Wie Kleidung unsere Erziehung beeinflusst
Dear Rebels with Kids,
passend zur Fußball-EM und zum Start der Olympischen Spiele geht es in diesem Newsletter um Bewegung und die Frage: Wie oft hindert uns – vor allem Frauen und Mädchen – die eigene Kleidung eigentlich an der Bewegung? Ein Beispiel aus meinem Leben:
„Mama, fängst du mich?“
„Das geht gerade nicht, ich kann mit diesen Flip-Flops nicht gut rennen“
Wer kennt‘s? Bestimmt sehr viele von uns. Okay, ja, vielleicht sind es nicht immer Schuhe, sondern manchmal die enge Jeanshose oder das gute Kleid. Manchmal sind wir überraschend schnell aus der Puste oder verlieren direkt wieder den Spaß an der Bewegung – wegen unserer unpraktischen Kleidung. Mich persönlich haben schon sehr viele meiner Kleidungsstücke davon abgehalten, meinem Kind hinterherzuwetzen - ich konnte meine „Erwachsenen-Ausreden“ irgendwann selbst nicht mehr hören. Vor allem, weil ich doch Sport immer geliebt habe. Als Kind war ich die Erste, die auf einen Baum geklettert ist oder Fußball gespielt oder Karatekicks auf dem Rasen vorgeführt hat. Warum, dachte ich, latsche ich heute lieber mit meinen guten Sachen durch die Gegend und bin die Mutter, die ihrem Sohn von der Bank aus beim Rennen zuwinkt? Es dauerte, um zu realisieren, dass sehr oft die Kleidung das Problem ist und nicht mein Bedürfnis nach Entspannung - denn Sport baut Stress ab und entspannt ja schließlich auch. Und es hat mich gewurmt; Ich wollte nicht den Eindruck erwecken, dass Frauen generell unsportlich sind oder sich ungern bewegen oder lieber hübsch aussehen, als ihren Spaß zu haben. Aber die bittere Wahrheit ist auch: Genau so kommt es doch, wenn wir schon kleine Mädchen in unpraktische Kleider und Sandalen stecken.
Zugegeben, manches schleicht sich auch erst mit der Zeit ein, denn als Kind trug ich noch rein praktische Kleidung. Eigentlich trug ich fast alles, was mein älterer Bruder nicht mehr brauchte – diese Sachen konnte ich im Sand dreckig machen oder beim Klettern abnutzen, wie ich wollte. Meine Mutter legte keinen Wert auf schöne Kleider für den Alltag, sie kam vom Dorf und war sicherlich auch dadurch eher der pragmatische Typ. Das Gute daran war, dass ich so schon früh meinen Spaß an Bewegung entdeckte und später sogar auf eine Schule mit Sportprofil kam – nachmittags ließ ich dann meine Energie noch in allen möglichen Vereinen raus; Basketball, Fußball, Cheerleading, Reiten, Judo, Tanzen – nichts, was ich nicht ausprobiert hätte. Mir ging es nicht um Leistung, sondern um meinen Spaß und darum, Neues kennenzulernen. Durch Sport fühlte ich mich ausgeglichener und ich entwickelte Vertrauen in meine körperlichen Fähigkeiten. Beim sogenannten „Bankketschen“ in der Schule warf ich viele Jungs von den baumstammförmigen Holzbänken. Ich fühlte mich stark.
Wichtiger als Farben sind die Schnitte
Wenn wir also Kleidung für unsere Kinder auswählen, dann sollte es nicht unbedingt an erster Stelle um die Farben gehen. Ja, rosa, orange, gelb auch Jungen anzubieten, ist wichtig! Aber wir wissen mittlerweile auch, dass gerade Drei- bis Sechsjährige vorübergehend zu kleinen Wächter*innen normierter Geschlechterrollen werden können und gerne auf Pink für Mädchen und Blau für Jungen bestehen - das ist eine normale Entwicklung, identitätsbildend und differenziert sich später wieder aus, wenn wir mit ihnen im Gespräch bleiben. Worauf es wirklich ankommt: Bewegungsfreiheit. Denn Kleidung hat für Kinder eine wichtige Funktion, die über das Aussehen hinausgeht; Sie beeinflusst, welche Fähigkeiten unser Nachwuchs herausbildet.
Schon Kita-Kinder rennen, klettern, buddeln, hangeln sich an Gerüsten entlang, baumeln kopfüber von der Stange, fahren Fahrrad, sammeln kleine Steine ein oder wollen andere Gegenstände in Taschen verstauen. Kleidung kann pink oder lila oder neongrün sein, aber wenn sie den Kindern nicht erlaubt, sich frei zu bewegen, dann verhindert sie auch ihre ganzheitliche Entwicklung. Der Elterntrick ist: Den Kindern eine Vorauswahl aus funktionaler Kleidung und Schuhen anbieten, aus denen sie eine passende Farbe für sich auswählen dürfen. Und wenn sie die Kleidung oder Schuhe anprobieren, dann können wir durchaus mal fragen: Wo verstaust du darin deine kleinen Schätze, wo die Steine/Muscheln/Stöckchen? Kannst du darin gut hüpfen? Weite Schritte machen zum Klettern? Ein Rad schlagen? Loswetzen und schnell anhalten? Schützt die Kleidung deine Knie? Diese Fragen vermitteln unseren Kindern, was an ihrer Kleidung wirklich wichtig ist.
Aber es geht nicht nur um die Kleidung unserer Kinder. Denn die Kinder selbst nehmen bei Erwachsenen die Geschlechtsunterschiede durchaus wahr: Zur Fußball-EM fragte mich mein Sohn, warum eigentlich fast immer nur Jungen mit ihren Vätern auf dem Fußballplatz kicken – und diese Frage blieb bei mir hängen. Vor allem, weil ich als Teenager im Fußballverein war und nicht sein Vater. Da dachte ich an die Studie der Entwicklungspsychologin Phyllis A. Katz, die ich schon in meinem Essay über Erziehung in Unlearn Patriarchy II erwähnt hatte: Katz hat in den 1990er-Jahren untersucht, welche Faktoren am meisten beeinflussen, ob Kinder stereotype Rollenvorstellungen verinnerlichen. Und ein Faktor stach dabei besonders hervor: das Verhalten der Eltern.[i] (Opens in a new window)
Plötzlich konnte ich wieder zwei Stunden rennen
Den letzten Anstoß aber gab mir eine andere Mutter, die ich am Wochenende auf dem Fußballplatz in unserem Kiez traf; Sie kam schon in Sportkleidung auf den Platz und spielte direkt mit. Ich hingegen achtete darauf, einigermaßen akzeptabel auszusehen, falls ich auf Bekannte treffen würde – meine unpraktische Kleiderwahl beruhte also auf Eitelkeit. Dabei sollten wir Erwachsenen uns in der Freizeit (denn ich weiß, auf Arbeit muss man eben anziehen, was man anziehen muss) die gleichen Fragen stellen wie unseren Kindern. Wenn ich lockere Sportkleidung tragen würde, dachte ich, dann würde ich mich viel mehr mit meinem Sohn zusammen bewegen. Es ist mir wichtig, dass er die Erfahrung macht, dass Frauen ebenso bewegungsfreudig und geschickt mit dem Ball sein können wie Männer. Aber meine Bewegungsfreiheit wäre nicht nur für ihn und unsere Beziehung gut, sondern auch für mein eigenes Wohlbefinden! Und Zeit spart es auch, denn dann muss ich mir nicht mehr überlegen, wann ich denn meinen Sport noch im Tagesablauf einbauen kann.
Am nächsten Samstag ging ich mit meinem Sohn direkt in Sportkleidung auf den Fußballplatz. Was ich nicht auf dem Schirm hatte: An genau diesem Tag treffen sich dort immer einige Kinder und Eltern aus unserer Schule, teilen sich in zwei Teams auf und dann beginnt das große Fußballspiel. Und siehe da: Ich bin dem Ball zusammen mit meinem Sohn ganze zwei Stunden hinterhergerannt, erst in der Abwehr, dann als Stürmerin. Und am Ende ging es gar nicht mehr darum, meinem Sohn irgendetwas zu beweisen. Sondern darum, dass ich so richtig den Kopf ausschalten und mich auspowern konnte – ja, ich hatte richtig Spaß, wie früher! Und das ist das Wichtige, wenn man seinem Kind ein gutes Vorbild sein will; Es nützt nichts, sich durch einen bestimmten Sport zu quälen, denn die Kinder merken das. Aber: Ein Kleidungswechsel kann sowohl den Kindern, als auch den Erwachsenen die Lust an der Bewegung zurückbringen.
[i] (Opens in a new window) Katz, Phyllis A.: Raising Feminists, in: Psychology of Women Quarterly, Band 20, Ausgabe 3, September 1996, S. 323-340, https://journals.sagepub.com/doi/10.1111/j.1471-6402.1996.tb00303.x (Opens in a new window)
Da wir gerade schon beim Thema Sport sind: Unter den 472 Athlet*innen bei Olympia gibt es nur 14 Mütter. Dieser Artikel über Leistungssportlerinnen, die Mutter werden, ist sehr ehrlich geschrieben. Sportlerinnen beschreiben, wie schwer ihr Weg ist und wie viel Support - Partner*in, Großeltern, Nanny, Geld - zusammenkommen muss, um es schaffen zu können.
https://www.kicker.de/als-mutter-zu-olympia-das-thema-wird-immer-groesser-1039032/artikel (Opens in a new window)Auf dem Schirm? Der Nordkurier erinnert uns daran, dass Eltern in diesem Jahr mehr Krankentage nehmen dürfen; Alleinerziehenden mit mehr als zwei Kindern stehen sogar bis zu 70 Tage pro Jahr zu!
https://www.nordkurier.de/regional/uckermark/alleinerziehende-mit-mehr-als-zwei-kindern-koennen-sich-bis-zu-70-tage-krankschreiben-lassen-2728239 (Opens in a new window)Weil auch das Eltern oft nicht wissen: In vielen Bundesländern werden Urlaube für Familien mit wenig Geld gefördert. Ich selbst war während Corona im AWO Sana Feriendorf Rerik und hatte dort mit meinem Sohn eine richtig schöne Zeit. Mehr Infos hier:
https://bag-familienerholung.de/wer-wir-sind/ (Opens in a new window)Inspiration im August mit: Karen Heinrichs (Opens in a new window)
Ich stelle drei Fragen, Allein- bzw. Getrennterziehende geben inspirierende, ermutigende Antworten.
Ich habe parallel zu meinem Job eine Ausbildung zur Medientrainerin gemacht, an der FernUni Hagen ein paar Semester Bildungswissenschaften studiert. Da ich in meinem eigenen Rhythmus lernen konnte, hat das super in das Leben mit der Kleinen gepasst. Weil es mich extrem erfüllt, mit jungen Menschen zu arbeiten, hatte ich den Mut, das anzupacken. Gerade auch als Alleinerziehende einer neuen Generation vorzuleben, was möglich ist, hat mich immer weiter ermutigt. Mein Wissen zu teilen, macht mich total glücklich und dieses Glücksgefühl trägt mich leichter durch den Alltag. Das spüren auch die Kinder.
Die Erkenntnis, dass zu einem erfüllten, glücklichen Leben ein Lebenspartner gehören „kann“ - aber nicht muss. Dass Freunde und andere Familienmitglieder auch ein wertvolles, buntes Erziehungs- und Beziehungsteam bilden können.
Danke, Karen!
Die allerletzte Folge der 2. SOLO-MOMS-Staffel ist raus; Ich spreche mit Aileen Puhlmann darüber, wie es als Alleinerziehende ist, in Führungsposition zu arbeiten. Und damit ist auch erstmal wieder Podcast-Pause angesagt. Allerdings steht ein anderes Podcast-Projekt schon fast in den Startlöchern, aber pssst. :))
Spiel: In den Sommerferien wird sicher auch mal eine Runde Karten gespielt. Dieses Spiel hier, Wizard, hatte kürzlich eine Freundin dabei und wir konnten gar nicht nicht genug davon kriegen - gut für Menschen, die gerne strategisch spielen und bluffen.
Hörbuch: Mein Sohn und ich haben in unserem Urlaub die Känguru-Chroniken gehört und viel gelacht. Seitdem singt er ständig “Kapitalismus ist scheiße” vor sich hin.
Film: Und dann noch ein Schmankerl für den nächsten Filmabend: School of Rock! Eine tolle Komödie von 2003, in der Jack Black (er spielt einen leidenschaftlicher Rockmusiker) als Aushilfslehrer an eine Eliteschule gerät, wo der den Schülis beibringt, was Rebellion ist - ich liebs!
Kinderbuch: Und dann darf natürlich das perfekte Sommer-Kinderbuch nicht fehlen, oder? Mein Kind und ich haben Wildesland von Cornelia Franz geliebt. Ein zappeliger Junge, der mit Hund im Norwegischen Wald überleben muss und dabei wirklich erfinderisch wird - ein Abenteuer-Survival-Buch <3
Das war’s schon wieder von meiner Seite. Wenn dir der Newsletter gefällt, dann sag’s gerne weiter! Und schreib mir bei Anmerkungen/Tipps/Terminen/Fragen gerne eine Mail assistenz@annedittmann.de (Opens in a new window) oder auf Insta.
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Wir lesen uns Ende August wieder!
Deine Anne