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0,0% sicher. Alkohol

Im Nerdletter erfährst du regelmäßiges Neues aus der Wissenschaft, und zwar direkt von der Quelle. Ich bin Lorenz, promovierter Systembiologe und Forschungsgruppenleiter aus Hamburg, und heute geht es um die verblüffend eindeutige Wissenschaft hinter dem Alkoholkonsum.

Drei leere Bierflaschen im Gegenlicht auf einer steinernen Erhöhung vor einem Park mit Fahrrädern.
Es spricht doch nichts gegen ein gediegenes Bierchen, oder? Naja, wenn es 0,0% Alkohol enthält...

Wir sind nicht die einzigen, die sich am Alkohol berauschen

Die aktuellen Zeiten sind echt nicht leicht. Klimawandel, Krisen und Kriege. Dem Ganzen will man entfliehen, alles Schlechte vergessen, sich berauschen. Dabei hilft Alkohol; nicht nur uns Menschen. In der Tierwelt ist Alkoholkonsum durchaus weit verbreitet. In letzter Zeit habe ich häufiger von Vögeln gehört, die Cocktails von Menschen an Stränden stibitzen. Hier ist außerdem ein Beitrag von Schreibers Naturarium, in dem es um besoffene Insekten geht (Die Schnapsnasen unter den Insekten (Opens in a new window)). Apropos Schnapsnasen. Ich glaube zwar nicht, dass Nasenbären schon mal eine Steuererklärung abgeben mussten oder sich gegenseitig ausbeuten, aber auch sie bevorzugen ab und zu einen Alkoholrausch. Denn auf ihrem Speiseplan stehen die Früchte der tropischen Palme Astrocaryum standleyanum.

Eine tropische Palme mit alkoholhaltigen Früchten
Gonzalez Edgar - https://identify.plantnet.org/he/the-plant-list/observations/1018834972, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=135665767

Wenn die faustgroßen Früchte überreif sind, enthält ihr Fruchtfleisch bis zu 4,5% Alkohol. Damit können sich die Nasenbären berauschen, während wir ihren Lebensraum weiter zerstören. Aber Alkoholkonsum dient nicht nur dem Eskapismus. Bei uns Menschen spielt Alkohol seit Jahrtausenden eine Rolle – nicht nur als Genussmittel, sondern auch als sozialer Klebstoff. Die Wissenschaft vermutet sogar, dass unsere Evolution moderaten Alkoholkonsum begünstigt hat, weil er in geselligen Runden Vertrauen stärkt und Konflikte abbaut. Aber was einst evolutionär hilfreich war, birgt heute erhebliche Risiken – vor allem in einer Gesellschaft, in der Alkohol allgegenwärtig ist.

Warum greifen wir zum Alkohol?

Der Alkohol-Genuss und die damit einhergehende Geselligkeit werden von unserem Gehirn goutiert. Glücksgefühle werden mit Alkohol assoziiert und eine Gewöhnung und Normalisierung stellt sich ein. Ein weiterer Grund, warum Menschen zum Alkohol greifen, ist, dass es keine unmittelbaren Konsequenzen hat. There’s no glory in prevention, besagt ein viel zitiertes Bonmot. Vorsorgen bringt keinen Ruhm. Heißt: Wenn ich mir jetzt ein Bierchen genehmige, wird sich das erst merklich auf die Gesundheit meines Zukunfts-Ich auswirken. Verzicht wird nicht direkt belohnt. Aber Alkohol schadet direkt. Wie? Ich habe hier mal die Biologie des Alkoholkonsums aufgeschlüsselt.

Zellgiftologie

Ich lese bei Berichten häufig darüber, dass Alkohol ein “Zellgift” sei. Das ist zweifelsohne korrekt. Aber was bedeutet das? Im Großen und Ganzen sind die Belege dafür, dass Alkohol schädlich ist, sehr überzeugend. Auch im Kleinen wissen wir, was Alkohol mit Molekülen und Zellen in unserem Körper anstellt. Zoomen wir mal rein!

  1. Alkoholisierte Moleküle

Bei der Verstoffwechselung von Ethanol (so nennen Nerds den Alkohol, den wir trinken) entsteht Acetaldehyd. Diese Substanz ist sehr reaktiv und giftig, denn sie kann unser Erbgut, unsere Eiweiße und Lipide in unseren Körperzellen verändern. Dabei entstehen u.a. Sauerstoffradikale, die ungünstige Kettenreaktionen in Gang setzen können.

  1. Zellen sterben durch Alkohol

In den durch Alkohol geschädigten Zellen entsteht Stress. Ja, auch unsere Zellen können gestresst sein. Infolge dessen werden verschiedene Signalwege aktiviert, die zum Zelltod führen können, oder dazu, dass umgebende Zellen ebenfalls in Alarmbereitschaft versetzt werden. So breitet sich das Zellgift Alkohol aus.

  1. Organe im Suff

Das Organ, das eigentlich der Entgiftung dient, ist wesentlich vom Alkoholkonsum betroffen: Die Leber. Bei der Verstoffwechselung von Alkohol lagern Leberzellen immer mehr Lipide ein und die Leber verfettet allmählich. Das kann auch zu einer Leberzirrhose oder gar zu Leberkrebs führen. Der Darm wird durch Alkohol ebenfalls geschädigt und zwar gleich doppelt: Erstens dadurch, dass Alkohol die Darmwand angreift und porös macht. Zweitens wirkt sich Alkohol auf unsere Darmbakterien aus. Besoffene Darmbakterien sind nicht gesund für unseren Körper. Auch das Fettgewebe, das ich erforsche, verändert sich bei Alkoholkonsum und zerfasert und entzündet sich mit der Zeit. Nicht zuletzt hat Alkohol auch negative Auswirkungen auf das Gehirn. Die Gedächtnisleistung nimmt ab, eine Abhängigkeit prägt sich aus.

  1. Der Mensch als Ganzes

Wie schädlich Alkohol ist, und wie anfällig eine Person dafür ist, vom Alkohol abhängig zu werden, hängt von vielen Faktoren ab. Die Umwelt ist sicher nicht zu vernachlässigen, weswegen es wirklich ärgerlich ist, dass die Bundesregierung kein Werbeverbot für Alkohol durchsetzt. Auch eine höhere Steuer auf alkoholhaltige Getränke könnte den Konsum und Missbrauch reduzieren. Aber auch unser Erbgut spielt eine Rolle. Manche Menschen werden schneller krank als andere. Deshalb verstehe ich, wenn du dir jetzt sagst: Das wird schon so schlimm nicht sein.

Wasser in den Wein

Es gibt viele Gründe, die gerade einen moderaten Alkoholkonsum gutheißen. Vier von denen habe ich hier mal aufgelistet:

  1. “Das eine Gläschen am Abend kann doch nicht schaden…” Doch, denn auch moderater Konsum ist bestenfalls risikoarm nicht risikofrei. Außerdem kann auch aus moderatem Konsum, wenn er regelmäßig stattfindet, eine Abhängigkeit werden.

  2. “Aber wir dürfen doch wohl noch Anstoßen?” Das Problem dabei ist, dass die Zum-Feiern-gehört-ein-Glas-Sekt-Attitüde dem Alkohol in Deutschland eine gesellschaftliche Akzeptanz gewährt, die dazu führt, dass hierzulande jährlich etwa 1,4 Millionen Menschen mit krankhaftem Alkoholkonsum in medizinischer Behandlung sind und die Themen um Alkoholabhängigkeit tabuisiert werden.

  3. “Ich kenne eine Person, die hat immer getrunken und ist auch 90 Jahre alt geworden”. Das ist leider bestenfalls anekdotische Evidenz. Epidemiologische Studien liefern eine solide Datengrundlage, die nur eine Schlussfolgerung zulässt: Alkohol ist ein verflüssigtes Gesundheitsrisiko, vermindert Lebensqualität und -zeit.

  4. “Im Wein ist doch dieses Resveratrol, das die Gefäße entkalkt!” Stimmt. Damit wird bei moderatem Konsum das Risiko für bestimmte Herz-Kreislauferkrankungen gesenkt. Gleichzeitig erhöht sich bei moderatem Konsum allerdings die Wahrscheinlichkeit, an Brust- oder Darmkrebs zu erkranken, eine Fettleber zu entwickeln oder Bluthochdruck auszubilden.

Lorenz stößt mit einem Glas entalkoholisiertem Rotwein an.
Hier stoße ich mit entalkoholisiertem Wein an (Foto: Jasmin Schreiber)

Kein Alkohol ist die einzige Möglichkeit

Wenn die negativen Folgen des Alkoholkonsums so gut belegt sind, warum nimmt Alkohol in unserer Gesellschaft dann noch einen so wichtigen Platz ein? Die Politik müsste doch Maßnahmen ergreifen, um den Alkoholkonsum zu reduzieren. Ein Beitrag der Tagesschau, den ich unten verlinkt habe, legt nahe, dass aktive Lobbyarbeit dem entgegenwirkt. Denn die Bundesregierung hätte eigentlich strengere Regeln für Alkoholwerbung durchsetzen sollen. Konjunktiv. Wissenschaftliche Untersuchungen wurden beauftragt, aus dem Gutachten ging eine eindeutige Empfehlung hervor: komplettes Werbeverbot für Alkohol. Getan wurde: Nichts. Das ist das Gegenteil von evidenzbasierten Entscheidungen, es ist ein lobbygeleitetes Larifari auf Kosten von Gesundheit und Gesundheitssystem. Jedes Jahr sterben in Deutschland mehr als 40.000 Menschen an den Folgen ihres Alkoholkonsums. Die volkswirtschaftlichen Kosten, die durch Alkoholkonsum entstehen, beziffert das Bundesgesundheitsministerium auf 57 Milliarden Euro, jährlich. Dennoch liegt Deutschland laut WHO auf Platz 8 weltweit, wenn es um den Konsum reinen Alkohols pro Kopf im Jahr geht. Das muss man sich leisten können.

Hör einfach auf (die WHO)

Alkohol ist also schädlich für uns, und die einzig risikofreie Dosis ist 0,0%. Sowohl die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE) empfehlen, komplett auf Alkohol zu verzichten. Nun gibt es aber noch ein Argument, dass sich schwerlich entkräften lässt: Ein kühles Bier schmeckt einfach fantastisch. Das stimmt. Aber es gibt auch alkoholfreies Bier, in verschiedensten Sorten und Geschmacksrichtungen – absolut empfehlenswert! Es gibt außerdem entalkoholisierten Wein, Sekt, Champagner, Gin, Whiskey usw. Jasmin und ich haben eine komplette Hausbar mit 0,0%-Spirituosen bestückt; uns fehlt es an nichts!

Insofern: Probiere es doch mal aus, gänzlich auf Alkohol zu verzichten. Teile auch gern deine Gedanken zum Thema mit mir. Danke, und: Cheers!

Drei Nerd-Fakten in aller Kürze

  • Alkohol ist ein Gift: Beim Abbau von Alkohol entsteht Acetaldehyd, das in unseren Körperzellen ungute Kettenreaktionen in Gang setzt.

  • Bundesregierung in der Pflicht: Es muss ein Werbeverbot für Alkohol geben, Alkoholabhängigkeit muss enttabuisiert werden.

  • 0,0% ist die einzig sichere Dosis: Die WHO und andere führende Gesundheitsorganisationen empfehlen absoluten Verzicht, da jeder Tropfen schädlich ist. Alkoholfreie Alternativen bieten Genuss ohne Risiko!

QUELLEN

  • Ein Beitrag der Tagesschau, wie es dazu kam, dass Alkoholwerbung nicht eingeschränkt wird, obwohl das im Koalitionsvertrag der Ampelregierung stand (zuletzt geöffnet am 8.1.2025):

https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/alkohol-werbung-100.html (Opens in a new window)