Russland gewinnt den Kalten Krieg
Es ist viel los momentan, mal wieder. Die Zeit rast im zweiten Trumpzeitalter; Präsident Selenskyj wird angeschrien im Oval Office, Behörden werden aufgelöst, staatliche Programme für Umwelt, Soziales und Was-Weiß-Ich-Nicht-Alles werden gestrichen, die Ukraine-Hilfen fallen weg, Zölle sind mal da und mal wieder weg; und ob es die NATO morgen noch gibt, steht jeden Tag neu zur Debatte.
Die Flood-the-Zone-with-Shit-Politik (Opens in a new window) von Donald Trump kennt vor allem einen Gewinner: Wladimir Wladimirowitsch Putin. Der Kriegsverbrecher im Kreml muss Trump-bedingt momentan eine derart gute Zeit haben, dass man sich fragt, ob der Krimsekt reicht für die wochenlange Champagnerlaune in Moskau.
Trotz des Untergangs der Sowjetunion im Jahr 1991 gewinnt Russland den Kalten Krieg – nachträglich, im Jahr 2025, Donald Trump sei Dank. Alte Bündnisse bröckeln; der Westen erodiert; die USA kippen täglich mehr in eine putinfreundliche Autokratie (Opens in a new window). Davon überrascht und überrumpelt sind alle Beteiligten, vermutlich Russland inklusive.

Nur die Wurst hat zwei
Vorhergesagt war das alles ganz anders.
Der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama wurde vor über dreißig Jahren weltberühmt mit der Idee vom „Ende der Geschichte (Opens in a new window)“. Die These (vereinfacht): Die rechtstaatliche Demokratie westlicher Prägung setzt sich durch. Der Eiserne Vorhang (Opens in a new window) ist Geschichte, Konkurrenzmodelle haben versagt, die Systemrivalen werden weniger. Ab jetzt heißt es: „Demokratie, juhu!“
Offenbar hat nicht nur die Wurst zwei Enden, sondern auch die Weltgeschichte. Die liberale Demokratie westlicher Prägung wird nämlich jetzt gerade genau dort massiv angegriffen, von wo sie als Exportmodell in nicht wenige Teile der Welt hinauszog – im ältesten durchgehend demokratischen Staat der Welt (Opens in a new window), den USA (Demokratie gibts in den Vereinigten Staaten seit 1776; zweitälteste durchgängige Demokratie ist die Schweiz, seit 1848; gefolgt von Neuseeland, das seit 1857 demokratisch ist). Um die demokratische Misere in den USA zu sehen, reicht ein willkürlicher Blick in die gefühlt zweihundertsiebzig Anordnungen und Dekrete, die Donald Trump täglich in die Welt schickt (sofern er nicht gerade golft (Opens in a new window)):
Wo bleibt der Widerstand?
So erklärt der amerikanische Präsident fast nebenbei, dass Studentenproteste an Unis ab jetzt im Grunde verboten sind. Andernfalls würde man die Universitäten finanziell ruinieren, Studierende wahlweise exmatrikulieren, in Heimatländer zurückschicken oder gleich ins Gefängnis stecken. Diese im Grunde faschistische Ankündigung – das Demonstrationsrecht ist ein fundamentales Bürgerrecht, an Unis wie anderswo; solche Grundrechte zu beschneiden kennen wir aus Autokratien und faschistischen Staaten – wird lapidar beendet mit einem „Danke für Ihre Aufmerksamkeit“, als handele es sich um eine Verspätungsdurchsage im Zug. Ich musste dieser Tage viel an meine Podcastfolge mit dem Historiker Thomas Zimmer (Opens in a new window) denken, der mir schon wenige Tage nach der Wahl geholfen hat, die Situation zu verstehen. Ich rate allen, diesen Podcast zu hören, weil Thomas die historischen Umbrüche in den USA noch viel klarer auf den Punkt bringt, als ich es jemals könnte:
https://steadyhq.com/de/janskudlarek/posts/0e970a15-3217-494a-8c5a-4e2c8fdb59e3 (Opens in a new window)Schon im November warnte er:

Was viele verwundert, mich inklusive: Die ganz großen, flächendeckenden Proteste bleiben aus (Opens in a new window). Die US-Amerikaner scheinen vom Tempo der Trumpschen Umgestaltung der sozialen Wirklichkeit entweder sprachlos und überrumpelt – oder, noch schlimmer: damit einverstanden zu sein. Die Proteste (Opens in a new window), die es wiederum gibt – so trugen die Demokraten im Kongress bei Trumps Rede zur Lage der Nation (State of the Union (Opens in a new window)) die Protestfarbe Pink (Opens in a new window); einige hielten Schilder hoch (Opens in a new window); einzig ein Abgeordneter, Al Green (Opens in a new window), wagte lauten Widerspruch, was ihm einen sofortigen Rauswurf aus dem Saal, und, später, internationalen Respekt einbrachte – wirken recht hilflos und keineswegs ausreichend. Meine Hoffnung: Wenn die Zumutungen steigen und die Freiheiten schwinden, werden die US-Amerikanerinnen auf die Straße gehen und sich aktiver, vehementer und wirkungsvoller dem Trump-Regime widersetzen. Vielleicht, auch das hat die Geschichte gezeigt, muss es erst schlimmer werden, bevor es wieder besser wird.
Kein Albtraum, sondern Wirklichkeit
Überhaupt: Geschichte. Es gibt Momente, in denen ahnt man, etwas Historisches mitzuerleben, Zeitzeuge zu sein. Bei 9/11 war das so. Bei Corona war das so. Jetzt ist es ebenfalls so. Angesichts der rapiden Meilensteine, der Zeitenwenden und Singularitäten nicht bloß der letzten Jahre, sondern allein der letzten Monate und Wochen frag ich mich langsam: „Habe ich nicht genug bezeugt?! Ich wäre jetzt wirklich bereit für das Ende das Geschichte! Wann wird DAS LEBEN ENDLICH WIEDER LANGWEILIG??!!“
Mit diesem Gefühl bin ich nicht allein. Die US-Demokratin Jasmine Crockett (Opens in a new window) bringt den Wirklichkeit gewordenen Albtraum auf den Punkt, wenn sie sagt:
https://www.threads.net/@quentin.quarantino/post/DG0-urCJiyL?xmt=AQGzMD3gvNpQjpAbuJE6DGwBfentARl_vMURUqztcAlMRw (Opens in a new window)„This is not what we should be doing. Why are we fighting with Greenland? We’re fighting with Canada, we’re fighting with Mexico, yet we’re in love with Putin? What is happening? Like, this is not America (Opens in a new window). This is a terrible nightmare. Somebody slap me and wake me the f**k up because I’m ready to get on with it.“
Die Hoffnung auf langweilige Zeiten dürfte jedoch enttäuscht werden, zumindest was die nähere Zukunft angeht.

Während Donald Trump nicht nur die Ukraine, sondern ganz Europa fallen lässt wie eine heiße Kartoffel (und damit Spekulationen anheizt, Putin könne etwas gegen Trump persönlich in der Hand (Opens in a new window) haben), steht Europa fester an der Seite der Ukraine als je zuvor. Die vermutlich zukünftige deutsche Regierung kündigt an, mit „Whatever it takes“-Mentalität (Opens in a new window) aufzurüsten, während ein EU-Sondergipfel in Brüssel (Opens in a new window) in die ähnliche Richtung denkt. Europa kommt an in der neuen Realität, dass die USA nicht nur die Seite Europas verlassen haben, sondern, sagen wir es ruhig, jetzt fest an der Seite Russlands (Opens in a new window) stehen. Möglich macht es die autokratische Mentalität eines Donald Trump, der sich eher als König (Opens in a new window) sieht denn als Präsident.
Für Europa bedeutet dieser Zeitenbruch allerdings auch eine Chance. Die zerbrochene Freundschaft mit den USA heißt: Wir werden unabhängiger werden. Wir werden unabhängiger von den USA, weil wir es müssen. Auf Wiedersehen, Vereinigte Staaten von Trumpistan! In Verteidigung, Wirtschaft und Technik werden Europa und die EU in Zukunft eigene Wege gehen, die weitgehend ohne den ehemaligen Freund, die autoritär, antidemokratisch und unzuverlässig gewordenen USA, auskommen.
Anders gesagt: Wir brauchen einen neuen Geist europäischer Einheit. Ein gemeinsames Vertrauen in europäische Stärke. Die europäische Kleinstaatenmentalität muss überwunden werden und wir sollten uns darauf besinnen, wer wir sind und, vor allem, wer wir zukünftig sein können – ein globaler Player, auch ohne die Vereinigten Staaten. Allerdings geht das nur gemeinsam, als kontinentale Gemeinschaft. Ohne eine schnelle, nachhaltige politische Vereinigung Europas sind wir schlichtweg: gearscht.
Nils Markwardt (Opens in a new window) findet in einer Tatortfolge von 1986 das passende geopolitische Gleichnis (Opens in a new window). Dort verkündet Ermittlerlegende Horst Schimanski:
„Für mich ist die ganze Welt ein großer Arsch. Und die rechte Arschbacke, das sind die Amerikaner, ja. Die linke Arschbacke sind die Russen und wir hier in Europa, wir sind das Arschloch.”
Viele Grüße,
Jan
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PS: Habt ihr den Podcast von mir und Franzi schon gehört? Ich habe mit Franzi von Kempis über den Wahlkampf gesprochen, über Polarisierung in der Politik, über kleine Anfragen und ihre große Wirkung. Es geht um Demos, um Merz, um die CDU - ebenso gibt uns Franzi Tipps, was wir tun können, um in schwierigen Zeiten den Mut nicht zu verlieren! ⬇️
https://steadyhq.com/de/janskudlarek/posts/5fbf2876-cdd8-4022-b610-bf83c6545465 (Opens in a new window)