Skip to main content

Guten Morgen Tel Aviv,

in Tel Aviv hat die neue Woche begonnen. Die Dizengoff ist wach. Der Lautsprecher aus dem Bus verkündet, in welche Linie die Menschen einsteigen. Die Straßenreinigung rattert dazwischen. Irgendwo schreit ein Kind. Ich liege auf meinem Sofa und schreibe neben dem geöffneten Fenster. Ich arbeite an einem Briefroman mit einem jungen Mann aus Teheran. Vor einigen Jahren schrieb er mich über Instagram an. Ich verstand lange nicht, dass er tatsächlich noch in Teheran lebt. Tel Aviv-Teheran - das ist eine Verbindung die selten entsteht. Seit dem 7. Oktober schreiben wir uns regelmäßig Briefe. Wir erzählen einander, was wir erleben. Stellen viele Fragen und versuchen uns an einigen Antworten. Er kann für diese Briefe in Teufels Küche kommen. Man nennt das im Iran “Kollaboration mit dem zionistischen Feind”. Ich bin schließlich nicht nur deutsche, sondern auch israelische Staatsbürgerin. Ich bewundere ihn für seinen Mut und für die Hoffnung, die er in sich trägt. Gleichzeitig lese ich oft hilflos von seiner Ohnmacht. Niemand von uns, der in der heutigen Zeit in Freiheit lebt, kann sich noch recht vorstellen, wie das Leben in einem totalitären Staat aussieht. Ich schreibe ihm manchmal von der DDR, von Erfahrungen, die ich durch meine Eltern aufgesogen habe. Von Stasi-Mitarbeitern, die auch bei uns in der Wohnung schnüffelten. Aber trotzdem habe ich keine Ahnung, was es bedeutet, für die eigene Meinung, für die eigene Freiheit, sein Leben zu riskieren.

Vor einigen Wochen lass ich irgendwo, dass die gewalttätigen und extremistischen Anti-Israelischen-Proteste im Westen ein Zeugnis dessen seien, dass die Menschen hier Freiheit als selbstverständlich hinnehmen. Vielleicht stimmt das. Vielleicht haben viele junge Menschen in Europa und der USA keine Ahnung, was es bedeutet, in Unfreiheit zu leben. Vielleicht haben sie vergessen, wie sehr ihre Vorfahr:innen dafür gekämft haben, in Freiheit zu leben.

Für mich ist Freiheit auch im Persönlichen in den letzten Jahren ein großes Thema geworden. Nicht umsonst heißt mein letzter Roman “Frei”. Mich beschäftigen bis heute die Fragen: Was bedeutet es, frei zu sein? Und was muss man dafür aufgeben? Vielleicht habt ihr Gedanken dazu? Schickt sie mir.

Denn die eigentliche Freiheit, sie muss immer im Kopf beginnen. Davon bin ich überzeugt.

Soviel für den Moment, von mir aus Tel Aviv. Ich denke an euch alle!

0 comments

Would you like to be the first to write a comment?
Become a member of Gutenmorgentelaviv and start the conversation.
Become a member