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Feministische Stadtplanung zur Primetime

Jan Böhmermann hebt die feministische Stadtplanung auf die Bühne, Till Raether schreibt einen Roman über Sigrid Kressmann-Zschach. Was bedeutet das für den Diskurs und wie sind die Reaktionen?

Mit der Ausstrahlung eines ZDF Magazin Royale von Jan Böhmermann und seinem Team zum Thema Innenstadt am 14.04.23 wurden einige Thesen der feministischen Stadtplanung einem Millionenpublikum erschlossen. Meine Kollegin Dr. Mary Dellenbaugh-Losse hat in einem 15-Sekunden-Einspieler die Folgen unterschiedlicher Lebensrealitäten von Planerinnen (meistens Caregiver) und Planern (meistens keine Caregiver) erläutert, ihre Auswirkungen auf die unterschiedliche Wahrnehmung der Stadt und daraus resultierende Planungsentscheidungen. Long story short: Wer Care-Arbeit kennt, plant diese Erfahrung in seine Planungen ein. Da in der Vergangenheit mehrheitlich männliche (weiße cis hetero) Männer (50+) Planungen verantworteten, lag der Fokus z.B. der Mobilitätskonzepte nicht auf Carewegeketten, sondern eher auf linearen Pendelwegen aus dem Vorort in die Innenstadt.

Straße im Wiener Stadtteil Neubau: Gründerzeitviertel mit verkehrsberuhigter und begrünter Fläche.

Entsiegelte und begrünte Flächen im Stadtteil Neubau sind Teil der langfristigen Wiener Gender-Planning-Strategie | Foto: Karin Hartmann

Das Interesse von Jan Böhmermann an diesem Spartenthema hat mich selbst erstaunt. Nicht einmal vom Fach kommt man*frau automatisch mit Gender Planning in Begegnung. In der Lehre ist es kein ausgesprochenens Sujet, es sei denn, es wird dazu gemacht. Also insgesamt erstmal ein erfreulicher Aufschlag von Jan Böhmermann und seinem Team.

Die Kollateralschäden habe ich auf social Media in dieser Woche erlebt: was passiert, wenn Leute (ok, ich meine hier tatsächlich insbesondere Männer) das erste Mal mit diesem fachlich unumstrittenen Thema in Berührung kommen. Ihnen erscheinen die Forschungsergebnisse eher abwegig, und so fallen auch ihre Reaktionen aus. Nachdem ich mit einem Augenzwinkern und Zustimmung das überspitzte Zitat mit Bild von Jan Böhmermann

"Die Innenstadt ist so scheiße, weil sie vor langer Zeit mal geplant wurde: Für Männer, die mit dem Auto zur Arbeit fahren."

mit seiner leicht schuldbewussten Mine, teilte, gab es die ersten Kommentare von offenbar getriggerten Männern. Nicht vom Fach, konstatierten sie "Der größte historische Schwachsinn, den man veröffentlichen kann!" "Kein grimmepreisverdächtiger Kommentar." "Billig.". Und dies nur unter besagtem Post, die Kommentare auf der Instagram-Seite der Sendung zu diesem Zitat sind noch unterirdischer. Warum so viele Emotionen? Das liegt vielleicht daran - und das beobachte ich auch in der gesellschaftlichen Debatte um Feminismus - dass wir alle doch ziemlich in unseren Filterblasen zuhause sind. Wer bislang nichts von Feminismus mitbekommen wollte, brauchte es auch nicht. Und so erscheinen Mädchen mit "Feministin" auf dem T-Shirt und weiterentwickelte Konzepte der feministischen Außenpolitik, und nun auch noch der feministischen Stadtplanung, vielen Leuten wie regelrecht vom Himmel gefallen - ein Affront.

Nachdem das eine Weile lief, und die Herren weitgehend noch unter sich waren, wurde eine Ingenieurin, die das Thema inhaltlich, aber mit Ironie unterstützte, persönlich angegangen. Daraufhin habe ich moderierend kommentiert, dass ich mir unter meinem Posting eine sachliche Diskussion wünsche - schließlich ist es ja sozusagen mein sozialer Vorgarten, in dem dieser Austausch geführt wird. Ich bin durchaus für einen Diskurs, auch gerne mit anderslautenden Meinungen, aber niemals werde ich verstehen, wie - vornehmlich Männer - sich unter den Postings anderer ausdrücken und verhalten. Dabei sind sie seltenst vom Fach, benutzen Kraftausdrücke, bedienen Stereotype und klopfen sich gegenseitig die Schultern für ein subjektives oder dünn belegtes Argument, das dem eigentlichen Statement dem*der Autor*in zuwiderläuft. Warum in Gottes Namen machen sie nicht ihre eigene Diskussion auf? Der Verlauf ist vorhersehbar: großer Aufschlag - persönlich austeilen- entsprechende Antworten kassieren - sachlich korrigiert werden - trotzig reagieren - beleidigt zurückziehen - manchmal: nachtreten.

Offenbar sind einige Männer es kaum gewöhnt, den kürzeren zu ziehen, in einer Diskussion nicht die Deutungshoheit zu behalten und - von Frauen - überstimmt oder fachlich korrigiert zu werden. Offenbar sind diese Erfahrungen neu, gemessen an der großen Überraschung beim überstimmt Werden und den - aus meiner Sicht - total überzogenen beleidigten Reaktionen.

Dabei steht diese Beobachtung einer einzigen Kommentarspaltendiskussion bei LinkedIn so stellvertretend für die Debatte der Geschlechter insgesamt. Schließlich sind auch die sozialen Medien "Räume", die eingenommen, gestaltet und verlassen werden können. Nach schlechten Erfahrungen mit einem Twitter-Shitstorm 2020 hatte ich lange Angst, in digitalen Räumen klar meine Meinung zu äußern, und Querulanten in die Schranken zu weisen. Oder nicht einmal Querulanten, einfach auch Leute, die ich in meinem "sozialen Vorgarten" so nicht haben wollte, weil sie abschweifen, für ihre Produkte werben oder despektierlich waren. Dankbar, dass jemand kommt, als Mädchen sozialisiert über Grenzverletzungen hinweglächelnd, habe ich sie hingenommen. Inzwischen sehe ich das anders. Mein Raum, meine Regeln. Ich wünsche mir eine sachliche Diskussion, einen Meinungsaustausch, der nicht persönlich und verletzend wird - weil ich wirklich am Austausch von Argumenten interessiert bin und es jedes Mal toll finde, wenn sich in meinem "Vorgarten" so eine Diskussion entwickelt. Genauso auf Lesungen und Panels - es gibt nichts Schöneres, als eine Publikumsdiskussion, die mich neue Erkenntnisse und Einsichten mit nach Hause nehmen lässt.

Nun endlich ein Schwenk zur fachlichen Seite. Spoiler: Die Kritik von Planerinnen und Nutzerinnen an der androzentrisch geplanten Stadt ist natürlich keine These von Jan Böhmermann (allein, dass ihm so eine These als Teaser für seine Sendung zugetraut wird, ist unglaublich). Schon früh haben Planerinnen den zunehmend funktionalistischen Städtebau der Moderne, der in der Folge weiterentwickelt wurde zu Konzepten wie der autogerechten Stadt, kritisiert als zu wenig am Menschen orientiert. Zu ihnen gehörten Ada Louise Huxtable und Sibyl Moholy-Nagy. Die bekannteste Stimme ist vielleicht Jane Jacobs: Mit ihrem Widerstand gegen den Expressway in Manhattan schrieb sie Geschichte - und bewahrte Manhattan vor schlimmsten Eingriffen für eine automobile Infrastruktur.

Ist dies eine schwarz-weiße Diskussion, geht es um unterschiedliche Sichtweisen des biologischen Geschlechts? Wie bereits erwähnt legen Studien nahe, dass die Lebensrealität des*der Einzelnen prägend ist für planerische Entscheidungen. Wer also die Care-Perspektive kennt, wird diese Erfahrung bei der Planung einsetzen. Dennoch ist das nicht alles. Über eine lange verbreitete Entwurfshaltung, die sich am Genius und Künstlerarchitekten orientiert, habe ich in Schwarzer Rolli, Hornbrille (Öffnet in neuem Fenster) geschrieben. Sie entspringt weniger Erfahrungen, sondern einer bestimmten Sozialisierung und einer Erwartungshaltung der Gesellschaft, die auf der historischen Genese des Berufsbilds beruht. Auch das (bei LinkedIn beobachtete) Raum einnehmen scheint mir nicht auf Erfahrungen zu beruhen. Martina Löw analysierte die unterschiedlichen Raumaneignungen von Jungen und Mädchen und die unterschiedlichen Erwartungen, die sozial an sie gestellt werden. Vielleicht rührt daher die beleidigt-überraschte Reaktion von Männern auf konstruktives Moderieren/Repliken/Richtigstellungen von Frauen: diese Erfahrungen kennen sie im öffentlichen Raum nicht.

Der neue Roman "Die Architektin" von Till Raehter mit einem vom Autor gestalteten Fanzine.

Der neue Roman "Die Architektin" von Till Raether mit einem vom Autor in limitierter Auflage gebastelten Fanzine | Foto: Karin Hartmann

Gerade habe ich Till Raethers neu erschienenes Buch "Die Architektin" gelesen. Grundlage seines Romans ist die Lebens- und Wirkungsgeschichte der Berliner Architektin Sigrid Kressmann-Zschach. Als Architektin und Bauunternehmerin mit bis zu 300 Mitarbeiter*innen baute sie den den Steglitzer Kreisel und das Ku'damm-Karree und hatte in den 1970er Jahren in West-Berlin großen Einfluss, bevor sie Konkurs anmelden musste und vor einem Untersuchungsausschuss landete. Die Affaire zog mehrere Suspendierungen in der Senatsverwaltung nach sich.

Wunderbar beschreibt Till Raether immer wieder, wie "unerwartet" sich "die Architektin" verhält und damit ihre männlichen Financiers, Ehemänner und Angestellte verunsichert und einnimmt. Ich habe mich sehr gefreut, dass Till Raether das Thema aufgreift. Ich sehe dies auch als Zeichen dafür, dass die Planung und ihre Auswirkungen bis hin zu einem allgemeinen Interesse an dem Wesen der Profession endlich gesellschaftlich diskutiert werden möchte. Wie Böhmermann adressiert Raether Facetten der weiblichen Perspektive des Planens und Bauens und fügt ihm durch seine schriftstellerische Perspektive eine neue, interessante Ebene hinzu. Dazu ist der Roman sprachlich und stilistisch wahnsinnig gut und Till Raether lässt als bekennender Feminist selbstironisch die eine oder andere Spitze fallen, ich musste wirklich oft lachen. So möchte ich mit einem Zitat aus "Die Architektin" schließen, das im Buch eher beiläufig erscheint und doch so stellvertretend ist für das Thema dieses Newsletters:

"Zurück in der Mansarde tat Martha Bretz etwas, wozu sie sich zwingen musste: Sie dachte an Siegmar (Anm.: ihren getrennten Ehemann). An dessen furchtbar langweilige Abendbrot-Geschichten über andere Männer, die in etwa so aussahen wie er, und die er irgendwo traf, und dann sprach er mit denen, sie verabredeten und bewerteten und beschlossen Dinge, und darum sah die Welt so aus, wie sie aussah."

Auf bald!
herzlich, Karin

Buch- und Artikelempfehlungen

Till Raethers Die Architektin (Öffnet in neuem Fenster) ist neu erschienen und sehr lesenswert! Das Zitat steht auf S. 356-357.

Jan Böhmermann hat in seiner Sendung ZDF Magazin Royale vom 14.04.2023 (Öffnet in neuem Fenster) für seine Analyse der sterbenden Innenstädte zu feminisischer Stadtplanung und Unpleasant Design recherchiert. Sehr sehenswert ca. ab Minute 6.

Die im Text benannte LinkedIn-Debatte findet sich hier (Öffnet in neuem Fenster).

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Hier sind die nächsten Veranstaltungen mit mir:

27.04.2023, Aachen
Vortrag in der Reihe ArchitektINNENwelten (Öffnet in neuem Fenster) an der FH Aachen

28.04.2023, Karlsruhe
Buchgespräch zur Finissage der Ausstellung "M*1:1* verborgene Ansichten und weibliche Perspektiven in der Architektur" (Öffnet in neuem Fenster) im Architekturschaufenster Karlsruhe

30.04.2023, Dortmund
Moderation der Lesung mit Leslie Kern (CA) (Öffnet in neuem Fenster) im Baukunstarchiv

02.05.2023, Potsdam
Buchvorstellung in der Vortragsreihe "bunte Aussichten" (Öffnet in neuem Fenster) mit dem studentischen Kollektiv perspektiv;wechsel an der FH Potsdam

17.05.2023, Darmstadt
Vortrag in der Reihe POSITIONEN (Öffnet in neuem Fenster) im Fachbereich Architektur der TU Darmstadt

24.05.2023, Antwerpen
Buchvorstellung im Book Club der PAF Community (Öffnet in neuem Fenster)

31.05.2023, Koblenz
Buchvorstellung in der Reihe PROFILE (Öffnet in neuem Fenster) an der FH Koblenz

20.06.2023, Frankfurt am Main
Buchvorstellung und Gespräch im Deutschen Architekturmuseum

22./23.06.2023
Key Note und Workshop zum Symposium "Die Kaiserinnen in Kaiserslautern" an der TU Kaiserslautern

21.07.2023, Paderborn
Buchvorstellung und Kunst in der märz Manufaktur (Öffnet in neuem Fenster)

Bei Spotify gibt es eine lustige Playlist zu Schwarzer Rolli, Hornbrille (Öffnet in neuem Fenster) mit aktuellen feministischen Liedern und welchen aus den 1990er-Jahren.
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