Warum du beim Brainstorming die schlechtesten Ideen hast
Jeden Freitag erzähle ich dir von Erkenntnissen aus Neurowissenschaft und Psychologie, die du kennen solltest. Heute: über den seit Jahrzehnten verbreiteten Mythos, dass Brainstorming kreativ sei.
Ende der vierziger Jahre beschloss Alex Osborn, ein Partner der Werbeagentur B.B.D.O., ein Buch zu schreiben. Die Werbeagentur galt damals als wahnsinnig innovativ und Osborn hatte großen Anteil daran. Also wollte er sein Wissen weitergeben. Er veröffentliche das Buch „Your Creative Power“ und verriet darin die Geheimnisse seiner Kreativität.
Das Buch war eine Mischung aus Populärwissenschaft und Geschäftsanekdoten, es stieg überraschend zum Bestseller auf. Denn Osborn Versprechen war groß: Er versprach nicht weniger, als dass die Leser:innen ihren kreativen Output verdoppeln könnten, wenn sie seinen Ratschlägen folgten.
„Your Creative Power“ war voll von Tricks und Strategien. Osborn empfiehl, immer ein Notizbuch bei sich zu haben, um bereit zu sein, wenn die Inspiration zuschlägt. Wahrscheinlich wäre er heute stolz darauf, dass wir heute immer ein Smartphone dabei haben. Aber die berühmteste Idee von Osborn war die, die er in Kapitel 33, „Wie man eine Gruppe organisiert, um Ideen zu entwickeln“, beschrieben hat. Er schrieb: Wenn eine Gruppe zusammenarbeitet, sollten die Mitglieder ein Brainstorming durchführen. Das sei „eine Kommandoaktion, bei der jeder Stürmer das gleiche Ziel verfolgt“. Hossa!
Um eine effektive Brainstorming-Sitzung durchzuführen, muss die Gruppe laut Osborn unter anderem:
Beurteilungen/Kritik zurückstellen (sich nicht aufregen, wenn jemand schlechte Ideen äußert)
Quantität anstreben (so viele Ideen wie möglich einbringen).
Und ganz ehrlich: Wahrscheinlich saß jede:r von euch mindestens einmal in einem solchen Brainstorming. Selbst meine Lehrer:innen ließen uns brainstormen. Normalerweise verlassen die Teilnehmer:innen eine Brainstorming-Sitzung mit Stolz auf ihren Beitrag. Das Whiteboard ist mit freien Assoziationen gefüllt worden, Brainstorming scheint die ideale Technik zu sein, um die Produktivität in der Gruppe zu erhöhen und die kreativsten Ideen herauszukramen. Es gibt nur ein Problem mit Brainstorming. Es funktioniert nicht.
Wer allein denkt, denkt kreativer
Und das wissen wir eigentlich schon viel zu lange, wenn man bedenkt, dass Brainstorming selbst heute noch in unzähligen Firmen das Mittel der Wahl ist. Schon 1958 nahmen Wissenschaftler:innen Osborns Brainstorming-Technik unter die Lupe. Forscher:innen der Universität Yale rekrutierten 48 Teilnehmer:innen und teilten sie in zwölf Gruppen ein. Sie erhielten eine Reihe von kreativen Rätseln und wurden angewiesen, Osborns Regeln zu befolgen: keine Kritik, so viele Ideen wie möglich. Als Kontrollgruppe erhielten 48 weitere Teilnehmer:innen die gleichen Aufgaben, musste sie aber allein lösen.
Das Ergebnis: Die allein arbeitenden Schüler fanden etwa doppelt so viele Lösungen wie die Brainstorming-Gruppen, und eine Jury bewertete ihre Lösungen als „machbar“ und „effektiv“. Zahlreiche weitere Studien kamen zu dem gleichen Ergebnis, aber wenn eine sich eine Idee einmal durchgesetzt hat, ist es schwer, sie wieder einzufangen. Brainstorming setzte sich weiter durch.
Warum führt Brainstorming zu unkreativen Ideen?
Im Laufe der Jahre haben sich einige Forscher:innen dieser Frage gewidmet. Die gängigsten Erklärungen sind diese hier:
Wenn Vorgesetzte Teil des Brainstormings sind, haben die Teilnehmer:innen oftmals Angst davor, für ihre Idee verurteilt (Opens in a new window) zu werden. Sie wählen eher sichere Ideen statt innovative. Und trauen sich nicht, die ersten Gedanken einfach auszusprechen.
Die Extrovertierten nehmen den Raum ein, während sich die Introvertierten eher zurückhalten. Bildgebende Studien (Opens in a new window) des Gehirns haben gezeigt, dass Introvertierte im Vergleich zu Extrovertierten bei äußerer Stimulation mehr Aktivität in den Hirnregionen zeigen, die für die Verarbeitung von Informationen, die Sinnfindung und die Problemlösung zuständig sind. Das heißt, sie brauchen etwas mehr Zeit, um den Input zu verarbeiten als Extrovertierte, die ihre Ideen wiederum schon längst in den Raum geworfen haben.
Gruppen bevorzugen eher konservative Ideen. Eine falsche Entscheidung ist für unser Gehirn im wahrsten Sinne des Wortes schmerzhaft, wir neigen deshalb dazu, nach Ideen zu suchen, die sicherer sind. Forscher:innen der Cornell University, der University of Pennsylvania und der University of North Carolina haben festgestellt (Opens in a new window), dass wir im Allgemeinen praktische Ideen bevorzugen, weil sie sich bewährt haben und uns vertraut sind, im Gegensatz zu neuartigen Konzepten, die risikoreicher sind.
Wie Brainstorming trotzdem gelingt
Das heißt natürlich nicht, dass das Denken in Gruppen per se nicht funktioniert. Viele der heutigen Probleme sind so komplex, dass wir gar nicht drumherum kommen, uns mit anderen zusammenzutun. Wie das gemeinsame Denken besser funktionieren kann, zeigt eine weitere Studie, die genau das untersucht hat.
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