Gespensterbrief #12 - Charly - Eine Geschichte zum Lesen und Hören

Mein liebes Gespenst,

gehst du manchmal aus? Ist es dann etwas Besonderes oder gehört es für dich zum Gespensteralltag dazu? Mein Brotarbeitsplatz liegt genau an der Stelle, an der alle vorbeigehen, die irgendwo hinwollen. Ich bin immer mittendrin. Und manchmal, wenn es passt, gehe ich ins Café.

Im Café

mitten in der Innenstadt gibt es ein beabsichtigt unaufdringliches, aber eindeutiges Motto und das lautet immer noch Hygge. Gemütlichkeit. Der heiße Filterkaffee riecht nach nassem Holz, feisten Oliven und Tabak. Der Americano lässt sich sehr gut trinken und das vegane Bananenbrot schmeckt wie eine Erinnerung an Kindergeburtstage im Sommer.

Jene Geburtstage bei den reichen Kindern mit den großen Gärten, in denen der Rasen gleichmäßig kurzgeschnitten und grün ist. Es gibt sogar ein Trampolin und das bereits zu einer Zeit, in der das noch besonders war. Trampoline von höchstens einem Meter Durchmesser standen üblicherweise vor dem Fernseher im Wohnzimmer und wurden später im Schuppen verstaut, wo sie nach weiterer Einlagerungszeit schließlich auf dem Sperrmüll landeten.

Im Garten dieser Geburtstagsfeier gibt es auch ein Baumhaus, denn der Papa baut gerne mal was zusammen. Dafür trifft er sich mit seinem Vater oder auch „der Opa!“ hin und wieder für kleinere Bau- und Bastelprojekte rund um das Haus. Ein guter Ausgleich für den Papa, der beruflich sonst viel sitzen muss.

Hygge, Hygge! In unserer Erinnerung jedenfalls, beim Kindergeburtstag, gibt es auch Bananenkuchen und frisch gepressten Orangensaft ohne Zuckerzusätze. Apfelkuchen gibt es immer, darauf ist Verlass. Den hat die Oma gebacken. Und zwar mit ordentlich Puderzucker und unendlicher Liebe zur Familie. Gefeiert wird draußen, es gibt Spiele am und im Pool. Ein Pool! Alle tragen Badehose oder -anzug, nur ein einziges Kind fühlt sich unwohl.

Es ist Charly.

Charly, im Ernstfall Charlotte, die keine rhythmische Sportgymnastik macht, aber samstags um halb sieben aufsteht, um Inspector Gadget zu gucken. Sie wünscht sich jetzt in diesem Moment auf dem Kindergeburtstag einen Hubschrauberhut herbei, mit dem sie dann nach Hause fliegen könnte. Nach Hause bedeutet zu ihrem Game Boy, den Looney Tunes, ihrem ausgestopften Eichhörnchen und den Süßigkeiten. Aber Charly wird den ganzen Nachmittag auf dem Geburtstag bleiben und keinen Spaß haben.

Nun stechen wir langsam wieder mit der Gabel ins Heute und in das Bananenbrot im Café. Was soll Bananenbrot überhaupt sein? Es ist weder Brot noch Kuchen. Es ist dazwischen. Hygge, Hygge. Die Möbel im Laden sind aus braun-grauem Holz, leicht angeraucht, dick und grob, wie bei reichen Kindern. Große, weiche Kissen, samtig und taupe, liegen sie als Polster auf zusammengeschraubten und aufgebockten Europaletten. Die hat ein junger Vater gezimmert, der neben dem Leben zu Hause mit seiner Freundin und den Kindern (3 1/2 und 1) mehr Leben brauchte. Also sorgt er hier für Hygge. Zu Hause klappt das nicht so leicht, niemand dort braucht Möbel oder Americano oder Bananenbrot, sie brauchen nur seine Hilfe.

Aber lass uns lieber wieder über Charly reden.

Charlys Lieblingssongs zum Nachhören 🎶

Mein liebes Gespenst, was wäre die Welt ohne Geschichten? Danke fürs Lesen und Zuhören, ich umarme dich.

xoxo
Jess

NEU + NEU + NEU
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Illustration: fieberherz (Opens in a new window)

Musik: Madness In The Office by Rafael Krux
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License: license (Opens in a new window)