Was in deinem Gehirn passiert, wenn du zu wenig schläfst
Jeden Freitag erzähle ich dir von Erkenntnissen aus Neurowissenschaft und Psychologie, die du kennen solltest. Heute: über die Auswirkungen von Schlafmangel und eine Müllabfuhr, die einfach nicht kommt.
Jugendliche testen manchmal ihre Grenzen aus. Sie springen von Brücken, brechen nachts ins Schwimmbad ein oder fragen sich, was wohl passiert, wenn sie um halb sechs Uhr morgens noch einen ach so leckeren Tequila-Shot mehr trinken. Solche Jugendliche gab es schon immer. Und dann gab es Randy Gardner. Als er 17 Jahre alt war, das war 1965, wollte er nicht nur seine Grenze austesten, sondern die Grenze des menschlichen Körpers. Ah, und einen Weltrekord wollte er nebenbei auch noch aufstellen. Und zwar den im Wachbleiben.
Mit wissenschaftlicher Begleitung durch den Schlafforscher Dr. William C. Dement und die Unterstützung seines Freundes Bruce McAllister blieb Randy 264 Stunden ohne Schlaf wach, das sind elf Tage. Das Ziel war nicht nur, den Rekord zu brechen, sondern auch herauszufinden, wie Schlafmangel den menschlichen Körper und Geist beeinflusst.
Das Experiment begann am 28. Dezember 1963 in San Diego. Während Randy wach blieb, wurde er regelmäßig von Wissenschaftlern und Ärzten überwacht. Seine kognitiven, motorischen und emotionalen Fähigkeiten wurden dokumentiert, indem er Aufgaben wie Gedächtnistests, Kopfrechnen oder das Ertasten von Gegenständen durchführte. Seine Mitstreiter sorgten dafür, dass er nicht versehentlich einschlief. Im Verlauf des Experiments zeigte Randy eine beeindruckende Mischung aus körperlicher Ausdauer und zunehmenden Anzeichen mentaler Erschöpfung.
Schon nach zwei bis drei Tagen begann er, Konzentrationsprobleme zu zeigen, seine motorischen Fähigkeiten wurden schlechter. Es fiel ihm schwer, einfache Aufgaben wie Zungenbrecher zu sprechen. Nach vier bis fünf Tagen, sah er Dinge, die nicht existierten, wie eine Basketballspielerin, die ihn angeblich verfolgte, oder Straßenlaternen, die sich in Menschen verwandelten. Er halluzinierte. Nach sechs bis sieben Tagen wurde Randy reizbar, paranoid und begann, verschwörerische Gedanken zu entwickeln. Gleichzeitig hatte er Gedächtnislücken und zeitweise Orientierungslosigkeit. Nach zehn bis elf Tagen zeigte er deutliche Anzeichen von Verwirrung und konnte selbst einfache Aufgaben kaum noch bewältigen. Er dachte, er sei ein berühmter Fußballspieler, und seine Sprache wurde immer verwirrender.
Nach dem Experiment machte er das, was jeder tun würde. Er schlief erstmal 14 Stunden durch, wachte auf und kehrte bald zu seinem normalen Schlafrhythmus zurück. Was für ein Einsatz.
Heute wäre es wirklich schwer, so ein Experiment durchzusetzen, noch dazu mit einem Minderjährigen. Aber wir können daraus lernen. Schlafmangel hat tiefgreifende Auswirkungen auf das Gehirn, die kognitive Leistungsfähigkeit und die emotionale Gesundheit leiden. Wir lernen schlechter, erinnern uns schlechter, sind schlechter gelaunt und reagieren langsamer. Heute schauen wir uns genauer an, was dabei im Kopf passiert. Wenn du das nächste Mal schlecht geschlafen hast, solltest du dich auf ein paar Dinge einstellen, die dir nicht sonderlich gefallen werden.
Wenn du schlecht schläfst, denkst du schlechter – merkst es aber gar nicht
Vielleicht hast du selbst schon mal beobachtet, wie schwer es dir fällt, dich zu konzentrieren, wenn du mal eine Nacht schlecht geschlafen hast. Studien zeigen genau das. Bei einem Experiment (Opens in a new window) wurden die Teilnehmer:innen über mehrere Tage hinweg wiederholt einem verkürzten Schlafzeitfenster ausgesetzt, wobei sie durchschnittlich 4 bis 6 Stunden Schlaf pro Nacht bekamen. Das ist deshalb interessant, weil 4 bis 6 Stunden kein völlig übertriebener Ausnahmezustand wie die Weltrekordversuch von Randy Gardner sind, sondern ein realistisches Szenario. Wenn man mal länger unterwegs war oder einfach nicht einschlafen kann, kann es immer mal wieder zu so kurzen Nächten kommen. Die Forscher nutzten bei ihrer Studie eine Kombination aus kognitiven Tests, die Aufmerksamkeit, Gedächtnis und exekutive Funktionen bewerteten, sowie funktionelle Neuroimaging-Verfahren wie fMRI, um zu untersuchen, wie sich das Gehirn verändert.
Die Versuchspersonen führten tagsüber Aufgaben durch, die präzise psychomotorische Geschicklichkeit, Aufmerksamkeit und Arbeitsgedächtnis testeten. Sie wurden zum Beispiel bei Reaktionstests auf visuelle Reize getestet, bei denen die Genauigkeit und Geschwindigkeit der Antworten gemessen wurden. Zusätzlich wurden Aufgaben zur Problemlösung gestellt, um die Auswirkungen auf die exekutiven Funktionen zu bewerten.
Das Ergebnis: Die Proband:innen brauchten deutlichen länger, um Entscheidungen zu treffen und hatten Probleme mit ihrem Arbeitsgedächtnis. Die Gehirn-Scans zeigten Veränderungen in der Aktivierung des präfrontalen Kortex und des Thalamus, zwei Schlüsselregionen für kognitive Kontrolle und Aufmerksamkeit. Das Problem: Die Teilnehmer:innen selbst nahmen überhaupt nicht wahr, dass sie diese Einschränkungen hatten.
Heute schon gestritten? Dann hast du vielleicht schlecht geschlafen
Andere Experimente gingen etwas weiter. Zum Beispiel dieses hier (Opens in a new window), bei dem 12 junge, gesunde Erwachsene 35 Stunden lang nicht schlafen durften. Wieder wurden sie mit fMRI untersucht. Das Ziel war es, herauszufinden, wie sich Schlafmangel auf unsere Fähigkeit zu lernen auswirkt. Dafür mussten die Versuchspersonen Wortpaare lernen und diese später frei abrufen. Gleichzeitig wurde ihre Gehirnaktivität gemessen. Die Ergebnisse waren zunächst merkwürdig: Nach Schlafmangel zeigte der präfrontale Kortex eine erhöhte Aktivität, während andere Hirnregionen wie der Temporallappen weniger aktiviert wurden. Interessanterweise korrelierte eine stärkere Aktivierung des Parietallappens mit einer besseren Gedächtnisleistung trotz Schlafmangel.
Die Autor:innen der Studie erklären aber, dass das Gehirn bei Schlafmangel versucht, durch Kompensation die Leistung aufrechtzuerhalten. Das ist erstmal toll, könnte aber langfristig zu einer Überlastung spezifischer Hirnregionen führen.
Weil 35 Stunden ja geradezu lächerlich sind (haha), gehen wir noch einen Schritt weiter, bzw. 20 Stunden. Diese Studie (Opens in a new window) untersuchte gezielt, wie Schlafmangel die emotionale Intelligenz (EQ) und das konstruktive Denken beeinflusst. 26 gesunde Teilnehmer:innen absolvierten standardisierte Tests sowohl im ausgeruhten Zustand als auch nach 55 Stunden Schlafentzug. Außerdem mussten sie Fragebögen zur Selbstwahrnehmung und zu Stressbewältigungsfähigkeiten ausfüllen.
Und wer nach kurzen Nächten gereizter ist, findet hier seine Bestätigung: Nach dem Schlafmangel zeigten die Teilnehmer:innen eine signifikante Verschlechterung ihrer emotionalen Intelligenz und ihrer Fähigkeit zur konstruktiven Problemlösung. Besonders stark betroffen waren Bereiche wie Selbstregulation und zwischenmenschliche Beziehungen. Wenn du das nächste Mal in einen Streit gerätst, solltest du dich also zumindest kurz fragen, wie viel du in der Nacht zuvor so geschlafen hast.
Was genau läuft da im Gehirn schief, wenn wir zu wenig schlafen?
Dass Schlafmangel so viele negative Auswirkungen hat, liegt in erster Linie daran, wie wichtig Schlaf für uns ist – und wie positiv seine Auswirkungen. Der Mensch verbringt durchschnittlich ein Drittel seines Lebens schlafend. Das kann kein Zufall sein, und ist es auch nicht. Wenn Schlaf fehlt, gerät ein hochkomplexes System aus dem Gleichgewicht. Die sieben wichtigsten Teile dieses Systems solltest du kennen:
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