Traumberuf: Christkindlesmarkt-Chefin
Wer denkt denn im März bitte schon ans Christkind? Christine Beeck zum Beispiel. Die Chefin des Nürnberger Marktamts weiβ: Nach Weihnachten ist vor Weihnachten. Die Planungen für Dezember 2021 laufen also.
Doch ob sich in diesem Jahr die Hoffnung auf einen Christkindlesmarkt lohnt? Im vergangenen war sie allzu trügerisch.
Noch im August 2020 hatte Christine Beeck sie, die Hoffnung. Vielleicht ist ein dezentraler Christkindlesmarkt möglich, über die Altstadt verteilt? Doch fast auf den Tag genau zwei Monate später, am 26. Oktober, steht fest: Abgesagt. Der Nürnberg Christkindlesmarkt ist abgesagt. „Das war ebenso schmerzhaft wie richtig“, sagt Christine Beeck heute, ein halbes Jahr später. Auch wenn es die wichtigste, schönste Veranstaltung der Stadt ist, die dann so festlich glitzert und so unvergleichlich duftet. Zwei Millionen Besucher kommen jedes Jahr aus aller Welt nach Mittelfranken. Und dann kommt Corona.
Der ungebetene Gast.
Wird er auch in diesem Winter bleiben?
Corona schickt das Christkind im Home-Office, die Händler in den online-Shop, fegt den Hauptmarkt menschenleer. Kein Christkind auf der Empore der Frauenkirche, kein feierlicher Prolog zur Eröffnung des vielleicht bekanntesten Weihnachtsmarkts Deutschlands. Alles bleibt furchtbar still. Statt sich Gedanken über Besucherströme in der Innenstadt, Sicherheitskonzepte und Zeitpläne zu machen lässt Christine Beeck einen digitalen Marktplatz für die Marktbeschicker einrichten, auf dem sie ihre Zwetschgenmännchen und Kerzen, all die Lebkuchen und Christbaumkugeln und Krippenfiguren anbieten dürfen. Der online-Weihnachtsmarkt bleibt dauerhaft offen, auch über die Weihnachtsfeiertage hinaus. Ein schwacher Trost für den Millionenumsatz, der Händlern und Stadt entgeht, doch immerhin ein Zeichen, dass man wenigstens irgendetwas versucht.
(Foto: Steffen Oliver Riese)
Seit 2015 leitet Christine Beeck das Marktamt, ein wichtiges Amt in der mittelfränkischen Groβstadt. Eine solche Krise hat sie noch nie erlebt. Dabei sind schon ihre frühesten Kindheitserinnerungen mit dem Christkindlesmarkt verwoben. Sie erinnert sich noch, wie sie als kleines Mädchen von sechs, sieben Jahren einmal einen kleinen Schneemann von ihrem Taschengeld gekauft hat, mit grünem Schal und rotem Hut auf dem Nürnberger Christkindlesmarkt. „Den Schneemann habe ich meiner Mutter zu Weihnachten geschenkt.“ Als Christine Beeck im Jahr 2009 den Nachlass ihrer Mutter sortiert, findet sie die kleine Figur aus den 1960er Jahren. Mehr als 40 Jahre lang hat die Mutter diese Kerze aufbewahrt, original in Zellophanpapier gehüllt.
Gibt es auch diesen Stand denn noch? „Nein, nein“, sagt Christine Beeck. „Alle unsere aktuellen Kerzenverkäufer sind kürzer auf dem Christkindlesmarkt.“ Sie kennt sie alle, die Marktbeschicker, schaut überall vorbei, wenn sie ihre Runden über den Markt dreht. „Mein Traumjob.“ Daran ändert auch Corona nichts.
Chefin für alle Märkte Nürnbergs
Zum Traumjob gehört nicht nur der Christkindlesmarkt. Christine Beeck ist verantwortlich dafür, dass alle 19 Märkte der Stadt reibungslos ablaufen, darunter auch der Großmarkt und die Wochenmärkte. Um sich für die Marktamtsleitung zu qualifizieren, hat sie nach Ausbildung und Karriere in Nürnbergs Stadtverwaltung mit Ende 40 extra noch einmal studiert, Verwaltungsrecht. Nun ist sie die Chefin aller Märkte, auch des Weihnachts-Städtchens aus Holz und Tuch mit seinen 200 Buden, die traditionell am Freitag vor dem ersten Advent ihre Türen öffnen.
(Foto: Christine Beeck)
Ein ganzes Jahr lang arbeiten Christine Beeck und ihr Team hart, damit der Christkindlesmarkt mit seinen 200 Buden, hunderttausenden Lichtern, dem Tannengrün, den Rauschgoldengeln, dem Markt der Partnerstädte, der Kinderweihnacht und einem kulturellen Bühnenprogramm pünktlich am Freitag vor dem ersten Advent eröffnen kann. „Wenn das Nürnberger Christkind seinen Prolog spricht, ist in normalen Jahren zum ersten Mal Zeit zum Innehalten“, sagt Christine Beeck. „Ich denke jedes Mal, ach wie schön, die Mühe hat sich doch gelohnt.“ Nach dem Prolog trifft sie sich traditionell mit ihrem Team, ihrem Chef vom Wirtschaftsreferat und ihrer Familie auf einen Glühwein. Natürlich kennt sie auch das Christkind persönlich, denn als Marktamtsleiterin ist Christine Beeck Jurorin bei der Wahl.
Marktzeit ist Arbeitszeit
Viel Zeit zum Innehalten bleibt indes nicht. Marktzeit ist Haupt-Arbeitszeit, das Handy 24 Stunden am Tag angeschaltet, und in Gedanken ist Christine Beeck schon bei den Planungen fürs kommende Jahr. Im Dezember beginnt die Bewerbungsphase.
Nahezu jeden Tag ist Christine Beeck auf dem Christkindlesmarkt unterwegs, wenn sie nicht gerade andere Weihnachtsmärkte besucht, um zu sehen, wie sich „die Konkurrenz präsentiert“. Sie mag diese arbeitsintensive und adventsemotionale Zeit, in der auch sie, die den Markt doch plant, organisiert und in- und auswendig kennt, immer noch und immer wieder neue Ecken entdeckt. Ernsthaft? „Der Christkindlesmarkt ist nie gleich“, sagt sie.
Der wichtigste Moment des Markts: Das Nürnberger Christkind eröffnet den Markt mit seinem feierlichen Prolog. (Foto: Berlind Bernemann)
Ihr Anspruch als Marktamtsleiterin: Traditionen bewahren und gleichzeitig die Zukunft planen. Der Christkindlesmarkt muss als Markt mit Geschichte seinem Wesen treu bleiben. Der älteste Beleg für seine Existenz stammt aus dem Jahr 1628. Schon im 18. Jahrhundert haben Quellen zufolge die Nürnberger dafür gesorgt, dass der festlich-adventliche Charakter des Markts nicht der Beliebigkeit anheimfällt, als sie damals eine Lotterie untersagten. Trotzdem muss auch ein derart bedeutungsvolles Ereignis mit der Zeit gehen. Jeden Gang über den Markt nutzt Christine Beeck, um seine Präsentation zu überprüfen. Was könnte wie verändert werden? Welche Neuerungen würden guttun? Aber auch: Erfüllen alle Standbetreiber die Ansprüche des Marktamts? Stimmt die Dekoration? Sind die Besucher zufrieden?
Es gibt Dinge, an die kein Marktleiter jemals rütteln würde, weil sie ganz einfach zum Christkindlesmarkt gehören. Das rot-weiße Stoffdächer der Stände, die Holzbuden, das echte Tannengrün der Dekoration, die historisch gewachsene Dauer von vier Wochen. Doch behutsame Neuerungen rühren nicht unbedingt am Charme des Traditionellen. Christine Beeck hat dafür gesorgt, dass milchweiße Lichterketten das Tannengrün illuminieren, geschickt in den Zweigen versteckt. Als die Skeptiker den Effekt sahen, waren sie sprachlos. Vor Begeisterung.
Das Bühnenprogramm ist sanft modernisiert worden; die Frauenkirche ist nun plastisch in festliches Licht getaucht, „das fällt auf den ersten Blick vielleicht nicht auf, doch der Effekt im Vergleich zu vorher ist verblüffend“, sagt Christine Beeck. Seit dem Jahr 2013 lässt das Marktamt zwecks Qualitätsmanagements regelmäßig Besucherbefragungen durch die Technische Hochschule Nürnberg Georg-Simon-Ohm durchführen, die Ergebnisse stimmen positiv; Auswärtige und Einheimische schätzen den Christkindlesmarkt.
(Foto: Steffen Oliver Riese)
Mit den Händlern pflegt die Marktamtsleiterin in herzlich-professionelles Miteinander. „Ich kann nie unerkannt über den Markt gehen“, sagt Christine Beeck, „nicht einmal, wenn ich einen Hut aufsetze.“ Wenn sie ihre Runde beginnt, weiß bald der ganze Markt Bescheid. Das macht aber nichts. „Wir sind gerne gesehen“, sagt Sebastian Buhl, im Marktamt zuständig fürs Marketing und den Christkindlesmarkt.
Viele Standbetreiber kommen alle Jahre wieder. Dass sie für ihre Lizenz etwas bieten müssen, wissen Sie. Bis zu 500 Bewerbungen kommen auf die 200 Plätze. Chancen hat, wer das Außergewöhnliche verkauft, hochwertige Spielwaren, Kunsthandwerk, Christbaumschmuck, kurzum: wer das hohe Niveau des Marktes halten kann und dazu beiträgt, im Rahmen des Vorgegebenen Akzente zu setzen. Plastikware, ein Speisenangebot, das nicht dem fränkischen Charakter entspricht oder austauschbare Produkte werden es niemals auf den Markt schaffen. Die 200 Plätze sind begehrt, und bewusst nur ein Fünftel gehen an die Gastronomie.
Wer dabei sein will, muss sich bewerben
Anders als bei manch anderen Weihnachtsmärkten hat das Nürnberger Marktamt den Luxus sich seine Händler auszusuchen. Manche Standbetreiber sind Familienbetriebe in mehrfacher Generation. Auch sie müssen sich jedes Jahr bewerben und zeigen, dass sie ihre Qualität halten. Bewusst werden immer auch Buden an neue Händler vergeben und innovative Konzepte realisiert. So gibt es seit dem Jahr 2016 zum Beispiel einen Weihnachts-PopUp-Stand. In dieser Bude bieten junge Designer aus der Region ihre Produkte für jeweils zwei bis fünf Tage an.„Der Rundgang zu den Neuerungen gehört zu meinen liebsten Beschäftigungen auf dem Markt“, sagt Christine Beeck.
Wer einen Stand bekommt, entscheidet Christine Beeck mit ihrem Team. Fällt die Entscheidung bei dem ein oder anderen Bewerber schwer, werden seine Unterlagen einer Kommission vorgelegt, die eigens für solche Fälle im Marktamt gebildet wird. Um Objektivität zu wahren, werden die Unterlagen anonymisiert, und es wird nicht öffentlich, wer diesem Gremium angehört. Die ausgewählten Betreiber werden von Mai an zum Erstgespräch geladen, wo sie noch einmal geprüft werden. Erst dann bekommen sie die Zulassung. Zurückgegeben hat seine Lizenz noch nie jemand, soweit Christine Beeck weiß.
(Foto: Steffen Oliver Riese)
Während sich die Händler auf den Markt vorbereiten – wer zum Beispiel Christbaumschmuck verkauft, muss schon zum Jahresanfang ordern – organisiert das Marktamt die Rahmenbedingungen. Im Sommer werden die Buden werden, wo nötig, in Stand gesetzt. „Manche sind 120 Jahre alt, im Sinne der Nachhaltigkeit bessern wir aus, was möglich ist“, sagt Christine Beeck. Mit Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst, Ordnungsamt, den Verkehrs- und den Versorgungsbetrieben werden Organisation, Abläufe und Sicherheitskonzept abgesprochen, bis im November der Aufbau des Markts beginnt. Besprechungen, Ortsbegehungen, Abstimmungen – die Tage des Aufbaus haben gefühlte 48 Stunden. Doch „je besser die Planung, desto entspannter ist das eigentliche Ereignis“, sagt Christine Beeck.
Bis es dann endlich losgeht. Die Planung und Organisation, die ständige Präsenz auf dem Markt und die lückenlose Rufbereitschaft seien harte Arbeit, sagt Christine Beeck. Aber: „Ich könnte mir keine schönere vorstellen.“ Zuhause erinnert sie ein kleiner Schneemann in Zellophanpapier daran, dass sie den Christkindlesmarkt schon als kleines Mädchen geliebt hat.
Es wird wieder einen Christkindlesmarkt geben, irgendwann. Die Vorfreude ist schon jetzt riesig.