Wie die Berichterstattung über die Klimakrise rechte Narrative fördert
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Innenministerin Nancy Faeser hat das rechtsextreme Magazin Compact verboten. Der Grund: Es richte sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und verbreite antisemitische, rassistische, minderheitenfeindliche, geschichtsrevisionistische und verschwörungstheoretische Inhalte (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).
Faeser selbst sagt: “Unser Verbot ist ein harter Schlag gegen die rechtsextremistische Szene. Das Verbot zeigt, dass wir auch gegen die geistigen Brandstifter vorgehen, die ein Klima von Hass und Gewalt gegenüber Geflüchteten und Migranten schüren und unseren demokratischen Staat überwinden wollen.”
Umfassender mit dem Verbot beschäftigen wollen wir uns kommende Woche - dieses Mal geht es um ein anderes Thema: Wir haben mit Klimajournalistin Sara Schurmann gesprochen. Über den Klimawandel und wie der Diskurs darüber Rechten in die Karten spielt.
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Wie die Berichterstattung über die Klimakrise rechte Narrative fördert
Sara Schurmann schreibt in ihrem Buch Klartext Klima (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), dass auch sie selbst erst im Jahr 2020 begriffen habe, wie weit die Klimakrise fortgeschritten sei. Und sie stellte sich deshalb die Frage, wie sie das übersehen konnte. Ihre Antwort:
“Nicht nur ich war es, die die Klimakrise nicht verstanden hatte. Sie ist bis heute gesellschaftlich, politisch und medial nicht begriffen - auch weil viele Menschen noch immer keine emotionale Verbindung dazu spüren, was diese Krise für uns persönlich, aber auch als Gesellschaft bedeutet.”
Es ist auch dieses Unwissen, das es der extremen Rechten leicht macht, um mit dem “Klimathema” zu mobiliseren und Klimaschutzmaßnahmen zu torpedieren. Wir wollten deshalb von Sara Schurmann wissen, was “die Medien” in Zukunft besser machen können.
Sara Schurmann arbeitet als freie Journalistin, sie schreibt beispielsweise eine Kolumne für t-online (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), außerdem unterrichtet sie Klimajournalismus. Vom Medium-Magazin wurde sie 2022 zur Wissenschaftsjournalistin des Jahres gewählt, sie hat außerdem das Netzwerk Klimajournalismus (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)mitgegründet.
WRR: Sara, gerade haben alle Nachrichtenportale verlautet: Dieser Juni war der wärmste Juni seit Beginn der Wetteraufzeichnung. Wie fandest du die Berichterstattung?
Sara Schurmann: Mir sind zwei Dinge aufgefallen. Zum einen die Bebilderung – häufig waren da Menschen mit Sonnenbrillen oder Sommerlandschaften zu sehen. Zum anderen fehlte der Kontext.
Was ist an Sonnenbrillen auszusetzen?
Nichts. Wenn es um einen gewöhnlichen Sommertag mit Temperaturen im Normalbereich gegangen wäre. Es ging aber um den extrem alarmierenden Stand der Klimakrise. Die Erderhitzung hat schon heute gravierende Auswirkungen, und Hitze zum Beispiel ernsthafte Folgen für die Gesundheit und Ernten, in den vergangenen Jahren auch bei uns in Deutschland. Die Bilder waren übrigens auch nicht anders, als es Anfang des Jahres in Brasilien gefühlte 60 Grad Celsius hatte. Auch da wurden Leute am Strand gezeigt. Da frage ich mich: Wann wollen wir anfangen, Bilder von zum Beispiel älteren Menschen zu zeigen, die die Hitze nicht ertragen? Oder von Krankenwägen? Bei gefühlten 80 Grad Celsius, bei 100 Grad Celsius?
Was meinst du mit dem “fehlenden Kontext” in der Berichterstattung?
Nachrichten über Hitzerekorde stehen oft für sich allein, andere Themen werden selten in den Kontext der Klimakrise gesetzt – in dem sie aber stehen. Neben dem wärmsten Juni ging es beispielsweise in Berlin zuletzt wieder viel um den Ausbau der Stadtautobahn. Dass das eine mit dem anderen zu tun hat, wird von den meisten Journalist:innen nicht erwähnt. Viele Themen finden sozusagen im luftleeren Raum statt. So, als hätten die meisten unserer Handlungen oder Entscheidungen gar keinen Einfluss auf das Klima.
Du begreifst die Klimaberichterstattung als Querschnittsthema?
Genau. So erklären wir das auch beim Netzwerk Klimajournalismus. Dort versuchen wir Redakteur:innen mitzugeben, dass sie sich bei jedem Artikel zwei Fragen stellen müssen: Welchen Einfluss hat mein Thema auf die Klimakrise? Und welchen Einfluss hat die Klimakrise auf mein Thema? Und ich bin die erste, die sich freut, wenn die Antwort lautet: keinen. Aber wenn die Antwort darauf ist, dass es einen Zusammenhang gibt, dann muss das journalistisch abgebildet werden. Nicht jedes Thema soll krampfhaft zur Klimaberichterstattung werden, aber wenn es einen Zusammenhang gibt, sollten Leser:innen das zumindest in einem Halbsatz erfahren oder die Redaktionen sollten es bei der Bildauswahl oder Interviewpartner:innen berücksichtigen. Thema Autobahn: Wenn wir uns bewusst machen, dass wir in einer Klimakrise stecken, die extrem eskaliert, würden wir das Thema mit anderen Fragen begleiten.
Deine These ist ja, dass eine solche Berichterstattung rechte Narrative unterstützt oder begünstigt – wenn auch ungewollt. Erklär’ uns das bitte.
Rechte argumentieren, dass Klimaschutz sozial ungerecht sei. Sie sagen unter anderem: ‘Wir können uns Klimaschutzmaßnahmen nicht leisten und sollten das Geld lieber für wichtigere Themen ausgeben.’ Fakt ist: Kein Klimaschutz ist sozial ungerecht. Arme Menschen können sich schwerer Klimaanlagen einbauen und die Stromrechnung dafür bezahlen, wenn es in ihrer Dachgeschosswohnung heiß wird. Auch Lebensmittelpreise gehen hoch – unter anderem, weil wir seit mehreren Jahren Ernteausfälle haben. Aufgrund von Extremwetterereignissen. Menschen mit weniger Geld sind die ersten, die die Auswirkungen der Klimakrise spüren. Klimaschutz ist auch deshalb so wichtig, um sozial schwächere Gruppen zu schützen. Aber Rechte schaffen es, und das ist in Deutschland nicht nur die AfD, das Thema genau andersherum zu deuten.
Kannst du ein anderes Beispiel nennen?
Das Heizungsgesetz. Krautreporter hat aufgedröselt (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), dass die CDU eine gezielte Kampagne gegen das Gebäude-Energie-Gesetz (GEG) ins Leben gerufen und durchgeführt hat. Da kommen viele Akteure zusammen. Auf dem Boden, den die BILD mit ihrer Berichterstattung bereitet hat, wurde mit Schlagworten wie “Heizhammer”, falschen Fakten, prominenten Gegensprecher:innen Angst in der Gesellschaft gesät. So wurde das GEG strategisch zerrissen. Klar, das Gesetz hatte Fehler und hätte angepasst werden müssen. Stattdessen fuhr die CDU eine Kampagne dagegen, die SPD tat nichts, die FDP stieg mit ein und die Grünen waren der Feind. Aus dieser Stimmung heraus war es für die Oppositionspartei AfD ganz leicht. Sie sagte: “Die da oben machen Politik gegen uns kleine Leute. Das alles ist völlig unnötig und kompliziert noch dazu.” Hier wurden Besitzstandswahrungsängste bis in die Oberschicht getriggert.
In der Kampagne selbst sagte beispielsweise ein pensionierter Polizist namens Achim auf Facebook: “Die wollen mir doch tatsächlich meinen Lebensabend kaputt machen”, und meint damit die Ampel-Regierung. Und Markus Söder schrieb zum GEG auf X, dass es für Hauseigentümer Kosten von bis zu 300.000 Euro bedeuten würde. Die Süddeutsche Zeitung erklärte später im Faktencheck, dass man dafür ein Haus komplett energetisch sanieren könne.
Das konkrete Wording kann man bei Krautreporter nachlesen. Aber der Kern der Kampagne war, dass Klimapolitik ein Elitenprojekt sei, das gegen die Interessen des “normalen Bürgers” ginge.
Hinzu kommt aber auch die Komplexität des Themas?
Stimmt. Die PACE-Studie (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) der Uni Erfurt befragt regelmäßig die Bevölkerung, was sie eigentlich über Klimaschutz weiß und wie ihre Einstellung dazu ist. Mehr als die Hälfte der repräsentativ Befragten kann aktuell nicht sagen, welche der diskutierten Maßnahmen im Bereich Klimaschutz effektiv sind. Verständnis ist aber der wichtigste Faktor, ob Menschen zustimmen oder nicht.
Ein Beispiel dafür sind die Gelbwesten-Proteste in Frankreich. Diese haben sich an politischen Maßnahmen entzündet, die eine Mehrbelastung bedeuteten. Darauf hat die Regierung reagiert und einen Klima-Bürgerrat aus dem Querschnitt der Bevölkerung eingerichtet. Er sollte Klimaschutzmaßnahmen erarbeiten. Das Ergebnis: Der Rat hat vergleichsweise radikale Vorschläge gemacht. Das schon bestehende Tempolimit sollte heruntergesetzt, Inlandsflüge massiv eingeschränkt oder öffentliche Kantinen fleischfrei werden. Das zeigt: Die Menschen sind nicht gegen Klimapolitik. Und das deckt sich auch mit den meisten Erhebungen zum Thema. Klimaschutz hat eine große Unterstützung in der Bevölkerung. Aber es ist wichtig, dass die Menschen verstehen, wie dringlich die Lage ist und welche Maßnahmen effektiv sind. Die Komponente “Erklären” ist entscheidend. Das Problem in Deutschland ist, dass es hier heißt: Wenn wir zu radikal sind bei den Klimaschutzmaßnahmen, steigen uns die Leute aufs Dach.
Nochmal zurück zur Frage der Berichterstattung über den Klimawandel und wie diese rechten Narrativen hilft. Klimaschutz ist ja ein oft besprochenes Thema.
Wenn Medien über solche Debatten berichten, dann orientieren sie sich am Politikjournalismus. Der geht davon aus – und das ist in einer Demokratie richtig und gut – dass es zu jeder Frage unterschiedliche Meinungen gibt. Themen werden dann so aufbereitet, dass die Argumente gleichwertig nebeneinander stehen. In der Klimapolitik kann man aber quantifizieren und qualifizieren, welche Maßnahmen wie viel Emissionen reduzieren. Daraus folgen zwei Probleme: Wir haben ein Publikum, das sich im Zweifel eher nicht mit dem Thema auskennt und dem diese Darstellung suggeriert, dass verschiedene Klimaschutzmaßnahmen gleichwertige Alternativen sind – was falsch ist. Und es wird in der Berichterstattung auch nicht klar, wie weit diese Meinungen eigentlich auseinanderliegen. Also wie groß die Lücke zwischen dem ist, von dem wir wissenschaftlich erwiesen wissen, dass wir es umsetzen müssen, wenn wir unsere Lebensgrundlagen erhalten wollen, und dem, was wir politisch angeboten bekommen.
Das führt dazu, dass selbst nach wochenlangen Debatten, beispielsweise über das Heizungsgesetz, viele Menschen immer noch nicht wissen, was faktisch sinnvoll ist. Weil alles als Meinung verhandelt wird. So sind Menschen anfällig für einfache Lösungen und Argumente. Und die kommen von hier rechts.
Gegen Klimaschutz zu sein, das wird von Rechten häufig als eine Art Identitätsfrage gedeutet, oder?
Die deutsche Identität wird von rechts, aber auch von neoliberalen kapitalistischen Kräften, häufig mit Themen verknüpft, die sich nicht so gut mit dem Klimaschutz vereinen lassen. Fleisch essen, ist beispielsweise ein großer Teil unserer Identität. Oder Verbrennermotoren. Aber auch Flugreisen wollen wir uns von “den Grünen” nicht wegnehmen lassen. Genau das ist mittlerweile auch identitätsstiftend: gemeinsam gegen “die Grünen” zu sein.
Wie hat sich die Debatte zum Klimawandel in den Medien verändert?
Desinformation hat sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt. Klimawandelleugnung ist aber nicht mehr das größte Problem. Jetzt geht es häufig darum, dass der Klimawandel heruntergespielt wird – und darauf zahlt dann auch wieder eine mediale Darstellung ein, die einen planetaren Notzustand mit Sommerbildern illustriert.
Vor allem Lobbygruppen führen einen sogenannten ‘Discourse of Delay’. Sie akzeptieren mittlerweile also, dass der Klimawandel existiert, rechtfertigen aber ihr Nichthandeln oder kleinteilige Maßnahmen.
Von “Klimafakten (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)” gibt es ein gutes Poster, das zeigt, wie solche Scheinargumente und andere kommunikative Kniffe funktionieren. Damit kann man sich jede Talkshow ansehen und Bullshit-Bingo spielen. Nicht nur politische Gäste, sondern auch Journalist:innen übernehmen solche Narrative einfach als Argumente – obwohl es unser Job wäre, genau das einzuordnen.
Bei einem Triell vor der letzten Bundestagswahl beispielsweise stiegen die Moderator:innen mit der Aussage ein, dass Klimaschutz ja ganz schön teuer werde. Die Journalist:innen übernahmen hier ein Verzögerungs-Argument. Denn was wirklich teuer wird, ist “kein Klimaschutz”.
Wie sollten Journalist:innen über die Klimakrise berichten, ohne rechte Narrative zu stützen?
Mein Wunsch an Journalist:innen ist: Klimakrise immer mitdenken, Ereignisse kontextualisieren, achtsam bei Bild- und Interviewpartner:innenauswahl sein und politische Narrative einordnen, anstatt sie als legitime Argumente stehen zu lassen.
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