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Besser Gemeingut

Die Idee ist bestechend: Warum sollten wir nicht die Orte, die für alle von Bedeutung sind, auch in den Besitz der Öffentlichkeit geben? Gut, einige Regeln wird es brauche, damit solche Raumexperimente nicht enden wie das Spülbecken einer Wohngemeinschaft – alle nutzen es, niemand fühlt sich verantwortlich. Doch das Konzept der Gemeinräume, der Common Spaces, kann auf historische Vorbilder verweisen. Bei den Allmenden etwa, den gemeinschaftlich bewirtschafteten Almen, hat das über Jahrhunderte gut funktioniert. Denn wenn alle etwas davon hatten, dann gaben sie auch darauf Acht, dass die gemeinsame Grundlage pfleglich behandelt wurde. Warum sollte das nicht auch heute funktionieren – bei Räumen, die sonst verloren gingen?

Oberhausen/Nordrhein-Westfalen, Heilige Familie: 1958 nach den Entwürfen der Architekten Rudolf Schwarz und Josef Bernard fertiggestellt, dient der Bau seit 2008 als “Tafelkirche”, als Ausgabe- und Lagerstelle der lokalen Tafelorganisation (Bild: Felix Hemmers, Baukultur NRW)

Oberhausen, Heilige Familie (Bild: Felix Hemmers, Baukultur NRW)

Räume teilen

Kirchenbauten sind solche Räume, die für eine oder gleich mehrere Öffentlichkeiten gebaut wurden und die heute mehr als bedroht sind. Dass ehemalige Gottesdiensträume an Diakonie oder Caritas übergeben werden, ist innerkirchlich oft das Mittel der Wahl, sieht man hier doch mit der Nächstenliebe einen der Kernaufträge erfüllt. Meist wird für diese Nachnutzung aber tief in den Bau eingegriffen. Dass es auch anders geht, zeigt die Kirche Heilige Familie in Oberhausen. 1958 nach den Entwürfen der Architekten Rudolf Schwarz und Josef Bernard fertiggestellt, dient der Bau seit 2008 als “Tafelkirche”, als Ausgabe- und Lagerstelle der lokalen Tafelorganisation.

In diesen Tagen überträgt ein Manifest den Gemeingut-Gedanken auf Kirchenbauten. Wolfgang Thierse (Bundestagspräsident a. D.) und Susanne Wartzeck (Präsidentin des BDA), der DAM-Kurator Oliver Elser (SOS Brutalism) und der Fotograf Martin Maleschka (Institut für Ostmoderne e. V.) und viele mehr unterstützen als Erstunterzeichner:innen diesen Aufruf: “Kirchen sind Gemeingüter!” Die initiative (Opens in a new window)kirchenmanifest.de (Opens in a new window) – ein breit aufgestelltes Bündnis (Opens in a new window) von zehn Partner:innen aus Baukultur, Forschung und Stiftungswesen, darunter moderneREGIONAL – ruft “dazu auf, der neuen Lage mit neuen Formen der Trägerschaft zu begegnen: mit einer Stiftung oder Stiftungslandschaft für Kirchenbauten und deren Ausstattungen.”

Münster in Westfalen/Nordrhein-Westfalen, St. Elisabeth: Seit 2014 dient die 1933 errichtete Kirche als Sporthalle für die benachbarte Montessori-Schule (Bild: Felix Hemmers, Baukultur NRW)

Münster in Westfalen, St. Elisabeth (Bild: Felix Hemmers, Baukultur NRW)

In Bewegung setzen

Die Hintergründe für die mit dem Kirchenmanifest angestoßene Debatte sind bekannt, wie es das Manifest zusammenfasst: “Immer weniger Gläubige nutzen die Räume, die Kirchensteuereinnahmen sinken, immer mehr Bauten werden außer Gebrauch gestellt oder gar abgerissen.” Dem stellt das Papier ein ganzes Bündel von Argumenten entgegen: Kirchen sind mehrfach codierte Orte, die Teilhabe einfordern. Theologisch argumentiert, sind sie radikal öffentliche Orte. Zwischen Arbeitsplatz und Zuhause dienen sie als Dritte und Vierte Orte, die Sinn- und Chancenräume anbieten. Und sie sind, samt ihrer Ausstattung, nachhaltiges Kulturerbe.

Oft ist gerade die Raumdimension, die unverstellte Höhe, die eine Kirchen als Bewegungsraum so gut ‘wiederverwertbar’ macht. Auf dem Land werden ehemalige Not- und Kleinkirchen daher gerne in Ballettstudios umgewandelt. Im hessischen Bad Orb opferte man zwar den Turm von St. Michael (Opens in a new window) (Johannes Reuter, 1964), will im Schiff aber das kommerzielle Bouldern und Klettern mit spirituellen Angeboten für Jugendliche verbinden. Und die Kirche St. Elisabeth (1933) in Münster dient – ähnlich wie St. Maximin in Trier – seit 2014 als Sporthalle für die benachbarte Montessori-Schule.

Neuendorf im Sande/Brandenburg: Dorfkirche: Der Turm der – im Kern mittelalterlichen – Kirche musste von der Gemeinde 1938 eingekürzt werden, um den nahegelegenen Flughafen nicht zu behindern. In Erzähl- und Ideenwerkstätten rund um die fehlende Turmspitze erwuchsen eine Ausstellung und ein Veranstaltungsprogramm (Bild: Jonas Ludwig Walter für Wider Sense TraFo)

Neuendorf im Sande, Dorfkirche (Bild: Jonas Ludwig Walter für Wider Sense TraFo)

Herausstechen lassen

Gerade am Umgang mit den Türmen lässt sich oft ablesen, wohin die Reise bei einer Kirchenschließung geht. Mal wird er mit der Begründung “Baufälligkeit” niedergelegt – und die Aufgabe des Schiffs folgt ein paar Jahre später. Mal bleibt der Turm als Relikt des vorherigen Gebäudes und soll den neu errichteten Wohnbauten etwas Ambiente verleihen. Im besten Fall wird die Geschichte des Glockenträgers, wie in Neuendorf im Sande, zum Anlass genommen, die Geschichte des Ortes neu zu erzählen. Hier musste der Turm der Dorfkirche von der Gemeinde 1938 eingekürzt werden, um den nahegelegenen Flughafen nicht zu behindern. In Erzähl- und Ideenwerkstätten rund um die fehlende Turmspitze erwuchsen eine Ausstellung und ein Veranstaltungsprogramm.

Gerade die Bauten des 20. Jahrhundert stecken voller Geschichten, wie sich Religion und Staat – mal produktiv, mal desaströs – aneinander gerieben haben. Für solche Kirchen der Moderne hebt das Kirchenmanifest hervor: In “ihrer Auseinandersetzung mit der modernen Gesellschaft bieten sie wertvolle Reibungsflächen, um unsere freie demokratische Gesellschaft weiterhin erfahrbar zu machen.” Kurz gesagt: Kirchen (jeden Alters) gehören allen. Deshalb fordert die initiative (Opens in a new window)kirchenmanifest.de (Opens in a new window) einen Schulterschluss, eine “breit aufgestellte Verantwortungsgemeinschaft mit Staat, Gesellschaft und weiteren Akteurinnen und Akteuren”. Damit liegt der Ball im Feld der breiten Öffentlichkeit, gemeinsam eine gute Zukunft für bedrohte Kirchenbauten möglich zu machen.

Karin Berkemann, 11. Mai 2024

hier das Kirchenmanifest online unterzeichnen (Opens in a new window)

moderneREGIONAL ist Teil der initiative kirchenmanifest.de (Opens in a new window)

Hürth-Kalscheuren/Nordrhein-Westfalen, St. Ursula: St. Ursula gilt als erste allein vom Architekten Gottfried Böhm geplante Kirche. Sie wurde 2011 zur “Böhm Chapel”, zum Raum für wechselnde Kunstausstellungen umgewandelt (Bild: Felix Hemmers, Baukultur NRW)

Hürth-Kalscheuren, St. Ursula: St. Ursula gilt als erste allein vom Architekten Gottfried Böhm geplante Kirche. Sie wurde 2011 zur “Böhm Chapel”, zum Raum für wechselnde Kunstausstellungen umgewandelt (Bild: Felix Hemmers, Baukultur NRW)

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