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leeres staatstheater?

Seit einigen Jahren denke ich darüber nach, wie das Theatersystem in Deutschland verändert, reformiert oder überdacht werden kann. Wenn ich es zurückdatieren müsste, dann würde ich vermutlich Anfang der Pandemie landen und am Ende der ersten Lockdowns, als die neue Leitung des Schauspielhauses Zürich Bojana Kunst beauftragt hatte, über das Theater des Lockdowns nachzudenken und dieses herauszufordern. Wie sieht ein Theater aus, das sich kümmert, das den Care-Begriff stark macht und sich auch ästhetisch mit Sorge-Fragen beschäftigt. Theater der Sorge. Die Beschäftigung mit Sorge und den Problemen, die der Care-Begriff mit sich bringt, traf auf die eigene Erschöpfung nach 4 Jahren non-stop-Arbeitens und Theatermachens und Konzepte-Erdenkens. Erschöpft nicht nur von der Arbeit am Produkt an sich, sondern erschöpft durch die Verkomplizierung, diese Arbeit überhaupt in Gang setzen zu können. Also der Arbeit an der Bürokratie. Eine Kritik, die „freie Theaterarbeit“ mit sonstiger subventionierter „freier Arbeit“gemein hat, von der sich aber sowohl die Theatermachenden als auch die übrigen subventionierten Betriebe unterscheiden wollen und vermutlich auch in vielem unterscheiden. Aber eben nicht in der Bearbeitung eines bürokratischen Apparates. Meine Erschöpfung und die staatlichen Maßnahmen zum Umgang mit der weltumspannenden Pandemie trafen auf eine Kulturpolitik, die sich fürchtete, die Kunst- und Kulturszene in Deutschland nachhaltig zu verlieren durch Abwanderung und Umschulung in andere Arbeitsbereiche. Dieser Sorge begegnete die Kulturpolitik, durchaus auch gefordert von den Kulturschaffenden, durch Sonderfördermaßnahmen. Diese sollten die Kulturschaffenden zugleich befrieden und aktiv halten. Dafür wurden die zuvor auf Formen der Produktionsförderung ausgelegten Förderprogramme auf Förderprogramme der Recherche und der Forschung umstrukturiert wodurch sie Arbeit sichtbar machten, die sonst nie bezahlt oder wertgeschätzt worden war.

Die Theaterszene blieb größtenteils erhalten. Es gab kaum Gruppen oder Häuser, die während der Corona-Pandemie aufgaben oder schließen mussten. Das kommt danach. Das kommt jetzt. Allerdings nicht, weil es kein Interesse mehr an Theater gibt. Derzeit werden Förderungen und Fördermaßnahmen gestrichen. Kulturpolitik scheint keine Argumente mehr zu haben, um die Kürzungen aufzuhalten. Auch die Proteste, die seit Monaten versuchen, den Abbau von Theater aufzuhalten, stoßen auf eine Politik, die diese Proteste nicht ernst nehmen will. Der vorgelegte und nur noch durch die RegierungsKoalition im Abgeordnetenhaus zu beschließende Haushaltsentwurf für das kommende Jahr für Berlin, die komplette Kürzung eines der wichtigsten Kooperationsnetzwerke der Freien Szene durch den Bund, die Kürzungen in Köln und die kommenden Kürzungen in Sachsen und sehr konkret im kommunalen Haushalt von Plauen sowie viele weitere anstehende Kürzungen in den Haushalten vieler Gemeinden, Städte und Länder, gerade auch in den neueren Bundesländern, machen eine Tendenz sichtbar, die es schon lange in Bundesländern, Städten und Kommunen mit ideenloser Kulturpolitik gibt. Als erstes wird immer dort gespart, wo es am wenigsten Wirkung für den Haushalt hat (Dem Bereich der Kultur stehen weniger als 2 % der Haushalte zur Verfügung. Damit wird zum Großteil das Betreiben und die Instandhaltung der für die Kultur zur Verfügung stehenden Infrastruktur gesichert, das Kunst-, Theater-, Kulturmachen muss wiederum mit einem Bruchteil des Budgets auskommen), wo es aber am meisten Wirkung für den Apparat entfaltet: Bei Kunst und Kultur.

Das kann man bedauern.

Das kann man schlecht finden.

Das kann man für falsch halten.

Und das bedeutet sehr konkret den Abbau von Arbeitsplätzen und Arbeitsmöglichkeiten.

Aber es stellt auch eine Frage, die in den Protesten und Beiträgen zu diesem Thema selten offen ausgesprochen wird. Welche Rolle haben Theater und Kunst in der Gesellschaft? Welche Rolle sollen Theater und Kunst in der Gesellschaft einnehmen?

Das Theatersystem, in dem wir, die in Deutschland ausgebildet worden sind oder in Deutschland tätig sind, uns bewegen, ist nicht aus Gutmütigkeit oder Solidarität heraus so subventioniert. Genauso wenig wie die Ernte der Bauern nicht einfach aus Lust und Laune heraus subventioniert ist oder Schulen nichts (kaum etwas) kosten für die Schüler*innen. Theater wird subventioniert, weil es nach dem Zweiten Weltkrieg die Stimmung gab, dass ein breites Theatersystem in Deutschland dazu beiträgt, Demokratie voranzubringen und diese zu unterstützen. Ob das stimmt, oder ob es erfolgreich damit war, das ist eine andere Frage, auch darüber wird nicht gesprochen. Theater in Deutschland gehört seit Lessing zu dem bürgerlichen Macht- und Ideenapparat. Das Theater, das sich aus den vielfältigen Theaterformen der frühen Neuzeit herausgeschält hat und sich ganz bewusst gegen bestimmte Formen der Darstellung gewandt hat (Harlekin zum Beispiel), ist eines, das mit einem ganz klaren Auftrag bestückt ist, nämlich der kulturellen Produktion und Reproduktion der bürgerlichen Gesellschaft. Es gibt hier natürlich Weiterentwicklungen und Rahmenbedingungen, die sich geändert haben, aber in den Argumenten gegen eine Kürzung der Subvention des Theatersystems ist der Bezug auf das Erbe und die Funktion des Theaters als eine sich positiv auf die Gesellschaft auswirkende Form immer präsent. Nun ist es auffällig, dass die Partei der Bürgerlichkeit schlechthin das Theater in Berlin, so wie es ist, abschaffen möchte.

In Berlin möchte eine CDU-geführte Regierung eben jenes Theater nun soweit hinunterstutzen, dass die Möglichkeit der Reaktion auf und der Gestaltung von Gesellschaft nicht mehr möglich ist. Und vielleicht ist das auch ein Hinweis auf etwas, das größer ist, als das Theater an sich. Das, was wir hier sehen, ist der Abbau derjenigen bürgerlichen Gesellschaft, die nach der NS-Zeit auzubauen versucht wurde. Sie wird, zusammen mit dem Sozialstaat beiseite geschafft für eine rein markwirtschaftliche Freiheit. Was wir sehen ist eine Politik, die auf Vereinzelung setzt und die dafür Orte abbaut, an denen sich getroffen, diskutiert und hinterfragt wird und werden kann. Hier wird etwas umgebaut. Grundlegend. Es gibt keine sogenannten Sachzwänge einer Politik, die sparen muss. Sachzwänge sind ein argumentatives Täuschungsmanöver. Sollte es ein Interesse daran geben, das System, mit seinen Werten und seinen Orten, an denen diese Werte diskutiert und ästhetisch befragt werden, in dem wir leben, erhalten bleiben soll, dann gäbe es durchaus andere und nachhaltigere Modelle der Geldbeschaffung. Milliardäre zu Millionären zum Beispiel.

Und auch wenn die Theaterschaffenden in ihrem vorauseilenden Gehorsam direkt Vorschläge machen, wie die Theater vielleicht doch noch zu retten sind, Kooperationen zwischen den Häusern, Abbau der Studiobühne, Einsparung durch weniger Programm, führen diese nicht zu einer Umkehr dieser Politik. Es ist ein Irrglaube, dass der Sparkurs der Politik dazu führt, dass Schulden abgebaut werden. Sie werden umgeschichtet und gehen zulasten von Einkommensschwachen. Damit ist es auch ein Irrglaube, dass die Politik irgendwann wieder die Förderungen für die Theater anheben wird, wenn der Haushalt wieder ins Plus kommt. Warum sollte sie? Theater arbeiten schon jetzt am Limit. Nur ein kleiner Teil der in den Hochschulen ausgebildeten Theatermachenden kann vom Theaterschaffen leben. Freien Theatermachenden stehen in guten Jahren ungefähr 13.000 Euro durch Theaterschaffen zur Verfügung. Theater, die nun auf Kooperationen setzen, also weniger produzieren, also weniger Künstler*innen bezahlen müssen oder Theater, die experimentelle Bühnen abschaffen, liefern der Politik die Beweise, dass das Theater also auch mit weniger Geld weiter funktionieren kann. Warum sollte es dann eine Politik, die sich jetzt nicht für Kultur für alle interessiert, sich irgendwann für Kultur für alle interessieren? In Berlin werden durch den Abzug von Förderung Programme gestrichen, die eine kulturelle Teilhabe (ein Menschenrecht) für alle ermöglichen sollen. Die Kultur der subventionierten Häuser wird damit (wieder) etwas, das nur wenigen zur Verfügung stehen soll, und diese wenigen sind gutverdienend, nicht behindert und vermutlich in den meisten Fällen nicht von Rassifizierung betroffen. Wer aber eine vielfältige Theaterlandschaft haben möchte, die in der Tradition des bürgerlichen Theaters steht, sich also immer weiter befragt, das Publikum herausfordert und den politischen Diskurs reflektiert, der muss das Theater weiter und vielfältig subventionieren. Wer das nicht möchte, wer meint, dass das Theater und die bürgerliche Gesellschaft nicht mehr gewollt sind, der sollte sich auch fragen, ob nicht besser alle Ausbildungsinstitutionen, die auf ein Leben in diesem Theatersystem vorbereiten, überhaupt noch betrieben werden sollten. Denn sie bereiten auf etwas vor, das scheinbar keinen Platz mehr hat.

Ohne Kulturförderung wird es vermutlich nicht still. Es wird anders. Theater hört nicht auf zu existieren, nur weil die Regierenden sich dazu entscheiden, dass Theater nicht mehr Teil von staatlich ermöglichter Öffentlichkeit sein soll. Theater verändert sich und erfindet sich neu. Und das macht Angst und führt dazu, dass man sich verarscht und verloren fühlt. Es zerstört eine Illusion der Gesellschaft, dass Teilhabe gewollt ist. Es macht viele, die eh am Existenzminimum leben, zu Arbeitslosen und es zerstört nachhaltig mühselig aufgebaute Netzwerke und Selbstverständnisse. Es führt dazu, dass Theater sich entscheiden muss, ob es reines Unterhaltungstheater sein will oder arm. Aber es ist nicht das Ende des Theaters.
Leeres Staatstheater, volle Off-Bühne.
Auf der Bühne stirbt eine Schauspielerin nach den Regeln ihrer Kunst und stirbt nochmal und nochmal und nochmal.
Aus ihrer angemalten Wunde läuft Blut in das überfüllte Wohnzimmer
das lacht unsicher ob es lachen sollte
und die Schauspielerin stirbt und stirbt und stirbt und stirbt.

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