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Wintertauchen

Gespräch mit dem Chefredakteur am Telefon:

-Tach! Was macht Harry?

Nichts.

Zu diesem Zeitpunkt kam ich gerade aus der Dusche und es war mir wirklich höchst unangenhem - wie man sicher verstehen kann, nackt mit meinem Chefredakteur zu telefonieren. 

-Wat?

Ich kann es gerade nicht weiterlesen.

-Warum nicht?

Es macht mich traurig. 

-Dann überspring doch die Stellen, die dich traurig machn.

Ja, aber ich weiß doch vorher nicht, ob es mich traurig macht. 

-Anlesen und überspringen ist lejitim. 

So liest man doch nicht.

-Wer sagt, wie man lesen muss?

Niemand. 

-Niemand.

Weiter ist man sich noch nicht einig geworden. 

Liebe Leser und Leserinnen,

es wird nicht besser. Ich habe wieder versucht, Tickets in der Schaubühne für Eurotrash von Christian Kracht zu bekommen. Mit Joachim Meyerhoff. Regie führt Jan Bosse. Im März wird es gar nicht aufgeführt. Einen neuen Steuerberater habe ich ebenfalls noch nicht gefunden. Müsste ich mich entscheiden, würde ich vielleicht zuerst in Eurotrash gehen und dann einen Steuerberater finden. Oder ich finde erst einen Steuerberater und gehe dann zusammen mit ihm in Eurotrash

Ein komischer Ehrgeiz, der mich da gepackt hat. Dabei lese ich nicht mal Christian Kracht. 

Ernest Hemingway liest

(Foto: George Leavens)

Brief an meine Freundin Katharina vom 30.08.2001

[...] Du musst mir helfen. New York, London oder Paris? Diese drei Städte liebe ich über alles. Wo würdest du hinfahren? Ich will ja schon gerne mit dir fahren, aber du willst ja nicht und mit einer anderen Freundin will ich nicht fahren. Ich weiß, bis 2004 ist es noch lange hin, aber ich freu mich so doll, weil diese Städte meine absoluten Träume sind. Noch 1035 Tage oder 34 Monate. Such dir was aus. 

Ich hab mir vorgenommen, keine großen Ausgaben mehr zu machen und schon gar keine "unwichtigen" Sachen zu kaufen. Außer Geschenke für andere! Das Album und die Fotos kaufe ich aber noch, das habe ich ja versprochen. 

Ich bin mit meinem Buch fertig geworden. Jetzt lese ich "Dieser Hunger nach Leben". Es geht um eine Frau, die zu Unrecht zum Tode verurteilt wird. Jetzt ist für heute meine Nachricht zu Ende. Ich schreibe dir morgen noch ein paar Zeilen. 

Judith 

PS Wie immer H.d.g.d.l. und H.d.s.m.d.l.

Anmerkung der Redaktion: Dass die Kulturspalte einen scharfsinnigen Menschen gewinnen konnte, der eigens für sie aus einer fernen Oper berichtet, kommt nicht alle Tage vor.  Man möchte glatt den Newsletter jedem auf den Nachttisch legen. Kladderadatsch. Wir schalten um zu unserem Korrespondenten in Wien.

Oper

Strauss' Salome in Wien

von Clint Lukas

Wiener Staatsoper, Salome. Freund Stefan und ich haben Plätze in der linken Proszeniumsloge, die früher der kaiserlichen Familie vorbehalten war. Womöglich sitze ich in der zweiten Reihe genau an dem von Kaiserin Sisi bevorzugten Platz, die sich gern im Hintergrund hielt, um nicht vom Pöbel angeglotzt zu werden. Kurioserweise liegen die Preise dieser Platzkarten im niedrigsten Segment, das muss eine republikanisch gesinnte Entscheidung der Oper gewesen sein. Vielleicht hat es aber auch damit zu tun, dass man von dort nicht in die Verlegenheit kommt, einen Blick auf die Bühne werfen zu müssen.

Unbestreitbarer Vorteil jedoch: Ich genieße die perfekte Aussicht auf den Paukisten, dem ich dann auch die erste Stunde hindurch meine volle Aufmerksamkeit schenke. Erstaunlich, was der alles tun muss! Andauernd hat er kurze Einsätze, dazwischen blättert er hektisch in der Partitur oder spannt die Trommelfelle und legt dabei sein Ohr daran, um mit kleinen Fingerschlägen zu prüfen, ob sie richtig gestimmt sind.

Bei Salomes Tanz der sieben Schleier stehe ich auf, um einen Teil davon verfolgen zu können. Nach wenigen Takten wird die Sopranistin von einer jungen Tänzerin abgelöst, deren ekstatische Zuckungen von einem Mann mit Steadycam verfolgt werden (das Bühnenbild stellt eine Art High Society - Party im Mussolini-Stil dar). Der Gesang ist durchweg eher schrill, wobei ich nicht einschätzen kann, ob das so sein soll. Stefan sagt später: Nein, soll es nicht. Immerhin gibt es bei dem knappen, einaktigen Stück keine Gelegenheiten für das Publikum, mit Szenenapplaus zu stören, wie das in Berlin so gerne gemacht wird.

Nach einem kurzen Spätabendsnack bei Plachutta (Beef Tartar, Wiener Schnitzel und Ottakringer) besuchen Stefan und ich noch Freund Tschuschi in seiner gigantischen Kärnterstraßen-Wohnung. Bei Whiskey hören wir uns zum Vergleich Teile der legendärsten Salome-Inszenierungen an, u.a. mit Karan Armstrong. Keine Ahnung, ob es am Whiskey liegt, oder an mir oder Richard Strauss: Klingt irgendwie immer schrill.

Salome. Oper in einem Akt. Weitere Infos hier. (Opens in a new window)

Sehr verehrte Leserschaft,

kommt gut durch die nächste Woche. Die Kälte und die Pflichten drücken von allen Seiten. Man muss die Hand wie beim Zahnarzt heben, wenn es anfängt weh zu tun. 

Beste Grüße Judith Poznan

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