Meine letzte Woche (& Buch-Ecke)



Ich komme mir dieser Tage vor wie in einem dystopischen Stück, das auf der Weltbühne aufgeführt wird. Gestern sagte ich zu einer Kollegin im Büroflur: „Ich verstehe die Welt nicht mehr.“ Sie blickte mich ratlos an und dann sprachen wir über Herr der Ringe, C.S. Lewis und die Gleichnisse von Jesus.
Mein Weltbild ist erschüttert und ich könnte hier eine lange Liste aufführen von Dingen, die mich beunruhigen. Die Richtung, in die wir gehen, ist eine gefährliche. Ich werde u.a. daran erinnert, wenn ich mit meiner Tochter in den USA telefoniere („Mama, im Nachbarstaat ist jetzt die Regenbogenflagge illegal, aber nicht die Hakenkreuzflagge.“ „Ich musste schon an sechs Amoklauf-Schutzübungen an der Schule teilnehmen.“ „Meine Immigranten-Schulkameraden haben Angst.“).
Es gab viele, viele Stunden diese Woche, in denen ich auf dem Sofa saß und Tränen vergoß und die Angst sich wie eine kalte Hand um mein Herz legte.
Und heute wurde mir klar: Die größte Gefahr lauert in der Lähmung, die das Weltgeschehen in uns auslöst. Sie kann dazu führen, dass wir aufhören, die guten Dinge zu zu tun: für uns selbst, für unsere Menschen, für unser Umfeld.
Deshalb löste ich mich immer wieder aus meiner Sofaverschmelzung. In diesen Momenten, als ich Aktion trat, beruhigte sich etwas in mir. Egal, ob ich ein paar Zimmerpflanzen umtopfte, ein Curry kochte oder eine Ladung Wäsche wusch. Diese sich wiederholenden Elemente verankern mich in meinem Leben, geben mir Sicherheit und Trost.
Ich will nicht aufhören, die guten Dinge zu tun. Auch wenn sie noch so klein sind und nichts am Weltgeschehen ändern. Aber sie ändern etwas in mir.
Komm, ich nehm dich mit in meine vergangene Woche. Ich erzählte dir von all den guten Dingen, die mir passierten, die ich tun konnte. Das ist dieser Tage meine Art des Widerstands:

Innerhalb einer Woche erlebten wir strengen Frost und warmen Vorfrühling. An einem Tag stritten sich die frierenden Spatzen um die letzten Sonnenblumenkerne an meiner schneebedeckten Futterstelle und drei Tage später torkelten die ersten Zitronenfalter durch meinen sonnendurchfluteten Garten. Mich zog es hinaus, die Erde roch nach dunkler, fruchtbarer Nässe, die Krokusse schoben sich aus dem Boden, die Katze wälzte sich genussvoll im alten Kartoffelbeet. Die Natur bleibt ihrem Rhythmus treu, diese Verlässlichkeit tröstet mich. Ich schnitt Stauden zurück, entfernte Unkräuter, füllte Hochbeete mit Pferdemist und Kompost und säte ersten Spinat und Salat ins Frühbeet. Ich nutzte die warme Brise, wusch Bettwäsche und hängte sie im Freien auf.
Ich topfte einige Zimmerpflanzen um, jetzt dürfen sich ihre Wurzeln wieder strecken und neue Nährstoffe aufsaugen. Es ist seltsam befriedigend, dabei zuzusehen, wie sich ihr Blattgrün erholt und sie vor Energie strahlen.
Ich brauchte ein paar neue Dinge für den Haushalt und wie so oft wurde ich in unserem Secondhandladen fündig. Ein paar neue Übertöpfe (für die umgetopften Zimmerpflanzen), ein Geschenk für eine Freundin und diese grandiose Kühltasche aus den 70er (?) Jahren.

So manche Abende verbrachte ich mit meinen Aquarellfarben. Malen, Zeichnen, Skizzieren beruhigen mich, stellen einen meditativen Zustand her. Probier es selbst. Stell deinen Timer auf eine halbe Stunde oder auf zehn Minuten und erlaube dir, einfach nur vor dich hinzupinseln, – kritzeln, -skizzieren.

Ich ging in einen Sonntagsgottesdienst und fand Halt in den alten Liturgien und Liedern und dem Buntglasfenster, das Jesus mit blutenden Händen und einer Dornenkrone auf dem Kopf zeigte. Und ich musste an die Geiseln in Gaza und die Ermordeten in Kongo und …ach, an alles Blutvergießen denken. Gott, der mit uns blutet und leidet und allen Schmerz mitträgt.
Sonntagabend lud ich eine Freundin samt Tochter ein. Wir kochten gemeinsam, stießen mit Sekt an, spielten Karten, lachten, diskutierten, schauten die Wahlergebnisse in der Tagesschau an. „Nicht allein bleiben“. Das ist meine Devise dieser Tage. Ich brauche echte Freundschaften, Verbundenheit, Auseinandersetzung, Horizonterweiterung. Medikament gegen Vergiftungen, die wir uns in sozialen Netzwerken zuziehen.
Ich laufe wieder mehr. Meine ganze Wut und Angst und Traurigkeit stampfe ich in den Waldboden. Und ich bade im See. Zusammen mit Freundinnen. Einmal in der Woche. Das 6 Grad kalte Wasser ist wie ein Schock, die Überwindung eine Versicherung, dass man auch das Unmögliche bewältigen kann. Der Dopaminkick, wenn die Wärme in den Körper zurückkehrt, ein Rausch. Die Natur ist meine honorarlose Therapeutin.
Ein weitere Medikament gegen den unguten Sekundentakt von Nachrichten, gegen Doomscrolling, gegen Schwarz-Weiß-Denken sind wie immer die guten, alten Bücher. Sie stärken Konzentrationsfähigkeit, Intellekt, Empathie, welche die Aufmerksamkeitsindustrie zerfasern möchte. Lesen ist Widerstand, Leute! Kein Wunder, dass Bücher in totalitären Regimes auf dem Scheiterhaufen oder auf roten Listen landen. Ich habe mich diese Woche in einer zweiten Bücherei registriert. Denn die besten Bücher meiner alten Bibliothek kenne ich schon alle. Ich glaube, ich brauche Hilfe!
…weil wir gerade beim Thema sind. Es wird mal wieder Zeit für ein paar Buchvorstellungen!
BUCH-ECKE
Sturmmädchen (Opens in a new window) (Lilly Bernstein)

⭐⭐⭐⭐⭐
Bewertung: 4.5 von 5.
Die Geschichte spielt während des Dritten Reichs in der Eifel und handelt von der jungen, gehbehinderten Elli und ihren zwei Freundinnen. Die eine ist Jüdin, die andere wendet sich den Nazis zu. Elli steht in einem extremen Spannungsfeld und doch entscheidet sie sich immer wieder dafür, mit ihren begrenzten Mitteln für die jüdische Freundin einzustehen. Dabei erfährt man einiges über das harte Leben der Landbevölkerung in der Eifel, über die Schmuggelwege ins nahe gelegene Belgien und über unkontrollierbare Dynamiken. Immer wenn ich glaubte, es kommt nicht mehr schlimmer…du ahnst es….kam es schlimmer. Also nur lesen, wenn man gerade nicht eh schon an der Welt verzweifelt (Aber soviel sei gesagt: Es geht besser aus als erwartet!). Dieses Buch Mut, Zivilcourage zu zeigen.
Sandwich (Opens in a new window) (Catherine Newman)

⭐⭐⭐⭐
Bewertung: 3.5 von 5.
Dieses Buch begegnete mir letzten Sommer ständig auf Instagram. Ich war mir sicher: „Ich werde es lieben!“ (Und wieder einmal lernte ich: Glaube nicht jedem Hype). Zur Handlung: Eine Familie, drei Generationen, verbringt ihren Urlaub wie jedes Jahr auf Cape Cod. Rocky, die Mutter, steht mitten im Leben und befindet sich im Übergangsstadium zwischen der Erziehung ihrer Kinder und der Pflege ihrer älteren Eltern befindet. Das Buch erzählt die Geschichte von Rockys Erfahrungen, als sie sich in ihrer „Sandwich“-Position wiederfindet.
Ich liebe die Location des Buches, den New England Beach Vibe, den Humor und auch so manche Beschreibung menopausaler Zwischenfälle. Es hätte ein richtig gutes Buch werden können! Und in Ansätzen ist es das auch. Aber: Mir ist die Beziehung von Rocky zu ihren Kinder ZU offen und freizügig. Ich bekam beim Lesen mehrere Cringe-Anfälle. Und es werden viele – zuviele! – Themen angerissen. Wenn man die Cringe-Stellen überspringt, ergibt das Buch alles im allem eine solide Sommerlektüre.
Anlauf nehmen fürs Leben (Opens in a new window) (Daniela Albert)

⭐⭐⭐⭐⭐
Bewertung: 5 von 5.
Ich lese kaum mehr Erziehungsratgeber, weil meine Kids mit Siebenmeilenstiefeln dem Erwachsensein entgegeneilen und ich das Gefühl habe, nichts mehr hinzufügen zu müssen. Aber dieser Begleiter hat mir Mut gemacht! Und mich beglückt. Es gibt wenige Erziehungsbücher im christlichen Sektor, die ich ohne Bauchschmerzen lesen kann. Das ist eines davon. Ich mag Danielas entspannte, unaufgeregte und vor allem undogmatische Art. Dabei greift sie auf ihre eigenen Erfahrungen und auch wissenschaftliche Erkenntnisse zurück. Ich empfehle dieses Buch allen, die Kinder zwischen Grundschule und Teenagerjahren begleiten dürfen!
Mein Israel und ich (Opens in a new window) (Nicola Albrecht)

⭐⭐⭐⭐⭐
Bewertung: 5 von 5.
Die ARD-Korrespondetin wird mit ihrer Familie 2014 nach Tel Aviv versetzt. Sie nimmt uns mit auf eine Reise vom äußersten Norden Israels bis zum Roten Meer. Dabei lässt sie ihre Erlebnisse in Tel Aviv und Jaffa einfließen und sie zeichnet dabei ein sehr diverses Bild Israels. Und genau das gefällt mir an diesem Buch. Es wird an keiner Stelle ideologisch, sondern Albrecht lässt die Menschen zu Wort kommen: Künstler in Rosh Pina, Beduinen im Westjordanland, Siedler, Kibbuzniks, Palästinenser, Christen, Jugendliche, Kinder, Alten. All diese Geschichten beweisen: Der Nahe Osten ist mehr als nur Konflikt. Und: Wir dürfen nicht einseitig denken. Das Buch hat in mir starke Resonanzen ausgelöst. Einerseits Trauer um die Unmöglichkeit von gerechten Lösungen. Und andererseits die Sehnsucht, selbst mal wieder nach Israel zu reisen und die Road 90 von Norden nach Süden zu fahren.
The Vaster Wilds (Opens in a new window)(Lauren Groff)

⭐⭐⭐⭐⭐
Bewertung: 5 von 5.
Vaster Wilds erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die im 17. Jahrhundert vor einer Hungersnot flieht und in einem abgelegenen Waldgebiet in Nordamerika überleben muss. In Rückblenden baut sich langsam ein Bild auf, wer dieses Mädchen ist und was sie an diesen Punkt brachte. Das Buch behandelt die Heldinnenreise auf eine poetische, unmittelbare und fast traumhafte Weise, wie ich sie selten erlebt habe. Ein Highlight- inhaltlich und gestalterisch.
Hagitude (Opens in a new window) (Sharon Blackie)

⭐⭐⭐
Bewertung: 3 von 5.