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Warum Kinder mehr zocken sollten

Jeden Freitag erzähle ich dir von Erkenntnissen aus Neurowissenschaft und Psychologie, die du kennen solltest. Heute: über die positiven Effekte von Gaming.

Neulich bin ich über ein Interview (Opens in a new window) aus dem Jahr 1992 gestolpert. Interviewt wurde David Deutsch, ein israelisch-britischer Physiker, für manche der Erfinder des Quantencomputers, für andere „nur“ einer der bekanntesten Vertreter der sogenannten Viele-Welten-Interpretation der Quantenmechanik (was?).

Auf jeden Fall: ein smarter Typ. In dem Interview ging es aber nicht um Quantencomputer, sondern um Videospiele. Er sagt:

Vielleicht sollten wir uns nicht darum bemühen, dass Jugendliche weniger zocken, sondern mehr.

1992 konnte man natürlich viel behaupten. Deshalb kurz ein Update, wie es heutzutage ums Zocken steht: 89 Prozent der 10- bis 18-Jährigen in Deutschland spielen laut Bitkom-Befragung (Opens in a new window) Computer- und Videospiele. Bei einer anderen Befragung der JIM-Studie (Opens in a new window) gaben nur 32 Prozent der befragten Jugendlichen im Alter von 12 bis 19 Jahren an, täglich oder mehrmals in der Woche Bücher zu lesen. Und das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist doch ein Indiz für den Untergang der Jugend, richtig? Natürlich nicht.

Die Jugendlichen zocken im Durchschnitt 117 Minuten pro Tag. Dabei gibt es große Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Während Mädchen rund 89 Minuten pro Tag spielen, sind es bei den Jungen im Schnitt 139 Minuten.

In dem Interview argumentiert David Deutsch, dass Kinder durch Videospiele lernen, wie man denkt. Andere Dinge mögen den Kindern einen Inhalt oder eine bestimmte Fähigkeit vermitteln, aber Videospiele lehren etwas viel Wertvolleres: wie man mit der Welt umgeht. Denn: Videospiele sind im Wesentlichen Simulationen. Sie geben Kindern die Möglichkeit, das Lösen komplexer Probleme zu üben, die dem echten Leben entsprechen.

Okay, vielleicht sollten die, die schon zocken, nicht unbedingt noch mehr zocken. Vielleicht sollten aber die, die nicht zocken, mal damit anfangen. Denn natürlich geht es mir nicht um Jugendliche, die süchtig nach Videospielen werden. Nicht umsonst ist das mittlerweile eine anerkannte Krankheit.

Dass Videospiele, egal welche, das Gehirn verändern, ist dabei allerdings eine Banalität. Alles, was wir tun, verändert unser Gehirn, also auch Videospiele. Bei den meisten Beschäftigungen schauen wir auf die positiven Effekte. Wenn Kinder lesen, Vokabeln lernen oder Klavier spielen, sind wir stolz. Warum nicht, wenn sie Videospiele spielen? Vieles spricht dafür, die Zockerei mehr zu schätzen und weniger zu verteufeln. Ich habe mir die Studienlage dazu anschaut. Wenn du Kinder hast, die zocken, oder wenn du selbst zockst, solltest du sie kennen.

Verbessert Gaming die kognitiven Leistungen?

Wenn man untersuchen möchte, wie sich Videospiele auf das menschliche Gehirn auswirken, kann man das auf (mindestens) zwei verschiedene Arten tun: Entweder man sucht sich Versuchspersonen, die im Alltag zocken, und vergleicht sie mit solchen, die keine Videospiele spielen. Oder man lässt die Versuchspersonen einfach während der Studie selbst zocken und schaut, was dabei im Gehirn so passiert und wie sie sich danach verhalten. Das zweite Set-Up macht natürlich deutlich mehr Spaß. Schauen wir aber erstmal, was man herausfindet, wenn man Gamer mit Nicht-Gamern vergleicht.

Das haben zum Beispiel Forscher:innen in den USA getan. Dort gibt es die sogenannte Adolescent Brain Cognitive Development (ABCD)-Studie, bei der Heranwachsende untersucht werden. Mit den Daten der Studie kann man dann herumspielen. Man kann sich zum Beispiel fragen (Opens in a new window): Welcher Zusammenhang besteht zwischen Videospielen und kognitiven Leistungen bei Kindern?

Die Forscher:innen verglichen Kinder, die regelmäßig Videospiele spielten, mit solchen, die nicht spielten. Mittels fMRT (funktionelle Magnetresonanztomographie) wurde die Gehirnaktivität während Aufgaben zur Impulskontrolle und zum Arbeitsgedächtnis gemessen. Das Ergebnis: Kinder, die Videospiele spielten, zeigten eine bessere Leistung in Aufgaben zur Reaktionshemmung und zum Arbeitsgedächtnis. Zudem wurden deutliche Unterschiede in den Hirnaktivitätsmustern festgestellt, insbesondere in Regionen, die mit kognitiven Funktionen in Verbindung stehen.

Was sich auch verbessert: das visuelle Gedächtnis und die Aufmerksamkeit

Die positiven Auswirkungen von Gaming auf die Reaktionszeit von Kindern und Jugendlichen ziehen sich tatsächlich durch. Diese Studie (Opens in a new window) hat den Zusammenhang ebenfalls untersucht. Dafür wurden 67 Jugendliche (10–14 Jahre) in Gruppen unterteilt: eine mit regelmäßiger körperlicher Aktivität, eine mit regelmäßigem Videospielkonsum und eine Mischgruppe. Ihre Reaktionszeiten wurden mithilfe eines Computers getestet. Kinder, die regelmäßig Sport trieben, hatten die schnellsten Reaktionszeiten (auch gut zu wissen), gefolgt von denen, die sowohl Sport trieben als auch Videospiele spielten. Reine Gamer hatten ebenfalls bessere Reaktionszeiten als Kinder ohne Gaming-Erfahrung.

Eine verbesserte Reaktionszeit ist natürlich toll, aber Gaming kann mehr. Diese Studie (Opens in a new window) zum Beispiel untersuchte, wie sich regelmäßiges Videospielen auf kognitive Funktionen von Jugendlichen auswirkt, insbesondere auf Gedächtnis, Aufmerksamkeit und exekutive Funktionen. 77 Jugendliche wurden dafür in zwei Gruppen unterteilt: Eine Gruppe spielte regelmäßig Videospiele (mindestens 5 Stunden pro Woche), die andere Gruppe spielte weniger als 5 Stunden pro Woche. Die Forscher:innen führten verschiedene Tests zur Messung des Arbeitsgedächtnisses und der exekutiven Funktionen durch, darunter den Stroop-Test und den California Verbal Learning Test (CVLT).

Die Gamer-Gruppe schnitt bei den Tests zum visuellen Gedächtnis besser ab. Sie zeigten auch eine höhere Flexibilität in der Aufmerksamkeit. Allerdings wies ein höherer täglicher Spielkonsum auch auf eine erhöhte Fehlerquote im Stroop-Test hin, was auf eine potenzielle kognitive Überlastung hindeuten könnte

Wächst durch Gaming der präfrontale Cortex?

Gaming kann das Gehirn auch strukturell verändern. Das haben Forscher:innen vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin herausgefunden. Sie untersuchten (Opens in a new window), wie regelmäßiges Gaming die Gehirnstruktur von Jugendlichen beeinflusst. 152 14-jährige Jugendliche unterzogen sich dafür einer Magnetresonanztomographie (MRT), um die Dicke ihrer Großhirnrinde zu messen. Die Forscher:innen korrelierten die wöchentlich gespielte Zeit mit Veränderungen in bestimmten Gehirnregionen.

Ergebnisse:

  • Eine positive Korrelation wurde zwischen der Spieldauer und der Dicke des linken dorsolateralen präfrontalen Cortex (DLPFC) gefunden, einer Region, die für strategisches Denken und exekutive Kontrolle wichtig ist.

  • Auch die „Frontal Eye Fields“ (FEFs), die an der visuell-motorischen Wahrnehmung beteiligt sind, waren bei Gamern dicker.

  • Es gab keine Hinweise darauf, dass Gaming mit einer Verringerung der Cortexdicke in anderen Regionen verbunden war.

Warum kommt der nicht von der Konsole weg?

Wer schon mal versucht hat, einen Jugendlichen vom Zocken abzubringen, obwohl er weiter zocken möchte, kann diesen positiven Effekten vom Zocken vielleicht nicht so ganz trauen. Und man sollte auch nicht so tun, als wäre Zocken immer und unter allen Umständen positiv. Denn ja, es gibt Jugendliche, denen fällt es enorm schwer, mit dem Zocken aufzuhören. Und wie so oft, heißt der Übeltäter in diesem Fall Dopamin.

Eine Studie (Opens in a new window) untersuchte die Auswirkungen von Videospielen auf das ventrale Striatum, eine Gehirnregion, die für das Belohnungssystem verantwortlich ist. 154 gesunde 14-jährige Jugendliche absolvierten fMRT-Scans während sie ein Glücksspiel spielten. Es wurde untersucht, wie schnell sie Wetten platzierten und wie ihr Gehirn darauf reagierte. Jugendliche, die viel zockten, zeigten eine verstärkte Reaktion im ventralen Striatum, was darauf hindeutet, dass ihr Belohnungssystem stärker auf Gaming reagierte als auf andere Aktivitäten. Dies könnte erklären, warum manche Jugendliche Schwierigkeiten haben, Gaming zu kontrollieren, und warum sie andere Belohnungen weniger aufregend finden. Und auch, warum Gaming im Vergleich zum Lesen oder Klavierspielen süchtig machen kann.

Das aber ist per se erstmal nichts negatives. Klingt komisch, aber ohne dieses Risiko gäbe es all die positiven Effekte wahrscheinlich gar nicht.

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