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Die Geburtstagswoche

Die Zeit läuft 6, 16, 26, 36. Ich habe Geburtstag, also um genau zu sein hatte ich Geburtstag. Eigentlich hatte ich mit meinem Mann abgesprochen, dass ich für immer 33 bleibe und er dafür stets zwei Jahre älter wird. Funktioniert allerdings nur bedingt. Außerdem möchte ich lernen, mein Alter zu akzeptieren.

Es ist Montag. Morgen habe ich Geburtstag.

Ich werde 36 Jahre alt. Und ja, ich stelle mich an. Ich gehöre definitiv nicht zu denen, die sich keine Gedanken darüber machen, wie alt sie sind. Und ich möchte jetzt nicht hören, „ach, du siehts doch so toll aus. Gar nicht wie 36.“ Das stimmt erstens nicht und zweitens werde ich ja trotzdem 36. Die Hälfte ist rum. Zeit, Resümee zu ziehen. Noch mal 36 Jahre und ich habe die 70 überschritten. Hoffentlich.

Ich habe genau in der Mitte des Jahres Geburtstag. Mitten im Juni, wenn auch das erste Halbjahr bilanziert wird. Die Hälfte von 2021 ist vorüber, und jetzt? An diesem Geburtstag morgen ziehe ich aber nicht nur meine Halbjahresbilanz, sondern ich möchte ich auch eine kleine Helblebensbilanz ziehen. Wenn ich Glück habe, schaffe ich genau so viel noch einmal.

Ich habe schon ein bisschen was erlebt und ja auch gelebt, aber die Vorstellung, dass die Hälfte jetzt rum ist, beunruhigt mich. Vielleicht sind wir eine Generation, die zu viel nachdenkt? Oder denke ich zu viel nach? Manch einer würde jetzt sagen: „Na, du hast ja auch nichts zu tun? Kein Wunder, dass du dir solche Gedanken machst.“ Aber genau das ist ja mein Job, nachdenken und meine Gedanken in die Welt posaunen. Ich weiß nicht, ob es jemand liest und auch nicht wie viele. Aber wenn ich nur einige wenige mit meinen Texten beglücken kann, dann reicht mir das erst mal.

Ich habe eine Familie gegründet, führe eine glückliche Ehe, wir wohnen in einem kleinen netten Häuschen und ich habe ich einen Garten, der wächst und gedeiht. Ist das langweilig? Spießig? Ich bin langweilig. Ein zweifelhafter Tag, dieser Tag vor dem Geburtstag. Vorher habe ich erfolgreich studiert und mehrere Jobs gehabt. Ich war Backpacken und habe in verrückten Wohngemeinschaften gewohnt, ich habe getobt und Nächte durchgetanzt. Ich habe einige richtig gute Freunde und verstehe mich mit meinen Nachbar_innen. Was kommt noch? Ab jetzt bleibt es so. Soll es das gewesen sein? In 36 Jahren sitze ich dann immer noch hier und schreibe nichtssagenden Texte. Bis morgen.

Dienstag. Heute ist mein Geburtstag.

Jetzt also sehr eindeutig nicht mehr Anfang 30, auch nicht gerade erst Mitte, sondern schon richtig gegen Ende. Auweiauwei. Ich hänge ziemlich rum gerade. Ich hab fantastische Geschenke bekommen heute Morgen und nachher gibt es Prosecco, Pizza und Fußball - wie so oft an meinem Geburtstag. Sportveranstaltungen sind nicht selten um diese Jahreszeit.

Ich sitze auf den Boden in meinem Schreibzimmer und meine Stimmung ist schon viel besser als gestern. Ich freue mich, denn es ist MEIN Tag. Ich bekomme Anrufe und Nachrichten und beschließe, mein Mindboard aufzuräumen. Es ist Zeit: Der Frühling ist rum, bei 26 Grad Außentemperatur beginnt meine liebste Zeit des Jahres. Ich nehme alle klugen Sprüche ab und die Überlebens-Denk-Aufgaben vom Corona-Frühjahr. Nur ein oder zwei Sachen lasse ich hängen. Meinen absoluten Leitspruch, der mich hierher brachte: „Was würdest du tun, wenn du auf gar keinen Fall scheitern würdest?“ Ja genau, die Antwort lautet: „Das hier.“

Und mein Speringseil-Hamsterchen bleibt auch dran. Ich liebe ihn heiß und innig, denn er zeigt mir, dass ich aus meinem Hamsterrad ausgestiegen bin und jetzt springe. Während ich also all diese Dinge abnehme, beschließe ich erst nach unserer Sommerreise alles neu zu sortieren. Manchmal braucht es Pausen, um die neuen Pläne zu realisieren. In meinen Zwanzigern habe ich mir nie Zeit für so etwas genommen, fand das übertrieben und zu esoterisch. Aber nichts tut mir tatsächlich so gut, wie ab und zu vor diesem Board zu stehen.

Als ich vor zehn Jahren meinen 26. Geburtstag feierte, wohnte ich noch in einer WG mit meiner besten Freundin. Wir haben im Park auf dem Autobahntunnel Neukölln gegrillt und Beachvolleyball gespielt. Ich hatte gerade meinen Triathlon-Mann (Opens in a new window) kennengelernt und lud ihn ein. Ich beobachte ihn zwischen all meinen Gästen und fragte mich, ob es wohl etwas Ernstes mit uns wird. Eigentlich hatte ich keine Lust. Kurz darauf wurde ich schwanger, mein Körper wusste es offenbar besser.  Zwei hässliche Narben von der fiesen Kriebelmücke an den Fußgelenken erinnern mich sicherlich für immer an diesen Nachmittag.

Später an diesem Tag kommen unsere Freunde-Nachbarn, wir bauen auf der Terrasse die Leinwand auf und schauen Fußball. Eigentlich schwatzen und kichern wir mehr. Dazu gibt es Chips und Schoki und Mojitos mit Garten-Minze. Alles ohne schlechtes Gewissen. Körper Akzeptanz (Opens in a new window) und so! Und selbstgeerntete Minze aus dem eigenen Garten. Hallo du schöne 36!

Ein Tag danach. Mittwoch.

An meinen sechzehnten Geburtstag kann ich mich nicht erinnern. Ich glaube, es war auch in einem Park. Gegenüber von der Altstadt Köpenick. Wir haben viel in Parks gefeiert. Ich weiß noch nicht, wie ich mich heute fühle. Ich gieße erst mal den Garten. Dann werde ich telefonieren und mich auf meiner Yogamatte rollern.

Ich bin jetzt 36 Jahre alt. Warum stelle ich mich denn so an? Warum ist es meinem Mann egal, wie alt er ist? Und warum soll ich immer so tun, als wäre es mir auch egal? Alle sagen immer, ich soll nicht rum jammern. Mach aber doch. So. Mir ist auch eingefallen, was mir noch fehlt. Eine Karriere. Ich habe noch keine Karriere gemacht, aber eigentlich habe ich schon dagegen entschieden, als ich beschloss, mein Baby zu bekommen, das sich schicksalhaft in mir einnistete. Denn nach wie vor sind Kind und Karriere kaum zu vereinbaren. Auch wenn einige der Meinung sind, es ist machbar, ich behaupte das Gegenteil. Eine Karriere geht nicht nebenher und ein Kind schon gar nicht. Selbst wenn ich schwanger noch dachte, ich gehe einfach wieder 40 Stunden in die Redaktion, war es nach der Geburt schlichtweg undenkbar.

Unsere Tochter hat mein Leben komplett auf den Kopf gestellt, die Hormone machten, dass ich ständig bei ihr sein wollte und gar nichts anderes machen konnte, als mein Baby zu betüdeln. Ich ging zwar pünktlich nach einem Jahr wieder arbeiten, aber es brach mir nicht nur das Herz, sondern war auch völlig anders. Ich hatte mich verändert. Meine Vorstellungen, die ich vorher vom Leben hatte, waren jetzt nicht mehr so. Ich litt, denn ich wollte Zeit mit meinem Kind verbringen. Also musste ich einen Kompromiss finden. Ich suchte mir einen Übergangs-Job mit sehr wenig Verdienst und weit weg von meinen eigentlichen Träumen. Dafür hatte ich aber mehr Familien-Vergnügen. Das funktionierte solange, wie meine Tochter sehr klein war und auf mich angewiesen. Als sie ungefähr vier Jahre alt war, begann ich plötzlich darüber nachzudenken, was ich eigentlich will. „Nur“ Mutter sein, mit einem Job der mich unglücklich macht, jedenfalls nicht. Aber so wie ich mir „meine“ Karriere vorgestellt hatte, wollte ich es auch nicht mehr. War auch einfach nicht möglich, denn darin kam ein Kind gar nicht vor.

Ich beschloss, nicht wieder in das Karriere-Karrussel einzusteigen, sondern stieg stattdessen aus. Das war gar nicht so einfach, ich ließ mir bei einer Therapie helfen und versuchte mein Glück (Opens in a new window) in einer anderen Branche.  Jetzt gerade recke ich stolz den Kopf und denke: „Ja, ich habe etwas geschafft. Ich habe mich von gesellschaftlichen Strukturen befreit und versuche mein Ding.“ Ich würde es ewig bereuen, täte ich es nicht. So gesehen habe ich also doch eine Karriere. Ziemlich erfolgreich sogar, denn ich bin ausgestiegen aus dem Berufsleben und treibe jetzt meinen eigenen „erfolgreichen Aufstieg im Beruf“ (so wird Karriere im Duden definiert) voran.

Wahrscheinlich musste ich für diese Einsicht eben genau 36 werden. Nicht mehr Mitte 30 mit 34, sondern Mitte 30 mit 36. Ich wachse an mir selber und wenn ich dann zurückblicke, denke ich „doch, ich habe schon einiges geschafft.“ Mal sehen, wie es sich morgen anfühlt.

Es ist Donnerstag. Mein Geburtstag war vorgestern.

Langsam gewöhne ich mich dran. Ich akzeptiere die drei mit der sechs. Ich glaube, es kommt doch noch was. Und dann mache ich mich frei von den Erwartungen anderer, das ist nämlich auch ein typisches Problem, dass ich erst spät in den Griff bekommen habe. Jetzt. Ich bin stolz auf das, was ich schon geschafft habe. Und das vor allem auch, weil ich mache, was ich will.

Generation rastlos, immer mehr, immer alles, immer viel und noch mehr. Immer die Besten sein wollen/sollen. Grenzenlos mit voller Unterstützung. Ein Job der Spaß macht und erfüllt. „Du kannst alles machen, was du willst“, hörte ich häufig. Es hat mich erdrückt, schlichtweg erschlagen. Die vielen Möglichkeiten, die meine Eltern nicht hatten, sollte ich jetzt ergreifen. Hinein geboren in Freiheit mit Wohlstand machte mir genau das immer Angst. Ich will mich nicht beschweren, ich genoss diese Sorglosigkeit sehr. Aber es ist in typisches Problem meiner Generation. Das alles haben, können, dürfen kann auch beengen. Die nachfolgende Generation ist schon wieder anders.  Ich lese einen Text von Lisa McMinn, als sie 30 wurde. Sie schreibt:

Die andere Seite, und das verstehe ich erst jetzt, sechs Monate nach dem Geburtstag, ist: „Da kommen neue Erwartungen auf einen zu. Kinder (ja/nein/wann?), Karriere (ja/nein/zu welchem Preis?), Haus (ja/nein/zu welchem Preis?). Wehmütig stelle ich fest: Die Zwanziger waren nur ein Test. Mit 20 muss man sich beweisen, was man kann. Mit 30 muss man sich entscheiden, was man will. Man kann nicht mehr in den Tag hineinleben, nein, man muss Verantwortung übernehmen für das, was man tut – und das, glaube ich, heißt: erwachsen sein.“

Als ich das lese, bin ich auf einmal sehr froh, dass ich offenbar erwachsen geworden bin, denn all diese Entscheidungen habe ich schon getroffen. Ich bin fertig mit testen und suchen. Ich habe erst mal genug ausprobiert und alles sehr genau sortiert. Jetzt nehme ich mir die Zeit und komme an, finde in Ruhe heraus, wie es weiter geht und lasse mich nicht mehr stressen. Das schreibe ich jetzt, mal sehen, wie es in vier Jahren aussieht. Ich wette, dann geht das Geheule wieder los. Dann werde ich 40.

Freitag. Dieser Text geht online.

36, 36, 36, 36 – ich hab es jetzt verstanden.

Bleibt stets leicht&lebendig,
Eure Heli

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