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Rassetypisch stur

Neuerdings teilen wir unser Zuhause mit einem Airedale Terrier. Das sei, spottet mein zweitbester Freund Ludger, eine typische Wessi-Rasse. Seitdem – Rassismus hin oder her – sehe ich beide mit anderen Augen.

Thodor von Gohlis *, angeblich alter sächsischer Terrier-Adel.

Das letzte Baby hat bekanntlich ein Fell. Und bei aller Milde, die sich in Wessi-Kolumnen und der Welpen-Erziehung immer rächt, rührt es wahrscheinlich sogar das kälteste Herz im Schwarzwald, wenn ein Hund ins Haus kommt, das die Kinder gerade verlassen haben. Zumindest in den ersten Tagen.

Da ist alles noch süß: Wie er in Sekunden sein Spielzeug zerfetzt, das der westdeutsche Online-Fachhandel als unzerstörbar anpreist. Wie er schläft und pupst und um drei Uhr früh plötzlich toben will. Wie er den Kopf schief hält, weil er nicht versteht, dass wir das nicht verstehen. Und selbstredend erwarten wir auch von Besuchern nur ganzheitlich Begeisterung – „ganz entzückend“ etwa, „ein ganz ein Feiner“ oder wenigstens „ganz der Papa“.

Kein Mensch mit Feingefühl sagt frischen Eltern, was er wirklich denkt: Bisschen mopsig, findet ihr nicht? Riecht man schon an der Tür. Oder: Müsst ihr selbst wissen, ihr habt ja euer Leben gelebt. Selbst wenn es die Wahrheit ist, will dergleichen niemand hören – erst recht nicht das, was mein zweitbester Freund Ludger sofort wiehert, als er Theo das erste Mal sieht: „Ihr wisst aber schon, dass das ein typischer Wessi-Hund ist, oder?“

Ludger muss es wissen. Zwar pinkelt er nicht auf den Teppich und geht im Vergleich zu anderen womöglich auch noch als „ganz ein Feiner“ durch, aber er ist eben doch ein Typischer. Nach 30 Jahren in Leipzig will er das nur nicht mehr wahrhaben und nutzt jede billige Retourkutsche, weil ich in alten Wessi-Texten immer mal Bezug auf seinen westfälischen Migrationshintergrund nahm. Trotzdem sitzt der Satz. Seitdem sehe ich nicht mehr nur Ludger mit anderen Augen, sondern auch den Hund.

Monatelang hatten wir die Sache abgewogen. Die Verantwortung? Die Zeit? Der Auslauf? Weil wir auf dem Land leben, viel zu Hause arbeiten und so ein Tier auch ein prima Sportgerät für Schreibtischtäter sein soll, sprach irgendwann nichts mehr dagegen. Blieben nur noch die Fragen: Tierheim oder Züchter? Mischling oder Rassehund? Groß oder mittel?

Schließlich wurde es ein Airedale Terrier, laut Rassebeschreibung ein ebenso fröhlicher wie wachsamer Familienhund, sensibel, intelligent, robust. Wer denkt bei solchen Attributen schon daran, dass er sich einen Wessi ins Haus holt?

Guckt wie Habeck, knurrt wie Weidel: Haben wir uns einen Wessi ins Haus geholt?

Als wir uns bei einem Leipziger Züchter in Theo verlieben, wirkt er unter seinen Geschwistern noch eher zurückhaltend. Seine stolze Mutter ist eine „von Gohlis“ (*) – alter sächsischer Terrier-Adel. Den mutmaßlichen Vater lernen wir nicht kennen. Es soll ein kräftiger Rüde aus der Uckermark gewesen sein. Und ich stelle mir sofort einen romantischen Urlaubsflirt vor, wahrscheinlich irgendwo an der Ostsee, zwischen FKK und Hundestrand an den Rand gedrängt von prüden Textil-Wessis. Details dazu erfahren wir zwar nicht, aber wo sonst begegnen sich Sachsen und Brandenburger heutzutage noch unbefangen?

Wir sind jedenfalls glücklich. Theo kommt uns nach ein paar Tagen auch so vor. Dennoch ist es insgesamt anstrengender als gedacht. Bis auf wenige Wochen Urlaubsvertretung mit einem alterscoolen Riesenschnauzer aus Thüringen hatten wir im Grunde keine Erfahrung. Aber die fehlte uns mit den kapitalistischen Schweinehunden vor 1990 auch – und dann kamen wir doch ganz gut zurecht.

Als emanzipiertes Ost-Paar teilen wir Aufzucht und Pflege selbstverständlich. Sein Frauchen übernimmt Hundeschule und Fellpflege, Fütterungen, Tierarztbesuche und die Sache mit den Kackebeuteln; ich die schöne Morgenrunde. Bälle werfen wir abwechselnd.

Niemand will einen Wessi als Hund

Aufs Sofa, da sind wir uns einig, darf er nicht. Auch sonst nehmen wir uns vor, konsequenter als bei den Kindern zu sein. Doch schon nach wenigen Wochen stellt Theo erstmals die Rangfolge in unserem kleinen Rudel in Frage. Mit der Chefin legt er sich nicht an, dafür ist er schlau genug. Mir aber zeigt er deutlich, dass ihm Platz drei nicht mehr reicht. Er beißt in die Leine oder bleibt bockig stehen, wenn er in eine andere Richtung will. Manchmal rempelt er mich auch aus vollem Galopp an oder umklammert unflätig mein Bein.

„Die erste Pubertät“, sagen die Experten vom Hundeplatz und deuten damit wohl an, dass es nicht nur eine gibt. „Dieses dominante Gehabe“ sollen wir uns aber keinesfalls gefallen lassen.

Die Airedale-Literatur spricht beschönigend von Selbstbewusstsein, zudem wird dem „König der Terrier“ eine gewisse Sturheit bescheinigt. Das finde ich gut, etwas Starrsinn spricht für Ost-Gene. „Dominanz“ und „Selbstbewusstsein“ lassen mich jedoch aufhorchen. Denn natürlich habe ich nach wie vor Ludgers Spruch im Ohr.

Was er mit „Wessi-Hund“ meinte, bezog sich zwar nur auf Äußerlichkeiten, auf Theos stylisch englische Erscheinung und den hochtrabenden Gang. Ein Bilderbuch-Hund zum Angeben, das ist er leider schon. Aber solange wir nicht in Barbourjacken an der Alster mit ihm Gassi gehen, mache ich mir da keine Sorgen.

Bei bestimmten Leckerlis kommt er mir etwas zu gierig vor, fast wie diese Hamburger Windhunde, als es 1991 um die Filetstücke der Leipziger Innenstadt ging. Manchmal gibt er auch den Ball nicht sofort her und schaut sich provozierend um, bevor er mich mit einem arroganten Haken ins Leere laufen lässt.

Außer Atem frage ich sein Frauchen: „Hast du diesen Blick gesehen?“ Sie lacht, er wolle nur spielen. Aber das haben nach 1990 schon viele Ostfrauen gedacht und später bereut.

Meine Zweifel bleiben: Theo ist territorial und hochnäsig, oft verstellt er sich sogar. Mal guckt er niedlich wie Habeck, dann wieder knurrt er wie die Weidel oder liegt phlegmatisch in seinem Körbchen wie Scholz. Ich meine ja nur: Niemand will einen Wessi als Hund. Also beschäftige ich mich noch einmal gründlich mit seiner Ahnentafel – und mache eine schreckliche Entdeckung.

Fortsetzung folgt.

* Name von der Redaktion geändert

© Holger Witzel 🍊🍊🍊🧅🍊 2025

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