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Keine Politik? Keine Krankheit? Keine Religion? – Worüber sprechen Schweden nicht?  

Ich habe die Grippe. Also nicht nur eine Nahtoderfahrung, eine an Qual nicht zu überbietende Männergrippe, sondern tatsächlich eine Grippe, die Influenza. Deswegen erschienen am Freitag auch keine „Nyheterna från Sverige” und am Sonntag gab es keine neue Folge im regulären Elchkuss-Podcast.

Man sagt oft, mit Schweden könne man nicht über Krankheit reden. Da könne man nur sagen: „Jag är sjuk.“ Weiter ins Detail solle man bitte nicht gehen. Eventuell möglich wäre noch der Zusatz: „Jag har fått influensa.” Aber wie hoch das Fieber ist, wie heftig die Gliederschmerzen, dass die Stimme komplett verschwunden ist – das sei privat und solle bitte auch privat bleiben.

Über Krankheit redet der gemeine Schwede nicht. Ebenso wenig über Politik und Religion. Gespräche auf diese Themen zu richten, würde nur zu Schweigen und zum Abbruch des Gesprächs führen. So heißt es immer wieder. Aber stimmt das überhaupt?

Ja und nein. Es ist sowohl richtig als auch falsch.

Småprat und kallprat

Für viele Menschen des Nordens sind die locker-leichten Smalltalk-Gespräche mit Unbekannten eines der größten Rätsel der Kommunikation überhaupt. Was soll ich mit dem, der mir da gegenübersteht, reden? Und warum soll ich überhaupt? Im Schwedischen heißt dieser Smalltalk småprat oder auch kallprat. Ohne Aufwärmung, aus dem Kalten heraus soll ein Gespräch entstehen. Für viele eine unmögliche Vorstellung. Da verziehen sie sich lieber in sich zurück oder hinters Glas Bier, das fest in der Hand eine möglichst große Barriere zum Gegenüber aufbaut. Und schon ist das Klischee zum Skandinavier, der unzugänglich ist, der sich nicht öffnet, bestätigt.

Der Autor Niklas Källner kann als Meister des kallprats angesehen werden. In seinem Buch Och bilen går bra? (Opens in a new window) schreibt er darüber, warum nicht nur die Schweden, sondern die Skandinavier an sich so Schwierigkeiten mit dem Smalltalk haben und wie diese Schwierigkeiten überwunden werden können.

„Här i Sverige har vi en negativ artighetskultur där det är viktigt att man inte är för påträngande. När vi väl kallpratar håller vi oss till väldigt neutrala ämnen, och allra helst undviker vi det helt”, schreibt er in seinem Buch.

Man will also nicht den anderen stören, nicht aufdrängend sein. Deswegen hält man sich lieber ganz zurück, spricht nur über neutrale Themen – also keine Politik, keine Religion –, aber am liebsten spricht man gar nicht. Deswegen reagieren viele Schweden auch irritiert, wenn sie an der Bushaltestelle von einem Fremden angesprochen werden. „Ist er betrunken? Warum spricht er mit mir? Wie anstrengend!“

Niklas Källner berichtet in seinem Buch von einer Neuseeländerin, die nach Schweden gezogen ist. Sie war der Auffassung, man lerne die neue Sprache am schnellsten, wenn man mit den Menschen ins Gespräch komme. Grundsätzlich ja ein guter Gedanke. Aber nicht ganz einfach in Schweden. Denn als sie versucht, jeden Morgen an der Tramhaltestelle mit Leuten ins Gespräch zu kommen, da trifft sie nur auf eine Mauer des Schweigens.

Worüber mit Schweden smalltalken?

Kallprat ist nicht so die Sache der Schweden. Wenn es aber doch sein muss, dann wähle man am besten Themen, bei denen man sich schnell auf einen Nenner einigen kann. Politik ist da erst einmal nicht so gut, Religion ebenso wenig. Krankheit ist deswegen nicht gut, weil man schnell viel Privates preisgibt, was im Smalltalk genauso wenig gerne gemacht wird wie Konfliktreiches zu besprechen.

Was bleibt also? Durchaus eine Menge: das Wetter, das Melodifestivalen, das kaputte Auto, das Wetter, Sommerferienpläne und – ja – das Wetter.

Es stimmt somit zum Teil: Manche Themen spart man im Gespräch mit Schweden lieber aus. Beim småprat.

Dass man über solche Themen mit Schweden aber prinzipiell nicht sprechen könne, das stimmt nicht. Unter Freunden wird selbstverständlich auch über Politik diskutiert (zugegeben: am liebsten in der eigenen Bubble, da zu viel Konflikt die Schweden halt doch nicht so gut aushalten). Religion oder Fragen nach Transzendenz oder eigener Endlichkeit sind immer mal wieder Gesprächsgegenstand. Aber das setzt Vertrauen voraus und dass man sich ein wenig kennt.

Aber um ganz ehrlich zu sein: Geht das nur den Skandinaviern so? Sprechen nicht fast alle beim Smalltalk am liebsten über unverfängliche Themen? Und sind wir an der Bushaltestelle nicht alle tief übers Handy gebeugt? Das ist ja auch eine klare Geste: Sprich mich nicht an!

So ganz mysteriös, anders und verstockt ist der Skandinavier bei näherer Betrachtung dann doch nicht.

Du bist lieber für dich und willst nicht angesprochen werden? Kopfhörer rein ist ebenso eine eindeutige Geste. Sie bringt zudem den Vorteil mit sich, dass du Elchkuss-Episoden anhören - falls du sie verpasst hast - und so ein bisschen von Schweden träumen kannst.

In der letzten Folge, der Episode 205, ging’s um typisch schwedische Eigenschaften (wenn es die denn überhaupt gibt).

In der Woche zuvor habe ich Urlaubstipps fürs Jahr 2025 für dich herausgesucht. Passend für dich, wenn du noch Inspiration für den diesjährigen Schwedenurlaub brauchst.

Und historisch ging’s in den beiden Folgen davor zu: Wir wanderten über 500 Jahre zurück in der Geschichte, besuchten Kalmar, Stockholm und Örebro, als es um die Kalmarer Union und die Widerstände dagegen in Schweden ging.

Viel Freude beim Hören! Und dann hoffe, dass ich schnell wieder fit bin, sodass am Sonntag es wieder weitergehen kann mit neuen Folgen von Elchkuss!

Ha det så bra!

Vi hörs!

/Jo

elchkuss.de (Opens in a new window)

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