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Arbeit, Alltag und Adrenalin

Erkenntnisse und Mitbringsel aus 16 Veranstaltungen, der lange Rücktritt des Reinhard Quast und dazu noch ein Focus-Titel


In den letzten Wochen war ich sehr viel unterwegs auf Veranstaltungen unterschiedlichster Couleur und Ausrichtung und bin gependelt zwischen Alltag und Adrenalin, bezahlter Arbeit und Care. Eine spannende Zeit liegt hinter mir. Bevor ich in die Ferien verschwinde, möchte ich ein paar Dinge mit euch teilen.
Insgesamt freue ich mich sehr über die vielen Anfragen zur Teilnahme an Panels, für Key Notes und Buchvorstellungen. Ich habe mit dieser Resonanz nicht gerechnet, es ist einfach eine tolles, direktes Feedback zu meiner Arbeit. Gänzlich unerwartet und unheimlich bereichernd erlebe ich jedoch die Gespräche mit den Besucher*innen vor Ort, sei es als Teil der Öffnung eines Panels zum Publikum oder in persönlichen Gesprächen nach Veranstaltungen. Sie sind für mich fast jedes Mal besonders. Ich habe das Gefühl, dass in diesen Gesprächen die Ideen aus meinem und anderen Büchern weitergedacht und formuliert werden zu einer neuen gemeinsamen Einsicht, zum nächsten Argument, das die Debatte voranbringt und wieder zu neuen Handlungsmöglichkeiten führt.

Ein Bild mit Mitbringseln von Veranstaltungen und ein Focus-Titel

Mitbringsel von Veranstaltungen und ein Focus-Titel | Foto: Karin Hartmann

So liegen 16 Veranstaltungen hinter mir. Ausgerichtet von einer zivilgesellschaftliche Initiative, einem Berufsverband, Architekturfakultäten, einer Studierendeninitiative, einer großen Wirtschaftsanwaltskanzlei, vielen anderen, und dann war da noch diese wunderbare Zusage, auf der re:publica sprechen zu dürfen.

PAF Community in Flandern
Beginnen möchte ich mit einem echten Highlight! In Belgien entsteht gerade die PAF Community, stehend für Platform voor Architectuur & Feminisme. Gefördert mit öffentlichen Mitteln (!) bringt die Initiatorin Evelien Pieters Interessierte an der Schnittstelle zwischen Feminismus und Architektur zusammen und baut eine Community auf, um innerhalb und außerhalb von Institutionen mehr Synergien für gemeinsame inhaltliche Ziele zu schaffen. Sie organisiert Veranstaltungen und einen Bookclub, in dem zeitgenösschische und historische Werke zum Thema gelesen werden, z.B. Matrix'. Making Spcace. Women and the Man-made Environment (und Schwarzer Rolli, Hornbrille) gemeinsam gelesen und besprochen werden. Mit dem Stadsform als Kooperationspartnerin hat Evelien Pieters einen inspirierenden Ort gefunden, der gestalterisch hervorragend zum Thema passt, aber erstaunlicherweise auch inhaltlich: hier haben die Veranstaltungsräume Nachnamen von Architektinnen. Dass es mich total berührt hat, diese Schilder so in Reihe zu lesen - weil es so selten ist - spricht auf anderer Ebene für sich, it's a long way to go - aber hier sind wir, und Evelien ist dran.
Das Projekt PAF hat echten Modellcharakter. Seitdem ich im Mai dort war überlege ich, ob so eine gezielte Unterstützung der Community-Bildung in Deutschland auch sinnvoll wäre mit guten Inhalte und Formaten und einem gemeinsamen Output. Was meint ihr dazu? Würde der Sache eine organisierte(re) Vernetzung gut tun? Oder gar eine Institutionalisierung? Schreibt mir gerne in die Kommentare, ich bin gespannt, wie ihr das seht!

Schilder von Veranstaltungsräumen im Stadsform in Antwerpen: Jacobs, Bo Bardi, Scott Brown, Gray etc.

Seminarräume im Stadsform: Es tagt sich gut in Räumen, die Bo Bardi, Jacobs, Lacaton oder Perriand heißen | Foto: Karin Hartmann


Sexismus-Panel auf der Real Estate Arena und der lange Rücktritt von Reinhard Quast
Besonders positiv gestimmt hat mich das Panel "Sexismus und toxisches Arbeitsklima: Erfolgskiller Nr. 1 in der Bau- und Immobilienbranche" organisiert von der wunderbaren Anne Tischer vom Verein F!F Frauen in Führung (Öffnet in neuem Fenster) in Kooperation mit und auf der diesjährigen Immobilienmesse REAL ESTATE ARENA in Hannover. Bei dem Titel dachte ich, toller Arbeitstitel, oder? Oder?!
War es nicht, es war der Veranstaltungstitel. Anne Tischer, Marie Döscher, Nadine Otto und ich hatten ein dichtes Gespräch, das auf der trubeligen Messe mit großen Interesse verfolgt wurde.
Ich freue mich sehr, dass die Branche das Thema nun offen auf den Tisch legt.
Seit dem Sexismus-Eklat am Tag des Deutschen Baugewerbes 2022 (Öffnet in neuem Fenster), an dem Reinhard Quast als Verbandspräsident seine Moderatorin sexuell beleidigte und daraufhin einen Shitstorm erlebte, ist das Netzwerk aller Initiativen, die sich für mehr Diversity in der Architektur-, Bau und Immobilienbranche einsetzen, viel enger zusammengerückt (an dieser Stelle möchte ich Reinhard Quast noch einmal persönlich danken für das mit Abstand beste Vernetzungsevent 2022). Aufgrund der späten Reaktion Quasts wurden die Missstände und obsoleten Narrative der Branchen bis ins Detail diskutiert und von den Medien aufgegriffen. Auch diesem Umstand verdanken wir, dass so ein Podium mit diesem Titel in 2023 überhaupt möglich ist. Es sind noch weitere Events der Initiativen geplant, um das Thema weiter voranzubringen und den Druck für strukturelle Änderungen insbesondere in die institutionelle Landschaft hinein zu erhöhen.

Sidenote: Reinhard Quast ist übrigens im Juni von allen Ämtern zurückgetreten - obwohl er auf ebenjenem Baugewerbetag für weitere vier Jahre als Präsident bestätigt worden war. Diese, in patriarchalen Strukturen ja sehr typische (männliche) Lösung, Rücktritt und Eklat zeitlich auseinander zu legen, hat offensichtlich zum Ziel, das Gesicht zu wahren. Diese Vorgehensweise spricht im Zusammenhang mit den neu durchgegendertem Internetauftritt des Verbands und der Pressemeldung zum Rücktritt (Öffnet in neuem Fenster), die seine Wiederwahl 2022 unerwähnt lässt, dafür, dass auch nach ein paar Monaten kein Grass über die Sache wuchs und Quast sich in seiner öffentlichen Rolle von seiner sexistischen Bemerkung nicht mehr erholte. Nun ja. Das ist eine sehr gute Chance für den Verband, mit einer personellen Veränderung endlich auch eine inhaltliche Entwicklung anzustoßen. Take your chance.

Perspektiv;wechsel!
Eine Initiative, die mir besonders am Herzen liegt, ist das Studentische Kollektiv Perspektiv;wechsel (Öffnet in neuem Fenster) an der Fachhochschule Potsdam. Die Gründer*innen machen den Wechsel der Perspektive zum Ziel ihrer Arbeit und organisieren in kleiner Runde eigeninitiativ die Veranstaltungsreihe bunte Aussichten (Öffnet in neuem Fenster). Weiter setzen sie sich für vielfältigere Positionen in der Hochschulpolitik ein.
Inhaltlich haben wir vor allem darüber gesprochen, wie die Lehre sich ändern muss, z.B. in Bezug auf das (An)Lernen von selbstausbeuterischem Arbeiten und einer (zu) persönlichen Betreuung. So sollten Kritiken sich auch in der Architektur an messbaren Sachkriterien orientieren, und die Aufgaben sollten innerhalb des Lehrplans erfüllbar sein. Durchgearbeitete Nächte in den ersten Semestern gehören aus meiner Sicht ebensowenig dazu wie zu wenig angeleitete, zeitintensive Architekturmodelle, die Studierende im Zweifel nochmal bauen müssen.

Wunderbare re:publica 23,-
Auf der re:pbublica hatte ich einen kurzen Lightning Talk mit dem Titel Vielfalt statt Othering: Die Stadt der Anderen* (Öffnet in neuem Fenster) in dem ich kurz aufgezeigt habe, warum unsere Städte und Architekturen nicht allen Lebensrealitäten ihrer Bewohner*innen gerecht werden. Es war heiß und ich musste etwas gegen den tosenden Applaus für Robert Habeck auf der Bühne nebenan ansprechen - trotzdem kamen viele Leute und ich habe mich gefreut, Teil dieser schönen Atmosphäre zu sein. Bei Interesse ist der Talk hier (Öffnet in neuem Fenster) nach zu schauen.
Aus meiner Sicht kommt die Relevanz der feministischen Stadtplanung durch Artikel in überregionalen Zeitungen und Magazinen, und nicht zuletzt durch Jan Böhmermanns Sendung (siehe Newsletter vom 25.04.23) im Mainstream immer mehr an. Hoffentlich führt dies zu mehr Engagement und gut kommunizierter Partizipation im eigenen Viertel!


Fünf Jahre NBL
Das Natural Building Lab (Öffnet in neuem Fenster) (NBL) am Institut für Architektur der TU Berlin, wurde fünf Jahre alt veranstaltete im Juni hierzu ein halbtägiges Symposium mit Feier. Ich war eingeladen, eine Keynote zu halten. Der Titel lautete Bauwende=Berufswende? Ein klares JA, ohne Änderungen des Berufsbilds wird es keine Bauwende geben. Dazu gehört, sich vom Meister-Schüler-Lernen, Silodenken und hierarchischen Strukturen zu Gunsten einer kollektiven Arbeitsweise weitgehend zu verabschieden. Die flirrende Atmosphäre am NBL, tolle partizipative Lehrformate und mutmachende Ergebnisse zeigen, dass dies auch realistisch umsetzbar ist und auf lange Sicht funktioniert.
Ein erhellender Moment auf dem Panel zur Keynote war, dass die Studierenden auf der Bühne fast durchgehend Zweifel hatten, ob sie ihre Inhalte in einem klassischen Architekturbüro würden einbringen können. Sie konnten sie sich nicht vorstellen, jemals anders als selbstwirksam zu arbeiten. Im Publikum hingegen erzählten einige aus Praxis und Verwaltung von ihren Hürden, Stellen gut besetzen zu können.
Eine schon fast klassische Seite des Generationenkonflikts. Die GenZ kann nicht mit den gleichen Zukunftsversprechen und schlechten, hierarchischen Arbeitssituationen "gewonnen" werden, mit der die heutigen Chef*innen beruflich in den 1990er-Jahren befasst waren. Der Wunsch nach mehr Wirksamkeit und Kooperation ist vor dem Hintergrund der Klimakrise, einer gänzlich anderen Sozialisierung ohne nachhallende Einflüsse der (Nach)Kriegsgeneration und einem Arbeitsmarkt, in dem Star-Architekten Anzeigen schalten, aus meiner Sicht verständlich und nachvollziehbar.

Try to come as you are
Quasi zum Saisonabschluss war ich beim Pop-Up-Symposium Come as you are (Öffnet in neuem Fenster) an der RPTU in Kaiserslautern. Im Rahmen ihrer Gastprofessur hat Christiane Fath mit ihren Studierenden dieses dichte Format aus Inputs, Gesprächsrunden, Workshops und Filmen entwickelt - durchgehend moderiert von Studierenden, die souverän auch durch Runden mit kontrastierenden Meinungen führten. Chapeau! CAYA steht für "Come as you are", Nirwana-Song und in meinem Buch im Kapitel "Junge Frauen und junge Architektinnen" als Bild dafür verwendet, wie wenig junge Frauen sie selbst sein dürfen. (1)

So hatte das Symposium zum Ziel, Role Models sichtbar zu machen, aber auch Role Model zu sein. Ich wünsche mir mehr von solchen Formaten! Sie liefern schnelle Debattenbeiträge, durchdringen Strukturen und geben Studierenden die Chance, echte Bühnenerfahrung zu machen, die ihnen weiter hilft, ihre Themen zu formulieren und öffentlich zu vertreten. Mehr davon!

Längst habe ich hier nicht alles teilen können, aber alle Veranstaltungen des ersten Halbjahrs haben mir sehr viel Spaß gemacht, jede hatte ihre Besonderheit und ich habe sehr viele neue und interessante Menschen kennengelernt, die mit dem Thema verknüpft sind.

#dieNaechste
Zuletzt möchte ich - off topic not off topic - auf eine Initiative hinweisen, an der ich mich privat beteiligt habe. Das Focus-Cover vom 03.06. war der Launch der Initiative #dieNaechste gegen häusliche Gewalt von Anna Sophie Herken, Iris Brand, Sara Bora, Stefanie Knaab und Vivien Kraft. Gemeinsam mit 40 anderen Frauen sind sie mit ihren Erlebnissen zu physischer und/oder psychischer Gewalt an die Öffentlichkeit gegangen. Auch ich habe in einer Beziehung mit einer narzisstischen Person psychische Gewalt erlebt und mich daher entschlossen, mich mit Gesicht und Namen dieser Initiative anzuschließen. Keine soll mehr die Nächste sein! Ich freue mich über jede Unterstützung der Initiative #dieNaechste (Öffnet in neuem Fenster). Teilt die Beiträge, unterschreibt Petitionen oder spendet für das Frauenhaus um die Ecke. Und vor allem: unterstützt eure Freundinnen in physisch oder psychisch gewaltsamen Beziehungen, da heraus zu kommen. Die Bedrohung von Frauen in der häuslichen Umgebung ist nach Leslie Kern der maßgebliche Grund dafür, dass Frauen* sich auch in öffentlichen Räumen nicht sicher fühlen. Die Stigmatisierung und das Wegschauen, das Erklären zur Privatsache und das Victim-Blaiming müssen aufhören. Vielen Dank!


Auf bald,

und habt einen schönen Sommer,
Karin

(1) Hartmann, Karin. Schwarzer Rolli Hornbrille. Plädoyer für einen Wandel in der Planungskultur. Berlin 2022, S.21: "Sie sollen entspannt sein. Sie sollen lächeln.In fast keinem Lebensbereich gilt für junge Frauen ein lässiges come as you are."

Buch- und Artikelempfehlungen

Aktuell beschäftige ich mich für ein Schreibprojekt viel mit dem Thema Intersektionalität. Empfehlen möchte ich hier das Buch Against White Feminism. Wie weißer Feminismus echte Gleichberechtigung verhindert (Öffnet in neuem Fenster) von Rafia Zakaria gelesen. Sie analysiert detailliert und klar, wie weißer Feminismu allen feministischen Bewegungen schadet. Sehr bereichernd und motivierend!

Wer es nochmal anschauen möchte: Der Sexismus-Eklat am Deutschen Baugewerbetag 2022 (Öffnet in neuem Fenster).

Im Bookclub der PAF Community: Making Space. Women and the Man-made Environment (Öffnet in neuem Fenster).

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Hier sind die nächsten Veranstaltungen mit mir:

26.09.2023, Kiel
Buchvorstellung und Gespräch

27.09.2023, Stade
Buchvorstellung und Gespräch in der Buchhandlung Schaumbrich

05.10.2023, Frankfurt am Main
Buchvorstellung und Panel im Deutschen Architekturmuseum

14.11.2023, Kassel
Buchvorstellung und Gespräch, Architects for Future Kassel

verschoben auf Herbst 2023, Aachen
Vortrag in der Reihe ArchitektINNENwelten (Öffnet in neuem Fenster) an der FH Aachen

verschoben auf Winter 2023, Paderborn
Buchvorstellung und Kunst in der märz Manufaktur (Öffnet in neuem Fenster)

Bei Spotify gibt es eine lustige Playlist zu Schwarzer Rolli, Hornbrille (Öffnet in neuem Fenster) mit aktuellen feministischen Liedern und einigen aus den 1990er-Jahren.
Sie wächst ständig weiter - hör' rein!

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