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Die Wissenschaft der Mischkultur

In meinen Beeten herrscht kontrolliertes Chaos – und das mit voller Absicht! Ich gärtnere nach den Prinzipien der Mischkultur, einer alten Methode, bei der Pflanzen sich gegenseitig helfen, schützen und fördern. Warum Mischkultur so wirksam ist, welche Rolle indigene Traditionen dabei spielen und wie du die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse ganz praktisch in deinem Garten anwenden kannst, erkläre ich dir jetzt! Am Ende findest du, wenn du ein Rotkehlchen oder Tagpfauenauge bist, den Link zu einem kleinen e-Book, dem Mischkultur-Spickzettel.

Manchmal wundern sich die Leute, wenn sie in meine Beete schauen. „Du hast ja ganz schön zu tun“, meinte eine Freundin vorsichtig, als sie auf ein zugewachsenes Beet blickte. Ein anderer Gast murmelte etwas von „schön wild hier“, während er fast über meinen Totholzhaufen stolperte. Die klassische Schrebergartenordnung sieht anders aus: gerade Reihen, jede Pflanze für sich, aufgeräumt und übersichtlich. Hier das „Tomatenbeet“, dort das „Kohlbeet“ und so weiter. Aber ich gärtnere naturnah – und die Natur funktioniert eben anders. Genau darauf setze ich. Mein Ansatz folgt den Prinzipien einer Methode, die älter ist als jede moderne Gartenzeitschrift: der Mischkultur. Hinter dem scheinbar wilden Durcheinander steckt die Idee, Pflanzen gezielt zu kombinieren, sodass sie sich gegenseitig schützen, unterstützen und bereichern. Anders gesagt: In der Natur ist Vielfalt die eigentliche Ordnung. Wer Pflanzen geschickt kombiniert, schafft nicht nur Schönheit und Fülle, sondern erhält gesündere Pflanzen, einen lebendigen Boden und eine höhere Artenvielfalt. Wir gehen rein!

Die Drei Schwestern: Eine uralte Erfolgsgeschichte

Die Mischkultur hat ihre Wurzeln tief in der Geschichte des Garten- und Ackerbaus. Lange bevor chemische Düngemittel und maschinelle Monokulturen die Landwirtschaft dominierten, setzten indigene Völker auf Pflanzenkombinationen. Bekanntestes Beispiel dafür sind die Drei Schwestern – Mais, Bohnen und Kürbis –, die seit Jahrhunderten in Nord- und Mittelamerika, und mittlerweile auch in unseren Gärten zusammen angebaut werden. Vielleicht kennst du das als Milpa-Beet.

Die Drei Schwestern stammen ursprünglich aus Mesoamerika. Innerhalb eines Zeitraums von 5.000 bis 6.500 Jahren wurden zuerst der Kürbis, dann der Mais und schließlich die Bohne domestiziert – und zwar bereits vor Jahrtausenden. Indigene Gemeinschaften in ganz Nordamerika bauten unterschiedliche Sorten dieser drei Pflanzen an, angepasst an lokale Klimabedingungen. Bei den Tewa und anderen Völkern des amerikanischen Südwestens gab es oft sogar eine „vierte Schwester“, die Rocky Mountain beeplant (Cleomella serrulata). Diese Pflanze sollte gezielt Bestäuber anlocken, um Fruchtertrag und Saatgutproduktion zu steigern.

In vielen Mythen der nordamerikanischen indigenen Völker spielen die Drei Schwestern eine zentrale Rolle. Bei den Haudenosaunee (bei uns bekannt als „Irokesen“) erzählt man sich, dass die drei Pflanzen tatsächlich Schwestern waren. Der Legende nach lebten sie einst als drei junge Frauen zusammen auf einem Feld. Die Jüngste, die Bohne, trug ein grünes Kleid. Die Mittlere, der Kürbis, trug ein gelbes Kleid. Die Älteste, der Mais, trug ein hellgrünes Tuch und hatte langes goldenes Haar. Ein junger indigener Jäger besuchte die Schwestern regelmäßig und beeindruckte sie mit Charakter und Jagdkünsten. Doch nach und nach verschwanden zwei der Schwestern und ließen die Älteste traurig zurück. Als der junge Mann dies bemerkte, lud er die einsame Schwester zu sich nach Hause ein. Überraschung: Dort waren bereits ihre beiden Schwestern, weil sie sich ebenfalls in ihn verguckt hatten. Seit diesem Tag sind die drei Schwestern unzertrennlich. Eine andere Schöpfungsgeschichte der Haudenosaunee erzählt, dass sich die „Erdfrau“ im Sterben wünschte, ihr Körper möge den Menschen Nahrung spenden. Aus ihren Brüsten, Händen und ihrem Bauchnabel wuchsen daraufhin Mais, Bohnen und Kürbis.

Praktisch funktioniert der Anbau der Drei Schwestern traditionell so: Sie werden in kleinen Erdhügeln gepflanzt, die jedes Jahr neu aufgehäufelt werden. Die Maispflanzen wachsen in die Höhe und dienen den Bohnen als natürliche Rankhilfe. Die Bohnen binden mithilfe symbiotischer Knöllchenbakterien Stickstoff im Boden, wovon alle drei profitieren. Zusätzlich stabilisieren die Bohnenranken den Mais bei Wind. Dazwischen wächst der Kürbis, der mit seinen großen Blättern den Boden beschattet, feucht hält und Unkraut unterdrückt. Zusammen bilden diese Pflanzen eine perfekte Symbiose, die hohe Produktivität und Stabilität gewährleistet.

Bereits europäische Aufzeichnungen aus dem 16. Jahrhundert berichten recht beeindruckt von der hochproduktiven Landwirtschaft indigener Gemeinschaften, die auf dieser Mischkultur basierte. Damals wie heute sorgte dieses System für ausreichend Nahrung, ermöglichte Handel und bildete die Grundlage für eine nachhaltige Bewirtschaftung. Der Geograph Carl O. Sauer bezeichnete die Drei Schwestern recht beeindruckt als einen symbiotischen Pflanzenkomplex aus Nord- und Mittelamerika, zu dem es nirgendwo sonst etwas Gleichwertiges gebe.

Doch Mischkultur wurde nicht nur in Amerika praktiziert. Bereits in der europäischen Antike beobachteten Naturforscher wie Theophrastus und Plinius der Ältere, dass bestimmte Pflanzenkombinationen besser gediehen. Trotz dieser Vorteile verschwand Mischkultur lange von der Bildfläche, verdrängt durch industrielle Landwirtschaft und deren Monokulturen. Heute erlebt sie eine Renaissance – nicht zuletzt dank engagierter Menschen wie Gertrud Franck.

Gertrud Franck: eine deutsche Biogarten-Pionierin

Wenn du heute im Netz nach Mischkultur suchst, findest du hunderte Anleitungen. Dass wir dieses Wissen selbstverständlich nutzen, verdanken wir Menschen wie Gertrud Franck (1905–1996). Nach dem Zweiten Weltkrieg experimentierte sie in Schwäbisch Hall mit Pflanzenkombinationen. Ihre Reihenmischkultur setzte gezielt auf Pflanzen, die sich gegenseitig unterstützen und schützen.

Franck war zwar keine akademische Wissenschaftlerin, arbeitete aber methodisch wie eine Forscherin. Sie führte kontrollierte Versuche durch, dokumentierte akribisch und stellte fest, dass Fraßschäden und Krankheiten stark zurückgingen, wenn bestimmte Pflanzen nebeneinander standen. Gleichzeitig verbesserte sie den Boden gezielt durch Gründüngung und Kompostierung, sodass der Ertrag auf gleicher Fläche immer stärker wuchs. Ihr Ziel: Frauen auf dem Land zeigen, wie sie nachhaltig und effizient Gemüse anbauen konnten – auch auf engem Raum.

Heute sind Francks Erkenntnisse aktueller denn je. Wenn du auf Pestizide verzichten und Artenvielfalt fördern willst, kannst du von Gertrud Franck viel lernen.

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Topic Anbau & Ernte

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