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Schwarz-rot gibt (Erd)Gas

Ausgabe 28 – Wie die neue Bundesregierung Deutschland von Erdgas abhängig halten wird

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Das Bundestagsplenum, erkennbar an den charakteristischen blauen Sitzen. Im Raum sitzen nur ein paar wenige Abgeordnete
Das Plenum kurz vor der konstituierenden Sitzung des neuen Bundestages

Die gute Nachricht des schwarz-roten Koalitionsvertrags ist: Die Klimaziele bleiben. Sie werden nicht abgeschwächt.

Klingt für Sie irgendwie nicht wie eine gute Nachricht, sondern angesichts des Voranschreitens der Erderwärmung wie the bare minimum? Jup. Aber tatsächlich haben diverse Klimapolitiker:innen von Union & SPD schon dieses Festhalten an den Klimazielen als Erfolg verkauft. Freut euch, wir machen es immerhin nicht schlechter!
Nur: Das stimmt nicht. Auf dem Papier bleiben die Ziele zwar, aber sie werden an vielen Stellen aktiv konterkariert. Beispielsweise wenn es um Erdgas geht. Hier dreht schwarz-rot nämlich mächtig den Hahn auf.

Das Grundproblem mit Zielen ist ja: Wenn man sie wirklich erreichen will, muss man dafür etwas tun. Klar kann ich mir vornehmen mehr Sport zu machen – ich muss meinen Hintern dann allerdings auch tatsächlich bewegen. Und daran mangelt es in Deutschland nach wie vor. Im Energiesektor kommen wir solide voran – der Ausbau der Erneuerbaren Energien läuft top. Aber insbesondere die Sektoren Gebäude und Verkehr tun seit Jahren zu wenig für den Klimaschutz.

Heißt, dass sie nach wie vor zu viele Emissionen freisetzen. Im Gebäudesektor etwa dadurch, wie Häuser und Wohnungen beheizt werden – indem Öl oder Erdgas verbrannt werden. Und zack sind wir drin im heiklen Themenfeld „Heizungsgesetz“. Die letzte Novelle des Gebäudeenergiegesetzes war politisch heftig umkämpft, zerfaserte in einer in Teilen toxischen und falschinformationsgeschwängerten öffentlichen Debatte. Ohne das jetzt alles wieder nachzeichnen zu wollen: Es ging hierbei um mehr als die Erdgasheizung in Onkel Martins Keller.

Es ging auch um das Vermögen zahlreicher Stadtwerke und anderer Energieversorger in Deutschland. Gas ist der Hauptenergieträger in der deutschen Wärmeproduktion – wurde ja sogar eine Zeitlang staatlich gefördert, um vom noch klimaschädlicheren Öl wegzukommen.

https://www.bdew.de/energie/studie-wie-heizt-deutschland/ (Opens in a new window)

Zu den meisten innerstädtischen Häusern kommt es durch ein entsprechendes Leitungsnetz – dieses Erdgasverteilnetz gehört zum fossilen Kapitalstock der Energieversorger. Der ThinkThank Agora Energiewende hat den Wert der deutschen Gasnetze 2023 mit 60 Milliarden Euro beziffert.
Dieses Gasnetz ist eines der großen Fragezeichen der Energiewende. Denn wenn immer weniger Häuser mit Erdgas beliefert werden müssen, weil sie nicht mehr fossil beheizt werden – was passiert dann eigentlich mit diesen Netzen?

Zunächst einmal wird die Zahl der Kund:innen, die für den Betrieb zahlt, abnehmen, sprich: Die Kosten werden auf weniger Köpfe umgelagert und damit für den einzelnen steigen. Ab einem bestimmten Punkt werden die Netze nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben sein. Ein wesentlicher Teil der Wertschöpfungsketten von Stadtwerken und Co würde damit wertlos.

Mitten in die aufflammende Heizungsdebatte 2023 veröffentlichte Agora Energiewende eine Untersuchung, wie man die Stilllegung dieser Gasnetze durch ein planvolles Vorgehen weniger schmerhaft für die Betreiber machen kann und wie man Fehlinvestitionen verhindern kann:

https://www.agora-energiewende.de/aktuelles/gasverteilnetze-eine-geordnete-stilllegung-schuetzt-gaskundinnen-und-netzbetreiber (Opens in a new window)

Schon jetzt denken einige Versorger darüber nach, wie sie mit ihrer entsprechenden Infrastruktur umgehen. Andere hingegen lehnen alleine den Gedanken ab. Der Verband Kommunaler Unternehmen, in dem auch viele Stadtwerke organisiert sind, gehörte zu den vehementen Gegnern des Heizungsgesetzes – eben mit dem Fokus auf die Zukunft der Gasnetze.

In einer Stellungnahme des VKU zum Heizungsgesetz von Mai 2023 wird auch die Bedeutung dieses Geschäftszweigs für die Kommunen nochmal unterstrichen. Das Energiegeschäft ist der Bereich, mit dem Kommunen über ihre eigenen Unternehmen wirklich Geld machen. 28 Milliarden Euro Umsatz im Bereich Gas in 2021

https://www.vku.de/themen/energiewende/artikel/vku-stellungnahme-zum-gebaeudeenergiegesetz/?sword_list%5B0%5D=01.01&cHash=be97bc9340c6080f4097c2ce75a5dbad (Opens in a new window)

Ein Ansatz, die Zukunft der Gasverteilnetze zu sichern ist Wasserstoff. Die Grundidee: Wir nehmen die alten Netze, passen sie ein bisschen an und jagen dann Wasserstoff durch, der dann in den jeweiligen Häusern zum Heizen eingesetzt wird. Das alte fossile System wird einfach mit „grünen Molekülen“ klimaneutral gemacht.

Nur: Das wird nichts.
Die Verfügbarkeit und dementsprechend auch der Preis machen dies verglichen mit anderen Alternativen, z.b. einer Elektrifizierung schlicht unwirtschaftlich. Dass Wasserstoff im Heizungsbereich eine Scheinlösung ist, dürfte auch den Verantwortlichen klar sein – aber es klingt wie das perfekte Versprechen, am alten System festhalten zu können. Hauptsache nichts ändern.

Die schwarz-rote Bundesregierung hat nun in ihrem Koalitionsvertrag klar vereinbart, dass die Erdgasnetze erhalten bleiben sollen. Während sie gleichzeitig das Ziel formuliert, 2045 klimaneutral sein zu wollen.

Tatsächlich steht im Koalitionsvertrag sogar der weitere Ausbau von Gasinfrastruktur. Die heimische Gasförderung soll ausgebaut werden, sprich: Förderstellen in Deutschland sollen jetzt noch erschlossen werden, Geld soll dafür investiert werde. Tatsächlich wäre das wohl klimaschonender, als LNG aus den USA mit Tankern über den Atlantik ranzuschaffen, aber wissen Sie, was noch klimaschonender wäre? Weniger Gas zu verwenden, indem Prozesse elektrifiziert werden.

Das Gegenteil wird aber politisch forciert. Mit Bezug auf das Heizungsgesetz/Gebäudeenergiegesetz ist noch nicht absehbar, wie schwarz-rot das Gesetz reformieren wird – aufgrund der gebetsmühlenartigen Erwähnung des Wortes „Technologieoffenheit“ wäre hier aber denkbar, dass die Koalition wirre Wege einschreitet und das Leben der Gasheizung verlängert.

Dabei muss man klar sagen: Jetzt auf Heizen mit Erdgas zu setzen, ist eine Schnapsidee.
Denn politisch ist längst der Rahmen geschaffen, um Erdgas über deutlich steigende Preise unattraktiv zu machen. Wer weiter mit Gas heizt, läuft ziemlich wahrscheinlich in eine Kostenfalle. Davor hat auch der Expertenrat für Klimafragen Anfang des Jahres gewarnt.

https://www.youtube.com/watch?v=Xevw0hFDJo4 (Opens in a new window)

Grund ist der Emissionshandel, der fossile Grundstoffe in den kommenden Jahren weiter verteuern wird. Wer CO2 in die Atmosphäre abgibt, muss dafür Verschmutzungsrechte kaufen. Ab 2027 soll es dafür auch für die Bereiche Heizen & Fahren ein gesamteuropäisches Handelssystem geben – den ETS2. Ich weiß, es klingt  alles so furchtbar dröge, dass man sich zwingen muss Gehirnkapazitäten darauf zu verwenden, genau das macht es der Politik so leicht Quatschgeschichten darüber zu erzählen. Auch wenn der CO2-Preis im ETS2 zunächst politisch begrenzt werden soll, gehen Fachleute davon aus, dass er mittelfristig drastisch steigen wird. Übrigens noch stärker, wenn dann viel CO2 emittiert wird. Denn das Angebot an Zertifikaten ist begrenzt, die Nachfrage bei hohen Emissionen besonders groß, das regelt dann tatsächlich mal der Markt und es wird teuer.

Machen Sie sich hier bitte eine gedankliche Notiz, wir werden gleich auf das Thema steigende Preise noch zurückkommen.

Politisch wird also das Fundament gelegt, eine Technologie weiterhin zu nutzen, die man gleichzeitig aber durch andere Regelungen aus dem Markt zu drängen versucht – indem man die Menschen mit Preisen belastet.

Auch in der Stromversorgung soll Erdgas künftig eine noch größere Rolle spielen. 20 Gigawatt installierte Leistung Gaskraftwerke sollen in den kommenden Jahren gebaut werden – soweit hatte auch die Ampel bereits geplant. Allerdings schwächt schwarz-rot die klimapolitischen Rahmenbedingungen dieses Ausbaus deutlich ab.

Anders als von der Ampel geplant, müssen die Kraftwerke nicht absehbar auf Wasserstoff(beimischung) umstellen, um ihre Turbinen zu betreiben, ihnen soll sogenanntes CCS ermöglicht werden. D.h. die Abscheidung von Kohlenstoff und die Speicherung im Meeresboden. Auch sollen die Kraftwerke nicht für Dunkelflautensituationen bereitgehalten werden, sie sollen auch dauerhaft verstromen können, um das Stromangebot zu erhöhen und dadurch die Preise zu stabilisieren.

Zur Erinnerung: In der Energiekrise gingen die Preise für Strom nicht etwa deshalb durch die Decke, weil wir zu wenig davon hatten – sondern, weil wir Erdgas verstromt haben. Gemäß des sogenannten Merit-Order-Prinzips setzt der teuerste Energieträger den Preis des Stroms – das war zu diesem Zeitpunkt das von Russland drastisch verknappte Erdgas.

Dazu kommt: Die Idee, den Kohlenstoff einfach abzuscheiden, klingt auf dem Papier zwar wahnsinnig gut – in der Praxis ist sie aber vor allem wahnsinnig teuer. CCS erfordert einen erheblichen zusätzlichen Energieeinsatz – sprich: Es muss im worst case noch mehr Gas verstromt werden, um Kohlenstoff abscheiden zu können. Das macht das Verfahren teuer – wird ein bisschen eng, wenn man eigentlich günstigen Strom verspricht.

Absehbar ist CCS daher im Stromsektor eine Schutzbehauptung, um die Nutzung von Erdgas weiterhin zu legitimieren und 20 Jahre vor der angestrebten Klimaneutralität noch Millioneninvestitionen zu rechtfertigen.

Wirtschaftswissenschaftler:innen werden an diesem Punkt mahnend den Zeigefinger heben und abwiegeln – keine Sorge, das mit den Gaskraftwerken, das wird schon alles nicht so heikel, wir haben ja den CO2-Preis. Da der in den kommenden Jahren absehbar steigen wird, wird sich die Verstromung von Kohle und Erdgas irgendwann gar nicht mehr lohnen, so löst sich das Problem von selbst. So die Theorie.

Die unter den jetzigen Rahmenbedingungen auch Sinn ergibt.
Rahmenbedingungen kann man aber ändern.
Holen wir nochmal die gedankliche Notiz zu den Erdgasheizungen hervor und denken wir daran exemplarisch den Fall drastisch steigender CO2-Preise durch – was passiert denn, wenn in 10 Jahren Gas zum Heizen richtig schmerzhaft teuer wird? Wenn es breite Teile der Bevölkerung betrifft, weil private Hausbesitzer sich 2023 unter dem Eindruck der GEG-Debatte schnell noch eine neue Gasheizung gegönnt haben und zahlreiche Vermieter aufgrund des mangelnden gesetzlichen Anpassungsdrucks nicht umgestellt haben – sie können die steigenden Kosten ja smooth an ihre Mieter:innen umlegen.

Wir wissen, was dann passiert – wir haben es nämlich 2023 in der Energiekrise gesehen. Der Staat wirft massiv mit Steuergeld um sich, um die Kosten für Industrie und Privatleute abzudämpfen. Der Staat hat dafür mehr als 30 Milliarden Euro in die Hand genommen, um die Preise für Verbraucher:innen zu deckeln. Die Energiekonzerne konnten währenddessen teils Rekordgewinne einstreichen.

Steigen die Preise auf ein für die Bevölkerung nicht erträgliches Maß, subventioniert der Staat sie mit Steuergeld runter – oder legt Hand an das Emissionshandelssystem. Entsprechende Versuche der Preisbeeinflussung für Zertifikate gab es aus Osteuropa während der Energiepreiskrise, auch die Einführung des ETS2 wollen Polen, Tschechien und die Slowakei eigentlich gerne später sehen.

Der Emissionshandel ist ein politisch geschaffenes Instrumentarium – es kann daher auch politisch wieder abgeschafft werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies passiert, wird größer, je abhängiger wir weiterhin von Erdgas sind.

Der Koalitionsvertrag der schwarz-roten Koalition legt die Basis, diese Abhängigkeit in den kommenden Jahren zu verstetigen. Was auch eine außenpolitische Facette hat. Denn auch, wenn die Erdgasförderung im Inland forciert werden soll, fossile Stoffe importieren wir vor allem aus dem Ausland. Und ja, auch Deutschland nutzt immer noch Erdgas aus Russland. Die inzwischen verstaatlichte Gazprom-Tochter Sefe importiere zuletzt sogar wieder mehr Erdgas aus Russland nach Europa. Das deutsche Unternehmen hat alte Verträge mit Russland – und landet das Gas in Frankreich an, damit das Ganze weniger shady ist.

https://www.spiegel.de/wissenschaft/sefe-warum-macht-eine-deutsche-firma-gasgeschaefte-mit-russland-a-a17f23dd-f5ae-4db1-a79d-b0b22309f0bf (Opens in a new window)

Deutschland ist inzwischen zwar deutlich weniger abhängig von russischem Erdgas, es gibt aber Kräfte, die gerne zu alten Handelsverhältnissen zurück möchten – gerne auch über die noch intakte Nord Stream 2 Leitung. Auch die USA dürfen in diesem Themenfeld nicht unterschätzt werden – der Techfaschist Donald Trump versucht fossile Energiepolitik als außenpolitischen Hebel zu nutzen. Er will mehr LNG nach Europa exportieren, das sich dafür offen zeigt, wohl auch, um Trump im Handelskrieg zu besänftigen

https://taz.de/Unabhaengigkeit-von-russischem-Gas/!6082106/ (Opens in a new window)

Gerade in dieser Woche hat die EU-Kommission einen Plan vorgestellt, um final von russischem Erdgas loszukommen. Zu 2027 sollen diese Importe verboten werden. Der Vorschlag ist politisch ambitioniert und dürfte in den kommenden Jahren so heftig umkämpft werden, wie wenig anderes. Auch und insbesondere durch Moskaus Kolonne.

Erdgas wurde und wird außenpolitisch als Waffe benutzt – es wäre daher nicht nur klimapolitisch klug, sich davon zu emanzipieren. Wie krass diese Abhängigkeiten sind und wer davon profitiert, lässt sich bei Susanne Götze & Annika Joeres nachlesen:

https://www.piper.de/buecher/die-milliarden-lobby-isbn-978-3-492-07331-8 (Opens in a new window)

Mir ist klar: In bestimmten Industriebereichen ist die Abnabelung von Erdgas schwierig und angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Lage nicht wahrscheinlicher geworden. Aber es gibt Bereiche, da geht es. Aufgabe einer Bundesregierung, die die Klimaziele, die sie sich setzt, wirklich ernst meint, wäre den Weg dorthin zu bereiten und einen deutschen Gasausstieg vorzubereiten.
Schwarz-rot tut derzeit das Gegenteil.

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Herzliche Grüße
Frau Büüsker