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Folge 80

Etwas Altes: Frühblühende als cute Endlichkeitsmarker

Das Gefühl für die eigene End- und Sterblichkeit stellt sich im Leben von Menschen irgendwann auch jenseits grundsätzlicher philosophischer Beschäftigungen und der Ausnahmeerfahrung, Nahestehende zu verlieren, ein und geht dann auch nicht mehr weg. 

Bei mir tauchte die Gegenwärtigkeit meines zukünftigen Todes als Gedanke und Vorstellung auf, als ich 37 war, ohne besonderen Anlass, die nahenden 40 waren mir wirklich egal. Ich würde eher vermuten, dass es durch die Gegenwart meiner damals kleinen Kinder ausgelöst wurde: sie werden ja vorausssichtlich noch leben, wenn ich schon tot bin. 

Seit dieser Zeit muss ich täglich, manchmal mehrmals, daran denken, dass ich sterben werde. In den ersten Jahren hatte das fast zwanghafte Züge, dann nahm es quantitativ etwas ab. Qualitativ war es nie besonders arg, eher so ein gelassener Nebengedanke bei allem: Ja, ich werde sterben. Der Roman White Noise von Don DeLillo aus dem Jahr 1985 kreist um diesen Gedanken, ich habe das Buch neulich noch mal gelesen, und es ist ziemlich gut gealtert. 

Mit dem gedanklichen Sensenmann stets an meiner Seite hat sich auch meine Wahrnehmung des Frühlings verändert, ich stehe seither jedes Jahr im Februar und März ausufernd oft und lange vor den Frühblühenden, starre hier ein Schneeglöckchen, da einen Krokus an, während ich innerlich seufze: Werden und Vergehen, das muss diese Schönheit sein. 

(Bitte Schönheit niemals mit Romantik verwechseln.)

Ich habe noch nie sonderliche Angst vor dem Tod gehabt, aber ich will auch nicht sterben. Jedenfalls nicht, bevor mein Maß voll ist. Das wünsche ich mir auch für andere Menschen, vor allem liebe, leider nicht immer erfolgreich. R.I.P., Sim. 

Etwas Neues: Digitalprivate Routine

Während das öffentliche Deutschland weiterhin Menschen dazu zwingt, per Mail erhaltene Verträge auszudrucken, zu unterschreiben, einzuscannen, zu mailen und »lieber auch noch mal per Post zu schicken«, dürfen Menschen in privateren digitalen Kontexten feststellen, dass tatsächlich eine gewisse gelassene Routine einkehrt und menschmaus sogar Kniffe entwickelt, um sich selbst dabei auszutricksen. So bin ich letzte Woche nach den Monaten erzwungenen Dauerhighs durch Überaktion rund um meine Mutter und deren Carenöte nach der Rückkehr in den Alltag erwartungsgemäß erst einmal in mich zusammengefallen. In solchen Down-Phasen nutze ich sonst meist übermäßig soziale Medien, doomscrolle oder zocke. Ich kann und will dann keine Menschen treffen. Wenn das digitale Monadentum nicht zu lange währt, wirkt es als dumpfe Form von Selbsttherapie: Sich leermachen nach dem Zuviel. Dieses Mal stürzte meine entfesselte Seite mich kopfüber und zehn Jahre verspätet in eine Candy Crush-Sucht, und es wurden mal eben schnell 152 Levels durchcrusht. 

Symbolbild

Gleichzeitig aber öffnete meine selbstbesorgte Seite pflichtbewusst Duolingo und ließ mich mit Italienisch weitermachen. Und dann ist etwas passiert, was mich selbst überrascht hat: Inmitten kompletter Zockmanie (=wenn schon ganz klar ist, dass beim Spielen nicht mehr von Entspannung die Rede sein kann: noch eines, noch eines, nur noch eines) holte ich tief Luft und löschte Candy Crush. Nach nicht mal einer Woche, so müsst ihr euch ein Wunder vorstellen! Sehr geholfen hat mir (meiner Vernunft) dabei die Information, dass es über 10.000 Levels gibt – sorry, aber ich möchte dieses Jahr schließlich noch Bücher verlegen und schreiben. Danach habe ich natürlich noch nicht sofort meine To-do-Listen abgearbeitet, sondern wie besessen Duolingo genutzt, ich habe Duolingo gezockt. Italienischlevels kann es ja gar nicht zu viele geben. Das werde ich jetzt für überdrehte Tage beibehalten. My own private digital limbo. Nur von den Challenges lasse ich lieber die Finger, einen lila Kopf vom Nichtatmen beim Italienischlernen zu bekommen, erscheint mir irgendwie unangemessen.

Etwas Geborgtes: Ein Zitat

Verstehen ist immer eine aufsteigende Bewegung; deshalb muss das Verstehen immer konkret sein. (Man hat die Höhle nie endgültig verlassen, man ist immer dabei, sie zu verlassen.)

– Simone Weil, Cahiers. Aufzeichnungen, Erster Band (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), 97

Etwas Uncooles: Katzeneltern auf Instagram

Mit meiner öffentlichen persona und dem Verlag bin ich ja nun seit einiger Zeit weg von allen Mega-Verlagsplattformen, also allen, die von den Megalo-Elons, -Marks und -Jeffs geführt, geprägt und geerntet werden. Es ist a priori nicht möglich, auf diesen Plattformen »indie« zu publizieren, also Vorbildfunktion und so. 

Aber ich habe mir eine kleine Inkonsequenz erlaubt und einen privaten Instagramaccount eingerichtet, um Kontakt zu Freund*innen zu halten und noch ein bisschen was mitzubekommen. Weil ich damit aber fast nichts fave, klatscht mir der Algorithmus krude Mischungen an Inhalten hin: Fitness, Food, Memes und Katzen, Katzen, Katzen. In letzterem Segment habe ich jetzt ein Subgenre ausgemacht, bei dem mir das Blut gefriert, so ästhetisch schlimm finde ich es: Videos, in denen die Katze witzige Sachen über ihre Menschen sagt, UND SIE NENNT SIE MAMA UND PAPA. Witzhöhe like: Mama und Papa machen komische Geräusche im Schlafzimmer. Ich wusste gar nicht, wie verfacebookt und -boomert Instagram ist. 

Nicht ästhetisch, sondern ethisch schlimm ist, in wie vielen Videos Katzen entgegen ihren Katzenneigungen niedlich mit engen Klamotten hergerichtet oder sogar absichtlich verängstigt oder anderswie gestresst werden, weil das witzig groteske Reaktionen (Content!!!) hervorruft. »Papa« und »Mama« sind wohl auch einfach ziemliche Arschgeigen.

Stichwort Katzen, aber cool: Am 30.4. ist in Berlin in der Lettrétage Katersalon zum Thema Hexen. Ich halte einen freien digitalmagischen Vortrag zu Bildern, Diana Weis macht ein Stand-up und legt auf, Sarah Berger performt lyrische Social-Media-Collagen. – Extensiver Hexentanz wegen des Datums unerlässlich, dazu PGExplaining-Visuals.  

Rubrikloses

Diese Art von Over-the-top-Clickbait-Teaser, der dann ins Nichts führt, liebe ich ja. 

Altes Schrankpapier

Was soziale Medien nach drei Monaten Shoppings für Seniorin von mir denken, noch schlimmer, es kommt mir auch selbst plausibel vor.

Guerlica

Zurück zum Zuviel, zu den Vielen, die zu wenig mit sind. Wir sehen uns nächste Woche. Seid lieb, nur nicht zu Nazis.

XOXO,
FrauFrohmann

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