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World Cabbage Day – Ein Fall für die scharfe Klinge

Liebe Hobby-Detektive und Leserinnen im Mikrobenzirkus,

heute, am 17. Februar, ist der Tag des Kohls – „World Cabbage Day“ - ein kurioser Feiertag für ein oft ignoriertes Gemüse, welches preiswert, äußerst vielseitig und mittlerweile Kult ist.

In diesen stürmischen Zeiten, in denen politischer Unsinn die Schlagzeilen beherrscht, ist es nicht einfach, die gute Laune zu behalten. Deshalb verlasse ich mal den Schreibtisch mit Sachbuchmanuskript und Krimi.
Heute richte ich mein scharfes Messer aber nur gegen einen frischen Kohlkopf – und mache daraus Sauerkraut ;).

Der erste Schnitt: Der Moment der Wahrheit

Der Kohlkopf liegt schwer in meiner Hand, seine äußeren Blätter umschließen ihn. Sie schmiegen sich in dichten, konzentrischen Kreisen aneinander – wie eine zarte, grüne Rüstung. Die Blätter sind kräftig, fast ledrig, ein tiefes, sattes Grün mit rauer Struktur. Ein Duft von kühler Erde, herbem Grün…
Aber trotzdem muss er jetzt dran glauben! Mit dem scharfen Messer teile ich ihn in der Mitte durch…

Der Fall Sauerkraut – Ein kulinarisches Verbrechen?

Ein kleiner Blick in die Geschichte: In Deutschlands Speisekammern blubbern seit jeher die Sauerkrautfässer. Obwohl schon die Römer vor 2000 Jahren ihren ganzen Kohl in Töpfen konservierten, geistert seit dem Zweiten Weltkrieg das Klischee der »German Krauts« in den Köpfen anderer Nationen.

Witwe Bolte am Sauerkrautfass (1865), Quelle: Wilhelm Busch – Max und Moritz (Public Domain)

Neben Wilhelm Busch mit Max und Moritz und seiner Witwe Bolte hat auch der Dichter Ludwig Uhland kräftig mitgewirkt. Dabei war das Säuern als einfache Methode des Haltbarmachens bereits den Menschen der Urgeschichte bekannt.

Der Legende nach gilt Dschingis Khan als kulinarischer Vorreiter des Sauerkrauts. Der mongolische Eroberer galoppierte mit seinem Reiterheer im 13. Jahrhundert von Asien nach Westen und bremste erst in Osteuropa ab.

Fotos: Porträt von Dschingis Khan (Dschingis Khan und seine Erben, Ausstellungskatalog, München 2005, S. 304, Foto: gemeinfrei)

Als Reiseproviant hatten die Reiter »suan cai« in den Satteltaschen – sauer eingelegter Kohl, zubereitet nach einem beim Überfall auf China erbeuteten Rezept. Als der Vorrat zur Neige ging, ersetzten sie den Chinakohl durch den europäischen Verwandten – den Weißkohl. In Deutschland stampften die ersten Mönche im ausgehenden Mittelalter den Weißkohl in die Fässer.

Tatort Fermentation – Die Mikroorganismen am Werk

Sobald das Gemüse unter die Lake getaucht wird, startet ein sehr wichtiges Milchsäurebakterium die Gärung – Leuconostoc mesenteroides. Der Name „leukos“ (altgriechisch = weiß) leitet sich vom weißen Aussehen seiner Kolonien ab. Die kleinen, kugelförmigen Kokken, Diplokokken oder kurzen Ketten kommen auf dem Gemüse in geringer Anzahl vor. Sobald der Kohl geschnitten wird, steigt die Zahl sprunghaft an, da die freigesetzten Zellinhalte den Bakterien mehr Nährstoffe zur Verfügung stellen.

Leuconostoc mesenteroides SEM (Quelle: https://microbewiki.kenyon.edu/index.php/Leuconostoc_mesenteroides (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre))

In den ersten Tagen blubbert es im Bügelglas recht heftig. Der vorhandene Sauerstoff wird verbraucht und die Kohlendioxid-Produktion beginnt. Leuconostoc ist ein heterofermentatives Milchsäurebakterium – das bedeutet, dass zwar als Hauptprodukt Milchsäure entsteht, dabei aber auch erhebliche Mengen an Nebenprodukten wie Kohlensäure, Alkohol und Essig produziert werden.

Nun geht es weiter wie bei der Eroberung neuer Kontinente: Ist die Umgebung ausreichend angesäuert – circa ab dem 3. Tag – kommen weitere säuretolerante Milchsäurebakterien und Hefezellen ins Spiel, wie z. B. Lactobacillus plantarum, ein homofermentatives Bakterium, das ausschließlich Milchsäure bildet und die spätere Phase der Gemüsefermentation prägt. Neben den säuretoleranten Bakterien sind auch Hefezellen am Veredlungsprozess beteiligt, die das Sauerkraut konservieren und aromatisieren. Im Schnitt ist die Milchsäuregärung nach 10 bis 20 Tagen beendet.
Allerdings benötigen die meisten Gemüsefermente zwei bis drei Wochen bis zur vollen Reife – Sauerkraut braucht sogar vier bis sechs Wochen. Da braucht ihr etwas Geduld.

Was können wir von einem selbstgemachten Sauerkraut erwarten?

Zuallererst schmeckt es natürlich sehr gut: Roh gegessen sind Fermente reich an Vitaminen, Enzymen und anderen Inhaltsstoffen, die teilweise erst durch den Fermentationsvorgang entstehen und unsere Ernährung bereichern. Es besitzt eine geschmackliche Dichte und Vielfalt, die mit einem gekauften Produkt gar nicht vergleichbar ist – außerdem schmeckt es niemals gleich. Das Sauerkraut vom Vorjahr schmeckt anders als das von diesem Jahr, das vom Frühjahr anders als das vom November. Das liegt vor allem an den unterschiedlichen Herkunftsregionen der Kohlsorten und den mitgebrachten Bakterien. Auch die Mikroorganismen, die wir über unsere Hände einbringen, variieren, und unterschiedliche Temperaturen bei der Vergärung haben ebenfalls Einfluss. Aber genau das macht den Reiz aus – kein Sauerkraut schmeckt gleich.

Sauerkraut ist gesund!

Die gesundheitlichen Wirkungen selbst fermentierten Sauerkrauts sind beachtlich: Der englische Seefahrer James Cook (1728–1779) soll es als Erster auf seinen Pazifik-Reisen fässerweise mitgenommen haben, um seine Mannschaft während der monatelangen Überfahrten vor Skorbut – der gefürchteten Vitamin-C-Mangelkrankheit – zu schützen. Teilweise zwang er seine Männer sogar, das Kraut zu verspeisen.

Quelle: James Cook (Nathaniel Dance-Holland, 1976): gemeinfrei, Nachbau der Endeavour (Schifftstyp Whitby Cats): CC-BYSA3.0

Anders als oft behauptet, strotzt Sauerkraut aber nicht vor Vitamin C und Vitamin B12. Einhundert Gramm Kraut liefern gerade mal 20–30 Milligramm Vitamin C – immerhin mehr als doppelt so viel wie 100 Gramm eines Apfels.

In den Wintermonaten bleibt Sauerkraut deshalb ein wertvoller Lieferant für Vitamin C. Wird Sauerkraut nur leicht bissfest gekocht, steigt der Vitamin-C-Gehalt sogar noch, wie Ernährungsexperten der Verbraucherzentrale Bayern mitteilen. Hintergrund dafür ist das sogenannte Ascorbigen, eine Vitaminvorstufe, die im Weißkraut reichlich vorhanden ist. Erst durch leichtes Erhitzen wird es in aktives Vitamin C umgewandelt, und das saure Milieu schützt das Vitamin vor Zerstörung. Eine Portion schonend erhitztes Sauerkraut deckt etwa ein Viertel der empfohlenen Tagesdosis von 100 Milligramm ab.

Sauerkraut ist zudem gut bekömmlich! Milchsauer eingelegtes Gemüse ist quasi vorverdaut, da die Kohlenhydrate von den Milchsäurebakterien zu Milchsäure abgebaut werden. Dadurch wird das pflanzliche Gewebe aufgelockert, und der menschliche Verdauungsapparat muss weniger leisten, um die Kost aufzuschließen. Schwer verdauliche Rohkost wird durch Fermentation bekömmlich, und die Nährstoffe werden besonders gut verfügbar.

Auf der Spur der Milchsäurebakterien

Die Milchsäurebakterien sind neben der Milchsäure die wichtigsten Gesundmacher im Kraut. Sie gelangen mit der Nahrung in den Darm und entfalten dort ihre Wirkung. Dort fördern sie eine gesunde Darmflora und bilden sogenannte Bakteriocine – eine Art Abwehrtruppe, die krankmachenden Keimen Paroli bietet. Dabei handelt es sich um giftige Proteine oder Peptide, die von Bakterien abgesondert werden und andere konkurrierende Bakterienarten töten oder zumindest im Wachstum hemmen. Die von den Bakterien gebildete Milchsäure regt die Darmbewegung an, sorgt für einen günstigen pH-Wert und stärkt die Darmschleimhaut. Zudem dient sie der Energiegewinnung in Muskeln, Leber und roten Blutkörperchen.

All das bietet das Sauerkraut vom Discounter nicht mehr. Es wird pasteurisiert – also erhitzt – und mit verschiedenen Nahrungszusätzen länger haltbar gemacht. Es ist aber leider eigentlich tot. Wenn ihr selbst Sauerkraut herstellt, arbeiten Mikroorganismen, die in ihrer Umgebung vorkommen und gut mit unserem Körper zusammenarbeiten. Im Gegensatz zu gekauften probiotischen Präparaten aus der Apotheke bieten selbst hergestellte, wilde Fermente eine unendlich größere Vielfalt an Mikroorganismen und liefern zudem noch Präbiotika (wasserlösliche Ballaststoffe), mit denen die nützlichen Darmbakterien gut wachsen. Im Preisvergleich schneiden die hausgemachten Fermente ebenfalls ungleich besser ab.

Fazit: Ran an die Klinge und loslegen!

Also, schärft eure Messer und traut euch ran an den Fall Sauerkraut. Es ist eine faszinierende Verbindung aus Geschichte, Wissenschaft und purem Genuss. Der World Cabbage Day erinnert uns daran, dass manchmal die einfachsten Zutaten – kombiniert mit ein wenig Mut, Geduld und natürlich den richtigen Mikroben – wahre Wunder vollbringen.


Sauerkraut zum Selbermachen

  • 1 kg Weißkohl (feingehobelt)

  • 1 Esslöffel unraffiniertes Meersalz

  • 1 großes Glas mit Bügelverschluss

Die 2–3 äußeren Blätter des Weißkohls entfernen, den Kopf vierteln und fein hobeln. Das Meersalz hinzufügen, alles gut durchmassieren und kneten, bis genügend Flüssigkeit entstanden ist. Das Kraut fest und ohne Luftblasen mit einem Stampfer ins Bügelglas stopfen und mit den Kohlblättern bedecken – es muss vollständig von der Lake umgeben sein. Gegebenenfalls mit der Restflüssigkeit auffüllen und mit einem Gewicht beschweren. Das Bügelglas verschließen und dunkel für 6 Wochen lagern: Die ersten Tage sollte es etwas wärmer (20–22 °C) stehen, danach darf es etwas kühler (16–18 °C) gelagert werden. Sauerkraut hält sich kühl gelagert mindestens 6 Monate.

Auch eine feine Variante ist das abgewandelte Zahtar-Kraut. Das etwas andere Rezept und viele weitere findet ihr in meinem Mikrobenzirkus-Blog. Ich habe ein paar Jahre lang viele Workshops für Fermentierbegeisterte gegeben in Volkshochschulen und Vereinen. Da fehlt mir leider mittlerweile die Zeit dazu - aber die Rezepte stelle ich euch gern zur Verfügung.

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Sehenswert:

In diesem Sinne: Bleibt gesund und inspiriert!


Schreibt mir sehr gern, ich freue mich über ein Like oder über euer Feedback

Probiotische Grüße und nicht vergessen - am 23.2. zur Wahl gehen und euer Kreuzchen bei den demokratischen Parteien setzen!

Viele Grüße

Eure Susanne Thiele

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Viele Grüße

Eure Susanne Thiele

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