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„Ich habe meine Mama vermisst”

RauschVonBuch: Sabine Rennefanz „Frauen und Kinder zuletzt”

Meine Mama ist eine coole Socke, habe ich über sie schon einmal geschrieben? Ich weiß es nicht, vielleicht habe ich sie schon einmal erwähnt. Sie ist nämlich nicht nur eine Bomben-Oma, sondern echt eine Schulter für mich. Mal davon abgesehen, ist sie auch eine Schwiegermuddi, wie sie jeder oder jede haben sollte. Sie liest allen jeden Wunsch von den Augen ab. Ich kann hier gar nicht aufzählen, was meine Mama alles Großartiges leistet und geleistet hat.

Der Zufall will es, dass dieser Rausch erscheint, wenn der Muttertag naht. Ich gehe dann und wann auf Lesungen und Buchpräsentationen. Mittlerweile bekomme ich auch ab und zu ein Rezensionsexemplar zugeschickt. Für mich ist es selbstverständlich, dass ich dann auch über dieses Buch schreibe. So entsteht dieser neue Rausch. Ein Rausch von und mit Büchern. Übrigens schon der Zweite, dieser Art (Opens in a new window).

Die Journalistin Sabine Rennefanz kenne ich schon lange. Viele Jahre schrieb sie für die Berliner Zeitung, allerdings kamen mir ihre Texte immer nur in die Finger, wenn ich auch die Zeitung in den Händen hielt. Das wiederum kam nur vor, wenn unsere Nachbarn in den Urlaub fuhren. Ich folge ihr bei Instagram, seit ich sie als Moderatorin einer anderen Buch-Präsentation sah: Gemeinsam mit Franziska Schutzbach stellte sie deren Buch „Die Erschöpfung der Frauen“ vor. Beide Journalistinnen beeindruckten mich, das Thema sowieso und so fackelte ich nicht lange, als auch Sabine ein Buch herausbrachte: Frauen und Kinder zuletzt. Ich lies mir ein Rezensionsexemplar schicken und nahm meine Mama mit zur Präsentation ins Pfefferberg-Theater.

Meine Mama ist gelernte Schauwerbegestalterin. Ihr ganzes Arbeitsleben stand sie in Schaufenstern, dekorierte, baute  um, zog Figuren an und aus und sortierte die Innenräume einer bekannten schwedischen Modekette. Kurzum, sie liebt Mode und Klamotten noch immer sehr. So schnappte ich sie an diesem Tag und wir gingen nicht nur zur Lesung, sondern auch ein neues Sommerkleidchen kaufen und natürlich schön essen. Außerdem wurde es Zeit, meine Mama zu einer richtigen Feministin zu machen.

„Frauen und Kinder zuletzt“ handelt von den Effekten der Pandemie auf Frauen- und Kinderrechte. Sabine Rennefanz beschreibt in einem der Kapitel verschiedene gesellschaftliche Umbrüche nach Krisen, die zu mehr Gerechtigkeit führten und wie das gelang. Eigentlich fühlte ich mich nicht wirklich angesprochen von dem Thema, denn mein Mann und ich teilen wirklich viel nahezu gleich auf – ja, auch in der Pandemie kümmerten wir uns gemeinsam ums homeschooling.

Aber schon im zweiten Kapitel wurde ich eines Besseren belehrt und erkannte mich doch wieder – und das hat gar nichts unbedingt mit der Pandemie zu tun. Das Kapitel heißt: „Leben wie ein Mann.“ Ich habe nie darüber nachgedacht, wie ein Mann zu leben. Will ich auch gar nicht, ich habe das Glück, selbstständig und selbstbestimmt zu arbeiten. Ich habe auch das Glück, mich mit meinem Geschlecht zu identifizieren und mein Mann kümmert sich genauso, wenn nicht manchmal sogar mehr, um unser familiäres Glück. Aber allein die Tatsache, dass ich das hier so lobend erwähne, zeigt, dass auch in meinem Kopf noch längst keine Gleichberechtigung stattfindet. Warum muss ich denn erst ausufernd darüber schreiben und es deutlich sagen, dass der Gatte kocht und einkauft. Ist es nicht selbstverständlich? Mich lobt ja auch nicht ständig jemand, dass ich so mich um die Schularbeiten unserer Tochter kümmere, wenn sie nach Hause kommt und ich eigentlich arbeiten muss.

Sabine schreibt in diesem Zusammenhang, dass sie oft ein schlechtes Gewissen habe, wenn sie abends nicht pünktlich zu Hause ist. Sei es zum Abendessen oder um die Kinder ins Bett zu bringen. Ihr Mann hat das nicht. Wenn er weg ist, ist er weg. Verflucht dachte ich beim Lesen, so geht es mir auch. Ich bin immer mal wieder abends weg, oder auch mal ein ganzes Wochenende. Dann rufe ich zu Hause an, schicke Fotos mit Küssen und frage, ob sie Schularbeiten gemacht haben und was sie essen. Am schlimmsten ist es, wenn ich frage, ob ich vermisst werde. Mein Mann macht das nicht. Er weiß, dass er vermisst wird und vertraut darauf, dass ich Schulstullen schmiere. „Sei doch einfach weg und genieße es“, sagte er einmal am Telefon zu mir und bat mich darum, am folgenden Abend nicht mehr anzurufen, sondern einfach weg zu sein. Gar nicht so einfach.

Ich muss schmunzeln, als Sabine genau diese Stelle zur Lesung vorträgt und verbanne den Gedanken, auf mein Handy zu schauen, um zu gucken, ob zu Hause alles in Ordnung ist. Kurz darauf flüstert mir meine Mama ins Ohr: „Hast du mal geguckt, ob zu Hause alles ok ist?“ Beinahe lache ich laut und stoße dann mit Muddi an. Ich weiß schon, woher diese alten Denkmuster kommen. Und obwohl sie nie Hausfrau war, kümmerte sie sich dennoch um alles, was die Sorgearbeit anging. Hauptverdiener war mein Papa.  Als meine Tochter ungefähr im vierten Kindergartenjahr war, holte sie einmal mein Papa von der Kita ab. Er war sehr stolz und richtig entzückt, denn mich hat er nie abholen können. Er war einfach jeden Tag erst zum Abendessen zu Hause. Auch von ihm kommen meine alten Denkmuster. Immer wenn ich mal ein Wochenende nicht zu Hause bin, fragt er mich, wer sich denn um unsere Tochter kümmert. „Na ihr Papa“, sage ich dann etwas pikiert. Ist der mal nicht zu Hause, fragt keiner, wer sich denn ums Kind kümmert.

Ich habe mich zeit meines Mutterseins zerrissen gefühlt zwischen „Karriere“ und „Mama sein“. Wie oft wurde ich gefragt, ob ich denn nun mal einen „richtigen“ Job hätte und ob ich nicht Karriere machen wolle, schließlich habe ich doch studiert. Auf der anderen Seite wurde aber auch erwartet, dass mein Kind nicht zu lange in die Kita ging. „Aber spätestens 15.30 Uhr holst du sie doch ab?“, wurde ich von Familienmitgliedern älterer Generationen gefragt, selber noch auf Arbeit und ohne dabei an meinen Mann zu denken. Also ich sollte mein Kind doch lieber schon 15.00 Uhr abholen und „Karriere“ machen. Was auch immer das bedeuten sollte.

Sabine schreibt: „Mein Problem sind die tausend Gedanken, die Frauen durch den Kopf rasen, was alles erledigt werden muss. (…) Warum sah mein Mann das nicht? Warum rasen nicht durch seinen Kopf Tausende Gedanken? Weil er entspannter ist als ich? Weil er ein Mann ist? Kann er entspannter sein, weil er ein Mann ist und weil von Männern nicht erwartet wird, dass sie diese Aufgaben übernehmen?“

Ich las diesen Teil vorab meiner Mama vor und sie sagte schulterzuckend, „na das ist eben so. Männer merken so etwas nicht.“ Ist das tatsächlich so, oder können wir daran nicht etwas ändern? Ich weiß nicht, ob das wirklich so ist, merken Männer nichts oder fällt es ihnen einfach leichter, bestimmte Aufgaben, was die Familienorganisation betrifft, zu vergessen. Von ihnen wird auch weniger erwartet. Ein dreckig gekleidetes Kind oder ein immer wieder Erkältetes – es fällt auf die Mutter zurück. Sie wird zuerst angerufen. Am Ende dieses für mich entscheidenden Kapitels schreibt Sabine noch folgendes:

„Ich habe lange nicht wahrhaben wollen, wie weit mein eigenes Leben noch von echter Gleichberechtigung entfernt ist. Krisen zeigen nicht nur, wie eine Gesellschaft funktioniert – sondern auch, wie man selbst funktioniert.“ Chapeau! Dem ist nichts hinzuzufügen.

Und bevor ich jetzt endlich zum Schluss komme und jedem nahelege, dieses Buch zu lesen, schüttelte mich das Kapitel über Generationengerechtigkeit noch einmal richtig durch. Es heißt: „Die Renten sind sicher, die Zukunft der Kinder nicht.“ Dass das Wahlalter gesenkt werden sollte, sah ich schon lange genauso. Aber einige Politikwissenschaftlerinnen und Politikwissenschaftler empfehlen, das Wahlrecht auf das Schuleintrittsalter hinab zu senken. Darüber musste ich erst mal nachdenken. Aber klar, unser Land ist alt. Der Großteil der Bevölkerung ist alt. Die Klimakrise steuert auf ihren Höhepunkt zu und viele der Wählerinnen und Wähler werden dann nicht mehr da sein. Unsere Kinder schon. Warum dürfen sie nicht mitbestimmen, wie ihre Zukunft aussehen soll. Ein Argument gegen Kinderwahlrecht ist oft die fehlende politische Reife, schreibt Sabine. Sicherlich, Kinder können wahrscheinlich nicht die Schuldenbremse oder die kalte Progression erklären, aber können das denn alle anderen erwachsenen Wählerinnern und Wähler? Ich wage das zu bezweifeln.

Sabine erzählt oft von ihrer Mama, die gestorben ist und mit der sie gerne über dieses Buch gesprochen hätte. „Ich habe meine Mama während des Schreibens sehr vermisst“, sagt sie. Ich möchte mich melden und sagen, ich leihe dir heute meine: Hier sitzt sie! Aber dann finde ich es unpassend und klatsche lieber noch einmal kräftig in die Hände! Kauft dieses Buch! Es enthält wunderbare Gedankenanstöße und eine präzise Analysen der Situation von Familien und Kindern in unserem Land.

In diesem Sinne: „Prost Mama, du bist wunderbar!“
Deine Helen

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