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Als ich mich vor einigen Tagen an den Schreibtisch setzte,

um einen Artikel über die deutsche Pilotstudie zur Vier-Tage-Woche zu schreiben, schaute ich zuerst, ob mir andere Journalist*innen schon zuvorgekommen waren. An diesem Tag sollte bei der Landespressekonferenz in Düsseldorf der Abschlussbericht präsentiert werden. Ich war aber sicher nicht der einzige Journalist, dem die Ergebnisse bereits vorlagen. Die Sperrfrist für die Berichterstattung war 12 Uhr. Redaktionen halten sich nicht immer daran.

Dieser Newsletter hat eine Lesezeit von ca. 15 Minuten. Du hast auch die Möglichkeit, die gesamte Ausgabe zu hören, gelesen von Tilman Zick

Ich fand aber nur einige ältere Artikel über die Vier-Tage-Woche, und was mir bei der Suche auffiel, bemerkte ich auch in den nächsten Tagen immer wieder. Kaum ein Bericht verzichtete auf den Hinweis, dass es sich bei einer Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich um eine Wunschvorstellung handele, eine Idee, die zu schön sei, um wahr zu sein. So auch die Tagesschau, die um 20 Uhr über die Pilotstudie berichtete. (Opens in a new window)“Weniger arbeiten fürs gleiche Geld? Für die meisten Arbeitnehmer ist das Wunschdenken”, leitete Susanne Daubner den Beitrag ein.

Ist es das?

Ich musste an einen Satz denken, den Teresa Bücker in einem Interview sagte, als ich sie gefragt habe, wonach sich Menschen eigentlich genau sehnen, wenn sie sich mehr Zeit wünschen. Sie antwortete, dass es um eine Sehnsucht gehe, die in unserer Gesellschaft verdeckt wurde. “Wir sind mittlerweile an dem Punkt, an dem viele das als eine Träumerei deuten und verinnerlicht haben: Dieser Wunsch, mehr Zeit für mich selbst oder für Freundinnen und Freunde zu haben, der ist unrealistisch. Wir befinden uns fast in einer politisch-gesellschaftlichen Resignation. Dabei ist den meisten Menschen nicht bewusst, dass sich Zeit politisch verhandeln lässt.”

Der wiederkehrende Verweis auf das Wunschdenken zeigt, dass wir uns scheinbar komplett von der Vorstellung verabschiedet haben, dass die Wünsche der Menschen und die Realitäten der Wirtschaft identisch sein könnten. Gesunde Arbeit, genug freie Zeit und ein Leben ohne Dauerstress und Erschöpfung werden nicht als Grundlage eines guten Lebens verstanden, sondern als eine verzichtbare Zugabe, die den Interessen der Wirtschaft zuwiderläuft.

Tatsächlich zeigt die Vier-Tage-Woche aber, wie nahe sich die Interessen der Menschen und der Wirtschaft sein können. Ich beschäftige mich seit fünf Jahren mit der Vier-Tage-Woche. Damals war es eine kleine Sensation, als Microsoft in Japan das Modell testete. Ich schrieb darüber, und um zu betonen, dass es sich hier nicht um ein einzelnes Experiment handelte, sondern möglicherweise um den Beginn einer neuen Entwicklung, zog ich noch ein paar andere Beispiele heran: eine neuseeländische Vermögensberatung und eine US-amerikanische Weiterbildungsplattform.

Heute erzählt mir ein alter Bekannter aus der Grundschulzeit, der sich mit einer Haustechnikfirma in unserem Ort selbstständig gemacht hat, dass er seinen Mitarbeitern die Vier-Tage-Woche anbietet, weil man das heute so machen müsse, um gutes Personal zu finden. Er erzählte das mit einer Leidenschaftslosigkeit, die mich irritierte. Vielleicht lag es daran, dass es schwer ist, während einer Abflussreinigung lebhaft zu diskutieren. Tatsächlich glaube ich aber eher, dass es etwas darüber aussagt, wie Unternehmen mit diesem Thema umgehen.

Gar nichts ist sensationell daran. Unternehmen treffen eine strategische, wirtschaftliche und rationale Entscheidung, wenn sie eine Vier-Tage-Woche einführen oder die Arbeitszeiten auf andere Weise reduzieren und flexibilisieren. Die höhere Arbeitgeberattraktivität ist ein zentraler Grund für Unternehmer*innen, das Modell zu ermöglichen. Aber nicht der einzige.

Bei der Pilotstudie zeigte sich die mögliche Steigerung der Arbeitgeberattraktivität als größte Motivation der Organisationen, um das Modell zu testen. Quelle: Intraprenör, Universität Münster (Opens in a new window)

Unternehmen beugen sich nicht einfach einem Wunschdenken der Beschäftigten, das ich allerdings auch nie so bezeichnen würde. Einem Wunschdenken haftet etwas Irrationales an. Es stützt sich nicht auf handfeste Beweise und Realitäten, sondern auf naive, eigensinnige Vorstellungen und Sehnsüchte.

In der nüchternen Wirtschaftswelt gibt es für solche Denkweisen keinen Platz. Da geht es um Zahlen, nicht um Befindlichkeiten einzelner Arbeitnehmer*innen. So sehen es offenbar auch viele Redaktionen, die ihre Berichterstattung über die Vier-Tage-Woche von vornherein mit dem Framing versehen: Hier geht es um eine Wohlfühlmaßnahme und nicht um eine ernstzunehmende wirtschaftliche Strategie. Hier geht es um Menschen, die ihr persönliches Interesse vor die Interessen der Wirtschaft, also der Allgemeinheit stellen – und das in Zeiten einer Wirtschaftskrise!

Manche finden es unverantwortlich, angesichts der angespannten demografischen und Fachkräftesituation über kürzere Arbeitszeiten zu sprechen. Ich finde es unverantwortlich, fehlende Arbeitskräfte und kurze Arbeitszeiten zu beklagen, ohne Vorschläge zu machen, wie Menschen denn länger arbeiten könnten, wie das vorhandene Arbeitskräftepotenzial besser ausgeschöpft werden könnte oder wie Arbeit grundsätzlich anders organisiert und verteilt werden könnte.

Anders und besser, das heißt konkret: Menschen arbeiten gesund, effizient, wertschöpfend, zufrieden und motiviert. Wer das erreichen möchte, und wer will das nicht?, landet unweigerlich bei Wegen, die Organisationen mit der Vier-Tage-Woche einschlagen. Das heißt nicht (man muss es wohl immer wieder sagen), dass dies das geeignete Modell für alle ist. Es führt aber kein Weg an den Strategien, Werkzeugen und kulturellen Überlegungen vorbei, die eng mit dem Konzept und den Grundprämissen der Vier-Tage-Woche verbunden sind.

Mehr zu den Veränderungen, die die Organisationen während des Tests angestoßen haben, findest du im Interview weiter unten. Quelle: Intraprenör, Universität Münster (Opens in a new window)

Die Grundprämisse lautet: Menschen wollen nicht ihr gesamtes Leben auf die Erwerbsarbeit ausrichten, sie schaffen es auch gar nicht, weil sie weitere Verpflichtungen haben, die sie kaum mit ihrem Beruf vereinbaren können, nicht selten deshalb ausbrennen und Gesundheit und Lebensqualität verlieren. Also organisieren wir Arbeit neu, was dann eine Arbeitszeitreduzierung ermöglicht, was wiederum Menschen ein besseres Leben ermöglicht und was schließlich Unternehmen nützt, weil sie auf einmal zufriedenere und gesündere Mitarbeiter*innen haben und moderne, effiziente Arbeitsstrukturen.

Beides trägt dazu bei, dass die Produktivität – gemessen an Umsatz und Gewinn, und den Ressourcen, die dafür eingesetzt wurden – gleichbleibt oder sogar steigt. Das zeigen die Ergebnisse der deutschen Pilotstudie, so wie bereits andere Studien zuvor.

Quelle: Intraprenör, Universität Münster (Opens in a new window)

Um Wunschdenken geht es hier also nicht. Wunschdenken ist der immer wieder geäußerte Appell, dass die Menschen mehr arbeiten müssten. Wunschdenken ist, dass es die krankgeschriebenen und frühverrenteten Arbeitnehmer*innen, die nicht mehr können, nicht gibt. Wunschdenken ist, dass Menschen über unbegrenzte Zeit und Kräfte verfügen, sodass ihnen fünf Acht-Stunden-Tage pro Woche nichts anhaben können. Das alles ist Wunschdenken, weil die Hoffnung zwar vielleicht berechtigt ist, in der Wirklichkeit aber keine Basis hat.

Ich bedaure, dass Journalist*innen selten darauf hinweisen oder nachhaken, warum es eigentlich nicht so recht gelingen will, dass wir alle mehr arbeiten. Erwerbsarbeiten wohlgemerkt. Zu häufig kommen Politiker*innen und Wirtschaftsleute damit durch, höhere Arbeitszeiten zu fordern, ohne zu erklären, wie das erreicht werden könnte, und welche Hemmnisse dafür besetigt werden müssten.

Dabei würde auffallen, dass es tatsächlich Gruppen gibt, die mehr arbeiten möchten, aber daran gehindert werden, etwa durch fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten, Diskriminierung oder falsche Anreize (538-Euro-Jobs, Ehegattensplitting oder der Verlust weiterer Steuervorteile und Sozialleistungen). Und dass es andere Gruppen gibt, die unter den bestehenden Bedingungen nicht länger arbeiten können, weil sie schon lange ihre zeitlichen und körperlichen Grenzen erreicht haben und darüber hinweggehen.

Hier also ein paar Vorschläge für Fragen, die kritische politische und Wirtschaftsjournalist*innen ins nächste Interview mitnehmen können, wenn sie mal wieder mit Politiker*innen und Wirtschaftsvertreter*innen sprechen, die längere Arbeitszeiten fordern und die Faulheit der Bürger*innen beklagen:

  1. Was unternehmen Sie, um die Rekordfehlzeiten in den Unternehmen zu reduzieren und die Gesundheit der Beschäftigten zu fördern?

  2. Welche konkreten Pläne gibt es, um das Kinderbetreuungssystem so auszubauen, dass Eltern in den Arbeitsmarkt zurückkehren und ihre Arbeitszeiten flexibel gestalten können?

  3. Welche Fehlanreize in unserem Steuersystem oder Sozialsystem hindern Menschen an einer höheren Erwerbstätigkeit, und wie können diese abgeschafft oder reformiert werden?

  4. Wie können die Arbeitsbedingungen für ältere Arbeitnehmer*innen so gestaltet werden, dass sie möglichst lange im Arbeitsmarkt verbleiben, jedoch zu Bedingungen, die ihren Lebensumständen und Bedürfnissen gerecht werden?

  5. Warum bleibt die Arbeitslosigkeit trotz des Bedarfs an Arbeitskräften auf hohem Niveau, und wie ließe sich die Wiedereingliederung verbessern?

  6. Wie soll das Fachkräftepotenzial von Frauen, Migrant*innen und anderen benachteiligten Gruppen besser genutzt werden, und welche Strategien sehen Sie, um bestehende Barrieren abzubauen?

  7. Wie kann die Digitalisierung der Arbeitswelt so gestaltet werden, dass sowohl die Produktivität als auch das Wohlbefinden der Beschäftigten gefördert werden?

  8. Welche zusätzlichen Maßnahmen sind geplant, um Burnout, Stress und andere psychische Belastungen in Unternehmen präventiv zu bekämpfen?

  9. Wie wollen Sie die Arbeitsbedingungen in Berufen mit hohen körperlichen oder emotionalen Anforderungen verbessern, um Fehlzeiten zu reduzieren und Langzeitausfälle zu verhindern?

  10. Was tun Sie, um den öffentlichen Nahverkehr so auszubauen, dass lange Pendelzeiten für Arbeitnehmer*innen verringert werden und Arbeitsplätze in ländlichen Regionen attraktiver werden?

  11. Welche Auswirkungen erwarten Sie von längeren Arbeitszeiten auf die Produktivität und Zufriedenheit der Mitarbeiter*innen? Gibt es Studien, die dies belegen?

  12. Wie sollen Arbeitgeber dazu angeregt werden, Arbeitsplätze besser an die Lebensphasen der Arbeitnehmer*innen anzupassen, zum Beispiel durch Teilzeitmöglichkeiten für Eltern oder Sabbaticals für ältere Mitarbeitende?

  13. Welche Konzepte zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie halten Sie für besonders vielversprechend?

  14. Was ist Ihre langfristige Vision für die Zukunft der Arbeitswelt?

  15. Wie sieht eine optimale Balance zwischen wirtschaftlicher Produktivität und den Bedürfnissen der Arbeitnehmer*innen aus?

Ich habe diese Fragen teilweise mithilfe Künstlicher Intelligenz formuliert, ich mache schließlich nicht kostenlos die Arbeit meiner Kolleg*innen. Am besten gefällt mir übrigens die von der KI formulierte Frage 11.

Ich habe es mir auch nicht nehmen lassen zu fragen:

Die Aufzählung der Gründe lasse ich weg, denn sie sind den inseln der zeit-Leser*innen bereits bekannt.

Zum Glück habe ich aber nicht nur die KI, sondern auch echte Gesprächspartner*innen zu diesem Thema. Kurz nach der Veröffentlichung der Abschlussergebnisse habe ich mit Carsten Meier gesprochen, der das Pilotprojekt koordiniert hat. Er hat mir erklärt, warum Menschen mit einer Vier-Tage-Woche zufriedener und weniger im Stress sind und warum er sich mehr Offenheit im Umgang mit dem Modell wünscht.

Carsten Meier von der Berliner Beratungsfirma Intraprenör. Foto: Intraprenör

“Menschen mit einer Vier-Tage-Woche beginnen, ihre Zeit sinnvoll zu füllen”

Die Ergebnisse der ersten deutschen Pilotstudie zur Vier-Tage-Woche liegen vor. Was lief in Deutschland anders als bei früheren Tests im Ausland?

Ein großer Unterschied ist, dass unser Partner, die Universität Münster, viel Wert auf wissenschaftliche Qualität gelegt hat. Es gibt Kontrollgruppen, objektive Daten und einen im Detail ausgearbeiteten wissenschaftlichen Bericht. Dadurch entsteht eine Differenzierbarkeit, die ich bei anderen Studien im Ausland manchmal vermisst habe. Das führt aber auch dazu, dass wir nicht nur positive Zahlen veröffentlichen, sondern in manchen Punkten zurückhaltender sind.

Ihr habt beispielsweise keine Hinweise auf ein umweltbewussteres Verhalten oder eine deutliche Reduzierung der Krankheitstage gefunden, die sich in anderen Studien gezeigt hat.

Natürlich haben sich die Fehlzeiten seit Januar verändert. Anhand der Kontrollgruppe ohne Vier-Tage-Woche erkennen wir aber, dass es sich hier um einen saisonalen Effekt handeln könnte. Beide Gruppen haben weniger Krankheitstage im Sommer. Daraus leiten wir nicht ab, dass das eine Folge der Vier-Tage-Woche ist. Hier können wir nur einen möglichen langfristigen Effekt prognostizieren.

Quelle: Intraprenör, Universität Münster (Opens in a new window)

Ihr kommt aber zu dem Ergebnis, dass Beschäftigte mit einer Vier-Tage-Woche eine halbe Stunde pro Woche länger schlafen und insgesamt zufriedener sind. Woran liegt das?

Wir sehen objektiv anhand der Fitnesstracker-Daten, dass die Vier-Tage-Woche Stress reduziert und Menschen sich mehr bewegen. Meine Interpretation ist: Wir haben unser Leben stark auf Arbeit ausgerichtet. Viele Dinge, die aber auch zum Leben gehören, haben in einer Fünf-Tage-Woche weniger Platz: Hobbys, Sport, Freunde, Familie. Menschen mit einer Vier-Tage-Woche füllen die freie Zeit wieder sinnvoll und erleben eine höhere Lebenszufriedenheit. Davon profitiert auch die Gesundheit in hohem Maße. Nicht, weil die Arbeit leichter oder langsamer geworden ist. Sondern weil Menschen mehr Zeit mit Dingen verbringen können, die ihnen auch wichtig sind.

Könnte es sich bei diesen Effekten nicht um kurzfristige Reaktionen handeln, die mit der Zeit nachlassen?

Sechs Monate sind ein zu kurzer Zeitraum, um dauerhafte Effekte zu sehen. Das ist richtig. Aber irgendwo müssen wir ja anfangen. Viele Unternehmen testen die Vier-Tage-Woche auch nach der Pilotphase weiter. Die Universität Münster wird diese Firmen weiter begleiten, damit wir dann auch zu mittel- und langfristigen Effekten aussagefähig sind. Schon jetzt zeigen sich aber Ergebnisse, die man veröffentlichen und über die man diskutieren kann.

Diskutiert wird häufig, wie viel Effizienzsteigerung in den Unternehmen überhaupt möglich ist und welche Belastungen das möglicherweise mit sich bringt. Wie sind die Teilnehmer*innen der Studie damit umgegangen?

Wir haben mit den Unternehmen nach typischen Zeitfressern gesucht. Das sind bei Bürojobs häufig die fehlende Fokussierung von Meetings und ihre hohe Frequenz. Ein anderes Thema ist Digitalisierung, also die Frage, welche Aufgaben durch digitale Werkzeuge besser umgesetzt werden können. Das nimmt viel Arbeitszeit weg.

Ein drittes Beispiel sind Fokuszeiten. Die hohe Ablenkbarkeit und ständige Erreichbarkeit, die heute verbreitet ist, führt nicht dazu, dass wir besser arbeiten. Daher führen viele Unternehmen Zeiten ein, an denen die Angestellten konzentriert und ablenkungsfrei arbeiten können.

Eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich wird häufig als unrealistische Wunschvorstellung kritisiert. Tatsächlich hat die Mehrheit der teilnehmenden Unternehmen ihre Arbeitszeit um weniger als 20 Prozent reduziert. Haben die Kritiker*innen also recht?

Die Herausforderung bei der Diskussion ist, dass manche Firmen in Deutschland 40 Stunden auf vier Arbeitstage verteilen und das Vier-Tage-Woche nennen. Andere sagen, die einzig echte Vier-Tage-Woche ist eine Reduzierung der Arbeitszeit um 20 Prozent bei vollem Gehalt. Meine Antwort ist eher: Es kommt darauf an. Geht es nicht um die passende, flexible Lösung für das jeweilige Unternehmen? Da brauchen wir mehr Offenheit.

Quelle: Intraprenör, Universität Münster (Opens in a new window)

Warum sollten wir bei einer Arbeitszeit von im Schnitt 34,7 Wochenstunden der Studienteilnehmer*innen von einer Vier-Tage-Woche sprechen?

Die große Mehrheit hat bewusst einen freien Tag gewählt, weil sie einen positiven Effekt darin sieht. Die prozentuale Arbeitszeitreduzierung unterscheidet sich aber. Und das sehe ich positiv. Es gibt kein starres Modell, das den Erfolg bringt. Erfolgreich ist ein Modell, das zum Unternehmen, den Mitarbeitern und ihren Kunden passt. Wenn ein Unternehmen 36 Stunden auf vier Tage verteilt und damit gut fährt, finde ich das eine super Sache. Ich glaube an eine signifikante Arbeitszeitreduktion bei gleichem Lohn. Das muss aber nicht heißen, dass ein Modell der Vier-Tage-Woche besser ist als das andere. Das muss jedes Unternehmen selbst gestalten. Man kann am Ende viele Labels darauf schreiben. Hauptsache, wir machen uns überhaupt Gedanken darüber, wie wir Arbeitszeit neu gestalten können.

Aber wie sinnvoll ist das von euch verwendete Label Vier-Tage-Woche, wenn dann doch immer mal wieder am fünften Tag gearbeitet wird?

Die Studie hat gezeigt, dass der fünfte Tag eher die Ausnahme ist. Es gab einen Teil von Unternehmen, die das zwischendurch gemacht haben. Es gab aber auch ganz unterschiedliche Ausgangslagen der verschiedenen Firmen und Branchen. Manchen fiel es schwerer, sich strikt an einen komplett freien Tag zu halten. Sie haben das mit der Zeit entweder besser hinbekommen oder die Möglichkeit aufrechterhalten, aus Gründen der Flexibilität sporadisch auch mal zum Beispiel eine halbe Stunde am freien Tag zu arbeiten.

Für mich ist das aber eine positive Bilanz, weil ich sehe: Da sind viel Kreativität und Freiheit in dem Thema. Das wäre auch meine ausgestreckte Hand an die Kritiker: Wir können hier gemeinschaftlich für neue, kreative Arbeitszeitmodelle werben und nicht ein starres Modell durch ein anderes starres Modell tauschen.

Das Gespräch mit Carsten Meier habe ich vergangene Woche, wenige Tage nach der Präsentation des Abschlussberichts geführt. Die Organisatoren der Studie gehen jetzt davon aus, dass die Mehrheit der teilnehmenden Firmen das Modell beibehält. Mehr als 70 Prozent gaben an, die Vier-Tage-Woche über die Pilotphase hinaus fortzusetzen zu wollen. Dies deckt sich mit dem Wunsch der Beschäftigten: 68 Prozent der Befragten sagten, sie würden das Modell definitiv beibehalten wollen. Nur 9 Prozent sprachen sich klar gegen eine Fortführung aus.

Während der Testphase konnten die Unternehmen selbst entscheiden, wie sie die Vier-Tage-Woche umsetzen. 60 Prozent wendeten die Vier-Tage-Woche auf die gesamte Belegschaft an. Größere Firmen führten sie nur für einzelne Teams ein. Die durchschnittliche Arbeitszeit während des Tests betrug 34,7 Stunden und 4,5 Tage pro Woche. Vor dem Test waren es im Schnitt 38,7 Stunden und 4,9 Arbeitstage. Diese Entwicklung deckt sich mit anderen Tests, zum Beispiel in Großbritannien. Dort sank die durchschnittliche Arbeitszeit von 38 auf 34 Stunden.

Die teilnehmenden Unternehmen in Deutschland kamen aus unterschiedlichen Branchen, darunter Beratung und Dienstleistungen, Fertigung, Pflege, IT und Medien. Teilgenommen haben überwiegend kleine Betriebe mit 10 bis 49 Mitarbeitenden und mittelgroße Betriebe mit 50 bis 249 Mitarbeitenden, aber auch einige größere.

Quelle: Intraprenör, Universität Münster (Opens in a new window)

Den gesamten, bisher nur vorläufigen und in englischer Sprache erhältlichen Abschlussbericht zur Vier-Tage-Woche in Deutschland findest du hier:

https://www.intraprenoer.de/4tagewoche (Opens in a new window)

Ich finde die Ergebnisse sehr positiv und aussagekräftig. Auch aus wissenschaftlicher Sicht setzt sie neue Maßstäbe, etwa weil die Studie auch eine Kontrollgruppe untersucht und die Messinstrumente neben qualitativen Befragungen auch konkrete Daten wie beispielsweise Stresslevel, Schrittzahlen und Bewegungsdaten beinhalten. Was fehlt, ist eine langfristige Perspektive auf die Auswirkungen der Vier-Tage-Woche, die Einbeziehung großer Organisationen und eine genauere Untersuchung ökologischer Effekte. Auch die Daten zur Produktivität sind mit Vorsicht zu genießen, wie die Studie selbst zugibt.

Streiten lässt sich außerdem über die Sinnhaftigkeit des Labels Vier-Tage-Woche, wenn es der Mehrheit der Organisationen gar nicht gelungen ist, die Arbeitszeit um 20 Prozent zu reduzieren. Aus meiner Sicht ist dies aber vielmehr ein geeigneter Ausgangspunkt, um die Diskussion über eine allgemeine Arbeitszeitreduzierung fortzuführen. Erstaunlich finde ich bereits, dass sich die positiven Effekte für Wohlbefinden, Gesundheit und Zufriedenheit der Beschäftigten bereits durch eine Reduzierung von durchschnittlich nur vier Arbeitsstunden pro Woche zeigt.

Die oben gezeigte Grafik zum Stressempfinden zeigt deutlich, dass eine Vier-Tage-Woche die Stressminuten nicht nur an einem Tag in der Woche reduziert (dem freien Tag). Die Teilnehmer*innen erlebten gegenüber der Kontrollgruppe ohne Vier-Tage-Woche an sechs von sieben Wochentagen weniger Stress, was durchaus erstaunlich ist.

Die Studie zeigt, dass kürzere Arbeitszeiten keine Träumerei sein müssen, aber auch nicht vom Himmel fallen. Man muss etwas dafür tun. Mehr freie Zeit ist eine Strategie.

Meine aktuellen Termine:

9. Januar 2025: Salzburg, Afro-Asiatisches Institut: Haben wir unsere Zeit im Griff? (Opens in a new window), Zeitwerkstatt, 17–20 Uhr

Anfragen für Vorträge, Lesungen und Workshops an mail@stefanboes.de (Opens in a new window)

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Stefan

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