Skip to main content

Mein innerer Monk oder auch: Bist du auch so ein kleiner Autist?

Eine Kolumne von Charlotte Suhr (19. Mai 2024)

Disclaimer: Diese Kolumne könnte Tippfehler enthalten. Aufgrund meiner ADHS ist es mir leider nicht immer möglich, alle Tipp- und Schreibfehler zu vermeiden, so sehr ich mich auch darum bemühe. Dies ist kein Zeichen mangelnder Wertschätzung, sondern alleine der Tatsache geschuldet, dass aufgrund der ADHS auch mehr mehrmaliger Durchsicht Fehler leider übersehen kann.

Als ich vor zwei Wochen meine Fingernägel neu hab machen lassen, bat meine Nailartist mich darum, noch einmal einen letzten prüfenden Blick auf meine Fingernägel zu werfen. Wenn mir noch eine Unebenheit auffiele, solle ich es sagen. Fast ein wenig entschuldigend wies ich sie auf zwei kleine Hubel auf meinen Nägeln hin. „Ich weiß, es ist kaum sichtbar, aber kannst du da noch einmal drüber gehen?“, bat sie ich sie vorsichtig.

„Na klar doch“, meinte sie lachend. „Du bist wohl auch so ein kleiner Autist?“.

„Hmm“, antwortete ich nur nichtssagend.

Ich hatte kein Interesse daran, ihr das Thema Autismus in irgendeiner Hinsicht zu erklären oder - Gott bewahre - mich selbst als Autistin zu outen. Ihre (leicht ironische) Ansicht, dass Autismus mit einer besonderen Akribie deckungsgleich ist, ist sicher nicht das schlimmste Vorurteil, das ich bisher gehört habe. Und doch ist es interessant, dass in ihrer so kurzen Aussage gleich mehrere Aspekte enthalten waren, die mich nervten.

Zum einen werde ich nicht gerne als klein bezeichnet. Das liegt nicht daran, dass ich es schlimm finde, klein zu sein, sondern dass mir die Wertung, die damit einher geht, schon immer wahnsinnig auf die Nerven ging. Ich weiß, dass ich klein bin und habe damit überhaupt kein Problem. Es ist ein Teil von mir, der für mich keinerlei Bedeutung hat, ebenso wenig wie die Formen meiner Zehen oder meine Sommersprossen.

Leider scheinen viele andere Menschen der Meinung zu sein, in meiner Körpergröße stecke eine Bedeutung. „Boah, bist du klein“, höre ich nicht selten. Man bezeichnet mich als süß, schaut kichernd auf mich herunter und vor allem Männer finden diese Tatsache oft unfassbar lustig. Als wäre ich eine Kuriosität und meine Körpergröße gleichbedeutend mit meinem Charakter. Nicht ernstzunehmend. Ein Kind.

Genauso wie besonders große Menschen, finde ich die erstaunte Feststellung über meine Körpergröße wahnsinnig nervig und möchte am liebsten jedes Mal antworten: "Glaubst du, ich weiß das nicht? Ich kenne mich selbst schon seit 31 Jahre! Und mir ist es egal. Warum dann dir nicht?“ Kleine Körper sind kein Makel und kein Grund zum Lachen. Und ich schätze es überhaupt nicht, „Hobbit“ genannt zu werden oder wenn jemand aus Jux einen Gegenstand so weit über meinen Kopf hält, dass ich ihn nicht erreiche. Aus meiner Perspektive ist meine Körpergröße der Standard. Ich finde mich normal und empfinde es daher als umso irritierender, wenn andere der Meinung sind, ich müsse mich anpassen, beispielsweise, indem ich mir in meiner eigenen Wohnung eine Leiter zulege, um an höhere Regale zu kommen. Stattdessen kaufe ich mir einfach keine Möbel, an die ich nicht herankomme. Ist doch logisch.

Wenn man es genau nimmt, ist die Bezeichnung „kleiner Autist“ aber natürlich nicht darauf bezogen, dass ich kein klein. (Aber ich nutze gerne jede Gelegenheit, mich über das Narrativ aufzuregen, dass Kleinsein bemerkenswert oder schlecht wäre). Ein „kleiner Autist“ ist - so würde ich es interpretieren - eine Person, die „ein bisschen“ autistisch ist. Manche Leute benutzen auch gerne die Bezeichnung „autistische Züge“, eine Hilfsbegrifflichkeit, die ausdrücken möchte, dass ein Mensch bestimmte Eigenschaften hat, die von der Norm abweichen. Das betrifft vor allem das Thema Ordnung, Struktur, Organisation, Akribie, Perfektionismus, Gründlichkeit und so weiter. Und obwohl es natürlich nicht völlig aus der Luft gegriffen ist, diese Charakteristika mit Autismus zu verbinden, gibt es unzählige Allist:innen, die ebenfalls zu solch einem Charakter neigen. Ebenso, wie es Autist:innen gibt, die es überhaupt nicht schaffen, sauber, ordentlich, akribisch und organisiert zu sein.

Eigentlich ist es jedoch noch viel mehr als ein enormer Perfektionismus, den man mit Autismus verbindet, mehr noch ist es die Unfähigkeit, überhaupt etwas ertragen zu können, das nicht perfekt ist. Um diese Eigenschaft hervorzuheben, meist auf etwas ulkige Art und Weise, vielleicht um sich nicht zu ernst zu nehmen oder weil man sich dieser schämt, nutzen nicht wenige Menschen Phrasen wie „autistische Züge“ oder aber „mein innerer Monk“. „Der innere Monk“ ist eine Anspielung auf den Seriencharakter Adrian Monk, der als ehemaliger Polizist nach dem Tod seiner Frau viele psychische Erkrankungen entwickelte, unter anderem eine Zwangsstörung und verschiedene Phobien.

Die Frage ist, ob sich mit diesen Bezeichnungen neurotypische und psychisch gesunde, nicht-behinderte Menschen einfach Wörter ausleihen, auf die sie kein Anrecht haben, nur um auf möglichst einfache und drollige Art und Weise auszudrücken, dass sie eine besonders bemerkenswerte Eigenschaft haben, die da Perfektionismus heißt. Oder ob Menschen, die tatsächlich neurodivergent, psychisch krank und behindert sind, es unangenehm finden, sich tatsächlich einmal ernsthaft mit ihrem Gehirn auseinanderzusetzen und vielleicht der Tatsache ins Auge zu blicken, dass sie keinen „inneren Monk“ haben, sondern eine waschechte Zwangsstörung.

Ich finde beide Fälle problematisch, habe jedoch noch weniger Sympathie mit Menschen, die von ihrem „inneren Monk“ sprechen, einfach weil sie andere Menschen darauf aufmerksam machen wollen, dass ihr Schild aus der Kleidung hinausguckt. Ganz im Ernst: Viele nutzen diese Bezeichnung auch wirklich nur, um anderen auf den Keks zu gehen. „Tut mir leid, aber mein innerer Monk kann es nicht ertragen, dass du einen Tippfehler in deiner Nachricht hast“. Wirklich, dein innerer Monk? Oder dein inneres Arschloch?

Ich weiß nicht, ob ich mit meiner Ansicht zu radikal bin, aber aus meiner Perspektive sind Bezeichnungen, die so ein klitzekleines bisschen auf eine psychische oder psychiatrische Diagnose hindeuten, problematisch. „Ein bisschen autistisch“ sein oder „autistische Züge“ haben, klingt für mich ehrlich gesagt so, als würde man die Diagnose komplett aufweichen und der Meinung sein, alle Menschen auf der Welt wären mehr oder weniger autistisch. Mehr oder weniger zwangsgestört. Hätten mehr oder weniger ADHS. Es verniedlicht und verwässert diese Diagnosen. Und es klingt auch ein wenig als, als würden Betroffene sich aus aleistischen Gründen davon fernhalten wollen, ganze Autist:innen zu sein, um ein Stigma zu vermeiden. Als wären „autistische Züge“ eine harmlose und seichtere Variante von der gruseligen Vorstellung, tatsächlich und vollumfänglich eine psychische Behinderung zu haben, mit der viele Menschen nichts Positives assoziieren. Sind Menschen, die bei sich selbst nur von „autistischen Zügen“ sprechen Pick-Me-Autist:innen?

Das ist nicht gemeint im Sinne von Gatekeeping oder aber der Überzeugung, Autismus wäre ein Exklusivrecht für alle mit offizieller Diagnose. Mir geht es eher darum, Autismus, Neurodivergenzen und psychische Erkrankungen ernst genug zu nehmen um nicht zu implizieren, dass man aufgrund von einzelnen Eigenschaften wie Perfektionismus auch ein bisschen etwas davon haben könnte. Autismus, Zwangsstörungen, ADHS und andere klinische Diagnosen sind keine Hilfswerkzeuge, um den eigenen Charakter ein bisschen einfacher und witziger zu beschreiben.

Schlussendlich ist die Formulierung „ein kleiner Autist“ auch in seiner Gänze sehr unangenehm, fast degradierend. Nicht nur wurde ich dabei von einer anderen Frau misgendered. (Schade, wenn man als einzige Person angesprochen und trotzdem nur mitgemeint ist), noch dazu ist der ganz Vibe irgendwie sehr von oben herab. Es ist nicht schlimm, autistisch zu sein. Und doch klingt „Bist du auch so ein kleiner Autist?“ nicht unbedingt freundlich. Es ist ein wenig so, als würde ich einen Mann, der gerade ein schönes Kleidungsstück bewundert hat, fragen „Bist du auch so ein kleiner Schwuler?“.

Schwul sein ist nichts Schlimmes. Ist es völlig aus der Luft gegriffen, Männer mit großem Interesse an Mode mit Homosexualität zu assoziieren? Schließlich gibt es viele homosexuelle Männer, die sich wahnsinnig gerne schön kleiden und auf ihr Aussehen Acht geben. Doch die Reduzierung von Homosexualität auf einen guten Kleidungsgeschmack inklusive der Worte „auch“ und „klein“ machen den Satz jovial, höhnisch, ja feindselig. Ich kann nicht anders, als dabei Homofeindlichkeit herauszuhören. Ebensowenig wie ich anders kann, als bei der Formulierung „auch so ein kleiner Autist“ Ableismus herauszuhören.

0 comments

Would you like to be the first to write a comment?
Become a member of Charlotte Suhr and start the conversation.
Become a member