Das ist die wichtigste Metapher, um dein Gehirn zu verstehen
Du liest Das Leben des Brain und findest damit heraus, wie dein Gehirn funktioniert (und wie nicht). Heute: Was ein Weihnachtsmarkt und ein Bulldozer mit deinem Gehirn zu tun haben.
Moin, hier ist Bent. Ich habe große Teile meiner Jugend damit verbracht, mir von einem Mann im Rollkragenpullover in Videos (Opens in a new window) das Gehirn erklären zu lassen. Es geht mir heute noch so: Immer, wenn jemand das Wort „Gehirn“ sagt, höre ich seine Stimme: „Guten Abend, meine Damen und Herren. Es geht um IHR GEHIRN!“
Der Mann im Video, Hirnforscher Manfred Spitzer, ist heute ziemlich umstritten. Aber: Unter anderem seinetwegen habe ich angefangen, Bücher über Neurowissenschaften und Psychologie zu lesen, ich bin nach Osnabrück gezogen, um Kognitionswissenschaften zu studieren und habe in Riga erforscht, ob Letten eigentlich die Farbe Grau anders wahrnehmen als Deutsche, weil sie von viel mehr tristen Fassaden umgeben sind als wir. (Die Studie hieß 20 Shades of Grey 😇). Und ja, langfristig hat Spitzer wohl auch dazu geführt, dass ich diesen Newsletter schreibe. Du liest die erste Ausgabe; schön, dass du dabei bist!
Das wird hier kein Biologie-Oberstufenkurs. Klar, es geht ums Gehirn. Aber vor allem, um zu verstehen, warum wir so sind, wie wir sind und warum die Welt so ist, wie sie ist.
Als hätte jede:r Deutsche 10.000 Whatsapp-Kontakte, denen er jederzeit schreiben kann
Genug eingeleitet. Vielleicht erinnerst du dich noch daran: Das menschliche Gehirn besteht (neben ganz viel anderem Kram) aus 86 Milliarden Nervenzellen. Diese sogenannten Neuronen sind über jeweils ca. 10.000 sogenannte Synapsen miteinander verbunden. Unsere Neuronen können so miteinander kommunizieren.
Und das machen sie so: Wenn zum Beispiel Sonnenlicht auf dein Auge fällt, entsteht ein elektrisches Signal. Dieses elktrische Signal wandert nun durch deinen Kopf, immer wieder wird es zu einem chemischen Signal umgewandelt. Das ist wichtig, denn Neuronen können Chemikalien über die Synapsen austauschen und dadurch das Signal weiterleiten. Das ist so, als würde ich dir eine wichtige Whatsapp-Nachricht schicken, die du dann wiederum weiterleitest.
Eine der wichtigsten Funktionsweisen unseres Gehirns hat der Neuropsychologe Donald Hebb 1949 in diesem immer wieder zitierten Satz zusammengefasst:
„Neurons that fire together wire together.“
Wenn Wikipedia das auf Deutsch übersetzt, klingt das relativ unsexy:
„Je häufiger ein Neuron A gleichzeitig mit Neuron B aktiv ist, umso bevorzugter werden die beiden Neuronen aufeinander reagieren.“
Darunter kann man sich wenig vorstellen. Deshalb folgt hier die wahrscheinlich wichtigste und hilfreichste Metapher, die ich kenne, um zu verstehen, wie das menschliche Gehirn funktioniert.
Stell dir einen Weihnachtsmarkt im Winter vor, es liegt der erste Schnee des Jahres, der Glühweinstand ist schon aufgebaut, und – ein Glück! – es gibt eine öffentliche Toilette. Um 14 Uhr macht der Weihnachtsmarkt auf, und der erste Besucher stapft durch den Schnee bis zum Glühweinstand:
Zwei überteuerte Glühweine später läuft der Besucher quer über den Weihnachtsmarkt zur Toilette und schließlich nach Hause. Mittlerweile ist auch die zweite Besucherin nach dem Bummeln in der Stadt im Park angekommen, sieht die Fußspuren ihres Vorgängers und nimmt – na klar – die gleiche Route, denn dort fällt das Gehen durch den hohen Schnee gleich viel leichter. Und weil immer mehr Besucher zum Glühweintrinken vorbeikommen, entsteht ein richtiger Trampelpfad. Irgendwann nehmen neue Besucher wie ganz selbstverständlich den Weg an, als hätte es nie einen anderen gegeben.
Genau so funktioniert unser Gehirn: Der Eingang, der Glühweinstand und das WC sind Neuronen, die Besucher sind elektrische Signale, die die Neuronen an die anderen Neuronen weitergeben. Und der Trampelpfad ist die Verbindung zwischen den Neuronen, die Synapse, die sich mit jedem neuen Besucher verändert. Je öfter ein Neuron ein Signal an ein anderes Neuron weitergibt, desto besser wird ihre Verbindung, und desto wahrscheinlicher wird das Neuron auch bei der nächsten Aktivierung sein Signal weitergeben. Wird eine Verbindung zwischen Neuronen deshalb stärker, nennt man das: lernen.
Das hat einen entscheidenden Nachteil: Bis der Trampelpfad zwischen den einzelnen Stationen richtig festgetreten ist, müssen erstmal einige Besucher:innen den Weg gegangen sein.
Stellen wir uns deshalb kurz vor, die Bürgermeisterin entscheidet sich, es den Besucher:innen des Glühweinstandes endlich einfacher zu machen, das ständige Stapfen durch den Schnee muss ein Ende haben! Also rücken die Stadtwerke an, mit schwerem Gerät, einem Bulldozer, der den Weg zwischen dem Eingang, dem Glühweinstand und der Toilette freiräumt. Wie viel leichter es schon für den ersten Besucher ist, durch den Stadtpark zu laufen!
Das Tolle ist: In unserem Gehirn gibt es einen solchen Bulldozer, der im übertragenen Sinne die Wege freiräumt, also die Verbindungen schon bei der ersten Benutzung besonders stark werden lässt: Emotionen.
Wenn Emotionen beteiligt sind, lernen wir gleich viel besser. Ein Beispiel: Wo warst du, als zwei Flugzeuge in das World Trade Center geflogen sind, an 9/11?
Ich saß zu Hause vor dem Fernseher, unser Wohnzimmer wurde gerade umgebaut, mit meinen Geschwistern und meinem Vater verfolgte ich im Teletext, was es Neues gibt. Wir müssen dieses Ereignis glücklicherweise nicht immer wieder erleben, damit wir es uns merken können. Einmal reicht vollkommen – weil uns dieser Tag emotional sehr mitgenommen hat, selbst als Kind.
Diese Metapher ist wichtig. Warum? Weil die Kommunikation und die Veränderung der Verbindungen zwischen Neuronen die Grundlage für alles ist, was du kannst. Und genau darum soll es in diesem Newsletter gehen: um alles, was du kannst, und was das Gehirn damit zu tun hat.
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Danke an Simon, Cerstin, Martin, Martina, Kerstin, M., Hans, Jörg und Manfred, die mich schon mit einer Mitgliedschaft unterstützt haben, bevor die erste Ausgabe dieses Newsletters überhaupt erschienen ist! Ihr seid der Hammer!
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