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Warum du dein Handy nicht weglegen kannst

Jeden Freitag erzähle ich dir von Erkenntnissen aus Neurowissenschaft und Psychologie, die du kennen solltest. Heute: über fiese Glücksspielautomaten und ein Versprechen, das ich dir gebe.

Neulich wollte ich mir mit einem Freund nach dem Sport einen Döner kaufen. Vor uns in der Schlange stand ein Junge, ich würde sein Alter auf 12 Jahre schätzen. Er bestellt gleich drei Döner, einen für sich und zwei für seine Eltern (wie er meinte). Der Dönermann fing an, das Essen zuzubereiten.

Währenddessen (und auch schon die komplette Zeit, die er in der Schlange gewartet hatte) schaute der Junge auf sein Handy. Dort lief ein Video nach dem nächsten. Als der Dönerverkäufer fragte, was auf den ersten Döner rauf sollte, hörte der Junge ihn nicht. Er war völlig vertieft in das Video auf seinem Bildschirm. Der Verkäufer musste dreimal nachfragen, bis der Junge merkte, dass jemand mit ihm spricht.

Als das Spiel beim zweiten Döner wieder von vorn begangen, platzte dem Dönerverkäufer der Kragen. Er klatschte laut in Richtung des Jungen und schnautze: “Ey! Jetzt mal Konzentration hier! Sonst kriegst du keinen Döner mehr hier!”

Das hat gesessen. Der Junge steckte sein Handy kurz weg und bestellte die Döner. Als er sie in der Hand hielt, holte er sein Handy für den Weg nach Hause wieder aus der Tasche. Das nächste Video ging los.

Das wird hier kein Bashing gegen die jungen Leute, die ihren Handykonsum nicht im Griff haben. Das wäre auch Quatsch. Denn es ist nicht nur die Bildschirmzeit der jungen Leute, die regelmäßig aus dem Ruder läuft.

Wenn du im deutschen Durchschnitt liegst, verbringst du 150 Minuten am Tag mit dem Smartphone. Das sind 1.050 Minuten in der Woche – also 17,5 Stunden. Aufs Jahr gerechnet sind das etwa 38 Tage.

Mal ehrlich: Wie viel dieser Zeit nutzt du dein Smartphone so, dass es dein Leben wirklich besser macht? Es gibt darauf eine Antwort: Wenn du deinen Smartphone-Konsum im Griff hättest, würdest du dein Handy wahrscheinlich etwa 31 Prozent weniger nutzen. Auf diese Schätzung kamen Wissenschaftler:innen in einer Studie (Opens in a new window) von 2021.

Warum gelingt uns das so selten? Warum verbringen wir viel mehr Zeit mit dem Handy, als wir es eigentlich wollen? Darum geht es heute. Und ich sage dir, wie du es schaffst, 100 Minuten weniger (pro Tag!) am Handy zu hängen.

Ohne Dopamin wären Handys nichts

Der Gründungspräsident von Facebook, Sean Parker, gab einmal offen zu, dass man sich bei der Entwicklung von Facebook vor allem über eine Frage Gedanken gemacht hatte: „Wie können wir möglichst viel von Ihrer Zeit und bewussten Aufmerksamkeit beanspruchen? Das bedeutet, dass wir Ihnen ab und an eine Art kleinen Dopamin-Kick geben müssen, weil jemand ein Foto oder ein Posting geliked oder kommentiert hat.“

Dopamin kennst du bereits. Der Neurotransmitter war hier schon öfter Thema, er ist mit den meisten Süchten und suchtartigen Verhaltensweisen verbunden. Und für den Dopamin-Kick, den Parker meint, sorgen die vielen Benachrichtigungen, die dein Handy liefert: Kleine rote Punkte an jeder App, Nachrichtentöne, Banner.

Unsere Smartphones machen uns zu Dopamin-Junkies. Das sagt die rennomierte US-Psychiaterin Anna Lembke. Aber warum eigentlich? Um das zu verstehen, sollte man sich ein bisschen mit Dopamin auskennen.

Überraschung!

Dopamin wurde 1957 von der britischen Forscherin Kathleen Montagu entdeckt. Erst dachte man, Dopamin sei einfach nur die Möglichkeit, wie der Körper Noradrenalin produziert (so wird Adrenalin im Gehirn gennant). Doch dann begannen Wissenschaftler:innen, seltsame Dinge zu beobachten.

In Experimenten erlebten Versuchspersonen Glücksgefühle, wenn Dopamin ausgeschüttet wurde, und sie gaben sich große Mühe, die Aktivierung dieser seltenen Zellen auszulösen. Einige Wissenschaftler:innen begannen, Dopamin als „Genuss-Molekül“ zu bezeichnen. Der Weg, den die dopaminproduzierenden Zellen durch das Gehirn nehmen, wurde als „Belohnungskreislauf“ bezeichnet.

Aber mit der Zeit entdeckten Wissenschaftler:innen, dass es bei Dopamin gar nicht unbedingt um Genuss oder Vergnügen geht. Dopamin, so ihre Argumentation, markiert etwas, das viel einflussreicher ist: Antizipation. Immer mehr Experimente wurden mit Dopamin gemacht und man fand heraus: Einen Dopaminschub bekommen wir vor allem bei bei vielversprechenden Überraschungen.

Zum Beispiel, wenn wir durch eine fremde Stadt laufen und über einen unfassbar guten Sandwichladen stolpern. Oder wenn ein Freund anruft, der sich schon ewig nicht mehr gemeldet hat. Oder wenn dieser rote Punkt bei Instagram schon wieder aufploppt (Ist es denn zu fassen?).

Das Gehirn lernt, wenn das Handy aufploppt

Es macht, aus evolutionärer Sicht, also total Sinn, dass wir einen Botenstoff haben, dass sich immer dann einmischt, wenn etwas in Aussicht ist, das unser Leben verbessern, verlängern oder positiv verändern könnte. Kein Wunder, dass unser Gehirn mehr davon haben will. Aber nicht nur das: Wenn das, was wir erleben, besser war als das, was wir erwartet haben, passt unser Gehirn seine Erwartungen an. Es lernt!

Es gibt jetzt zwei Probleme. Erstens: Smartphones nutzen genau diesen Willen nach Mehr schamlos aus. Kaum ein Dopamin-Kick ist so schnell und einfach zu bekommen wie der, den unser Smartphone uns gibt. Denn die Algorithmen sorgen dafür, dass deine Erwartungen zufällig übertroffen werden. Eben: wie bei einem Glücksspielautomaten. Bücher können da nicht mithalten. Nichts kann da mithalten.

Und zweitens: Weil unser Gehirn sich anpasst, also lernt, bringt es auch nichts, kurzzeitig auf das Smartphone zu verzichten. Wir müssen langfristig unsere Zeit am Handy reduzieren, wenn wir etwas verändern wollen.

Wir sind tatsächlich Gewohnheitstiere

Eine Studie (Opens in a new window) der Duke University hat ergeben, dass 45 Prozent unseres täglichen Verhaltens automatisch ablaufen. Mit anderen Worten: Fast die Hälfte von dem, was wir am Tag so treiben, sind Gewohnheiten.

Warum ist das so? Unser Gehirn ist ständig darauf aus, Energie zu sparen. Wenn wir Handlungen automatisieren, sie also zu einer Gewohnheit werden, verbrauchen wir deutlich weniger Energie. In Studien wurde gezeigt, dass die Aktivität bei automatisierten Handlungen im Gehirn deutlich abnimmt.

Gewohnheiten sind ziemlich nützlich. Bis auf solche Gewohnheiten, die wir eigentlich gar nicht haben wollen. Wie ständig, völlig automatisch aufs Handy zu gucken.

Wie wird man schlechte Gewohnheiten also los? In seinem Buch „The Power of Habits (Opens in a new window)” beschreibt der Autor Charles Duhigg das an einem Beispiel: Nehmen wir an, du gehst jeden Tag um 15 Uhr zum Bäcker und kaufst dir einen Keks. Dafür kann es verschiedene Gründe geben: Entweder du machst das, um dein Verlangen nach etwas Süßem zu stillen, oder um deinen Körper mit Energie zu versorgen oder um auf dem Weg zum Bäcker mit Kolleg:innen zu sprechen.

Duhigg hat festgestellt, dass er vor allem deshalb zum Bäcker geht, weil er Lust hat auf den Austausch mit Kolleg:innen. Um die Keks-Gewohnheit loszuwerden hat er deshalb jeden Tag um 15 Uhr dafür gesorgt, dass er sich mit seinen Kolleg:innen austauschen konnte – ohne dabei einen Keks zu essen.

Bei Gewohnheiten muss man sich also immer die Frage stellen: Welches Bedürfnis erfülle ich gerade? Und genau dieses Bedürfnis sollte man dann mit einer anderen Handlung erfüllen. Man ersetzt die Gewohnheit einfach durch eine andere!

Das Problem beim Smartphone ist nun: Das Bedürfnis, das wir erfüllen, ist offensichtlich: Unsere Gier nach Dopamin. Das Ziel ist aber nicht, das Verlangen nach Dopamin einfach durch eine andere Handlung zu ersetzen, die genauso schnell genauso viel Dopamin ausschüttet. Die gibt es nämlich nicht. Das Ziel ist, dass wir nicht ständig, im Sekundentakt, Dopamin ausschütten wollen.

Und weil diese Gewohnheit ein verdammt mächtiger Gegner ist, müssen wir uns selbst austricksen. Nur wie?

Ich gebe dir ein Versprechen

Genau diese Frage haben sich meine Krautreporter-Kollegin Theresa Bäuerlein und ich uns gestellt. Und weil wir uns seit Jahren mit dem Gehirn und den Auswirkungen von Social Media auf uns beschäftigen, haben wir gemeinsam einen Newsletter-Kurs konzipiert, in dem all unser Wissen steckt (Opens in a new window).

Er ist eine Schritt-für-Schritt-Anleitung, die dir dabei hilft, nur noch so viel Zeit am Handy zu verbringen, wie du auch wirklich möchtest. Fünf Wochen lang schicken wir dir dafür eine Mail mit kleinen Aufgaben und den wissenschaftlichen Hintergründen, die erklären, warum diese Aufgaben funktionieren.

Wir haben den Kurs mit 90 Freiwilligen getestet. Ich denke, das Ergebnis spricht für sich:

Ich mache hier nicht nur so schamlos Werbung für diesen Kurs, weil ich ihn selbst geschrieben habe, sondern auch, weil er komplett kostenlos ist. Deshalb:

Hat die letzten beiden Wochen am dänischen Fjord verbracht, meistens ohne Handy: dein Bent 🫶🏻🧠

➡️ Zum Archiv (Opens in a new window)

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