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Dear Daniel,

vor kurzem habe ich mich getrennt, weil ich schon längere Zeit nicht glücklich war in unserer Ehe. Ich glaube, wir waren es beide nicht, aber mein Mann hätte diesen Schritt vermutlich niemals getan. Ich habe jetzt entschieden und bereue es nicht. Auch wenn es natürlich weh tut, weil es eine lange gemeinsame Zeit war und weil Kinder beteiligt sind, die diese Trennung nicht verstehen. Obwohl ich diese Entscheidung lange und genau überlegt habe und zuvor auch viele Versuche unternommen habe, das Ruder nochmal herumzureißen, kann ich mich nicht aus dem Narrativ befreien, dass ich gescheitert bin. Ich empfinde meine Entscheidung wie einen Verrat an den gemeinsamen Jahren. Unsere Ehe war ja keine komplette Katastrophe. Nach außen wirkten wir wahrscheinlich sogar glücklich. Aber im Inneren waren wir es nicht. Ich glaube, dass ich richtig und konsequent entschieden habe. Aber das schlechte Gewissen den Kindern gegenüber macht mich so klein, dass ich manchmal gar keine Luft kriege. Wie kann ich wirklich meinen Frieden mit dieser Entscheidung machen?

Deine an sich verzweifelnde Miriam

Lieber verzweifelte Miriam,

oh man, das klingt nach einer wahnsinnig schweren Entscheidung und ich kann so gut verstehen, dass du an ihren Nachwirkungen verzweifelst. Dass dir bewusst ist, den richtigen Entschluss getroffen zu haben, ist, glaube ich, die beste Grundlage für die nächsten Monate und Jahre. Du schreibst nicht, wie lange ihr zusammen wart und welche Umstände dir klar gemacht haben, warum eine Trennung der richtigeWeg ist. Aber dass eine Ehe „keine komplette Katastrophe“ ist, kann nicht der Grund sein, sie am Leben zu erhalten. Sowohl du als auch dein Ex-Mann und deine Kinder haben etwas Besseres verdient. Aber das weißt du sicherlich selbst.

Wir alle wissen, dass in heterosexuellen Beziehungen Frauen den Großteil der emotionalen Arbeit für ihre Männer und Kinder mit übernehmen. Faszinierenderweise wird dieser Gedanke nie auf die Trennungen angewandt. Für mich klingt es so, als hättest du die emotionale Trennungsarbeit übernommen und einen Entschluss gefasst, von dem ihr beide wisst, dass er nötig war. Wie gesagt, „keine komplette Katastrophe zu sein“ ist kein Rezept für ein zufriedenes Leben. Dennoch werden Scheidungen und Beziehungsenden gerade den sich trennenden Frauen als Egoismus ausgelegt, auch von sich selbst. Die gesellschaftlichen Erwartungen zufolge sind sie immer noch dazu verpflichtet, ihre Zufriedenheit und ihre psychische Gesundheit für die Sorge um Männer und Kinder aufzuopfern. Diese Haltungen haben die meisten von uns völlig verinnerlicht. Im Klartext heißt das: Du übernimmst die emotionale und psychische Arbeit, die mit der für euch beide notwendigen Trennung einhergeht, weil sich dein Mann dieser Arbeit verwehrt. Und dann wirst du von dir selbst, deiner Familie und der Gesellschaft bewusst oder unbewusst als eigennützig abgestraft und übernimmst die Rolle eines Blitzableiters für all die schwierigen, komplizierten Gefühle, die mit dieser Entscheidung für alle, die davon betroffen sind, einhergehen - mit anderen Worten opferst du dich wieder auf.

Um deinen inneren Frieden mit der Trennung zu schließen, müsste meinem Eindruck zufolge dein erster Schritt darin bestehen, dich nicht auch noch für die Gefühle deines Mannes und deiner Kinder aufzuopfern. Versuch, nicht die Rolle einer Projektionsfläche für ihren Schock und ihre mit ihrem neuen Leben verbundene Unsicherheit zu übernehmen. Das schaffst du nur, indem du deine eigenen Gefühlen den Raum gibst, den sie verdienen. Was die anderen fühlen und wie sie damit klarkommen, ist ihre Sache, auch wenn das hart klingt. Das ist letztlich auch der einzige Weg, der überhaupt zukunftsweisend ist: für dich und erst recht für deine Kinder, die nicht lernen sollen, dass sich immer jemand anderes um die Gefühle kümmert, mit denen sie nicht klarkommen. Und denen du als reale, liebende Person entgegentreten möchtest, nicht als emotionaler Blitzableiter.

Manchmal funktionieren die Familien, die wir uns bauen, manchmal tun sie es auch mit allen Kompromissen nicht. Es ist schwer, sich das einzugestehen. Du hast die Erwartungen, die du, deine Familie und unserer Kultur an dich als „aufopfernde Mutter“ stellen, nicht erfüllt. Das ist etwas Gutes, auch wenn es sich zunächst nicht so anfühlt. Denn es sind weitgehend unrealistische Erwartungen, die in schlecht funktionierenden Beziehungen häufig nur mit dem Selbstverrat heterosexueller Frauen zu erfüllen sind. Ein Selbstverrat, der letztlich auf alle im Familiensystem negative Auswirkungen hat. Es ist wichtig, dass du sie nicht erfüllt hast, es ist wichtig, dass du aufgehört hast, dich selbst zu verraten. Es ist für alle in deiner Familie wichtig, selbst wenn sie es im Moment noch nicht so sehen können.

Aber auch unrealistische patriarchale Erwartungen müssen betrauert werden, sie sind Teil unseres Lebens. Eine verlorene Liebe und Fantasien für ein glückliches Familien- und Partnerschaftsleben müssen betrauert werden. All die vielen uneindeutigen Verluste, die damit einhergehen, müssen betrauert werden. All das braucht Zeit, viel Zeit. Loszulassen braucht Zeit, erst recht, wenn man vom Glauben loslassen muss, für alle um einen herum verantwortlich zu sein. Sich nach einer solchen Zäsur zusammen mit Mann und Kindern in einer passenderen Konstellation ein neues Leben aufzubauen braucht erst recht viel Zeit. Und noch mehr Zeit braucht es, die eigenen Wünsche, Erwartungen und Gefühle für dieses neue Leben zu justieren. Wenn ich so etwas wie einen Ratschlag geben darf: Nimm dir diese Zeit. Erwarte nicht, dass es dir in den nächsten Monaten oder den nächsten ein, zwei Jahren so richtig gut gehen wird. Das kann es nicht, dafür ist zu viel passiert. Aber freu dich an den Momenten, in denen du merkst, dass es dir gut geht, dass dieses neue Leben gut funktioniert und sich der Frieden mit dieser Entscheidung am Horizont ankündigt. Denn diese Momente wird es neben all den schweren auch geben - und wahrscheinlich viele davon. Ich bin mir sicher, dass du in einigen Jahren auf diese Zeit deines Lebens zurückschauen und merken wirst, dass die Trennung die beste Entscheidung war, die du je treffen hättest können.

Pass auf dich auf, du bist nicht allein!

Alles Liebe,

Daniel

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