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Putzstation im Meer

Well, ich starte gleich in Medias Res. Wenn ihr wissen wollt, was in den letzten Wochen los war, scrollt gleich bis ans Ende des Newsletters. ABER ihr solltet lieber vorher die Putzerfische kennenlernen, denn um die geht es in dieser Ausgabe.

Stell dir vor, du wärst ein Fisch, der in der von Leben pulsierenden, wuseligen Welt eines Korallenriffs lebt. Und ja, ich denke jetzt auch an Nemo. Jeden Tag schwimmst du durch ein farbenfrohes Labyrinth, ernährst dich von Algen oder jagst kleinere Beutetiere, lauerst auf Krebse, dies das, was man eben so macht. Es ist ein geschäftiges Leben, nicht unanstrengend, und manchmal brauchst du halt einfach eine kleine Runde Wellness. So weit die Vermenschlichung. Jetzt aber Tacheles:

Auch Fische brauchen manchmal Hilfe bei der Körperpflege: abgestorbene Haut- und Schuppenpartikel müssen weg, manchmal hat man was zwischen den Zähnen, ab und zu setzt sich irgendein Schmutz in den Kiemen ab und na ja, Fische haben ja keine langen Arme mit Händen an den Enden, mit denen sie mal eben puhlen können, ne? 

Hier kommen die sogenannten Putzerlippfische ins Spiel, von denen es viele verschiedene Arten gibt. Sie sind die unbesungenen Helden des Ökosystems Riff und leisten einen einzigartigen und wichtigen Dienst für ihre Mitbewohner. Putzerfische können grob in fakultative und obligate Putzerfische eingeteilt werden. 

Service wird hier groß geschrieben

Die "fakultativen Putzerfische", wie der Blaukopf-Junker (Thalassoma bifasciatum), Thalassoma noronhanum (oft einfach mit "Lippfisch" bezeichnet) und der Klippenbarsch (Ctenolabrus rupestris), sind nicht ausschließlich auf ein Putzverhalten angewiesen, um sich zu ernähren. Klar, sie können ihr ganzes Leben lang dieses Putzverhalten zeigen, aber manche dieser Fische üben diese "Tätigkeit" nur in ihrer Jugend aus, um so viele zusätzliche Nährstoffe wie möglich abzugreifen. Diese Putzerfische können es sich also aussuchen.

Im Gegensatz dazu sind obligate Putzerfische wie die Hainasengrundel (Elacatinus evelynae) auf ein spezialisiertes Putzverhalten angwiesen, um sich zu ernähren. Anders als ihre Kollegen, die das unregelmäßig auf freiwilliger Basis machen, können sie daher nicht sonderlich wählerisch sein und haben deshalb ein größeres Spektrum an "Kundschaft", die sie abfertigen – und natürlich kümmern sie sich um mehr Parasitenarten und -formen. Die Hainasengrundel (ernsthaft, wie lieb ist dieser Name) zieht beispielsweise rund 110 Putzjobs am Tag durch. Das ist 'ne Menge!

Aber wie läuft so ein Reinigungsservice jetzt ab? 

Car Wash, Car Wash, uuuh!

Nun, Putzerfische haben einige Verhaltensweisen entwickelt, um das Vertrauen ihrer Kunden zu gewinnen. Erstens lassen sie sich an sogenannten "Reinigungsstationen" nieder, wo Fische, die eine gründliche Reinigung brauchen, für einen kurzen Termin vorbeikommen können. Ich weiß, man kriegt direkt Car-Wash-Vibes, aber es ist wirklich so. Wenn ein Fisch Hilfe bei der Körperpflege braucht, sucht er so eine Station auf und macht die Putzerfische durch bestimmte Schwimmmanöver und Bewegungen auf sich aufmerksam. Dadurch können sich die kleinen Dienstleister sicher sein, dass eine Annäherung gewünscht und vor allem sicher für sie ist.
Der Sicherheitsaspekt ist sowieso ein wichtiger. Deshalb befinden sich diese Stationen eben besonders häufig in Korallenriffen, weil es dort genug "bauliche" Vorteile gibt. Wände und Nischen bieten den Putzerfischen und ihrer "Kundschaft" genug Schutz, um das Business durchzuziehen ohne fürchten zu müssen, dabei von hungrigen Fischen angegriffen zu werden. Und anders als andere Fische, die eher in gedeckten Looks unterwegs sind, um nicht aufzufallen, machen die Putzerfische das Gegenteil: Sie sind oft sehr bunt gefärbt, um auf sich aufmerksam zu machen, genau wie ihre Kolleginnen, die Putzergarnelen.

(Periclimenes longicarpus, (c) Alexander Vasenin)

Sobald ein kleiner Schmutzfink vorbeikommt, machen sich die Putzerfische an die Arbeit und zupfen mit ihren kleinen Mäulern Parasiten und tote Haut ab.
Es wird dich vielleicht überraschen, dass einige dieser Kunden die größten Räuber des Riffs sind: Haie, Zackenbarsche und andere Räuber könnten die Putzerfische leicht wegsnacken, machen sie aber nicht. Stattdessen unterwerfen sie sich dieser sanften Reinigung. Putzerfische sind sogar dafür bekannt, dass sie direkt in das klaffende Maul ihrer Kunden schwimmen und furchtlos deren Zähne und Kiemen säubern. 

Das klingt alles harmonisch und aus Menschenperspektive niedlich, allerdings hat das nichts mit Nächstenliebe zu tun – die Fische machen das, um in einer Nische zu überleben. Auch unter Putzerfischen ist der Weg von der mutualistischen Symbiose mit ihren "Kunden" zum Parasitismus nicht weit. Das ist der Fall, wenn der Fisch nicht nur die Parasiten eines anderen Fischs, sondern auch für die Fische wichtigen Schleim oder gesundes Gewebe des frisst. 

Putzerfische, insbesondere fakultative Putzer, nutzen ihre ausgeprägte Gedächtnisleistung, um den Wert potenzieller Kunden abzuschätzen. Diese Fähigkeit hilft ihnen zu entscheiden, ob sie in einen Kunden Zeit und Mühe investieren oder stattdessen schummeln und Schleim oder Gewebe verzehren. Bei der Untersuchung von Interaktionen zwischen Putzerfischen und ihren Kunden wurde festgestellt, dass Putzerfische die Kunden durch taktile Reize stimulieren, um eine Beziehung aufzubauen und das "Vertrauen" des Kunden zu gewinnen.
Diese Interaktion kostet den Putzerfisch zwar Zeit, die er nicht zum Fressen nutzen kann, doch dieser Kompromiss ist wichtig. Er reduziert seine Fütterungszeit zwar auf ein Minimum, doch ist der Aufbau einer nachhaltigen Beziehung zum Kunden wichtig, was auch zum Konfliktmanagement mit möglicherweise räuberischen Kunden beiträgt.

Perfekte Täuschung – der Trittbrettfahrer

Es gibt aber auch hier, wie in allen Bereichen, in denen es um tierische Interaktionen geht, auch Trittbrettfahrer. Es gibt beispielsweise einen sehr gut angepassten Nachahmer, der das Vertrauen der Kundschaft in die Putzerlippfische ausnutzt. Ich spreche hier von Aspidontus taeniatus, dem "falschen Putzerlippfisch". Er ist ein Mitglied der Säbelzahnschleimfische, einer Fischgruppe, die für ihren länglichen, schuppenlosen Körper und ihre rasiermesserscharfen Zähne berüchtigt ist. Der falsche Putzerlippfisch ist ein Meister der Tarnung. Er ahmt den gewöhnlichen Putzerlippfisch (Labroides dimidiatus) in Form, Farbe und Schwimmstil so perfekt nach, dass die Beute, die ungeduldig für die Reinigungsleistung Schlange schwimmen, nichts bemerken.

Wenn sich jetzt ein putzwilliger Fisch dem falschen Putzerlippfisch nähert, erwartet er, dass er von lästigen Parasiten und toter Haut befreit wird. Der falsche Lippfisch nutzt die Gelegenheit jedoch und beißt seiner ahnungslosen Beute  – zack! – Stücke der Flosse und der Haut ab.

Putzservices sind weit verbreitet

Dieses Putzphänomen gibt es jedoch nicht nur bei Fischen oder Garnelen. 

Wären wir jetzt in einer afrikanischen Savanne unterwegs, könnten wir den unscheinbaren Flussregenpfeifer in Aktion erleben, wie er sich furchtlos in die beeindruckenden Kiefer von Krokodilen hockt und dort sorgfältig die Überreste ihrer letzten Mahlzeiten rauspuhlt. Das Krokodil verharrt dabei ganz gelassen mit weit aufgesperrtem Maul und lässt seinen gefiederten Zahnarzt gewähren. In dieser symbiotischen Beziehung wird der kleine Vogel mit einer nahrhaften Mahlzeit belohnt, während das Krokodil von besserer Zahnhygiene und reduzierten Infektionsrisiken profitiert.

Und in den üppigen, feuchten Regenwäldern Südamerikas, wo eine Vielzahl farbenprächtiger Lebewesen zu Hause ist, lässt sich das Wasserschwein, das größte Nagetier der Welt, gemütlich an einem Wasserloch nieder. Sobald es sich entspannt, wird es von einer Vogelbrigarde umschwirrt, die die gutmütigen Nager von Insekten befreit. 

Putzservice in der Natur? Bin ich Fan, sag ich ehrlich.

Und jetzt: Jasmin, wo warst du?

Ja, haha. Ha. Ach das. Ich war und bin da, wo wenig Sonne scheint, in einem fernen Land namens Depressionien, Bevölkerungszahl: viele Millionen. Reiseempfehlung kann ich nicht aussprechen, eher ne Reisewarnung, na ja. Ich hab all diese schönen Beiträge gebaut und mich nicht getraut, sie loszuschicken, weil ich plötzlih davon ausging, dass ich SCHRECKLICH bin. Also eigentlich dachte ich das nicht, aber in Depressionien hat man mir das erzählt und naja, you gotta trust the Queen, no? 

Jedenfalls habe ich mich nicht getraut, euch die "schlimmen" Texte zu schicken. Und ich sag wie es ist: Ich stehe immer noch am Flughafen in diesem dunklen Land, bin noch nicht abgereist, habe aber eine sehr interessante Funktion bei Steady gefunden, von der JEDE:R wusste, wirklich jede Person – nur ich nicht. Denn man kann Beiträge vorplanen und die gehen dann AUTOMATISCH raus. Wie wild, what a time to be alive! So, peinlich genug, jedenfalls habe ich für die nächsten Monate Inhalt da reingeladen und selbst, wenn ich noch weiter in Depressionien versuppe, kriegt ihr eure Post. Oder wenn ich mich zu einem sabbatical in der Arktis entschließe um bei Robben ein Praktikum zu machen, damit ich lerne, wie kugelrund ich mich futtern muss, um nicht mehr dauernd zu frieren. Oder wenn ich ein paar Wochen wie eine Flechte auf einem Baum leben will, was weiß ich.

Okay. Und. In 2 Wochen kommt auch mein Buch SCHREIBERS NATURARIUM raus, ich hab gerade kaum Energie das zu bewerben, hab es aber geschafft 8.000 Bücher zu signieren; ja, wie versprochen die gesamte erste Auflage. Premiere oder so gibt es aber wohl nicht, so Veranstaltungen gibt es in Depressionien nicht wurde mir von der dortigen Verwaltung gesagt, na ja. Aber vielleicht schaut ihr es dennoch an, tun wir einfach so, dass ich jetzt hier die letzten Wochen angemessen ausführlich Werbung dafür gemacht habe (habe ich nicht), dass ich die nächsten 2 Wochen noch angemessen ausführlich und viel Werbung dafür machen werde (werde ich nicht), und dass ihr das deshalb bestellt oder auch nicht, Dings. 

Hier ein Foto, nachdem ich am ersten Tag 5.000 Bücher signiert hatte. Trifft meinen aktuellen Zustand ganz fantastisch.

Übrigens: Wenn es euch genau so geht, also wenn ihr in Depressionien seid, hab mit dieser Nummer von der Deutschen Depressionshilfte gute Erfahrungen gemacht. Super gut für Betroffene UND Angehörige, wenn ihr Infos sucht, unsicher seid, wie was funktioniert, dies das. Schiebe sie euch mal diskret rüber, just in case. We're all in this together. -> 0800 3344533 (kostenfrei).

https://www.deutsche-depressionshilfe.de/depression-infos-und-hilfe/wo-finde-ich-hilfe/info-telefon (Opens in a new window)

Und: danke an alle Unterstützis, die geblieben sind. Ich verdanke euch meine Krankenversicherung, seriously. Lieb euch dafür, weil na ja, ich sag mal so: Als chronisch Kranke bin ich eher Intensivnutzerin, nech. Ehem.

Seid lieb zueinander, und denkt dran: Alles für die Assel, alles für den Club!

Jasmin

Quellen: 

https://de.wikipedia.org/wiki/Klippenbarsch (Opens in a new window)

https://de.wikipedia.org/wiki/Hainasengrundel (Opens in a new window)

Grutter, A.S., Bejarano, S., Sun, D. et al. Indirect effects of cleaner fish Labroides dimidiatus on fish grazing per reef area and benthic community structure. Mar Biol 169, 135 (2022). https://doi.org/10.1007/s00227-022-04122-y

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