Vom Verteidigen der Freiheit
Leichtigkeit lässt sich nicht verordnen, haben sie ihm gesagt. Aber als er an diesem 20. März aufsteht, weiß er, dass sie Unrecht haben. Draußen 14 Grad, Regen, endloses Berliner Grau, in Christians Herz scheint trotzdem die Sonne. Freedom day.
Ein neuer Tag, neue Todeszahlen aus der Ukraine, ein neues Video von Selenskyi, in dem er den Westen auffordert, Waffen und Flugzeuge an die Ukraine zu liefern. Auf dem Weg ins Ministerium hat Christine im Fond ihrer Dienstlimousine das Presse-Bulletin aufgeschlagen, dann eine WhatsApp von Annalena: Der ukrainische Botschafter bittet um einen Termin, um nochmal die Möglichkeit von Waffenlieferungen zu erörtern. „Was können wir ihm sagen“, will Annalena wissen. „Bitte auf Verfahrensfragen verweisen“, tippt Christine. Müsste man alles nicht mehr diskutieren, wenn die Polen neulich nicht so vorgeprescht wären mit ihrer Flugzeugnummer, ärgert Christine sich. Danke, Polen. „Verfahrensfragen“, notiert Annalena währenddessen auf dem Vermerk mit der Gesprächsbitte des ukrainischen Botschafters. Dahinter malt sie drei Ausrufezeichen. „Verfahrensfragen!!!” – wenn Melnyk das nicht versteht, weiß sie wirklich auch nicht mehr.
Die Eins hat Johannes schon gestern Abend in Händen gehalten und kurz überlegt, ob er auf die richtige Zeile gesetzt hat. Vielleicht wäre „Wie aus dem FF(P2) – So entledigt sich Deutschland der Masken“ doch besser gewesen. Als er im Foyer des Axel-Springer-Hauses die anerkennenden Blicke der Wachleute sieht, weiß er: „Deutschland atmet auf: Schluss mit dem Corona-Terror!“ war die richtige Entscheidung. Während der Fahrt in den 16. Stock geht er im Kopf die Fragen durch, die er Scholz nachher bei BILD TV stellen wird. Maskenpflicht, Impfpflicht, Wehrpflicht. „Freiheitskanzler“ denkt er plötzlich. Auch eine gute Zeile. Mal sehen, was Scholz nachher so sagt.
Immer noch Regen. Die Infektionszahlen sind wieder gestiegen, die Zahl der Corona-Toten auch. Das hatte er sich anders vorgestellt: Menschen, die in Cafés sitzen, reden und lachen, glückliche Kindergesichter, am besten eisverschmiert, so ein bisschen la deutsche vita … Wäre schon gut gewesen, wenn solche Bilder am Abend im heute journal laufen, bevor er in der Live-Schalte erklärt, warum er immer auf dem 20. März bestanden hat. Hoffentlich ist gerade keine Slomka-Woche, denkt Christian. Regen und Slomka kann er heute wirklich nicht gebrauchen.
In diesem Krieg ist Europa enger zusammengerückt. Damit hatte er nicht gerechnet. Nein, das kann er so nicht sagen. Konzentrier dich, Olaf. Nochmal.
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