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Kolonialismus im Pasta-Regal?

📍First Stop: Pasta-Regal, egal wo. 🚗

Als ich Anfang des Jahres für einen Text recherchierte, den ich für den Katalog des Museum Ulm für die Ausstellung “al dente. Pasta und Design”, (Opens in a new window) schreiben sollte, stieß ich auf ein Detail, das bisher wenig Aufmerksamkeit bekommen hat: Pastanamen und die Geschichte dahinter. Immer, wenn ich einen gut sortierten Supermarkt betrat, egal wo, in München, in Frankreich, der Schweiz oder in Italien, sah ich mir das Pasta-Regal genau an. Die Namen für die verschiedenen Pasta-Formate faszinieren mich. An einem Namen blieb ich jedoch länger hängen: Tripoline.

De Cecco Tripoline bei Edeka in München

Tripoline klingt irgendwie sehr nach Tripolis. Das ist natürlich kein Zufall. Die Namensgebungen der Pasta sind oft, nicht immer, Spiegel der Geschichte und der Wirklichkeit. So zum Beispiel die Radiatori, die vermutlich zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg entstanden sind und mit ihrer Form an Heizkörper erinnern sollen:

Radiatori
Radiatori

Zurück zu den Tripoline. Wie oben erwähnt, ist die Namensgebung bei dieser Pasta kein Zufall. Tripolis wurde 1911 von Italien besetzt. In den 1930er-Jahren kommen Eritrea und Äthiopien als Kolonien in Ostafrika dazu. Genau zu dieser Zeit tauchen auch neue Pastanamen auf: Tripoline, Bengasine (Bengasi, lybische Hafenstadt), Assabesi (Assab, Stadt in Eritrea) und Abissine (Kaiserreich Abessinien, Äthiopien).

Um die italienischen Kolonien des faschistischen Regimes unter Mussolini zu “feiern” gab man der Pasta diese Namen. Das war natürlich Propaganda und sollte dazu dienen, die Invasionen zu rechtfertigen: Ziel von Mussolini war es unter anderem, die nordafrikanischen Kolonien zum granaio d’Italia zu machen, also zu einer Art Weizenkammer, denn Italien war selbst nicht in der Lage, genug Weizen für die Pastaproduktion auf eigenem Boden zu kultivieren. (Deshalb gab es sogar eine Zeit, in der Mussolini dazu aufrief, mehr Reis statt Pasta zu konsumieren. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.) Der Erfolg der Weizenproduktion in den Kolonien blieb übrigens aus.

Der Skandal um “La Molisana”

Die meisten Pastahersteller in Italien haben diese Namen im Stillen entfernt und den Formen andere Bezeichnungen gegeben. Aber eben nicht alle. Es finden sich noch immer ein paar Ausnahmen.

Den größten Fail legte der Hersteller La Molisana 2021 mit einer Marketing-Kampagne hin, die für einen Shitstorm auf Twitter sorgte. Und das sah so aus:

Beworben wurden die Abissine zusätzlich mit diesem Text:

Negli anni Trenta l’Italia celebra la stagione del colonialismo con nuovi formati di pasta: Tripoline, Bengasine, Assabesi e Abissine. La pasta di semola diventa elemento aggregante? Perché no!
Di sicuro sapore littorio, il nome delle Abissine Rigate all’estero si trasforma in ‘shells’ ovvero conchiglie. Hanno una forma morbida ed accogliente, a scodella, l’esterno è rigato e ruvido e l’interno appare liscio; ideali per sughi vegetali e freschi. A noi piacciono moltissimo perché si presentano compatte e perfette come piccoli gioielli o monili femminili.

Übersetzung:

„In den 1930er Jahren feierte Italien die Zeit des Kolonialismus mit neuen Nudelformen: Tripoline, Bengasine, Assabesi und Abissine. (…)
Der Name Abissine Rigate, der im Ausland als „Muscheln“ bezeichnet wird, hat sicherlich einen diktatorischen Geschmack. Sie haben eine weiche, schalenartige Form, die Außenseite ist geriffelt und rau und das Innere erscheint glatt; ideal für Gemüse und frische Saucen. Wir mögen sie sehr, weil sie kompakt sind und sich perfekt als kleiner Schmuck oder Damenschmuck eignen.“

Diese Werbekampagne wurde zurecht kritisiert. La Molisana gab daraufhin ein öffentliches Statement mit einer Entschuldigung ab und benannte die Pastasorte um. Hätte dieser Pastahersteller nicht eine so große Werbemaßnahme gestartet, wäre die fragwürdige Namensgebung vermutlich fast unentdeckt geblieben. Und so verhält es sich auch mit den Tripoline.

Pasta, Propaganda und ein komischer Beigeschmack

Die Problematik der ganzen Sache liegt darin, dass im Zuge der Kolonialisierung auch große Unternehmen, wie beispielsweise Barilla, in Ostafrika waren und dort zum faschistischem Narrativ beigetragen haben, indem man etwa eritreischen Kindern Pastapackungen gab und sie damit fotografierte. In Italien kursierten zur damaligen Zeit etliche Werbeprodukte (Kalender, Postkarten, etc.) von Barilla mit afrikanisch aussehenden Kindern (oftmals gezeichnet oder gemalt) und Pasta. Dadurch sollte suggeriert werden, dass die italienische Präsenz in Ostafrika positiv für die Einheimischen war und aus der Bereitstellung von Lebensmittel bestand. In Wahrheit handelte es sich um militärische Aktionen.

In den ostafrikanischen Kolonien, das ist heute sehr genau belegt, war es zudem nicht unüblich, dass italienische Soldaten eritreische Frauen und Mädchen als Köchinnen engagierten. Nicht die Italiener ernährten die Menschen in den Kolonien, sondern genau umgekehrt. Man weiß auch, dass die Soldaten eritreische Köchinnen (und andere Frauen) brutal vergewaltigten.

Faschismus und Lebensmittel

Wie kann es also sein, dass es noch immer Pasta gibt, die an italienische Kolonien erinnert? Und: Sollte man alle Pastaformate umbennen?

Ich spreche dazu mit Diana Garvin. Sie ist Historikern und Professorin für Italienisch an der Universität von Oregon und hat sich mit der Rolle von Lebensmitteln im Faschismus beschäftigt.

Politische Geschichte auf der Verpackung?

„Was das Tripoline-Problem betrifft, so führten mehrere Marken bis vor einigen Jahren diese Bezeichnung. Die meisten wurden umbenannt, was auf einen gewissen Konsens unter den Nudelmarken hindeutet, wie sie damit umgehen wollen: schnell und mit einem Minimum an Medienberichterstattung“, sagt Diana Garvin.

Die Historikerin betont auch, dass es zwar eine gute Idee sei, die alten Produktnahmen zu ändern, da sie aus einer Zeit stammen, in der Italiens koloniale Expansion zu Zwecken der Propaganda verherrlich wurde. Andererseits könnte man auch argumentieren, dass mit der Löschung des Namens die Geschichte dieser Zeit verdrängt wird.

Garvins Gegenvorschlag: Man müsse die Namen in einen Kontext setzen, am besten direkt auf der Verpackung der Produkte: „Lebensmittelverpackungen enthalten auf der Rückseite oft eine kurze (meist phantasievolle oder sensorische) Beschreibung der Geschichte eines Gerichts. Warum diesen Platz nicht nutzen, um die faszinierende - und ja, manchmal schwierige - Geschichte dieses Lebensmittels zu erzählen? Dazu bräuchte es nur ein paar Sätze. Menschen lesen Verpackungen, während sie darauf warten, dass das Wasser kocht, und sie könnten diese Geschichte mit ihrer Familie oder ihren Freunden teilen, die mit ihnen in der Küche stehen,“ sagt sie.

Das könne ein einfacher und zugänglicher Weg sein, um Menschen über Lebensmittel in ein Gespräch über politische Geschichte zu bringen. Pasta und andere Lebensmittel sind etwas, das jeder verstehen könne. Es müsse nicht belehrend oder langweilig sein.

Diana Garvin hat während unseres Austauschs direkt eine Idee, wie so etwas im Falle der Tripoline aussehen könnte: „Eine politische Geschichte zu den Tripoline in vier Sätzen könnte etwa so lauten: Diese Bandnudel ist eine königliche Nudel. Manche sagen, sie wurde zu Ehren von König Viktor Emanuel von Neapel kreiert. Eine besonders lockige Version ehrte die Locken von Prinzessin Mafalda (mafalde, mafaldine). Doch 1912 zog die Pasta in den Krieg: Umbenannt in „Tripoline“, kündigte sie die Invasion Libyens und die neue Kolonialhauptstadt an. Heute nennen wir sie ruffles (dt.: Rüschen oder Kräusel) - ein ruhiger Name für eine Pasta mit so vielen Windungen und Kurven.“

Italien und der Kolonialismus

Würde man eine derartige Erklärung, wie die aus Diana Garvins Vorschlag, auf Pastaverpackungen drucken, würde das Thema um die Aufarbeitung der Geschichte der kolonialen Vergangenheit Italiens vielleicht mehr Aufmerksamkeit bekommen. Es wäre eine zugängliche Art und Weise, einen schwierigen Sachverhalt zu erklären, ohne ihn zu verdrängen. Denn eines der größten Probleme in Italien, wenn es um Faschismus geht, ist, dass Italien seine Vergangenheit de facto nie wirklich aufgearbeitet hat. Wer schon einmal in Rom war, weiß, dass es etliche Gebäude und Inschriften gibt, die Mussolini oder den Faschismus ehren und verherrlichen. Sie sind einfach so da, ohne Kontext.

Vielleicht wäre ein bisschen Geschichte auf einer Pastaverpackung ein guter Schritt, um anzufangen?

PS: Ich habe die Hersteller De Cecco und Rummo kontaktiert und gefragt, warum sie die Pastasorte mit dem Namen Tripoline in ihrem Sortiment führen und ob es Überlegungen gibt, wie man mit diesem Namen umgeht. Meine Anfrage wurde bisher nur von Rummo beantwortet, man findet die Namensgebung dort unproblematisch. So lautete die Antwort der Marketing-Abteilung (ins Deutsche übersetzt):

Die Pasta Tripoline ist bei den Verbrauchern nach wie vor sehr beliebt, und wir sind der Meinung, dass sie heute zur gastronomischen Tradition unseres Landes gehört.

Daher haben wir sie in unsere Produktlinie Le Leggendarie aufgenommen, die typische italienische Formate mit einem Hauch von Kreativität und Originalität neu auf den Tisch bringt.

Wir sind der Meinung, dass es derzeit keine Verbindung zu einem bestimmten Ort oder einer bestimmten historischen Epoche gibt, so dass wir es nicht für problematisch halten, diesen Namen beizubehalten, der unseren Kunden und Verbrauchern als Pastaformat vertraut ist, ohne dass sie gedanklich mit einem bestimmten historischen Ereignis verbunden sind.

Pasta und Antifaschismus

Um jetzt diesen Newsletter mit einem schönen Gedanken abzuschließen, möchte ich euch noch die Geschichte der pastasciutta antifascista erzählen:

Als Mussolini am 25. Juli 1943 verhaftet wurde, verbreitete sich die Nachricht im ganzen Land. Die Menschen freuten sich, waren voller Hoffnung. Um diesen Neuanfang zu feiern, hatten die sieben Brüder Gelindo, Antenore, Aldo, Ferdinando, Agostino, Ovidio und Ettore der Familie Cervi aus der Emilia-Romagna eine Idee: Sie besorgten sich Mehl, Butter und Käse und kochten auf der Piazza pastasciutta für alle und verteilten sie an die Menschen aus ihrem Ort. Bis heute ist es in Italien eine Tradition, am Tag der Befreiung pastasciutta gemeinsam zu essen, oft passiert das im Rahmen von größeren Veranstaltungen.

Die pastasciutta ist so zum Symbol der italienischen Resistenza geworden, und vor allem auch für Menschlichkeit. Denn: Was gibt es Schöneres als ein friedliches, gemeinsames Essen?

Links:

Ausstellung Museum Ulm „al dente. Pasta und Design (Opens in a new window)

Diana Garvin, Webseite (Opens in a new window)

Eintrag zu Tripolini im Archivio Storico Barilla (Opens in a new window)

Tripoline bei Rummo (Opens in a new window)

Tripoline bei De Cecco (Opens in a new window)

Quellen:

Cerri, Marco: La pastasciutta dei Cervi : fame, dono e sfida antifascista in una festa del luglio 1943. Prima edizione. Roma: Viella, 2023.

Cinotto, Simone: Gastrofascismo e impero : il cibo nell’Africa orientale italiana, 1935-1941. Milano: Mimesis, 2022.

Filippi, Francesco. Noi però gli abbiamo fatto le strade : le colonie italiane tra bugie, razzismi e amnesie. Prima edizione. Torino: Bollati Boringhieri, 2021.

Garvin, Diana: Building pasta’s empire: Barilla in Italian East Africa. In: Modern Italy 28, S.97-126, 2023. (Opens in a new window) (In diesem Aufsatz finden sich auch die von mir im Text beschriebenen Werbeprodukte und Postkarten aus der damaligen Zeit.)

Garvin, Diana: Feeding Fascism. The Politics of Women’s Food Work, University of Toronto Press, 2022.