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Das Wahlprogramm der Thüringer AfD (Teil II)

Hallo,

am Sonntag ist Wahl in Sachsen und Thüringen. Wir sind gespannt, was dabei herauskommt.

Wer vorher noch ein bisschen Input möchte, kommt am Samstag zum Demokratie Day online. Dort halten wir auch einen Votrag, aber es gibt noch viele weitere spannende Programmteilnehmende 👉 Hier gehts zum Programm und zur Anmeldung (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).

Du liest nun also den zweiten Teil der Analyse des Wahlprogramms der AfD in Thüringen. Vielleicht liefert es dir doch noch den ein oder anderen Gesprächsanlass, um mit Menschen, die in Thüringen AfD wählen möchten, zu diskutieren und zu besprechen, was hinter den Forderungen steht.

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Sei herzlich gegrüßt!

⚫🔴🟡 Die Identität ist in Gefahr - aber welche genau?

Die AfD Thüringen überschreibt das Kapitel 08 / ab S. 65 “Migrationspolitik” in ihrem Wahlprogramm mit den Worten: “Für eine identitätserhaltende Migrationspolitik”. Diese Wortwahl wollen wir uns genauer analysieren.

Welche “Migrationspolitik” will die AfD? Dazu schauen wir uns an, wie sie die Folgen von Migration beschreibt. Der rechtsextreme Landesverband nennt diese “verheerend”, Migration führe “in diesem Ausmaß” zu einer “sozialen und gesellschaftlichen Katastrophe”, die “unkontrollierte Masseneinwanderung” habe nie dagewesene gesellschaftliche Konfliktlagen geschaffen.

Als Begründung dafür werden die “antisemitischen Demonstrationen Abertausender Muslime” im Herbst 2023 herangezogen. Die sollen zeigen, dass mit Migration vor allem Kriminalität und Menschenhass importiert werde.

Es ist ein durchgehend negatives Bild, das von Migration gezeichnet wird. Migration muss also gestoppt oder mindestens stark begrenzt werden - sogar vor Grundrechten will die AfD keinen Halt machen. Das zeigt die AfD mit ihrer Perspektive auf das Grundrecht auf Asyl. Dazu schreibt sie auf S. 67: “Die Diskussion, ob der individuelle Rechtsanspruch auf Asyl noch zeitgemäß ist, darf kein Tabu sein.” Auch das Kirchenasyl will sie abschaffen und “Initiativen und Vereinen, welche abgelehnte Asylbewerber dabei unterstützen, sich der Abschiebung oder Ausreisepflicht zu entziehen” die öffentliche Förderung entziehen.

Nur so, das ist also die Erzählung, könne die “Identität" erhalten werden. Die derzeitige Migrationspolitik sei hingegen eine Gefährdung für diese “Identität”.

Aber um welche Identität geht es eigentlich? Und was macht diese Identität aus?

Zwar zieht sich der Identitätsbegriff prominent durch das ganze Kapitel. Immerhin steht er groß über jeder Seite, im Fließtext findet sich hingegen kein Hinweis darauf, was die AfD genau damit meint.

Maximal unkonkret zu bleiben, das hat den Vorteil, dass jede:r etwas Persönliches hineininterpretieren und die inhaltlichen Leerstelle mit eigenen Überzeugungen und Werten füllen kann, die er oder sie für besonders identitätsstiftend hält. Das steigert die persönliche Betroffenheit, dass Migration diese subjektive “Identität” gefährde. Dieser Deutungsrahmen wurde ja bereits gesetzt. Letztlich ist das nicht mehr als ein politischer Taschenspielertrick, den natürlich nicht nur die AfD beherrscht.

Es dürfte noch einen weiteren Grund geben, wieso die AfD von “Identität” schreibt - weil sie weitestgehend auf ihren Volksbegriff verzichtet. Dabei ist eins der Kernnarrative der AfD, dass das deutsche Volk durch Zuwanderung gefährdet sei. Björn Höcke sagte einmal: “Die Masseneinwanderung nach Deutschland ist die entscheidende Frage dieser Zeit. Sie entscheidet über deutsches Sein und deutsches Nicht-Sein.”

Im ganzen Wahlprogramm taucht das Wort “Volk” aber kaum auf, meist wird es zudem gekoppelt, beispielsweise in Volkssouveränität oder Volksabstimmung. Sehr viel häufiger schreibt die AfD von “Bevölkerung”.

Das ist verwunderlich, weil die AfD in den vergangenen Jahren aggressiv Begriffe wie Volk, Nation oder Patriotismus besetzt und in ihrem Sinne umgedeutet hat. Wenn sie nun darauf verzichtet, könnte dahinter einmal mehr eine Strategie der Selbstverharmlosung stecken. Wir haben das ja auch schon in unseren Beiträgen zur Kampagne der Thüringer AfD geschrieben, dass es ihr vor den Landtagswahlen vor allem darum geht, vordergründig gemäßigt und bürgerlich zu erscheinen. Gleichzeitig hat sie sich inhaltlich aber nicht gemäßigt.

Viel wurde schon über den Volksbegriff der AfD geschrieben. Im Kern lautet der Vorwurf: Wenn die AfD von Volk spricht, meint sie nicht alle Staatsbürger:innen Deutschlands. Sie definiert das deutsche Volk ethnisch-biologistisch - vor allem die Abstammung mache eine Person “deutsch”. Die Amadeu Antonio Stiftung erklärt, wie die AfD (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) ihr Volk definiert:

“Die Zugehörigkeit zum Volk wird wahlweise biologistisch (‘hier geboren’, ‘weiße Hautfarbe’), ethnisch (‘deutsche Kultur’ oder ‘Kulturraum’) oder nationalistisch definiert. Es gibt für Menschen, die diesen Definitionen nicht entsprechen (zum Beispiel Migrant:innen oder Geflüchtete) kaum bis keine Möglichkeit, diesen als mehr oder weniger unveränderlich dargestellten Gruppen beizutreten. Dieses ‘Volk’ wähnt die AfD in Gefahr. Die Argumentation ist ein Kernstück rechtsradikaler und rechtsextremer Ideologie."

Vielleicht schreibt die Thüringer AfD in ihrem Wahlprogramm deshalb von “Identität”, weil sie ihre Ideologie auf diese Weise verschleiern will.

Darauf weist zumindest das Urteil des Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) hin. Dort wurde vor wenigen Wochen die Einstufung der Bundes-AfD zum “rechtsextremen Verdachtsfall” durch den Verfassungsschutz verhandelt. Das Gericht bestätigte diese Einstufung nun, nachdem die AfD zweimal Berufung eingelegt hatte.

In der Begründung wird aufgezeigt, wie eng verbunden im Weltbild der AfD der Volksbegriff und der Identitätsbegriff sind - man könnte sagen, sie sind zwei Seiten derselben Münze und ergänzen sich in zentralen Erzählungen der Partei.

In dem über 100 Seiten langen Gerichtsdokument steht unter anderem, dass es eine zentrale politische Vorstellung der AfD sei, dass eine von der Staatsangehörigkeit unabhängige “ethnisch-kulturelle” Volkszugehörigkeit für die Bewahrung der deutschen “Kultur und Identität” von entscheidender Bedeutung sei.

Das heißt konkret: In der Ideologie der AfD ist es nicht wichtig, welche Staatsangehörigkeit eine Person hat, sondern welche ethnisch-kulturelle Volkszugehörigkeit. Diese sei entscheidend, um die deutsche Kultur und Identität zu bewahren. Der Umkehrschluss: Wer nicht zum ethnisch-deutschen Volk gehört, gefährdet die deutsche Kultur und Identität.

Wenn die AfD Thüringen in ihrem Wahlprogramm schreibt, dass sie eine “identitätsbewahrende Migrationspolitik” will, ist eine mögliche Lesart, dass sie Menschen ohne ethnisch-kulturelle Volkszugehörigkeit ausschließen will. Das wäre allerdings eine grundgesetzwidrige Diskriminierung aufgrund der Abstammung und widerspricht der Menschenwürde.

Das hat auch das Verfassungsblog in einer Analyse des Volksbegriffs der AfD (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) herausgearbeitet. Darin wird kurz zusammengefasst, wie die AfD ihre narrativen Konstrukte von Identität und Volk verknüpft: Die AfD sehe demnach Migration als “unmittelbare Gefahr für den Bestand des deutschen Volkes, was insbesondere in den von Björn Höcke und anderen führenden Vertreter:innen der AfD benutzten Begriffen wie ‘Umvolkung’, ‘Volkaustausch’ und ‘Volkstod’ deutlich werde. Hier werde der ‘Verlust der ethnisch-kulturellen Identität’ mit dem Ende des deutschen Volkes gleichgesetzt”.

Auch wenn die AfD Thüringen in ihrem Wahlprogramm kein einziges Mal von Volkstod schreibt, auch wenn nicht das neorassistische Konzept des Ethnopluralismus auftaucht, wonach unterschiedliche Kulturen unvereinbar miteinander seien, lässt sich das alles doch ohne große Verrenkungen hineininterpretieren.

⚪️ Rassismus gegen Weiße beenden! 

Kapitel 08 / S. 72: “Wir stehen für eine Beendigung der seit einigen Jahren gegen die einheimische Bevölkerung gerichteten Maßnahmen der ‘positiven Diskriminierung’ (auch ‘Affirmative Action’ genannt). Die unter diesem Begriff erfolgende Bevorzugung nichteuropäischer Menschen bei der Vergabe von Ämtern oder Arbeitsplätzen, bei der allgemeinen Teilhabe oder in sonstigen gesellschaftlichen Bereichen ist inakzeptabel. Sie stellt eine die Angehörigen der angestammten Bevölkerung zurücksetzende, linksextreme und rassistische Ideologie dar, welche in jeder Hinsicht verfassungsfeindlich ist.“

Im Kapitel zur Migrationspolitik findet sich auch ein Absatz zu “positiver Diskriminierung” gegenüber “nichteuropäischer Menschen bei der Vergabe von Ämtern oder Arbeitsplätzen”. Soll heißen, Menschen mit Migrationshintergrund werden bevorzugt behandelt – zumindest diejenigen, die nicht aus Europa kommen, beispielsweise Syrer:innen, Afghan:innen etc.

Hier braucht es ein wenig Hintergrundwissen, um zu verstehen, worauf die AfD hier hinaus will. Zunächst ist die Frage, was mit “Affirmative Action” gemeint ist. Das Institute for European Gender Equality erklärt es so:

“Maßnahmen der Affirmative Action wurden im Zuge der Bürgerrechtsbewegung zunächst in den USA entwickelt. Gemäß der Bürgerrechtskommission von 1977 versteht sich als Affirmative Action ‘jede Maßnahme, die über die einfache Beseitigung einer diskriminierenden Praktik hinausgeht, um einstige und heutige Diskriminierung zu korrigieren, zu kompensieren und in Zukunft zu verhüten.’ (Kathrin Meier-Rust) In den Bereichen von Ausbildung, des Arbeitsmarktes und der Karrierechancen soll mit Maßnahmen der Affirmative Action die Situation insbesondere für Frauen und für Menschen benachteiligter ethnischer Gruppen verbessert werden.”

Es bedeutet also, dass der jahrhundertelangen Diskriminierung von beispielsweise POC in den USA entgegengetreten werden solle, indem man diese Menschen bevorzugt behandelt, wenn es um die Vergabe von beispielsweise Jobs geht, um das – durch die Diskriminierung entstandene – Ungleichgewicht der Ethnien in den Positionen langfristig zu beenden.

Die Situation in Deutschland ist eine völlig andere. Und was die AfD hier meint, ist nicht nur eine Bevorzugung von nicht-Europäer:innen, sondern eine gleichzeitige Diskriminierung der “angestammten Bevölkerung” durch diese “rassistische Ideologie”.

 Also Rassismus gegen Weiße.

Dieser wird immer wieder moniert: Menschen werden als '“Kartoffel”, “Alman” oder “scheiß Deutscher” bezeichnet und damit – ja – situativ beleidigt und diskriminiert aufgrund ihrer Staatszugehörigkeit oder ihrer Hautfarbe.

Der Unterschied liegt in der Definition von Rassismus. Die UN schreibt, Rassismus sei “jede auf der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung, dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum beruhende Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass dadurch ein gleichberechtigtes Anerkennen, Genießen oder Ausüben von Menschenrechten und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem sonstigen Bereich des öffentlichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt wird.”

Quarks schreibt dazu (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) “Nicht jegliche Beleidigungen entlang von Kultur oder Nationalität ist rassistisch, sondern nur solche, die die Gleichberechtigung im öffentlichen Leben untergraben.”  

Der Rassismusforscher Karim Fereidooni wird dazu von Quarks zitiert: “Wenn jemand zu dir Kartoffel sagt oder dich als Weißen beleidigt, erfährst du situativ eine Diskriminierung. Aber das Wort Kartoffel hat keine rassistische Traditionslinie. Wenn du diese spezifische Situation verlässt, dann weißt du ganz genau: Maximilian, wenn du eine Wohnung suchst, bist du privilegierter als Karim. Wenn du eine Ausbildung suchst, bist du privilegierter, wenn du auf dem Bahnhof stehst, wirst du nicht kontrolliert, zumindest nicht so häufig wie Karim. Du musst deine Daseinsberechtigung nicht unter Beweis stellen.”

“Weiße” Menschen (und weiß ist hier in Anführungszeichen gesetzt, weil “weiß” sein in der Wissenschaft keine Aussage über die Hautfarbe allein ist, sondern eine soziale Kategorie - und zwar die Kategorie all derjenigen in Deutschland, die keiner rassistischen Diskriminierung ausgesetzt sind) erfahren keine strukturelle Diskriminierung.

Das, was die AfD hier behauptet, gibt es in Deutschland nicht.

🌏 🌳🌲 Für die Umwelt - gegen Klimapolitik

“Die AfD setzt sich seit ihrer Gründung für Umwelt- und Naturschutz sowie den Tierschutz ein.” So beginnt das Kapitel 12 “Naturschutzpolitik” auf Seite 93. Die AfD wolle demnach Schutzgüter bewahren, wie Boden, Wasser, Luft und Landschaft, die heimische Tier- und Pflanzenwelt.

Was sie deshalb stoppen will: den “Ausbau der Windindustrie”, die “preistreibende CO2-Steuer” - eigentlich die gesamte Klimaschutzpolitik “der Altparteien”. Die sei widersinnig und führe zur “Deindustrialisierung westlicher Industrienationen”.

Die Partei hat in den vergangenen Jahren einen Wandel durchgemacht, zuerst hat sie den Klimawandel gänzlich geleugnet, mittlerweile den menschlichen Einfluss darauf. Sie ist also beim sogenannten “Klimarealismus (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)” angekommen. Wie sich das in der politischen Praxis äußert, zeigt dieser Antrag (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) eindrücklich, den AfD-Bundestagsabgeordnete im vergangenen September eingebracht haben und in dem sie Klimaschutz als “politischen Kampfbegriff” bezeichnen. Sie schreiben, dass sich das Klima nicht schützen lasse und der Einfluss des Menschen darauf “umstritten” sei. Sie wollen deshalb alle internationalen Klimavereinbarungen aufkündigen.

Warum macht die AfD das?

Ein Teil der Antwort steckt im Wort “Deindustrialisierung”. Damit stellt sie eine angebliche Bedrohung her für den Industriestandort Deutschland, also für die Wirtschaftsleistung, also für den Wohlstand her - durch teuren Klimaschutz, so die Darstellung, würde es zu Wohlstandsverlust kommen. Das ist eine der zentralen Strategien der AfD, in der Bevölkerung Abstiegs- und Verlustängste heraufzubeschwören und sie mit unterschiedlichen Themen zu verknüpfen. In diesem Fall: mit Klimaschutz.

Janine Patz vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft erklärt es in einem Interview mit der Amadeu Antonio Stiftung so (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre): “Wer den Einfluss des Menschen auf den Klimawandel infrage stellt, muss auch keine Verantwortung übernehmen: weder im Hinblick auf die Entstehung der Erderwärmung noch aktuell für die Folgen oder für anstehende, notwendige Veränderungen.”

Das bedeutet, eine Verhaltensänderung, schon gar nicht eine so tiefgreifende und umfassende wie eine sogenannte grüne Transformation, ist nicht nur nicht notwendig, sie ist in der Welt der AfD nicht mehr als ein ideologisch-getriebenes Projekt der “Altparteien”. Die werden nebenbei für einen angeblichen Niedergang Deutschlands verantwortlich gemacht.

Netter Nebeneffekt dieser Erzählung: Der Status Quo kann erhalten bleiben, nichts muss sich ändern. Patz sagt: “Folglich werden weder klimatische Veränderungen als Grund für Migrationsbewegungen anerkannt noch die Notwendigkeit einer Abkehr von unserem privilegierten und auf Ausbeutung des globalen Südens fußenden Konsumverhaltens. Und genau darum geht es bei der AfD.” Die Partei biete eine “chauvinistische, antipluralistische und exkludierende Antwort” auf eine der zentralen gesellschaftlichen und demokratischen Zukunftsfragen.

Die AfD geht sogar noch einen Schritt weiter, indem sie nicht nur Klimaschutz ablehnt, sie deutet ihn sogar zur Naturzerstörung um und inszeniert sich damit als die wahre Naturschützerin. Im Wahlprogramm der Thüringer AfD heißt es dazu: “Die Windindustrie schadet der Natur und beeinträchtigt neben Menschen, Tieren und Pflanzen auch den Wasserhaushalt, das Mikroklima und die Böden und nicht zuletzt das Landschaftsbild.” Deshalb lehne man sie strikt ab.

Björn Höcke schrieb dazu einmal auf Facebook (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre): “Heimatliebe und Naturschutz sind zwei Seiten einer Medaille. Daß die heimathassenden Grünen das Thema Naturschutz gekapert haben, ohne ihm gerecht werden zu können, ist eine der Tragödien der deutschen Nachkriegsgeschichte. Wir müssen es ihnen entwenden. Das gelingt uns dann, wenn wir selbst über geistige Grundlagen und attraktive Visionen verfügen.”

Die Strategie der AfD ist es, sich als die “wahre” Umweltpartei zu inszenieren, die aus Liebe zu ihrer Heimat die Natur schützt. Eine edle und reine Motivation. Im Gegensatz zu den Grünen, die aus Kalkül und Berechnung vorgeben, die Natur schützen zu wollen, dazu aber nicht fähig sind, da ihnen die Liebe zu Deutschland fehlt. Die AfD arbeitet schon lange mit dem Frame, dass Grüne (aber auch andere antifaschistische oder progressive Gruppen) ihre Heimat angeblich hassen würden.

Und es gibt noch einen dritten Grund, wieso die AfD Klimaschutz bekämpft. Weil dieser mit vielen Verhaltensänderungen verbunden wäre, bieten sich hier viele Möglichkeiten zum Kulturkampf und damit zur gesellschaftlichen Polarisierung.

Politikberater Johannes Hillje erklärt es im Deutschlandfunk so: “Die AfD macht Klimaschutz zum Kulturkampf, indem sie die Klimapolitik als Bedrohung für den vermeintlich typisch deutschen Lebensstil an die Wand malt, und diesen typisch deutschen Lebensstil, den buchstabiert sie anhand von Schlagworten wie Diesel, Schnitzel, Billigflug und so weiter aus. Das ist natürlich höchst emotionalisierbar, weil es tief in die persönliche Lebensführung eingreift, und deshalb ist das Thema auch mobilisierungsfähig für die AfD.”

🎭 Für eine Entpolitisierung von Kunst und Kultur!

Kapitel 15 / Seite 111: “Für die Thüringer AfD ist das kulturelle Leben Grundlage wie Ausdruck unserer Identität. Kulturelle Bildung und kulturelles Schaffen formen Identität und bieten die Möglichkeit der Identifikation. Sie wirken der Entwurzelung entgegen und stärken den gesellschaftlichen Zusammenhalt.”

In diesem Abschnitt wird deutlich, welche Grundfesten die Neue Rechte in Deutschland etabliert lassen will: die deutsche Kultur als eins der wichtigsten Identifikationsmerkmale.

Paul Middelhoff und Christian Fuchs erklären diese Hingabe zu traditioneller Kultur in ihrem Buch “Das Netzwerk der Neuen Rechten”. Die Neue Rechte betone “die stolze, über tausendjährige Traditionslinie der Deutschen”. “Sie empfinden die Leistungen Martin Luthers, Johannes Gutenbergs und Johann Wolfgang von Goethes durch die Erwähnung der Nazi-Zeit geschmälert Die Deutschen müssten endlich wieder stolz sein dürften auf ihr Land und seine Geschichte.”

Auch über die Finanzierung hat sich die AfD Gedanken gemacht und verhakt sich hier in einem Widerspruch auf Seite 114: „Die Thüringer Theater und Orchester mit ihren ausgezeichneten Ensembles müssen weiterhin mit einer sicheren Finanzierung rechnen können.“ Und wenig später steht hier: „Zudem wollen wir die Augen nicht vor dem Umstand verschließen, dass sich die staatliche Subventionierung der Theater und Orchester in einzelnen Fällen wie in Erfurt inzwischen als ein Fass ohne Boden erweist.“

Hochkultur soll also gefördert werden, andere staatliche Subventionierungen dafür gestrichen werden. Welche das sein sollen, bleibt hier vage. Welche Art von Kultur die AfD aber bevorzugt, macht sie im weiteren Verlauf des Programms deutlich, nämlich die “unpolitische”:

Auf Seite 114 schreibt sie: “Mit Sorge sehen wir indes die zunehmende politische Instrumentalisierung gerade der Theater. Wo auch infolge staatlicher Förderung eine einseitige parteipolitische Agenda verfolgt wird, ist die freie Entfaltung und die gesellschaftskritische Funktion der Kunst gefährdet. Wir wollen diese freiheitsfeindliche Praxis beenden.” Und wenig später: “Kultur und Kunst werden immer mehr zu regierungstreuen Veranstaltungen, die am Ende unter der Flagge der Kunstfreiheit sogar hemmungslos politische Propaganda betreiben.”

Dass die Partei selbst ein Gedicht als Einstieg in ihr Wahlprogramm nutzt, scheint sie selbst nicht als eine Politisierung wahrzunehmen. Eine unpolitische Kunst und Kultur – hat es so etwas überhaupt schon einmal gegeben? Schon das Theater der Antike befasste sich mit seinen Politiker:innen, lobte oder verspottete sie. Nun aber soll es unpolitisch werden. Die Kunst soll von dem oder der Kunstschaffenden, dem homo politicus, getrennt werden, da sie sonst zur “Staatskunst” werde. Eine eher utopische Vorstellung.

Vordergründig bleibt die AfD in ihrem Wahlprogramm recht vage, wie sie sich die Kultur in Zukunft vorstellt - eine Einflussnahme der Politik auf die Freiheit von Kunst und Kultur ist laut Artikel 5 des Grundgesetzes auch verboten.

Ein wenig durchblicken lässt sie es dann aber doch im Kapitel zum Thema Vereinskultur. In diesem Abschnitt spricht sie sich gegen das “Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit” aus. “Wir fordern daher die Abschaffung dieses Landesprogramms und die Etablierung eines neuen Förderprogramms, das die reguläre und satzungs- gemäße Tätigkeit der Vereine unter dem Aspekt ihres Beitrages zum kulturellen Leben unserer Heimat fördert.” Das klingt nicht mehr so unpolitisch.

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