Revolution später
Mit dem Elektroauto in Lothringen/ Wie ich zum Ladezeitenclochard wurde/Pietät von "Bauknecht"/ Die Chefs sind wieder da!
Etang de Hanau
Die elektrische Mobilität ist eine hehre Idee, deren praktische Umsetzung in Teufelswerk endet, wie eine kurze Reise durch Lothringen in einem BMW i3 noch einmal verdeutlichte.
Es könnte so einfach sein: Strom gibt es in ganz Europa, Steckdosen auch – eine Münzvorrichtung wie einst im Waschsalon oder in Telefonzellen würde ausreichen, um jedes elektrische Auto in Europa aufladen zu können. Doch solch ein simples Konzept ist nicht smart, also wird es kompliziert. Zwischen Stecker und Steckdose vermittelt stets und überall eine kluge App, allerdings je nach Region eine völlig andere. In Lothringen schon erkennt die führende deutsche Elektromobilitätsapp gar nichts mehr, als sei Frankreich stromfreie Zone. Im Jahr 2021 ist elektrische Mobilität in Europa eine nationale, wenn nicht regionale Sache.
Doch das Abenteuer endet nicht an der Stromzapfsäule. Auch wenn man eine funktionstüchtige Säule gefunden hat., die dann zufällig auch noch frei ist und man sich die entsprechende App geladen, dort ein Konto eröffnet hat – Mail bestätigen, Passwort dichten, Passwort wiederholen, den Newsletter ablehnen, die AGB hingegen bestätigen - der Stecker steckt und der Strom fließt: Aus unerfindlichen Gründen stoppt die Ladung nach zehn Minuten. Oder irgendetwas klemmt, die allerletzte Klappe. Die freundlichen Menschen von der Servicehotline beenden die ganze Säule und starten sie neu wie einen bockigen alten PC – aber nichts geschieht. Die Varianten der möglichen Pannen sind schier unendlich. Menschen ohne Kreditkarte, digitale Übung und gute Smartphones kommen mit diesen Fahrzeugen keinen Meter weit. Volltanken geht mit Bargeld und ohne Plan. So kann man den ökologischen Wandel prima als Elitenprojekt diskreditieren.
Jardin de la Paix zu Bitche
Immerhin bescheren diese Pionierzeiten der Elektromobilität eine neue soziologische Gattung, den Ladezeitenclochard. Man drückt sich stundenlang in Innenstädten herum, umrundet schlurfenden Gangs Plätze und Parks, Zeit in Tonnen.
In Bitche teilten wir uns die einzige Schattenbank mit einem französischen Paar im Rentenalter. Sie kamen ebenfalls mit dem Auto nicht weg: Die Gendarmerie hatte die Innenstadt abgesperrt, ein Mann hatte geschossen, vielleicht nur Platzpatronen, aber wer weiß. Gute Laune hatten sie nicht: Die Türken und Araber ruinierten Frankreich. Die Frage, ob er ein Rassist sei, bejahte der Mann empathisch. Er wusste von einem Plan der Chinesen, Bitche zu übernehmen, sogar einen Fackelzug habe er schon beobachtet. Alles gehe den Bach herunter. Nur Marine LePen könne Frankreich noch retten, aber der Jude – er meinte Emmanuel Macron – habe sie ja aus dem Rennen geschlagen. Juden konnte er auch nicht ausstehen, guter Beleg für die These, dass Antisemitismus ein Schaufensterhass ist, einer, mit dem alles beginnt – hinten im Laden ist dann immer noch mehr Hass. Sein größter Hass galt Frankreich selbst, alles sei hier Schrott. Er selbst machte einen gesunden, rüstigen Eindruck. Wir redeten noch ein wenig mit ihm und seiner Frau - sie schienen länger niemanden gehört zu haben, der ihre wirren und widerlichen Ansichten nicht teilt. Ich war nur froh, dass sie den Storch nicht mehr gesehen haben, der bald darauf in dem schönen Park landete. Das Wahrzeichen Lothringens ist schließlich ein halber Afrikaner.
Es ereignete sich noch eine Fortsetzung in der Kühlschranksache: Nach über einer Woche fand sich ein Bauknecht-Techniker ein. Ich hatte schon Schilder an den Klingeln befestigt, falls ich ihn nicht höre, so voller Sorge war ich unterdessen um den erst wenige Jahre alten Kühlschrank. Und teilweise ging er ja noch – man macht sich eben Illusionen. Der Techniker war sehr höflich, trug grau und blau, wechselte aber beim Betreten der Küche in einen pietätvollen Ton:“ Ich glaube, der stirbt gerade“ Er hörte es am Glucksen des Geräts, da waren die Kühlgase teilweise entwichen. Theoretisch könne man die auch nachfüllen, aber dann müsse seine Bauknecht-Firma den Technikern auch kühlende Fahrzeuge zur Verfügung stellen und dann kam der Satz, den ich in diesem Sommer zu oft höre: Lohnt sich nicht.
Wegwerfen statt reparieren und voll tanken statt Aufladen – die real existierende Ökologie ist nicht so weit, wie sie sein müsste. Aber jeder hat eine Meinung zu Greta Thunberg, Annalena Baerbock und Luisa Neubauer – die Masche der Ablenkung durch Personalisierung hat mal wieder voll gezogen.
Meine Premiere beim politischen Feuilleton des DLF handelt von der Rückkehr der Chefs, hier zu hören:
https://www.deutschlandfunkkultur.de/ade-homeoffice-die-chefs-sind-wieder-da.1005.de.html?dram:article_id=498923 (Abre numa nova janela)Kopf hoch,
Nils Minkmar
PS: Untersützen Sie den "siebten Tag" hier-