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Ist die Genossenschaftsgründung des FC St. Pauli ein Modell für progressive Politik?

Es geht ums Geld. Es geht immer ums Geld und überall ums Geld. Selbst die mit Rechtsextremen bündelnde Politik von Friedrich Merz rund um das Thema Migration enthält Nebelkerzenkomponenten.

Migration ist deshalb ein so ein interessantes Thema für Menschen, die lange für Black Rock gearbeitet haben, weil es Fragen nach Verteilungsgerechtigkeit zugleich rassifiziert und ignoriert. Seit Thatcher und Reagan haben sich die Möglichkeiten gesellschaftlicher Gestaltung dahingehend verschoben, dass die Politik ihre Rolle darin sieht, möglichst gute Rahmenbedingungen für die Entfaltung privaten Kapitals bereit zu stellen. Deshalb wurden Gewerkschaften bekämpft, sozialstaatliche Komponenten administrativen Handelns reduziert und Teile des zuvor noch staatlich gebundenen Kapitals frei gesetzt z.B. in der Altersvorsoge, aber auch in den Leistungen von Krankenkassen. Zusatzversicherungen für die Altersvorsorge und sind ebenso gut für die Versicherungswirtschaft wie solche für Zahnersatz.

Die von manchen favorisierte Aktienrente hebt das Rezept auf ein neues Niveau: der Staat pumpt direkt Geld in die Kapitalmärkte. Da freuen sich Fonds und die, die von ihnen profitieren. Das Risiko wird auf die Versicherten abgeladen, selten auf jene, die Fonds betreiben, also z.B. Black Rock.

Es ist beinahe in Vergessenheit geraten, wie die Finanzkrise 2008 entstand. Ausgelöst wurde sie durch Wetten auf faule Kredite in der US-Immobilenwirtschaft. Rund um den Hauskauf gab es die zeitweise relativ günstig. Viele verschuldeten sich und konnten die Kredite nicht mehr bedienen. Das wurde über Mechanismen, die ich auch nur oberflächlich rekonstruieren kann, zum Anlass genommen, damit Geld zu verdienen, dass darauf gewettet wurde, dass diese Immobilienblase implodieren würde. Tat sie, und dadurch kam eine Lawine ins Rollen, die viele Fonds, z.B. Private Equity Fonds, ins Trudeln brachte. Das sind solche, in denen das Geld von privaten Anlegern in Unsummen sich ballt auf Kapitalmärkten, verkürzt dargestellt, die wiederum Investitionen an Kapitalmärkten ermöglichen. Wer in diesem Geschäft tätig ist, erhält Boni, für die andere Leute sehr viele Leben führen müssten, um mit „normaler“ Arbeit auch nur in die Nähe solcher Erträge zu gelangen.

Als die Finanzkrise ihre Wirkung entfaltete, führte das dazu, dass in den USA viele, die ihre Altersversorgung über solche Fonds gesichert wähnten, sich mit 70 wieder einen Job suchen mussten. Die Reaktion der Politik bestand aber nicht darin, nun solche Anleger zu schützen. Gestützt wurden die ins Trudeln geratenen Banken.

Es ginge zu weit, hier nun auszuführen, wieso gerade in Griechenland das katastrophale Folgen hatte. Zu Merkels Vermächtnis gehört jedoch, zusammen mit Wolfgang Schäuble damals eine nationalistische Politik innerhalb der EU betrieben zu haben, die ausschließlich auf deutsche Dominanz und Rettung der nationalen Infrastruktur setzte und dabei Griechenland vor den Bus schubste.

Ein anderes Beispiel für Wirkung solcher Mechanismen ist der intensiv diskutierte Fall Luigi Mangione. Er ist weder verurteilt noch ist seine Schuld bewiesen. Ihm wird vorgeworfen, er habe den Chef einer Art Krankenversicherung erschossen. Als Motiv gilt aufgrund eines bei ihm gefundenen Manifestes, dass er die Fassung verloren habe angesichts einer Politik dieser Krankenversicherung, die wie folgt beschrieben wird: diese habe sich mehr oder minder grundsätzlich geweigert, die Kosten für Behandlungen der bei ihr Versicherten zu übernehmen und für solche Absagen auch Künstliche Intelligenz eingesetzt. Sie sei so vorgegangen, darauf zu hoffen, dass die Versicherten es sich nicht leisten könnten, gegen diesen Bescheid zu klagen - schon gar nicht, wenn sie sich gleichzeitig verschulden mussten, um lebensnotwendige teure Behandlungen in akuten Notsituationen aus eigener Tasche zu bezahlen.

Auch die neue Trump-Regierung zielt in vielen Maßnahmen wieder auf das Gesundheitssystem; z.B., indem reduzierte Medikamentenpreise verboten werden und zugleich die AIDS-Forschung keine Finanzierung mehr erhält. Das verweist auf eine weitere Komponente dessen, was neoliberale, neuerdings neolibertäre Modelle - libertär meint in letzter Konsequenz, Demokratie abzuschaffen und stattdessen Staaten wie ein Unternehmen zu führen - immer schon getrieben haben. Die sich um Trump gruppierende „Broligarchie“ ist nachhaltig von diesen libertären „Visionen“ beeinflusst . Das gemeinte Treiben ist: wirtschaftlichen Programme zugunsten derer, die eh schon über viel Kapital verfügen, durch eine ultrakonservative und in Teilen rassistische Politik abzusichern. Klar wird AIDS weiterhin mit Schwulen assoziiert. Sollen die doch sterben. Um das Soziale können sich ja auch Familien und Kirchen kümmern, und von den Sozialsystemen profitieren eh nur Schwarze, Braune und sonstige Migranten, so die Propaganda, und Faule. Deshalb kann Sozialstaat weg. Wer nichts besitzt, ist nichts wert. Stattdessen baut man doch lieber ein teilprivatisiertes Knastsystem als Profit-Center aus, zumindest in den USA. In der Annahme, dass da eh vor allem Schwarze hinter Gittern landen.

Immer wieder Migration und Marginalisierte zur großen Gefahr aufzublasen ist deshalb so attraktiv, weil durch das Gewaltmonopol des Staates er sich hier trotz aller Privatisierung und Anbindung an Konzerninteressen als handlungsfähig behaupten oder aber die Notwendigkeit der Rückgewinnung von Aktionsspielraum als politisches Ziel ausgeben kann. So lenkt er von wirtschaftlichen Interessen der Bevölkerung fortwährend ab.

Dass nunmehr Diversity-Programme von Trump sogar für Hubschrauberabstürze verantwortlich gemacht werden, fügt sich in diese „alte Strategie“ des Neoliberalismus ein: Kompensation sozialen Kahlschlages mittels „traditioneller Werte“ und eines weißen Nationalismus.

Zu Zeiten des proklamierten Freihandels und einer sich damit angeblich entfaltenden Demokratisierung der Welt, also der Entfaltung bürgerrechtlicher Komponenten, erschienen zeitweise „Affirmative Action“ genannten Programme, Chancengleichheit dadurch zu gewährleisten, dass man auch sexuelle und geschlechtliche Minderheiten sowie rassistisch Deklassierte in realgesellschaftlichen Zusammenhängen gezielt fördert, als attraktiv. In den USA wurden diese Programme m.W. deutlich konsequenter umgesetzt als hierzulande, meines Wissens, wo sie zwar in Unternehmenswerbungen auftauchen, aber selten wirklich gelebt wurden.

Nunmehr in Zeiten eines neuen ethnonationalistischen Protektionismus, der mit Schutzzöllen arbeitet im Falle der USA und offen rassistisch agitiert, greifen wieder Mechanismen aus dem 19. Jahrhundert: es ginge darum, dass sich die Weißen vermehren. Angeblich hätten die Förderprogramme nur einen umgekehrten Rassismus befördert, damit müsse nun Schluß sein. Insofern braucht man auch nicht mehr so zu tun, als müsse man nun geschlechtliche oder sexuelle Minderheiten fördern. Die pflanzen sich wahlweise nicht fort oder bringen die binäre Geschlechterordnung, die man dafür braucht, durcheinander. Stattdessen lieber mal wieder Religion mobilisieren, die eben davon lebt, gar keine Diskussionen zu solchen Themen führen zu müssen. Auch Abtreibungsverbote gehören in diesen Kontext. Im Umkehrschluss gilt, dass der Einsatz für Queers und Frauenrechte gelebter Antifaschismus ist.

So sehr grob das Szenario, in dem sich die Genossenschaftsgründung des FC St. Pauli situiert. Man glaubt es kaum, ist aber so.

Natürlich ist ein Millardengeschäft wie Fussball mittendrin in disen Mechanismen. Interessant ist, dass sich in ihm zwei gesellschaftliche Dimensionen, die Habermas „System und Lebenswelt“ nannte, so eng verschränken wie sonst nirgends. Einerseits „Lebenswelt“ - das ist die kommunikative Infrastruktur, in der Menschen sich alltäglich bewegen: Familie, Freunde, Nachbarn. Aus dieser heraus formieren sich Inhalte für den politisch-demokratischen Diskurs z.B. im Verein. Aber auch in der Politik. Wenn viele Probleme mit der Kita haben, können sie sich zumindest idealerweise an ihre Volksvertreter wenden und sagen: „Hey, mach da mal was!“. Und idealerweise landet das dann in Parteiprogrammen.

System meint zum einen administrative Macht, Polizei, Finanzamt, Vollstreckung der Gerichtsbarkeit. Zum anderen Mechanismen der materiellen Reproduktion - also das Nutzen von Rohstoffen, die Herstellung von Gütern wie Nivea-Creme, die Organisation von Dienstleistungen und Events wie Fussball, der Einsatz von Containern und Kurieren in der Logistik usw.. Generalisiertes Kommunikationsmedium hier ist Geld, das noch nicht mal physisch vorhanden sein muss, sondern in Banken z.B. zirkuliert als Datenmenge. Die Linke mochte Geld oft nicht, verdirbt den Charakter, besonders und freute sich doch, wenn es die Streikkasse füllte oder Löhne nach Arbeitskämpfen erhöht wurden. Ich mag es auch sehr.

In Fussballvereinen traditioneller Prägung gibt es einerseits die lebensweltliche Infrastruktur, Amateursport und Jugendabteilungen, in deren Hände Eltern ihre Kinder geben, angeschlossene Sparvereine und Clubheime, Mitglieder. Auf der andere Seite wuchert und wankt der Profisport als in großen Fussballvereinen immenses Geschäft, in das Sponsoren und andere Personen investieren und dabei unterschiedliche Rechte und Leistungen dafür erhalten.

Das scheint banal. Wie die Genossenschaftgründung des FC St. Pauli zeigt ist es das aber nicht. Manche Vereine haben versucht, Kapital durch Investoren oder Börsengänge zu generieren oder durch Ausgliederung von Unternehmen für den Profibetrieb, um so vor allem die demokratische Mitsprache der Mitglieder einzuschränken und „freier“ agieren zu können. Ein quasi-libertärer Ansatz. Auch der FC St. Pauli verfügt über ein Netzwerk von Subunternehmen, die sich im Gegensatz zu anderen Vereinen aber doch immer noch Entscheidungen auf der Vereinsebene und des gewählten Aufsichtsrates und Präsidiums zu fügen haben, die Geschäftsführungen installieren. In unserem Fall spielt diese Ebene aus Lebenswelten gewachsener Demokratie eine tatsächlich gewichtige Rolle. Sogar informelle Entitäten wie der Fanclubsprecherrat oder die Ultras (USP) spielen eine machtvolle Rolle. Oke Göttlich ist auch deshalb ein sehr guter und erfolgreicher Präsident, weil er die Kommunikation mit diesen formalen und informellen Gremien sehr gut beherrscht und darüber hinaus auch im Institutionengestrüpp rund um den Fussball wie der DFL eine hervorragende und politisch gewichtige Rolle spielt.

Was für ein Konstrukt ist aber bei alledem nun die Genossenschaft? Die Rechtsform ist hinsichtlich dessen, dass es darum geht, Geld einzusammeln und Kapital zu generieren, eine Alternative zur Aktiengesellschaft oder der Anbindung an Finanzinvestoren. Deren Interesse besteht ja darin , irgendwann mehr aus dem Verein herauszuholen, als sie hinein gesteckt haben. Sie wollen zudem auch in demokratische Prozesse hinein regieren. Die Geldgeber können zudem an ökonomisch unappetitliche Prozesse gekoppelt sein.

Traditionell ist Genossenschaft ein Modell z.B. im Wohnungsbau - dadurch, dass man Mitglied ist, bekommt man irgendwann Zugriff auf Wohnraum. Ein anderes Modell, ein klassisch linkes, ist eine Produzentengenossenschaft: der Betrieb oder das Unternehmen gehört denen, die darin arbeiten. Gemeinschaftseigentum an Produktionsmitteln.

Beides ist die FOOTBALL COOPERATIVE ST. PAULI VON 2024 EG nicht. Es ist ein idealerweise renditeorientiertes Modell, dass vielleicht irgendwann Geld zurückfließt, und ansonsten setzt sich die Genossenschaft für etwas ein, das man gut findet. Eine „richtige“ Genossenschaft würde dazu führen, dass man dadurch einen Anspruch auf seinen Hauptribünensitz erwirbt oder sie würde den Mitarbeitern der Geschäftsstelle und denen, die auf dem Trainingsgelände arbeiten, gehören.

Es handelt sich eher um eine Form des Crowdfundings, das verhindert, dass Investoren in den Verein intervenieren können und zugleich wuchernde Verbindlichkeiten getilgt werden. Die Genossenschaft koppelt das an symbolisches Kapital: „Werde Genosse!“ Ein im ökonomischen Sinne linkes Projekt ist es aber nur um ein paar Ecken gedacht. Ich finde den Ansatz trotzdem sehr gut, aber er trägt auch Tücken in sich.

Zum einen wird hier eine Instanz geschaffen, die mit den Vereinsmitgliedern konkurriert. Das mag, da viele „Genossen“ zugleich auch Mitglieder sind, keine so gewichtige Rolle spielen. Nicht alle derer haben jedoch mal eben so 750,-Euro übrig, um Genosse zu werden. Für Bürgergeldempfänger*innen, Alleinerziehende oder viele Rentner*innen, die sich ihr Einkommen mit Flaschen sammeln aufbessern müssen, oder von Bafög lebende Student*innen ist das ein Batzen Geld.

Es schafft somit auch Ungleichheit im Verein. Da es in Zeiten der anti-woke-Doktrinen auch für mich Medienarbeiter ökonomisch als Schwulem deutlich enger geworden ist, habe ich das auch nicht mal eben so über. Es ist ein Projekt für den gehobenen Mittelstand, der sein Geld in der Werbung, in der Chemieindustrie oder Versicherungen, manche sogar im Finanzamt, verdient und das dann ins Lieblings- Hobby stecken kann. Mancher, der oder die auf der Geschäftsstelle arbeitet oder in der Vereinsinfrastruktur, wo es Konflikte darum gab, dass der Verein die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und die Einbindung in Tarifverträge im klassisch neoliberalen Sinne zeitweise blockierte, wird es sich leisten können, „Genosse“ zu werden, weiß nicht, ob auch von Genoss*innen die Rede ist, da Geld hinein zu stecken, andere nicht.

Die Satzung ist diffus gehalten. Der Zweck wird folgendermaßen formuliert:

„(1) 'Zweck der Genossenschaft ist die Förderung der sozialen, kulturellen und wirt-

schaftlichen Belange ihrer Mitglieder. 2 Sie tut dies insbesondere durch Stärkung

der kulturellen, sozialen und sportlichen Aktivitäten des Fußball-Clubs St. Pauli von

1910 e.V. (im Folgenden: FCSP Verein), wobei maßgeblich die wirtschaftliche und

sonstige Unabhängigkeit des FCSP Vereins gewährleistet und gefördert werden

soll.

(2) Unternehmensgegenstände der Genossenschaft sind:

a) Bau, Erwerb, Erhalt, Optimierung, Betrieb, Verwertung/Vermietung von Sport-

und Veranstaltungsstätten sowie damit verbunden Beteiligungen an Gesell-

schaften

b) die Entwicklung des Sports, insb. auch die Professionalisierung von Sport au-

ßerhalb des Herrenfußballs, durch

1. Vermarktung,

2. Verbesserung von Spiel- und Trainingsstätten,

3. finanzielle und ideelle Unterstützung von Sportler*innen,

4. Kooperationen mit und Beteiligungen an Gesellschaften und gemeinnützi-

gen Organisationen

c) Förderung von sozialen, kulturellen, nachhaltigen und anderen gemeinnützigen

Projekten, z.B. durch Gründung von, Kooperationen mit und Beteiligungen an

Gesellschaften und gemeinnützigen Organisationen, insbesondere im Stadtteil

Hamburg-St. Pauli.

(3) Die Genossenschaft ist berechtigt, andere Unternehmen zu errichten und zu erwer-

ben, sowie sich an anderen Unternehmen zu beteiligen.“

Quelle:

https://support.fcspeg.com/portal/api/kbArticles/121896000013251635/locale/de/attachments/1zejlcfb31d226e474f509113a1e4692819a1/content?portalId=edbsnbe66f072c9a569243933af0b7ee03e4508e3c6c0e66895f4e8794fa5ce13cfb6&inline=true (Opens in a new window)

Mein guter und langjähriger Freund Erik Hauth verweist in seinem Podcast auch auf das Diffuse des Zwecks (Opens in a new window). Da können prinzipiell in ferner Zukunft noch die dollsten Sachen finanziert werden, Punkt (1) betreffend. Aber der Plan, z.B. in der Arbeit gegen Queerfeindlichkeit, also Antifaschismus, relevante (!) finanzielle Akzente zu setzen, das ist mir zumindest bisher nicht begegnet. Als queer bleibt man in der Bittstellerhaltung wie überall sonst auch und darf dankbar dafür sein, in der Fankurve nicht verprügelt zu werden und sich von Regenbogenfahnen umgeben zu sehen. Nun darf man auch noch bei der Genossenschaft betteln, wenn die Verbindlichkeiten des Vereins irgendwann getilgt sein werden. Ein Konzept von mir liegt seit über einem Jahr durchkalkuliert bei der Almosen-Abteilung „Kiezhelden“ herum und ruht. Ein Problem im Vereinsdschungel ist, dass solche Anliegen auch von Ehrenamtlichen gekapert und verteidigt werden. Was dazu führt, dass der Verein hier nicht zu investieren braucht. Das ehrenamtliche Engagement verhindert dies. Ich mache so was deshalb nicht mehr. War auch nicht lustig bei „1910 e.V.“.

Das fällt jedoch alles noch hinter das zurück, was als „progressiver Neoliberalismus“ bezeichnet wird und was Trump gerade abräumt, eben die oben skizzierten Programme der „Affirmative Action“: Es gibt Leitlinien, die auf Diversity verweisen, aber keine rechtliche Verbindlichkeit. Das führt IMMER zu Situationen, in denen Marginalisierte auf das Gutdünken und die Willkür von Mehrheitsgesellschaftlern angewiesen bleiben.


 Überall da, wo es um materielle Reproduktion geht, spielen Marginalisierte seit dem Ausstieg von Corny Littmann, der ökonomisch alles andere als marginalisiert ist, keine Rolle im Verein. Sämtliche Scharniere bis hin zur Medienabteilung sind meines Wissens systematisch mit weißen Heterosexuellen besetzt - ich hätte beinahe geschrieben „wie in der CDU“, aber da gibt es ja leider auch Jens Spahn, ebenso wie es auch Peter Thiel gibt. Die sind aber kein Grund, nun im Rahmen ökonomischer Macht nur auf Mehrheitsgesellschafter zu setzen. Es gibt ja auch genug fiese Heteros, ohne dass das verallgemeinert würde. Es gibt auch niemand, der ökonomisch deklassiert lebt und auch nur irgendwo im Verein eine machtvolle Rolle spielen würde m.W., außer ehrenamtlich in der AFM. Stattdessen streitet man um Tarifverträge.

Rückbezogen auf die Frage, ob es sich denn nun überhaupt um ein progressives Modell handelt bei der Genossenschaft: Ja, weil es eines ist, dass die oben skizzierten Prozesse des Abschöpfens und des Einflusses der eh schon Reichen etwas entgegen setzt, das wenigstens am Mittelstand orientiert ist. Es kann so prinzipiell auch die mediale Wirkung sich noch besser entfalten und eines Tages vielleicht auch Projekte von BPoC im Stadtteil kofinanziert werden. Die lebensweltliche Wirkung im Symbolischen ist gegeben, allerdings nicht in eine geregelte kommunikative Infrastruktur integriert, in der Queers über den Amateursport hinaus und ein Ehrenamtsmitglied hinaus etwas zu sagen hätten. BPoC schon mal gar nicht. Entsprechend dünn auch die Besetzung bei CSD-Demos, wo man dann auch mal ein Fahne an die Trucks anderer Leute hängt und sich damit brüstet.


 Nein, weil es zu der Mitgliederversammlung eine Konkurrenz installiert, und sei es auch nur eine symbolische, die sich an Einkommen orientiert. Es gibt noch nicht einmal die in den USA erprobten Integrationsmechanismen Marginalisierter mit irgendeiner bindenden Wirkung. Die Genossenschaft stärkt m.W. auch nur dann Vereinsangestellte, wenn diese dazu bereit sind, dafür auch noch Geld auszugeben. Viele verdienen dafür vermutlich nicht genug. Mir ist zumindest nicht bekannt, dass diese automatisch beteiligt würden, wie es in progressiven Ansätzen eigentlich sein müsste.

Es ist ein Weg, Kapital mal anders zu generieren, und ein besserer, als Großinvestoren in den Verein zu holen und dafür Rechte abzugeben. Das ist im Sinne der zu Beginn skizzierten ökonomischen Prozesse sehr gut. Es ist aber auch keine Möglichkeit für Mittelständler, so zu investieren, dass man sich anschließend eine größere Wohnung leisten könnte. So habe ich es zumindest nicht verstanden.

Wirklich ärgerlich sind zum Teil die Werbekampagnen. Kein Geld für Queers auszugeben, aber sie dann im Marketing zu nutzen, ist ein zweischneidiges Schwert beim FC St. Pauli wie bei Starbucks: es wird eine Atmosphäre kreiert, dass sie sich in dem Umfeld wohl fühlen können, Solidarität signalisiert und Sichtbarkeit gewährleistet. Das ist schon viel. Irgendeine ökonomische Sicherheit entsteht jedoch nur bei rechtlich verbindlichen und zudem gut finanzierten Programmen.

Dann aber auch noch zu behaupten, wie es in einer Anzeige geschieht, dass es ohne den FC St. Pauli keine Vielfalt gäbe, und so die Regenbogenflagge zu nutzen, um Kleinanleger zu werben wie in einem Private Equtiy Fond, das ist schon eine Frechheit.

Es haben sich Menschen von der Polizei verprügeln und inhaftieren lassen im Zuge queerer Bewegungen oder wie ich auf recht viel Geld verzichtet, um sich für Diversity zu engagieren. Sie sind durch Traumata wie die AIDS-Katastrophe gegangen, die auch negativ Getestete psychisch hart erwischte und die positiv Getesteten massenhaft sterben ließ, und wir haben trotzdem für unsere Rechte gekämpft - andere erheblich härter als ich, aber ich stünde in mancherlei Hinsicht auch besser dar, hätte ich es bleiben gelassen.

Und dann kommt der FC St. Pauli, beutet das symbolisch aus und behauptet sich noch als Möglichkeitsbedingung von Vielfalt. Als habe es all das gar nicht gegeben.

Man merkt dann, dass es ein von Heteros geführter Verein ist, dem die queere Historie schlicht egal ist. Geld einsammeln kann man ja auch so.

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Topic Gesellschaft

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