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Tage der Wahrheit

Ist die Buchmesse tot?/ Wahrheit und Journalismus/ Gibt es Vorahnungen?

Frische Luft wird überschätzt – Buchmesse am Mittwoch

Kurz nach dem Ende der Buchmesse beginnt die Vorfreude auf die nächste. Eigentlich ist es dort schlimm: Voll, teuer und uneffektiv. Aber seit vielen Jahren gehe ich mit kindlicher Freude dort hin. Meistens hatte ich an den Ständen meiner früheren Blätter zu moderieren, sprang auch für verhinderte KollegInnen ein, dabei ergaben sich wahre Abenteuer. Vor einem Gespräch mit dem Fernsehkoch Tim Mälzer suchte mich dessen Manager auf und bat mich, bloß keine Fragen zu Mälzers aktuellem Kochbuch zu stellen, obwohl das doch gerade der Grund seines Besuchs war. Und keine Fragen zu Hackfleisch. Ich sprach dann mit dem arg abwesend wirkenden Mälzer über seelische Erkrankungen und Drogen in der Küche. 

Diesmal war alles anders. Die Messe war leer. An einem ganzen Tag traf ich dort so viele Freundinnen und Freunde wie üblicherweise in einer Viertelstunde. Alles, wonach man sich in den Jahren vor Corona sehnte, war im Überfluss vorhanden: Raum, gute Luft und Zeit zur freien Verfügung. Aber naja. Es war, als hätte man wegen einer Kinderkrankheit den Geburtstag eines Freundes oder den Karneval verpasst und die Eltern würden es für das rekonvaleszente Kind alles im Wohnzimmer simulieren. Manche Requisiten waren da, aber der Fun fehlte. Nun hoffe ich auf Oktober 22.

In dieser Woche begann mein erster Lehrauftrag für deutschen und französischen Journalismus an der Universität Mainz. In der ersten Stunde bat ich die KomilitonInnen, sich in Zweiergruppen gegenseitig zu interviewen und  dann ein kurzes Porträt der anderen Person zu schreiben. So lernen wir uns kennen. Es entstanden gute, witzige Texte. Ich fragte dann, welches Problem sie beim Schreiben hatten. In den Antworten wurde manche Details genannt. Aber das größte war ihnen noch gar nicht bewusst: Sie hatten nur eine einzige Quelle. Theoretisch hätte ihr Gesprächspartner irgendwas behaupten können. Wir müssen uns um die Wahrheit bemühen, nicht nur um den Text. 

Es sei denn, man möchte Chef bei der "Bild" werden. Dessen Wirken, etwa in der Amazon-Doku "Bild. macht.Deutschland!" (Opens in a new window) zu besichtigen, hat mit Journalismus wenig zu tun.  Julian Reichelt und  Springer-Chef Mathias Döpfner verfolgten eine undurchsichtige Agenda und beeinträchtigen den Ruf der Branche. An diesem Wochenende muss Döpfner bangen, ob etwa der Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre weitere Mails öffentlich macht und all sein Vermögen kann ihm nicht helfen. Wie sagte mir ein ehemaliger Vorstandsvorsitzender von Springer: "Das Haus hat noch keinem Glück gebracht."

Katharina von Medici (1519-1589) war als Regentin Frankreichs oft von ihren Kindern getrennt. Und als diese grösser waren, gingen sie selbst auf Feldzüge. In den Nächten aber hielt sie Kontakt: Mal sah sie einen Sohn verletzt am Boden, mal einen Sieg und fliehende Feinde. "Sie rennen weg!" rief sie in der Nacht, die entsprechende Nachricht vom militärischen Sieg des Sohnes erreichte sie aber erst Tage später. In der französischen Geschichtsschreibung hat sie - Ausländerin, Witwe, katholisch - schlechte Presse, wird als machtbesessene Giftmischerin beschrieben. Nicht ganz fair. Darum freute mich dieser Artikel im Guardian, der die wissenschaftliche Diskussion um "entangled minds" , um Vorahnungen und ferne Empfindungen, zusammenfasst. 

https://www.theguardian.com/lifeandstyle/2021/oct/23/premonitions-that-turn-out-to-be-true-is-there-science-to-explain-them-amelia-tait (Opens in a new window)

Der Schwiegersohn von Katharina von Medici war kein anderer als der spätere Henri Quatre, der Frankreich jeden Sonntag ein Huhn im Topf verprach. Seitdem gehört Geflügel zur französischen Identität. In Le Monde gab es das Porträt des legendären Geflügelhändlers Julien Bissonnet, dessen Familie schon seit Jahrzehnten Spitzenrestaurants mit Federvieh aus ganz Frankreich versorgt. Für seinen vierjährigen Sohn kocht er ein Gericht, das ihm schon sein Vater zuhause vorsetzte: Risotto mit den Rückenfilets vom Huhn.

https://www.lemonde.fr/les-recettes-du-monde/article/2021/10/07/le-risotto-aux-sot-l-y-laisse-la-recette-de-julien-bissonnet_6097504_5324493.html (Opens in a new window)

Kopf hoch, 

ihr

Nils Minkmar

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