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Ein neuer Held am Horizont

Moin Crew,

ich habe vor zwei Jahren einen Roman geschrieben und abgeschlossen (natürlich wie immer, ist er in der Schublade gelandet).

Da die Pausen zwischen den Almanach-Kapiteln immer etwas länger geraten, als beabsichtigt, will ich euch diese Lücke füllen. Und zwar mit eben diesem Roman. Hier überarbeite ich Stück für Stück die Kapitel und lasse sie von einer sehr fleißigen und akribischen Testleserin überprüfen.

Und damit ihr nicht wie immer in eine Extra-App müsst, landet der Text direkt hier.

Triggerwarnung: Blut, Schießerei, derbe Sprache, Verdauungsprobleme, brechende Knochen, der Protagonist ist ein Arsch - und noch einiges mehr. Wenn du es lesen willst: hier gehts ab und an zu Sache, sowohl verbal als auch mit Faust, Messer und Schusswaffe.

Und los gehts!

Kapitel 1 

22. April 2236

6:44 Uhr

Helios City, Downs, Baker Distrikt

„Hey Arschloch! Dein Smartglass! Und keine Spielchen!“

Die Stimme tönt aus einer Gasse, an der ich vorbeilaufe. Hätte es in dieser Ecke meines Viertels erwarten sollen. Aber wer denkt vor seinem ersten Kaffee an eine Prügelei. 

Ich kann sie riechen. Adrenalin, Wut und etwas Angst. Es sind vier. Keine Herausforderung. Andersherum schon eher. Ich schlage den Kragen meines Mantels hoch und grinse in mich hinein. Mache mich bereit für den Schmerz, der gleich folgt. Nicht nur meiner, auch ihrer. Der Chemiecocktail, den ein Verletzter verströmt, befeuert meine Sinne zusätzlich, wenn ich nicht darauf achte, alles herauszufiltern. 

Ich betrete die Gasse. Es riecht nach Pisse und Scheiße. Ratten rennen davon, hinein in die stinkenden Müllberge, die links und rechts an den Wänden aufragen. Üblich in den Gettos der Downs, nichts Neues. Ich nehme einen Hauch von Sliq wahr. Die Typen sind schwer auf Drogen. Der Boden ist nass. Ich werde aufpassen müssen, um im Matsch nicht auszurutschen. Bevor ich drei Schritte getan habe, kommt eine Flasche aus dem Dunkel geflogen. Ich hebe meinen Arm, sie zersplittert, ohne Schaden anzurichten. Ihr folgt ein dürrer Kerl, mit fettigem, langem Haar und einem Metallrohr in der Hand. 

Er stürmt übergangslos vor, holt aus. Ich ghoste, bewege mich rechts an ihm vorbei und schlage hart gegen seine Schläfe. Der Knochen bricht, Blut schießt aus der Nase. Er geht zu Boden. 

Die anderen drei greifen gleichzeitig an, zwei kleine untersetzte Junkies und einer, der mir bis zur Schulter geht. Letzterer hat ebenfalls ein Rohr in der Hand. 

Lässt es von oben herabsausen, trifft meine Schulter. Stechende Schmerzen ziehen durch meinen Arm. Ich drehe mich zu, verpasse ihm einen Schwinger, als er an mir vorbei stolpert, gezogen von seinem eigenen Schwung. Trete gleichzeitig nach hinten und erwische einen der kleineren im Schritt. 

Er schnappt nach Luft. Klappt zusammen. Der Letzte in der Runde wirft aus dem Lauf etwas. Ein Stein. Trifft mich im Gesicht. Meine Nase knackt, Blut, Metallgeschmack und etwas anderes. 

Der Scheiß, der in meinem Blut schwimmt. Ich ghoste erneut, direkt auf ihn zu. Er rennt in meine Faust, die in seinem Magen landet. Mit einem Keuchen geht er in die Knie und kotzt mir fast auf die Schuhe. Ein Geräusch hinter mir. Ich drehe mich um. Der Anführer rappelt sich japsend auf.

„Scheiße!“ Er hechelt, hält sich den Kopf und steht schwankend da. 

„Du bist dieser Ghost?“ 

Ich zeige die Zähne. 

„Ja, und? Seid ihr fertig? Dann verschwindet jetzt oder sterbt hier und heute!“ 

Ich baue mich deutlich vor ihm auf, mit der Hand unter dem Mantel. Die Waffe aktiviert sich. Gesteuert durch meinen Handabdruck. Feine Sache! 

Er starrt mich an, die Augen gläsern glänzend. Anschließend packt er seinen Kumpel, jener, der mir beinahe meine Schuhe versaut hätte und zu zweit schleppen sie die anderen weg. Nicht ohne immer wieder über die Schulter zu schauen. Angst, dass ich ihnen folge? 

Wozu sollte ich? Abschaum wie dieser verreckt ohnehin in der nächsten Zeit. Alle voll bis obenhin mit Sliq. Spätestens in vier oder fünf Tagen liegen sie flach, in der eigenen Scheiße. 

„Gute Wahl!“, murmle ich. Betaste die lädierte Nase, spüre den Cut und die Schwellung. Nur ein paar Minuten. Dann heilt der Dreck in meinem Blut alles. Solange bleibe ich in der Gasse stehen, schaue nach oben in das diffuse, flackernde Licht der aufgehenden Sonne. Beobachte die Drohnen, die über mir dahinziehen und alles überwachen. Das hier haben sie nicht gesehen. Gut so!

Einige Minuten später sitze ich in Madame Bettys Café. Einem der Letzten seiner Art und nicht weit vom Ort der Schlägerei entfernt. Hier wollte ich ursprünglich hin. Es ist nahezu leer. Einzelne Gestalten aus dem Viertel sitzen verteilt im Raum. Nehmen mich kaum wahr. Tief über ihren Kaffee gebeugt, manche scheinbar in der Structure versunken. Betty Callahan, die Besitzerin, kommt höchstpersönlich in die nur für mich reservierte Ecke. Eine große Kanne Kaffee landet auf dem Tisch, daneben mein Becher.

„Na, John, wie gehts? Wieder geprügelt?“ 

Sie schmunzelt. Weiß sofort, wenn ich Mist gebaut habe. Sehen kann sie es nicht, die Wunden sind verheilt. Das muss sie gar nicht, ist so ein Mutterinstinkt. So ist sie, seit ich sie kenne. Eine schlanke, kleine Frau, afrikanischen Ursprungs. Ihr Haar trägt sie zu Dreadlocks geflochten, die ihr bis zur Hüfte reichen. Graue Strähnen wechseln sich mit zahlreichen bunten Bändern ab. Ihr ausgeblichene, ehemals weiße Schürze liegt lockerer um die Hüften als vor ein paar Wochen. 

„Einigermaßen gut. Nur ein paar Sliq-Junkies. Wollten Kohle.“ 

Ich schau in ihre selten grau-braunen Augen. Sie blitzt mich an. Dann schleicht sich die gewohnte Güte in ihre Miene. 

„Sie leben doch aber noch, oder?“ 

Ich verziehe das Gesicht. 

„Solltest mich kennen, Bets.“ 

So dürfen sie nur wenige nennen. Sie beugt sich zu mir. Weit runter muss sie nicht, so klein wie sie ist. Sie duftet nach Kaffee, Zimt und Brot. 

„Eben! Deshalb frage ich dich. Leben sie noch, John?“ 

Sie wird nachdrücklich. 

„Ja!“, knurre ich. 

Mit Betty lege ich mich nicht an. Sie ist die Einzige, die das Getto zusammenhält. Mit meiner Hilfe, wenn Jeromes Jungs mal wieder durchdrehen. Auf Brautschau sind. Besonders dann. Die Mädchen in meinem Viertel lassen seine Jungs regelmäßig sabbern. Bisher konnte ich sie abhalten und Bettys Einfluss ist ebenfalls nicht zu verachten. Sie richtet sich wieder auf. 

„Gut! Trink deinen Kaffee, John. Ist der Letzte. Ab morgen gibt es wieder Trockenpulver.“ Sie streicht mir über die Schulter und verschwindet hinter dem Tresen. 

Ich schenke mir eine Tasse ein. Kaffee ist selten heutzutage. Er gedeiht nur schwer in den lebenden Häusern. Klimatisch lässt er sich nur in einer Region im ehemaligen Brasilien anbauen. Das macht ihn teuer. Diese Charge hier habe ich von einem Kollegen erhalten. Ich hebe die Tasse, schlürfe einen Schluck und schaue mich um. 

Meine Ecke liegt am hinteren Ende. Ich sehe jede Tür und die Fenster sind links von mir gute zwei Meter entfernt. Sicher und ruhig. Alles im Blick. Selbst die zwei Typen der Black Dragon, Jeromes Gang, die vorne neben der Tür sitzen und sich flüsternd unterhalten. Interessiert mich aber nur wenig. Solange sie keinen Mist bauen, dürfen sie sitzen bleiben. Ich sehe mich weiter um. 

Die Tische bieten Platz für vier. Granitplatten, Sitze aus Kunstleder. Abgewetzt, aber sauber. Die Theke war früher aus Holz, aber nach diversen Prügeleien und einem Cab-Car, welches durch das mannshohe Fenster gerauscht kam, besteht sie nun aus recycelten Aluminium und mit Holzimitation verkleidet. Billig, aber robust. Die beiden Typen vorn bekommen Gesellschaft. Eine Gruppe abgerissener Gestalten trudelt herein und fläzt sich in die vorderen Nischen. 

Einer schaut zu mir. Ich spüre den Schauder, der ihm über den Rücken läuft. Er setzt sich so, dass er mich sieht. Deutet mit dem Kinn in meine Richtung. Ich hebe meine Tasse, proste allen, die sich daraufhin umdrehen, zu und trinke in Ruhe weiter. Sie machen große Augen und ziehen den Kopf ein. Sie kennen mich. Wissen, was ich tue, wenn sie sich nicht benehmen. 

Betty hat sie gesehen, wirft mir einen warnenden Blick zu und geht zu ihnen. Theoretisch könnte ich lauschen, mein Gehör würde es mir erlauben. Aber ich lasse es. Aus Respekt. Vor meiner Ersatzmutter. Sie würde es wissen und mich vor allen Augen zusammenfalten. Muss nicht sein, wäre ein Riss in dem Bild des gefährlichsten Typen im Raum. 

Betty geht wieder und ich höre die Kaffeemaschine arbeiten. Jen, ihre Aushilfe, kommt hinter der Theke hervor und huscht an mir vorbei in den Personalbereich. Eine blasse, blonde, junge Frau. Sie hat zwei Kinder, wohnt eine Etage über mir und musste von einem gewalttätigen Mann befreit werden. Sie ist schüchtern und ängstlich, redet mit niemandem, ist aber immer freundlich, wenn sie hier arbeitet. Betty schickt sie grundsätzlich weg, wenn andere Männer auftauchen. Ich nicke ihr zu und sie verschwindet. 

In meiner Tasche vibriert es. Ich ziehe meine Smartglass, ein kaum handflächengroßes, kristallines Display aus der Tasche. Ich sehe, dass mein Captain anruft, und tippe mir ans Ohr.

„Cap?“

„John, gut, dass ich dich erreiche. Wir haben einen Fall, der deine besonderen Fähigkeiten bedarf.“

„Wo?“

„Wir dir nicht gefallen. Du musst in Highs, vierter Distrikt, New Tree Street. Du siehst es, wenn du da bist!“, tönt mir seine tief brummende Stimme entgegen.

„Was ist los?“, versuche ich aus ihm herauszubekommen.

„Fahr hin, John! Wir sehen uns dort. Keine weiteren Fragen!“, erwidert er und legt auf. 

So habe ich ihn bisher selten erlebt. Aber ist auch uninteressant. 

Wenn er mich in die Highs schickt, braucht er einen etwas weniger sensiblen Detective. Das hat er auch angedeutet. 

Ich gieße mir den Rest Kaffee in meinen Becher und trinke das heiße Gebräu in einem Zug. Verbrenne mir die Kehle. Macht wie üblich nicht viel. Drehe mich zu Betty, die wieder hinter dem Tresen steht und mein Telefonat sicher mitbekommen hat. Sie nickt mir zu. 

„Ein Fall?“ 

Ich zucke mit den Schultern. Erhebe mich und gehe zu ihr. 

„Scheint wichtig zu sein. Der Cap schickt mich ins Nobelviertel.“ 

Ich halte ihr mein Smartglass hin, sie scannt es und will es mir wieder geben. Ich schiebe es wieder zu ihr. 

„Häng zwei Nullen dran und gib Jen etwas als Trinkgeld.“ 

Sie will protestieren, doch mein Blick sagt ihr, dass hierbei Widerrede zwecklos ist. Sie tut es und gibt es mir anschließend wieder. 

„Du bist ein guter Mensch, John. Das weißt du hoffentlich!“ 

Sie lächelt. 

„Gut? Bin nicht sicher, wo du das siehst. Und ein Mensch? Das erst recht nicht. Irgendwas dazwischen. Das sollte aber reichen“, gebe ich zurück, richte meinen Mantel und gehe zur Tür. 

Einer der Jungs an einem der Tische dreht sich in meine Richtung. Bevor ihn seine Kameraden daran hindern können, legt er los.

„Na Ghostie? Die Kleine schien ja recht scharf auf dich zu sein. Was hältst du davon, wenn ich ihr mal zeige, was ein richtiger Mann ist?“

Er grinst und präsentiert seine drogenschwarzes Zahnfleisch. Sliq-Junkie, typisches Zeichen. Heute scheint mein Junkie-Tag zu sein. 

„John!“, ruft Betty mich ermahnend. Sie ahnt, was jetzt kommt. Der Kerl will aufstehen. Bevor er seinen dünnen Arsch überhaupt hochbekommen hat, liegt meine Hand an seinem Hinterkopf und schmettert diesen mit voller Wucht auf den Tisch. Er kippt mit einem pfeifenden Atemgeräusch zur Seite. 

„Guter Versuch, Junge!“, wispere ich. Grimmig schaue ich die anderen an. Seine Freunde springen auf, wie verschreckte Vögel. 

„John!“, ruft Betty mich erneut. Ich drehe mich um. Sie schaut mich erst wütend an, doch beruhigt sich schnell. Sie weiß, diese Kerle machen Drohungen wahr. Und Jen kann nicht gebrauchen, dass ihr Jeromes Jungs hinterher klettern. 

„Räumst du ihn weg, Bets? Um Jerome kümmer ich mich später!“ 

Sie nickt. 

„Sei vorsichtig, John. Und lass die Menschen ganz“, ruft sie mir hinterher, während sich die Tür in meinem Rücken schließt.

„Ich versuche es“, brumme ich in mich hinein und rufe mir ein Cab-Car. Während ich in dem kleinen kugelförmigen Fahrzeug sitze und durch dessen Acrylglasdach starre, sehe ich mir die riesigen Gebäude der Stadt, besser gesagt der Downs an. 

Helios City, entstanden vor über hundert Jahren, wuchs aus dem ehemaligen Atlanta und wurde von Architekten und Stadtplanern an die Bedürfnisse der wachsenden Bevölkerung angepasst. Drei Ringe, ineinander gefasst und am Scheitelpunkt alle miteinander verbunden. Getrennt durch hohe Mauern. Von oben lässt diese Architektur die Stadt wie einen lang gezogenen Tropfen aussehen. 

Den inneren Ring nennt man Highs. Superreiche in gigantischen Superscrapern, der höchste mit zweihundert Stockwerken. Wohnraum, Grünfläche. Alles selbstregulierend und selbsterhaltend. Sauber und auf dem neuesten Stand der Technik. Alles riecht dort nach Geld, Macht und Schweinereien. Vetternwirtschaft, wie es seit jeher war. Politik und Geld. Korrupt, verkommen, menschenverachtend. Manch einer behauptet, diese Denkweise ist eine Übertreibung. Ist sie nicht. Die Downs beweisen es. Ich lebe dort. Weil ich es so will. Ich könnte in den Mids, dem inneren Ring vor den Highs, leben. Das will ich nicht. 

Die Mids sind nicht so sauber geleckt wie der Zoo der Superreichen, aber auch sie sind abgehoben. Schauen mit Naserümpfen auf die Arbeiter der Downs, die täglich deren Scheiße wegräumen, das Essen kochen und die neuesten Screens zusammenbauen. Und all das bei Bezahlung, für die nicht mal eine Kakerlake hinter dem Ofen hervorkäme. Deshalb blüht der Schwarzmarkt, die Banden sind zahlreich. Schlagen sich die Köpfe ein im Kampf um Territorium, Technik, Essen und etwas Lebensqualität. Letztere bezieht sich häufig auf Drogen und Schönheit der Prostituierten. 

„Sir, wir werden in wenigen Minuten das Ziel erreichen. Darf ich ihnen in der Zwischenzeit noch einige Werbeeinblendungen zeigen?“ 

Der Autopilot, eine Semi-KI, dumm wie Brot, wenn man mich fragt, reißt mich aus den Gedanken.

„Nein, darfst du nicht, dafür hab ich bezahlt“, knurre ich den Avatar im Frontdisplay an. Der ist sofort still, der Bildschirm bleibt dunkel. Dort, wo früher die Scheibe war, blitzt, blinkt und zappelt es in einer Tour. Zum Glück ohne Ton. Werbung und anderes, bis zum Glücksspiel. Wenn man nicht dafür bezahlte, wurde man überschüttet. Ich zahle immer. Trotzdem fragt die KI. Ich hasse diesen Mist. Vernebelt das Hirn. Am Ende sitzt man zu Hause, pfeift sich Sliq rein und vegetiert in der Structure dahin. Erweiterte virtuelle Realität, ein weiteres Thema. Aber bevor ich meine Gedanken an die Hölle im VR-Himmel verschwenden kann, hält das Cab-Car. 

„Wir sind da, Sir. Capsule Automotive wünscht …“ 

Ich steige aus, ohne das Gequatsche zu Ende anzuhören. In Gedanken versunken, habe ich den Übergang in die Highs nicht mitbekommen. Unter anderen Umständen wird kontrolliert und man muss zahlen. Meine Dienstmarke hat mich ausgewiesen, was an den Grenzen registriert wurde. Hat mich nichts gekostet. Es ist manchmal angenehm, ein Detective zu sein.


Sujet Ghostwalker

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