenden fossilfaschistischen Bedrohungskulisse die Substanz zu entziehen. Zugleich soll Vergesellschaftung als Zweck für ein solidarisches Miteinander fungieren, womit nicht nur wirtschaftliche, soziale und kulturelle, sondern auch ökologische Stabilität geschaffen werden kann.
Das Buch fußt auf der Annahme, dass Akte und Formen der Vergesellschaftung bzw. der gesellschaftlichen Selbstverwaltung wohl die einzigen Chancen sind, um den sozialökologischen Kollaps abzumildern. So zielt Vergesellschaftung auf nichts weiter ab, als dass die Gesellschaft und ihre Vielfalt an Individuen und Kollektiven, die Asymmetrie der Machtkonzentration auflöst (Eigentumsfrage) und Verwaltung-, Entscheidungs- und Gestaltungsmacht auf ihre Seite holt.
Um dies anzugehen, bedarf es eines klaren und realen Feindbildes: Der Kapitalismus und sein Krisenzustand, der Faschismus. Erst dann lässt sich die Eigentumsfrage stellen, die als Fundament für den Kapitalismus und die gerade entstehende feudalfaschistische Weltordnung fungiert.
Um einen Einblick in das Anliegen das Sammelbandes zu geben, endet diese Einlassung mit einem Plädoyer aus dem Buch.
„Über das untrennbare Verhältnis von Kapitalismus und Faschismus
Unter anderem und insbesondere aus der deutschen Geschichte lässt sich eines lernen: Die Kapitalist*innenklasse ist bereit dazu, gemeinsame Sache mit Despoten, Diktatoren und Faschisten zu machen, wenn es für sie profitabel erscheint. Bevor sie Macht und Profit einbüßen oder schlichtweg zu ihrem Vorteil schlagen sie sich auf die Seite des Faschismus und fungieren künftig als ihre Geldgeber*innen. Der Faschismus ist so als ein Krisenzustand des Kapitalismus zu betrachten und kann als (zugespitztes) Mittel verstanden werden, kapitalistische Zwänge zu erhalten.
Dieses untrennbare Verhältnis hat in der Jetztzeit nicht an Gültigkeit verloren. Die gerade aufkommende faschistische Bedrohung setzt sich aus einer weiteren Komponente zusammen. Die in der Einleitung erwähnten Krisenphänomene durch den menschengemachten sozialökologischen Kollaps sorgen für Unsicherheit und Orientierungslosigkeit, sofern (wie aktuell) keine merkbar wirksamen Antworten darauf gefunden werden. Teile der Gesellschaft fühlen sich zunehmend zu Personen und Parteien hingezogen die ihnen (angeblich) einfache Lösungen präsentieren. Der Hang, autoritäre Bestrebungen zu unterstützen, verstärkt sich, und so sehnen sich manche nach einer stark erscheinenden Führerperson, die komplexe Probleme zu bewältigen behauptet.
Die 2020er-Jahre sind in Deutschland sehr von diesen Tendenzen und Entwicklungen geprägt, und so steht eine mehr oder weniger freiheitlich-demokratische Gesellschaft einem drohenden Neofaschismus gegenüber, der sich mittlerweile als größte Bedrohung (als eine Komponente beziehungsweise Version des sozialökologischen Kollaps) für die befreite Gesellschaft seit der Nachkriegszeit ausmachen lässt.
Der Ursache lässt sich dabei recht einfach erkennen, doch deren Bearbeitung bedarf einer komplexen Herangehensweise: Kollektivität. Die oligarchische Demokratie muss redemokratisiert werden. Großkonzerne und Super-reiche sind zu entmachten, da ihnen und einer Parteienlandschaft (die sich in weiten Teilen mehr für die profitorientierten Belange Erst- und Zweitgenannter einsetzt) nicht mehr zuzutrauen ist, die wirklich essenziell gefährlichen Problembegegnungen der Jetztzeit aufzulösen und dafür Sorge zu tragen, eine emanzipierte, inklusive und zukunftsfähige (echte) Demokratie zu fördern.
Vergesellschaftung als Bastion gegen die zweigliedrige Zerstörung des freien Lebens
Um die erneute Gefahr eines faschistischen Systems zu verhindern, muss dem deutschen Regierungssystem, das vom Profitlobbyismus durchzogen ist, Unterstützung zukommen. Eine (echte) Demokratie besteht aus mehr als gewählten Volksvertreter*innen, deren Handlungsfähigkeit und -wille in zu vielen essenziellen Belangen von einer oligarchischen Lightversion bestimmt wird. Wer den Kapitalismus inkonsequent herausfordert, bekommt Faschismus als Antwort.
Nur die Selbstermächtigung der Gesellschaft als Souverän wird imstande sein, der unwiederbringlichen Zerstörung von Lebensgrundlagen, Freiheit und Gerechtigkeit wirksam und rechtzeitig Grenzen aufzuzeigen: Vergesellschaftung ist nach diesem Verständnis nichts weniger als eine Bastion gegen die untrennbare zweigliedrige Zerstörung des freien Lebens.
Gleichzeitig […] muss ein Vergesellschaftungsprozess kritisch mit dem Wesen des Kollektivs umgehen, das es voraussetzt, vertreten will und dem es Selbstwirksamkeit ermöglichen will. Ein Blick in die Geschichte des ‚Dritten Reiches‘ und die Politik rechter Akteur*innen heute zeigt, dass die dualen Strategien der Enteignung und Vergesellschaftung effektiv genutzt werden können, um die Interessen einer als homogen angesehenen Mehrheit gegen die einer als Gegner*innen diffamierten Minderheit durchzusetzen. Die Frage, wie eine Gesellschaft und deren vorherrschenden politischen Institutionen, die durch Machtungleichheit strukturiert sind, durch einen Vergesellschaftungsprozess zu einer gerechten Verteilung an Macht kommen kann, ist demnach eine essenzielle, die sich jedes Vergesellschaftungsprojekt stellen muss.“ (1)
Wir sollten uns also beeilen. Wenn wir kein neues „Wir“ schaffen, dann macht es der Feudalfaschismus. Dieses „Wir“ wird im letzteren Fall jedoch ein exkludierendes, völkisches und sehr gewaltvolles sein.
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Mehr zum Thema Umweltzerstörung und gemeinschaftsgetragene Lösungsansätze findest du in meinem Sammelbänden „Ökozid“ und „Vergesellschaftung“.
Vielen Dank für dein Interesse und deine Unterstützung.:)
Solidarisch, Tino
1) Zitiert nach Tino Pfaff (Opens in a new window) (Hrsg.): Vergesellschaftung und die sozialökologische Frage. Wie wir unsere Gesellschaft gerechter, zukunftsfähiger und resilienter machen können, Oekom, München 2024, 512 Seiten, ISBN 978-3-98726-062-9. Zum Buchshop: https://ko-fi.com/tinopfaff/shop (Opens in a new window) ; Kostenloser Buchdownload: https://www.oekom.de/buch/vergesellschaftung-und-die-sozialoekologische-frage-9783987260629 (Opens in a new window)